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Alles okay

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13.09.2007
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Alles okay

Ich will nicht aufstehen. Blinzle, noch gar nicht richtig hell, nichts drängt mich. Drehe mich nach links, dann nach rechts auf meine Lieblingsseite, kuschle mich in die Bettdecke, atme tief ein und hörbar aus, Leben rein und Krankheit raus. Werde weich, warm, leicht.

Liege weich, warm und klein inmitten von rosigen Gänseblümchen.
Elfen umschwirren mich, greifen langfingrig nach meinen Gliedern, nehmen mich hoch - da springt er fauchend auf meine Brust, versuche ihn abzuwerfen, er fährt die Krallen aus. Ich schreie. Wieder.
Samtkatzenpfote, gähnt mich herzlichst an, leckt über meine Nase. Mir wird übel. Höllenerinnerung.
Kater schnurrt, reibt seinen Kopf an meiner Wange. Sein Fell duftet nach Vanillemilch. Ich lasse mich zurücksinken und schaue den Elfen zu, wie sie, sich in lila Luft auflösend, in den Himmel wirbeln. Dann wird alles katzenschwarz.

„Oh happy day“ schrillt mich mein Handy aus dem Schlaf.
Mutter.
„Alles okay“, sag ich.
Ob ich noch im Bett liege.
„Nein, wie kommst Du...“
„Es ist gleich elf und Du klingst verschlafen. Ist Dir nicht gut?“
„Doch, alles...“
„Mona hast Du schon was gegessen?“
„Ja.“ … „Was? Ach Mama, mach mich nicht verrückt. Ich komm klar.“ … „Ja. Geht mir gut.“ … „Vergess ich nicht.“ … „Nein, musst Du nicht, danke. Bis dann.“
Ich rapple mich hoch. Wieder dieser Katzentraum. Schleppe mich unter die Dusche. Brause mich warm und kalt, rubble mich trocken. An der Wand lehnend betrachte ich mich im Spiegel. Durfte sie behalten, die rechte, meine liebste Brust. Sie ist ein wenig kleiner, runder, straffer als die linke, beinahe perfekt. Und doch hätte sie mich fast umgebracht.
Ich setze mich auf den Badhocker, massiere meine Kopfhaut mit Birkenwasser, fühle den Babyflaum. Kopfhaare wachsen 0,3 bis 0,5 mm pro Tag, habe ich gelesen. Meine sind recht flott 'rausgeschlüpft', um, als wären sie erschrocken ob ihrer Kühnheit, in den Winterschlaf zu verfallen. Und dieses Straßenköterblond, es macht mich blass. Ich schminke mich sorgfältig, kleide mich an und begebe mich auf den Weg in die Küche, um mir ein spätes Frühstück zu bereiten. Schalte das Radio ein:
„Die Zeit: es ist genau 12:30 Uhr“
Also brunche ich, alles okay. 15 Uhr zum Adventskaffee verabredet, bei den Eltern. Dann Weihnachtsmarkt. Gut, dass ich so lange geschlafen habe, unterdrücke ich ein Gähnen. Diese Träume, die machen mich fertig.
Tine ruft an. Ob ich Lust habe, heute Abend mit ihr auszugehen, das Leben feiern in der Salsabar.
„Nee, Du, ich schaff das nicht.“
„Mensch Moni, reiß Dich mal zusammen, Du bist doch - oder geht’s Dir nicht gut? Ich meine, ist alles in Ordnung mit Dir?“
„Alles okay, keine Sorge. Es ist nur, ich bin so müde, immer noch. Es kotzt mich ja auch an, aber...“
„Aber, Kleine, Du musst langsam wieder in die Puschen kommen! Sei doch froh, dass Du wieder gesund bist! Morgen, morgen hole ich Dich ab, keine Widerrede! Bis dann.“
„Aber“, Tine hat aufgelegt, typisch Tine. Können mir doch alle den Buckel runter rutschen. Verstehe es ja selbst nicht. Ich bin gesund, doch ich fühle mich wie hundert plus.
Räume den Tisch ab, mache mich ausgehfertig, alles im Schneckentempo. Werde wieder zu spät kommen. Mutter wird mich mit Röntgenaugen durchleuchten, während Vater versucht, die Stimmung aufzulockern.

Flocken schmelzen auf meiner Nase. Der Schnee knirscht unter meinen Stiefeln. Die Luft duscht meine Lungen mit eisigem Sauerstoff. Meine Müdigkeit verfliegt. Hinter mir miaut es, eine weiße Katze streicht um meine Beine.
„Warum besuchst nicht Du mich mal im Traum?“, frage ich sie. Sie legt sich auf den Rücken, lässt sich den Bauch kraulen. Mein Handy meldet sich, Schneekatze verschwindet über den Gartenzaun.
Mutter. Sorgt sich, wo ich bleibe.
„Alles okay.“

Die frische Luft hat mir gut getan. Ich bin müde, aber nicht ausgelaugt, sondern, wie wohlverdient nach einem Zehnkilometerlauf. Vielleicht fühle ich mich morgen besser. Dann gehe ich wieder spazieren, nehme ich mir beim Einschlafen vor.
Und, tatsächlich, wache ich endlich einmal wieder ausgeschlafen auf, bin fit, belastbar. Gleich nach dem Frühstück putze ich die Wohnung. Danach koche ich und überfalle Tine mit Pasta arrabiata. Das hat sie von ihrer Hartnäckigkeit. Wir plaudern, trinken Sekt, wie in den guten alten Zeiten. Meine Kopfschmerzen lache ich weg. Tine hat recht, man muss sich einfach 'mal zusammenreißen.

Zu Hause angekommen schlafe ich beinahe im Stehen ein.
Ich träume von der Schneekatze. Wir sausen über Frühlingswiesen und jagen die Mäuse. Katze wird immer schneller, ich verliere an Boden, schnappe nach Luft, Brust schmerzt, hebe bleischwere Beine nach oben und vorwärts. Schneekatze? Ein fernes Knäuel. Knäuel wird größer, springt mich an, wirft mich um und ist wieder der dicke schwarze Kater.

Verkatert wache ich auf. Es liegt nicht am Alkohol, hatte nur zwei Gläser. Ganzkörperschmerz. Muskelkater oder Metastasen?
Mutter ruft an. „Alles okay“, sag ich.
Gehe zu meinem Onkologen. Ich komme ohne Termin dran, beschreibe ihm meine Beschwerden. Er beruhigt mich, tastet die Brüste und nimmt Blut ab. Erklärt, dass ich Geduld haben muss, dass dies alles zum normalen Genesungsprozess gehört, verschreibt mir einen Stimmungsaufheller und Tabletten gegen die Angst.
„Was soll ich damit?“, frage ich ihn.
Statt einer Antwort drückt er mir noch schnell eine Broschüre in die Hand und ich soll mich jederzeit melden, wenn was ist. Nur hat er leider nun keine Zeit mehr. Das Wartezimmer platzt aus allen Nähten.
Ich schleppe mich nach Hause, lege mich mit der Broschüre auf die Couch und beginne zu lesen: über das Leben nach dem Krebs, wie wichtig die Psyche ist, dass man sie mitbehandelt, dass der Arzt heutzutage aufklärt, damit der Patient weiß, was auf ihn zukommt. Ich lese über die nachwachsenden Haare, konditionierte Übelkeit, die Angst und über Müdigkeit.

Schwarzer Kater springt an meine Seite, wettert wie Tine: „Moni, reiß Dich zusammen!“
„Kann nicht, zu müde.“, flüstere ich.
„Ich weiß“, schnurrt er.“
„Was soll ich tun?“
„Nicht viel.“, schmiegt er sich an meinen Leib.
„So kann ich nicht aufstehen.“
„Sollst Du auch nicht. Du sollst mich herzen, mich genießen.“
„Und dann?“ Ich streichle das samtene Fell, kraule das Schwarz ins Weiß.
Schneekatze: „Dann wird es besser, alles zu seiner Zeit.“
„Bin ich wieder krank?“
„Nein. Dazwischen.“, schnurrt Schneekatze, leckt sich ihre Pfoten, putzt das Näschen, schleicht davon.
„Warte!“, rufe ich ihr nach. „Wie heißt Du?“
„Fatigue*.“, miaut sie. „Bis bald.“

*Fatigue, auch Tumorerschöpfung genannt, ist ein an Leistung unangepasstes, überwältigendes, geistiges und körperliches Müdigkeitsphänomen.
In der Regel dauert es lange nach erfolgreicher Krebstherapie an.
Sie brauchen Zeit; Krankheit, Therapie und deren Folgen physisch und psychisch zu verarbeiten, wie ein vom Krieg zerstörtes Land Zeit braucht, sich zu erholen.
Fatigue ist nicht mit depressiven Störungen gleichzusetzen, auch nicht mit normaler Müdigkeit, welche sich durch Ruhe und Schlaf beheben lässt.
Genießen sie regelmäßige Pausen, überlasten sie sich nicht, bewegen sie sich viel an frischer Luft, auch Ausdauersportarten sind zu empfehlen.
Das Wichtigste und Schwierigste zu guter Letzt: haben sie Geduld und gönnen sie sich die Zeit, die sie brauchen.

 
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Hallo Damaris

Der Einstieg war mir ebenso wie der Titel etwas zu behutsam. Eigentlich lese ich ganz gern manchmal stille Geschichten, doch sollten sie mir in den ersten Worten eine Einstiegshilfe geben, die mir Neugierde oder Faszination weckt.
Als ich dann erst die Länge des Textes durchscrollte, sprang mir das französische Wort für Müdigkeit in die Augen. Mir war damit klar, worauf es abzielen dürfte, nämlich das Störungsbild. Einerseits hatte ich mir dadurch abrupt die „Lösung“ vorweggenommen, anderseits war mein Interesse geweckt.

Liege weich, warm und klein in mitten von rosig duftenden Gänseblümchen. Kobolde umtanzen, Elfen umschwirren mich, rufen mich bei meinem Namen. Will mit Ihnen tanzen und fliegen und glücklich sein.

inmitten
Der zweite Absatz war mir dann etwas zu gewollt poetisch, die Szene mit dem Kater aber durchaus sympathisch, doch noch immer hebt es mir nicht ab. Ich überlegte ernsthaft, ob hier von einem Kind die Rede ist, doch der Trauminhalt will zu nichts recht passen.

„Ja.“ „Was? Ach Mama, mach mich nicht verrückt. Ich komm klar.“ „Ja. Geht mir gut.“ „Vergess ich nicht.“ „Nein, musst Du nicht, danke. Bis dann.“

Hier flog ich aus dem Lesefluss. Wenn die Anführungs- und Schlusszeichen-Abgrenzung einzelner Worte und Sätze die Lücken im Gesprächsfluss signalisieren, finde ich es nicht glücklich dargestellt. Besser schiene mir, jeweils eine Zeilenschaltung oder dann Auslassungspunkte dazwischen.

„Mensch Moni, reiss Dich mal zusammen, Du bist doch, oder geht’s Dir nicht gut? Ich meine, ist alles in Ordnung mit Dir?“

Ich meine vorgehend schon an abgehackt klingenden Sätzen kurz hangen geblieben zu sein, wie hier bei: „Du bist doch, oder geht’s Dir nicht gut?“ Doch signalisiert es mir auch Unmittelbarkeit, vielleicht eine regionale Spracheigenheit, dadurch letztlich nicht störend.

„Nicht viel.“ Kuschelt es sich auf mich.“

Hier stimmt was nicht. Dies ist doch keine direkte Rede? Eher wohl ein Gedanke, dem das Fragezeichen fehlt, dafür ein überflüssiges Schlusszeichen sich anhängte.

Der Schlussabsatz über das Cancer-Fatigue kommt dann etwas trocken, wie aus einer Patienten-Broschüre daher, als wolltest du den Leser aufklären. Besser wäre es, dies in eine Handlung einzubauen.
Das Fatigue-Syndrom gibt es zudem nicht nur bei Krebspatienten, es tritt auch als eigenständiges Syndrom auf. Ich kannte jemanden der an diesem litt. Es passierte ihm öfters, dass er etwa am Arbeitsplatz plötzlich „überfallen“, er von Arbeitskollegen schlafend am Boden gefunden wurde. Ausserhalb dieser Anfälle war ihm nichts anzumerken.

Ich habe die Geschichte gerne gelesen, wenngleich sie keine grosse Spannung hergab. Es dünkt mich aber schön, wie du ein solches Leiden thematisiertest, es in eine Erzählung einbrachtest.

Schöne Grüsse

Anakreon

 
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Guten Abend Anakreon,
vielen Dank für Deine Kritik und fürs aufmerksame Fehlerfinden.
Der Traum ergibt für mich den Sinn, dass sie die Katze (Fatigue) am Leben (tanzen, glücklich sein) hindert. Zu kindlich? Also ich träum oft so ein Zeug, besonders nach Krisen, vor Herausforderungen.
Zu langweilig? Kann sein, kommt sehr still daher, wie das Thema. Denke darüber nach.
Das Ende hatte ich erst in Handlung eingebunden. Da gab mir meine "persönliche Kritikerin" den Rat, es so zu gestalten, um die Aussage zu verstärken. Und mir gefällt es so recht gut, obwohl ich noch nie so gestaltet habe.
Ja, wie aus der Patientenbroschüre, welche der Arzt ihr mitgegeben hat, welche sie liest, denke ich.
Ja, ich will den Leser darüber aufklären, ein Anliegen der KG.
Ich kenne Fatigue nur in Zusammenhang mit Krebs. Was Du meinst hört sich für mich nach Narkolepsie an. Bei Cancer-Fatigue schläft man auch nicht plötzlich irgendwo ein (bei Narkolepsie schon!), man findet nicht genügend Erholung im Schlaf und ist erschöpft, kann sich nicht konzentrieren, nicht belasten...
Nochmals danke, lG Damaris

 

Hallo Damaris,

ich habe mich gerne in diesen Text hineinziehen lassen. Er gefällt mir, auch der Stil, in dem er geschrieben wurde. Allerdings ist mir beim Lesen irgendwann das Wort "mich" ins Auge gesprungen - und dann (ich habe das Teil nicht mehr aus meinem Auge bekommen) sah ich es ständig. Täusche ich mich oder taucht es wirklich extrem häufig auf? Aber vielleicht bin ich ja auch der Einzige, den es so hartnäckig angesprungen hat :D.

Anakreon schreibt:

Der Schlussabsatz über das Cancer-Fatigue kommt dann etwas trocken, wie aus einer Patienten-Broschüre daher, als wolltest du den Leser aufklären. Besser wäre es, dies in eine Handlung einzubauen.
Diesen Vorschlag unterstütze ich. So, wie der Absatz jetzt dasteht, wirkt er auf mich wie "rangeklatscht" (sorry, mir fällt gerade keine elegantere Formulierung ein :D). Falls Du es so lassen willst, würde ich vorschlagen, diesen Absatz wie einen Nachtrag (z.B. mit einem "*" zu kennzeichnen - also "*", wenn "Fatigue" erstmals oder letztmalig im Text auftaucht und dann "*" vor den letzten Absatz) zu kennzeichen.

Insgesamt ist es eine Geschichte, die nachklingt.

Liebe Grüße

Andreas

 

Hallo Andreas,
vielen Dank für Deine konstruktive Kritik.
Ja, "mich" kommt oft vor, wie ich nun selbst bemerke.
In Deiner kurzen Kritk übrigens auch bereits drei mal ;-)
Ich finde das nicht schlimm, wüsste auch nicht, wie ich das ändern sollte.
Der Text beruht größtenteils auf Selbstwahrnehmung, daran liegt es wohl.
Das mit dem "*" ist genau das, was mir gefehlt hat. Vielen Dank
Schön, dass Dich die KG berührt hat.
LG Damaris

 

Hallo Damaris,
deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Das ist ja ein sehr bewegendes Thema und wenn man schon mal krank war, dann weiß man/merkt man, dass die Erkrankung das ganze Leben erfasst. Man muss sich selbst wieder zurechtfinden, alle Verwandten und Freunde reagieren auf einen, sind ständig besorgt oder bemühen sich oder wollen keine Nachdenklichkeit aufkommen lassen und wissen immer genau, was gut für einen ist. Und ich finde, genau das alles hast du sehr schön, sehr fein und sensibel getroffen.
Auch der Anfang, wenn sie sich so ins Bett kuschelt, auch das hast du sehr feinfühlig beschrieben.
Auch die Kätzchenträumerei hat mir gut gefallen, wie es sich vermischt mit den Realkätzchen. Ich hab das sehr gerne gelesen und mich in diese Symbolik hineinziehen lassen.

Zu der "mich"-Problematik: Ich glaube, das liegt einfach daran, dass man aus der Ich-Perspektive schreibt und keinen direkten Antagonisten hat. Dies ist ja eine sehr selbstreflektierende Geschichte und keine in der Ichform erzählte action-story. Und bei Krankheiten (das ist eigentlich recht egal, welche das ist, wenn sie lange andauert und einschneidend ist) passiert immer wieder so ein Selbstbezug auf das "mich". Ich fürchte, da bleiben "ich" und "mich" und "mir" einfach nicht aus. Ist jetzt nur so eine Idee, klar wäre es an manchen Stellen vielleicht besser, es zu vermeiden, aber ich stelle es mir 1. schwierig vor aus den o.a. Gründen und 2. störend hab ich die michs jetzt nicht empfunden.

Viele Grüße
Novak

 

Guten Abend Nora, guten Abend Novak,
vielen Dank für Eure Kritiken. Es freut mich sehr, dass meine Geschichte Euch erreicht hat.
Ich arbeite als Krankenschwester auf der Onkologie und habe schwer daran gearbeitet, die Krebskranken als "normale" Menschen zu betrachten, ins Leben zu integrieren, so lange sie nicht tot sind. Mich nicht, vor Angst auch an Krebs zu erkranken, abzuschotten und mich doch genügend abzugrenzen, um nicht krank zu werden.
Das und die Tiefe, mit der diese (meisten) Menschen das Leben erleben, wollte ich weitergeben.
Vielen Dank und liebe Grüße,
Damaris :)

 

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