Mitglied
- Beitritt
- 23.03.2011
- Beiträge
- 4
Alles wird gut
Der kleine Mann öffnete die Tür, betrat den Raum und sah sich ängstlich und zweifelnd um. Walter kannte diesen Blick gut genug und schritt mit gefalteten Händen an dem Sarg vorbei zu dem Kunden, um ihn mit gebührendem Respekt und Anteilnahme zu begrüßen. Der kleine Mann hatte schütteres Haar, war etwas beleibt und fuhr sich mit seinen fettig wirkenden Händen über den schwarzen Anzug, der nach Walters Einschätzung sehr erlesen und teuer war. Der Teppichboden schluckte das Geräusch seiner Schritte.
Walter war schon viele Jahre im Geschäft, er wusste, dass normales freundliches Begrüßen unangemessen war und man den Kunden lieber Zeit ließ sich zu orientieren. Der Geschäftsraum war in einem dunklen Ton gehalten, weder Bilder noch Vasen mit Blumen zierten sein Geschäft, so dass man gezwungen war auf die Ausstellungsstücke im Nebenraum zu schauen. Kiefer, einfaches Holz oder Mahagoni. Zu Walter kam man nur in den seltensten Fällen.
Der Bestattungsunternehmer ließ einen respektvollen Abstand von zwei Metern zwischen sich und dem kleinen Mann, legte den Kopf schief und lächelte sanft.
„Was kann ich für Sie tun?“
Es gab Menschen, die aus reiner Neugier mal „reinschnupperten“, sich im kühlen Flair des Empfangsraumes plötzlich eines Besseren besannen und sich schnell wieder verabschiedeten. Walter nahm es ihnen nicht übel. Als er bemerkte, wie traurig und verletzt der Mann dort stand, da wusste er, dass er einen Kunden hatte.
„Guten Tag“, erwiderte der kleine Mann mit leiser Stimme.
Walter legte eine Kunstpause ein, bevor er zu seiner Gesprächsecke deutete; eine halbe Verbeugung, genügend Platz für den Mann lassend um Raum zu finden.
Langsam und wie unter Qualen bewegte sich der Mann vorwärts, mit gebeugtem Kopf trottete er dahin und setzte sich behutsam auf den weichen Sessel, der in Schwarz gehalten war.
„Bitte.“ Der Bestattungsunternehmer folgte ihm mit Abstand – er kannte die Geflogenheiten seines Metiers nur zu gut – und holte einen Vordruck aus einer Ledertasche, die neben dem einzig freien Sessel stand. Er setzte sich ebenfalls dem kleinen Mann gegenüber, holte einen teuren Stift hervor und notierte Datum und Uhrzeit. „Kann ich Ihnen einen Kaffee oder ein Wasser anbieten?“
„Nein, danke.“ Die Augen des Mannes sahen Walter direkt an. „Meine Frau.“
„Es tut mir leid für Sie.“ Mitfühlend nickte Walter.
„Ja.“ Der Kunde starrte ins Leere.
„Wie heißen Sie?“
„Oswald.“ Er nannte den Nachnamen. „Meine… Frau heißt Elisabeth.“
„Adresse?“ Walter notierte sich die übrigen Fakten und wusste, dass es kaum einen Block entfernt war. „Ist sie dort?“
„Ja, sie ist dort.“
Der Bestattungsunternehmer nickte geflissentlich. Er spürte die Trauer und den Schmerz des Verlustes seines Gegenübers und wollte es ihm so angenehm wie möglich machen.
„Wenn Sie doch etwas zu Trinken haben wollen,…“
„Ich habe Geld. Viel Geld“, sagte der Mann schnell und hastig und griff nach seiner Brieftasche. Walter bemerkte die teure Ledertasche und staunte nicht schlecht, als der Mann mehrere Hundert Euro herauszog. Auch entging ihm nicht die vielen Bankkarten. „Sie soll nur das Beste haben. Das Allerbeste.“, bestimmte der Mann.
„Ja, natürlich“, Walter schob die ihm dargereichten Scheine mit einer freundlichen Geste wieder zurück. „Natürlich bekommt sie das. Sie müssen sich jetzt nicht mit Geldangelegenheiten plagen. Das klären wir später.“
„Der beste Sarg. Der beste Platz.“ Sein Adamsapfel hüpfte auf und ab, als er trocken schluckte. „Ich dachte an den Südfriedhof im Norden der Stadt.“
„Der liegt im Süden, aber ich kenne die Stelle“, beeilte sich Walter zu sagen. Er wollte den Kunden nicht durch Belehrungen noch verlieren. Es war nur natürlich, dass der Mann etwas durcheinander war.
„Ich will das Allerbeste“, wiederholte der Mann nur und starrte auf seine Schuhspitzen. „Wir sind… waren immer zur Kirche gegangen, der Pfarrer im Ort ist ein guter Freund von uns, er soll es machen.“
Walter notierte und nickte langsam.
„Keine Feuerbestattung?“
„Das hätte sie nicht gewollt.“ Für einen Moment wirkte er brüskiert, doch Walter musste diese Einzelheiten fragen. „Sie war so wunderschön. Sie liebte ihren Garten. Ich habe immer für sie gesorgt.“
„Natürlich.“
Langsam richtete er seinen Blick wieder nach oben. „Vielleicht doch einen Kaffee?“
Walter nickte, stand auf, machte Kaffee im Nebenzimmer und kam wieder mit einem Tablett. Die frische Röstung verströmte einen angenehmen Geruch und der angebotene Kaffee erfüllte seinen Zweck. Der Mann sank langsam zurück und entspannte sich.
„Wir haben im Angebot das „Nuhiwinger-Modell“ mit Schmuck und Begleitung. Dazu noch die Nutzung der Kapelle und einen Chor. Allerdings…“, jetzt kam der schwierige Teil für Walter. „…ist es etwas kostspielig.“
Der Kunde enttäuschte nicht. „Ich bin Mercedes-Händler, wissen Sie. Mir gehören ein Haus im Osten, ich besitze Aktien und… Geld spielt keine Rolle.“
Walter nickte ausdruckslos und beeilte sich schnell die Kreuze auf seinem Vordruck zu machen. Es war das Teuerste gewesen.
„Es werden viele Leute da sein. Sie war sehr beliebt. Im Bibelkreis, dann der Blumenkreis und der Kindergarten…“, er stockte, holte tief Luft und setzte die halbvolle Tasse langsam auf seinem Schoß ab. „Sie ist so wunderschön, so jung.“
„Ja, natürlich.“
Das Formular war schnell ausgefüllt. Walter bat höflich um die Bankverbindungen, als er sich sicher war, dass der Kunde sich ein wenig gefasst hatte. Die Daten ließ er sich im Nebenraum an seinem Computer via Internet bestätigen und frohlockte innerlich. Seine Maske war gut, als er zurückkehrte.
Der Mann war wieder aufgestanden, blickte sich furchtsam um und nickte etwas dankbar, als Walter ihm die Hand reichte.
„Ich versichere Ihnen, dass wir alles zu Ihrer Zufriedenheit regeln werden. Gehen Sie jetzt am Besten ins nächste Cafe´ und versuchen Sie zu entspannen. Alles wird gut.“ Das sagte er voller Überzeugung und führte ihn zur Tür.
„Ich kann mich darauf verlassen?“
„Wir haben stets unser Wort gehalten. Wir werden in einer Stunde bei Ihnen zu Hause sein.“
„Gut, gut.“
Der kleine Mann wandte sich um und öffnete die Tür.
„Wann ist sie denn gestorben?“, wollte Walter wissen, doch der Mann schien ihn nicht gehört zu haben und trottete die Straße herunter bis er an einen braunen Mercedes stand, der frisch lackiert und von innen sauber wirkte. Er setzte sich rein und startete den Motor.
Mit leisem Lächeln antwortete er: „Sobald ich zu Hause bin.“
ENDE