Alles wieder Routine
Ganz so simpel gestaltet sich das alles nicht. Alles! Nicht sehr konkret, ich weiß. Aber auf das „Alles“ komme ich zu sprechen. Es scheint komplexe Auswüchse anzunehmen. Das war jedoch nicht gewollt. Es begann vor einer knappen Stunde, als ich meine Schnürsenkel abriss. Das wiederum geschah, weil ich in Eile war und Geschwindigkeit mit Krafteinsatz verwechselte. Nach dem „noch“ kleinen Malheur startete ich ohne Halt. Links unten, war defekt. Ich lief dennoch los in Richtung Arbeit. Den Bus Nummer 34 sollte ich lenken an diesem Abend. Kein Problem, sitze ich erst mal vorm Steuer, stütze meinen Fuß gegen die Kupplung. Alles wieder Routine.
Zuvor wich ich aber noch einem Hund aus. Er stürzte direkt auf mich zu. Er war schwarz, riesig und glich einem jungen Stier. Er sprintete auf mich zu, den Kopf leicht nach unten geneigt. Unser beider Zielstrebigkeit drückte Schweiß aus meinem Körper und die Zunge aus seinem Maul. Jedoch er – er nahm mich zusätzlich ins Visier. Als hätte ich eine Wurst in der Hand, oder ein rotes Tuch. Es wäre egal, welches von beiden. Mein Shirt ist jedenfalls blau. Blau fühlte ich mich auch, als ich meinen Kopf hob. Dieser wurde gebremst, von der Plakatwand. Ich wich dem Hund nämlich gerade noch aus, mit einem Hechtsprung nach rechts wie ein Tormann. Waschmittel war im Sonderangebot las ich. Aufstehen, Kopf halten, auf den unsicheren linken Fuß achten, zum Busbahnhof eilen, dies meine nächsten Gedanken. Meine Mütze hatte ich ausgepackt, die Beule ist versteckt. Alles wieder Routine.
Mensch muss auch vom Weg abweichen können. Mehr als bekannt. Mit dieser Ansicht rannte ich nicht alleine durch die Stadt. Ein stinkender Würstelstandbesucher samt Bier musste wohl das gleiche gedacht haben. Seine Absicht konnte nicht darin bestehen mir das Bier überzukippen. Aber es geschah. Im ersten Moment sah ich nichts. Bier füllte meine Augen. Ich rieb kräftig daran, mehrmals. Ich konnte wieder Umrisse erkennen. Aber ich sah schlimmer aus, als der Betrunkene. Meine Augen, rot unterlaufen. Der Gestank tötete mehr und mehr meine Geruchsnerven. Ich konnte nicht mehr feststellen, welcher Geruch es genau war, der mir in die Nase stieg. Es war schon meiner eigener. Aber ein eigenartiges Gemisch aus Schweiß und abgestandenem Bier. Meine Augen waren beinahe wieder in Ordnung, zumindest die Sehschärfe. Das Rot wirkte durch das Blau auf der Stirn und meinem Shirt intensiver. Aber das war nur die Hülle. Vielleicht leicht angeknackst und mitgenommen. Was solls? Ich liege noch in der Zeit. Loslaufen mit doppelter Vorsicht. So lange, bis der Blick wieder scharf ins Schwarze trifft. Das wird alles wieder. Wenn ich hinterm Steuer sitze, beobachtet mich niemand. Busfahrer sind eigenartig passive Anwesende. Ohne deren Aktivität sich aber nichts vorwärts bewegen würde. Wichtig ist nur: später lache ich darüber, über alles. Alles wieder Routine.
Eine Seufzer der Erleichterung stieß ich aus, als ich an der Haltestelle ankam. Pünktlich, um auf den Bus Nr. 34 zu warten. Endlich geschafft. Ablösung meines Kollegen. Der Bus fuhr ein, ich packte meine Tasche und grüßte meinen Kollegen. Dieser schleuderte mir einen resignierten Wink entgegen. „Mann, siehst du wieder fertig aus“, die einzigen Worte, die er für mich hatte. Wieder, ich verabscheue dieses Wort. In diesem Satz zumindest, nicht allgemein gesprochen. „Du bist ein Pechvogel!“. Diese Aussage hasse ich auch immer wieder. Wenn es auch einen Hauch von Trost hatte. Aber was hat mich das alles zu tangieren. Die Hauptsache, ich bin pünktlich. Falsch gelegen. Denn im nächsten Moment, hielt er sein Telefon ans Ohr. Und keine 10 Minuten später bäumte sich auch schon mein Chef vor mir auf. Ein Hagel an Fragen prasselt auf mich ein.
Hier bin ich nun und wie erwähnt, ganz so simpel gestaltet sich das alles nicht. Es scheint komplexere Auswüchse anzunehmen. „Sind Sie überfordert? Haben Sie ein Alkoholproblem? Können wir Sie so den Fahrgästen aussetzen? Was denken Sie, wie oft das noch vorkommt? Glauben Sie selber noch an ihre Erklärungen? Wirken Sie nicht wie erfundene Geschichten? Gibt es noch einen Busfahrer, der in derartige Situationen gerät? Sind Sie überarbeitet? Wie stellen Sie sich das in Zukunft vor? Können Sie sich vorstellen, dass Sie eine Gefahr für unsere Gäste sind? Wie wäre es mit einer vorzeitigen Beendigung des Dienstverhältnisses?
Was denkt der? Was soll ich mit dem Haufen an Fragen. Die alle nur Mist sind. Ein riesiger Misthaufen. Es stinkt bis zum Himmel und ich bin es nicht. Aber ich werde nur auf eine Frage antworten. Das reicht. Und meine Antwort lautet „JA“. Ein Ja auf die letzte Frage. Ich schlüpfe aus meinem linken Schuh, nehme meine Tasche, schleudere meine Kappe zu Boden, reiße mein Hemd auf. Blicke noch einmal kurz in die Augen meines Chefs. Das Pech ist auch meine Routine. Routine gibt mir Sicherheit schießt mir durch den Kopf. Ich gehe langsam und völlig entspannt los in Richtung Abendsonne.