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Alligatoren

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11.11.2003
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Alligatoren

Alligatoren

Im Radio reden sie von Krieg. Das alles anders wird diesmal. Das niemand mehr Garantien geben will. Im All wird bereits mobil gemacht.
Das Licht in ihrem Zimmer brennt noch. Es bricht sich auf dem vom Regen feuchten Kopfsteinpflaster.
Es gibt leider nichts zu tun, in dieser Seitenstraße. Ich recke mich.
Fixe Gedanken. Es macht mich fertig. Das Warten darauf, dass was passiert. Wenn ich die Jahre zusammen rechne, all das Zeug was hinter mir liegt - die guten und die schlechten Tage - bin ich auf der sicheren Seite. Ein kurzer Gedanke nur, der mich ablenkt.
Ich arbeite nicht gern allein. Ich schalte das Radio an. Schau rauf zum Himmel, es regnet nicht mehr. Ich rauche.
Ich sehe Alligatoren, tief in der Nacht am Himmel,
wie sie miteinander tanzen. Wie sie mit ihren Krallen
Zeichen in die Atmosphäre kratzen. Schmatzen und verwandeln sich, ganz wie sie wollen. Gleich nebenan kauern Kosmonauten in ihrer Kapsel, und fürchten den nächsten Tag, die nächste Umdrehung. Dennoch, sie verlieren nie die Fassung, ihre Selbstdisziplin, und ihre Stresstoleranz. Ich höre davon aus dem Radio.
Im verblassendem Mondlicht sehe ich Alligatoren, weit im Raum, zufrieden miteinander tanzen. Wie sie mit ihren Schwänzen, Bilder in die Atmosphäre kratzen. Der Himmel ist von ihnen okkupiert.
...für die Kosmonauten bleibt es spannend. Ich hör es im Radio.
Am liebsten würde ich den Tag verschlafen, aber ich bin viel zu wach zum schlafen.
Im Handschuhfach liegt ihr Brief. Ich lass den Brief dort liegen. Ich will ihn nicht noch einmal lesen. Hab es immer wieder getan, die letzten Tage.
Ich fasse es nicht. Dass sie zurück kommt. Ich denk an Sie. Ich leg meinen Kopf an die Scheibe. Sehe ihr Gesicht.
Bin viel zu wach zum schlafen. Ich höre ihre Stimme laut in meinem Kopf. Ich lasse den Brief verschlossen.
Dann, Mündungsfeuer, quietschende Reifen. Luft holen.
Jetzt nur die Nerven behalten.
Ich laufe los. Die Haustür wird gesprengt. Schwarzes Haar, grüne Augen, weiße Haut über kantige Knochen. Läuft an mir vorbei. Ich liege niedergemäht auf dem vertrockneten Rasen.
Eilige Schritte auf der Treppe, eine Salve landet an der Wand. Als ich meine Knarre zückte, waren sie nicht mehr da.
Ein heftiger Fußtritt. Raus, weg hier. Nur noch das klappern der Hintertür. Mündungsfeuer, dann hatte ich sie verloren.
Hab Blut im Gesicht. Jammere nicht, schrei ich. Scheiß dich jetzt bloß nicht zu. Der Job wird jetzt erledigt, lass mich nicht im Stich, sag ich mir. Es ist der allerletzte. Wer nicht spurt, wird in Beton gegossen, das weißt du doch? Wer nicht spurt, findet sein nasses Grab.
Komm zu dir, bleib bei Bewusstsein. ...bin Müde, der Blutverlust. Mach dir nichts daraus, nimms nicht so schwer, sag ich mir. Musste ja so kommen.
Hab ne Kugel im Bauch. Morgen ist Sonntag, schön...
Leg die Füße hoch, oder Surf auf dem Sofa. Lehn dich zurück, denn es ist Sonntag, schön... Nein.
Zerreiß dich nicht, schalte dein Gehirn nicht ab. ...Schlaf. Lass es die anderen machen. Ist es so nicht besser? Relaxt auf dem Sofa.
Verdammt ich verblute, aber Morgen, ja, da ist Sonntag, schön...
Ich bin nur ein Versuch, sagt mein Boss. Denn meine Geschichte sei keine Geschichte. Bin irgend wann aufgetaucht. Hab nichts zu sagen gehabt.
Ich bin lästig. Ich bin ungemütlich. Ich bin hässlich. Mir fehlt eine Meinung. Meine Meinung schämt sich. Gemessen werde ich nur an meinen Taten. Über meine Taten redet man.
Jemand ist da! In mir! Ich würde ihn, wenn ich könnte, aus mir raus reißen. Aus irgendwo da drin in mir, redet er mit dem Rest der Welt. Laut durch den Bauch, der nicht mal so flach ist wie ich. Hat was abbekommen, der Bauch.Ich lass einfach los. Lass die Welt einfach so los. Ich bin so weit weg von mir. Bin aufgeblasen und schwebe. Ich dreh mich der Welt zu. Doch die Welt selbst dreht sich nicht mehr. ...so müde.
Kein Glück da draußen. Niemand, der mich bewundert.
Das hatte ich erwartet. Dass ich damit nicht weit komme.
Jetzt ist sie über mir. Es schmeckt nach Blut. Ihr Schweiß tropft mir ins Auge. Ich weiß wie es ist, wenn es gut ist. Das geht in Ordnung. Gewiss.
Halt durch, und verrecke mir nicht. Das ist ihre Stimme. Ich lass mich fallen.
Nein, sagt sie. Nicht du auch. Du kommst durch, nur ein paar Wochen Ruhe. Draußen am See. Gleich sind wir in Sicherheit, hier rechts, hier wieder rechts. Raus aus der Stadt. Weg von hier. Zum See.
Nun komm schon, gib nicht auf. Press das hier drauf. Sie sind uns auf den Fersen. Hörst du mich? Zwei hab ich erledigt, bleiben noch zwei weitere. Verstehst du? Zwei sind noch am Leben.
Du riechst nach Rauch, sage ich. Das wird dich noch ins Grab bringen. Mir ist kalt. Kein Schmerz mehr. Was hast du mir da gegeben? Hilft.
Wochen später an einem See in Finnland...
Ich wünschte ich könnte so ehrlich sein, wie ich es eigentlich nötig habe, aber ich fühle mich im Moment wie ein Baum, der seinen Blättern beim Fallen zusieht. Hilflos. Stimmloser Schmerz.
Närrin ich, sagt sie. Ich liege da.
Sie sind bald da, nicht? Ich liebe dich.
Liebe? Wie kann ich vor Sorge Liebe in mir tragen?
Das ist das Ende. Ein letztes mal meine blasse Haut an deinen Lippen, nur einmal noch, bevor dein Bruder kommt.
Ein Ruf durchs offene Fenster:
Ein letzter Augenblick, und dafür dein Wort Schwester, seine Leiche. Wage es ja nicht, dein Wort zu brechen, sonst verschonen wir selbst dich nicht, Schwester, darauf mein Wort.
Nimm die Knarre. Mein Leben, mein Herz für deines.
Aber öffne nicht die Tür. Glaub ihm keines seiner Worte.
Es ist dein eigener Bruder der unter seinem Anzug ein Messer verbirgt, welches er in dein Herz versenken wird. Ich dachte, du wärst draufgegangen. Hast nicht mehr geatmet. Mir war als wäre ich mit dir gegangen. Verzeih. Diese Schlange.
Für ihn hätte ich die Tür geöffnet, man hätte mich geschont. Für dein heiles Leben gebe ich fraglos meines her.
Dieser Hund. Ich mach ihn kalt. Reiß ihn aus deinem Herz, auch wenn er dein Bruder ist. Hier, nimm die Pille, geht ganz einfach. Dann ist er weg.
Du nimmst jetzt mein Herz, verwandelst es in Glas. Ja, in eine zarte Glaskugel, und in ihr bricht sich das Licht, liebst es so fest, bis es selbst durch deine Hand zerbricht.
Nimm das Gewehr. Bitte, erschieß mich, aber bestehe auf seinen Kopf.
Hier Geliebte, nimm das Messer, nicht irgend eines, als jedes andre schlitzt es besser. Verdient hat er es, dieser Feigling.
Ja, mach schon. Schieß mir in den Kopf. Das ist eine sichere Sache. Später, lass ihn bluten, lass ihn ausbluten.
Mach es im stillen, im dunklen, grünen Wald. Ja, sagst du. Ja. Ja. Weinst. Und schießt.
Du schießt in die Luft. Nein, sagst du. Irgend etwas geht da vor. Kannst du es nicht sehen? Das Feuer am Himmel.
Ich sehe immerzu Alligatoren, sage ich. Bin noch wackelig. Sieh nicht nach hinten. Renn. Die sichere Zeit ist vorbei. Benutze deine Waffe. Spürst du ihren Atem in deinem Nacken? Los, über die Dächer. Alles ist unwirklich. Ein Hauch. Ein Schatten im Augenwinkel. Spring! Den Wagen da. Schweres Atmen. Nehmt das. Das, und das!
Vereinigte Staaten, drei Monate später...
Geschafft. Sie küsst meine Narben. Ihre Zunge ist warm.
Egal was morgen ist. Diese Zunge zählt. Mehr als Morphium. Licht dringt durch die roten Vorhänge. Jonny Cash im Radio. Hängen rum. Ein Ohr auf der Straße.
Egal was sein wird. Gib mir noch einen Schuss.
Nein, sagst du, du musst runterkommen.
Wie konnte ich annehmen, aus der Sache heil wieder heraus zu kommen? Sie lacht. Es sollte so sein, sagt sie.
Raus vor Sonnenaufgang. Bodennebel, erster Frost. Ein Umschlag auf dem Kissen gelassen.
Rechts die Narbe und links die Wüste. Miles Davies im Tapedeck. Verdeck offen. Keine Worte nötig.
In der Zeitung steht etwas von Chemiewaffen Einsatz in Nordafrika. Es schert mich nicht. So ist es nur noch leichter sein Schicksal zu ertragen. Hoffentlich müssen wir alle draufgehen. Wenn alle sterben müssen, ist es nicht so schlimm.
Er muss sein Leben lassen. Sonst gibt es keinen Frieden für uns. Sie holt mich in die Wirklichkeit.
Ja. Er muss weg. Ja. Du kennst den Weg? Vertraust du mir? Ja! Kurzer Halt an einer Tankstelle. Gib alles her! Los schneller. Schlaf nicht ein! Nimm seine Waffe. Schlag in den Nacken. Volltanken. Ministry läuft im Radio. Waffen entsichern. Alles klar? Los!
Durch das Tor. Alarm. Über Rasen. Über Schotter. Einen niedergestreckt. Ein zweiter kampfunfähig. Ihr Blick ist entschlossen. Hier kommt niemand lebend raus. Hier ist niemand mehr klar bei Sinnen.
Die Treppe hoch. Ihr Bruder im Bademantel. Kippe im Maul, Maschinengewehr im Anschlag. Schwester! Ein Schuss peitscht durch die Luft. Sie sinkt in sich zusammen. Ruft. Bruder! Nein!
Nur noch er und ich. Ich bin schneller. Stirb, los stirb schon. Sein Körper stürzt die Treppe hinunter. Leblos.
Hier bin ich Baby. Hier. Sieht böse aus. Weißt du noch? Sprich jetzt nicht! Du weißt doch noch? Was? Wir wollten uns in unseren Träumen treffen. Hat nie hingehauen. Vielleicht klappt es jetzt? Ihre Augen fragen und verlieren ihren Glanz. „Das Geld...?“, frage ich.
Nein, sage ich. Sie stirbt in meinen Armen. Der Schotter knirscht unter meinen Sohlen. Wieder allein. Ihr Brief in der Innentasche. Unleserlich, voller Blut.

 

hallo caykhan,
du hast diese geschichte doppelt gepostet.
wo gehört sie denn nun hin?
spannung oder experimente?

 

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