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Alles was bleibt...
„Erinnerst du dich“, sagte er mit leiser, brüchiger Stimme und strich mir mit der Hand über die Wange, „wie wir uns damals kennen lernten?“
Ich nickte, nahm seine Hand in meine und drückte sie leicht. „Ja, als wäre es erst gestern gewesen.“
Er lächelte mich an. „Ja. Du hast damals im Internetcafe neben mir gesessen. Ein Blick in dein Gesicht und man sah dir deine schlechte Laune an. Aber ich fand dich trotzdem schön und habe dich angesprochen. Ich erinnere mich daran, dass du im ersten Moment abweisend warst. Ich dachte schon, du wärst lesbisch.“ Er lachte kurz auf. Es war ein leises, raues Lachen. Vor 10 Jahren, als wir uns kennen lernten, da hörte sich sein Lachen noch jung und frisch an. Aber seit dem war viel passiert. „Ja, ich habe gedacht, du stündest auf Frauen und wärest deshalb so abweisend. Du wolltest mir nicht einmal deine Handynummer geben.“
Ich nahm seine Hand und drückte diese leicht. „Ja, ich erinnere mich. Du konntest ja auch nicht wissen, dass ich an dem Tag von einer guten Freundin versetzt worden bin und meine schlechte Laune daher rührte. Ich bin aber sehr froh darüber, dass wir uns damals in Darmstadt wieder trafen. Das war etwa drei Monate später. Und wieder warst du derjenige, der mich ansprach. Ich wusste im ersten Augenblick nicht, wer du bist, bis du mich aufklärtest. Da machte es dann sofort ‚Klick’ bei mir. Wir hatten es beide eilig, deshalb hast du dieses Mal darauf bestanden, dass ich dir meine Nummer gebe. Und ich habe es bis heute nicht bereut, es getan zu haben.“
Seine Augen leuchteten. Sie hatten in all den Jahren ihren wunderschönen Glanz nicht verloren. „Ich rief dich noch am gleichen Abend an. Wir vereinbarten Ort und Zeit und trafen uns eine Woche später. Das Treffen werde ich nie vergessen. Du wärst so verdammt schüchtern, aber genau das fand ich so süß an dir.
Ich erzählte dir von meiner damaligen Freundin und dass es nicht so toll lief, du erzähltest mir, dass deine letzte Beziehung erst vor wenigen Wochen zerbrochen war. Die meiste Zeit redete ich. Wir trafen uns von da an regelmäßig und es war immer schön mit dir.“
„Es hatte nicht lange gedauert, bis ich mich in dich verliebte. Ich wusste zwar, dass es falsch war, aber ich konnte nicht anders. Ich dachte natürlich, ich hätte sowieso keine Chancen bei dir, du hattest doch eine Freundin und mit ihr würde sich bestimmt auch alles wieder einrenken. Der Gedanke tat weh, weil ich dir nicht sagen konnte, was ich für dich empfand. Deshalb hatte ich beschlossen, dass ich mich nicht mehr mit dir treffen würde. Natürlich war es schade um die Freundschaft, die uns mittlerweile verband, aber ich wollte so einfach nicht weitermachen. Ich nahm mir vor, mich noch einmal mit dir zu treffen und dir dann zu sagen, dass wir uns nicht mehr sehen würden. Aber es kam alles ganz anders, als ich es geplant hatte. Wir saßen auf der Bank und ich wollte es dir gerade sagen, da nahmst du mich in den Arm und ich spürte deine Lippen auf meinen. Wie hätte ich dich da noch abweisen können? Ich hatte mich solange danach gesehnt! Da war es mir dann ganz egal, ob du eine Freundin hattest oder nicht.“ Ich erinnerte mich daran, wie er damals gerochen hatte. Eine Mischung aus Deo und seinem natürlichen Duft. Es war ein sanfter Geruch gewesen, ganz leicht nach Zimt und Zitrone. Auch heute hatte er einen Hauch dieses Geruches an sich. „So begann unsere Affäre. Natürlich konnte ich dir trotzdem nichts von meinen Gefühlen erzählen. Aber es reichte mir, mich mit dir zu treffen und mich von dir küssen zu lassen. Es war etwas ganz einmaliges, was wir hatten. Wir küssten uns nur, wie hatten nie Sex. Nicht einmal sind wir in all diesen Monaten übers Küssen hinausgegangen.“
Ich lehnte mich über ihn und küsste ihn. Seine Lippen waren spröde, nicht mehr so weich und sanft wie damals.
„Ich hatte doch eine Freundin. Die konnte ich doch nicht einfach so betrügen. Aber auf der anderen Seite konnte ich es nicht lassen, dich zu küssen. In all den Monaten war das, das Schönste. Ich hatte mich oft gefragt, wie du für mich empfindest. Aber du hast nie etwas gesagt. Dabei hätte es nur ein wort bedürft und ich hätte meine damalige Freundin sofort für dich verlassen. Ich war ganz verrückt nach dir..." Ein Hustanfall ließ seinen Körper erbeben. Ich reichte ihm ein Glas Wasser udn es dauerte einen Moment, bis er weitersprechen konnte. „Dann trennte sich meine damalige Freundin von mir und du hattest eigentlich freie Bahn. Aber du immer noch nichts gesagt. Deshalb dachte ich, ich würde dir nichts bedeuten. Trotzdem musste ich es versuchen, ich musste dir einfach meine Gefühle gestehen. Und jetzt weiß ich, dass es richtig war.“
Ich lachte kurz auf. „Hättest du nicht den ersten Schritt gemacht, dann stünden wir heute noch da, wo wir damals standen. Es war für mich der schönste Augenblick meines Lebens, als du mir sagtest, dass du gerne mit mir zusammen sein würdest. Die nächsten acht Monate die darauf folgten waren die Schönsten… Aber dann kam die Nachricht, den Tag werde ich nie vergessen.“
Da lag er, in seinem Krankenbett und sah viel zu alt und blass aus. Sein Atem wurde immer schwerfäliger, seine Stimme immer leister. „Ja, ich weiß. Ich werde nie vergessen, was für eine Angst ich davor hatte, dass du mich verlassen würdest. Aber ich musste dir sagen, dass mein Arzt festgestellt hatte, dass ich unheilbar krank war. Ich rechnete so sehr damit, dass du mich verlassen würdest. Doch als ich es dir sagte, standest du einfach nur da und fingst an zu weinen. Es war das erste Mal, das ich dich habe weinen gesehen und es tat mir weh. Ich wollte dich nie zum Weinen bringen. Wieder Erwarten sagtest du, dass du mich nicht im Stich lässt, dass wir es schon gemeinsam durchstehen würden. Ich war in all den Jahren ständig nahe dran, mir das Leben zu nehmen, weil ich nicht mit dieser Krankheit leben wollte. Aber immer warst du da, hast mich davon abgehalten und mich immer von neuem aufgebaut. Du hast mir immer Hoffnung und Mut gegeben. Ohne dich, hätte ich es nie geschafft!“ Er atmete schwer, es ging mit ihm zu Ende. Das Sonnenlicht spiegelte sich an den weißen, sterrielen Wänden wieder und die Geräte, an die er geschlossen war, summten leise vor sich her.
„Wie hätte dich von deiner Seite weichen könne, ich liebte dich doch so unglaublich stark und tu es bis zum heutigen Tag. Ich bereu nichts von dem, was ich getan habe. Wir haben es gemeinsam geschafft, wir haben immer zusammengehalten. Und auch, wenn wir uns ab und zu stritten, die Zeit mit dir war immer schön.“ Ich hatte Tränen in den Augen. „Du hast mich so genommen wie ich war und ich nahm dich, so wie du warst. All das Erlebte und durch gestandene mit dir werde ich niemals vergessen.“
Sein Leider wurden schwer, seine Kräfte verließen ihn. Ich musste mich mit dem Ohr zu seinem Mund herunter beugen, um zu verstehen, was er sagte. „Du hast mich glücklich gemacht…“ Das waren seine letzten Worte gewesen, bevor der Aids das letzte Fünkchen Leben aus ihm heraus trieb und alles was blieb waren die Erinnerungen. Manche schön, manche lustig, manche traurig. Aber es war alles, was mir bis heute von ihm geblieben ist…