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Alles okay
Ich will nicht aufstehen. Blinzle, noch gar nicht richtig hell, nichts drängt mich. Drehe mich nach links, dann nach rechts auf meine Lieblingsseite, kuschle mich in die Bettdecke, atme tief ein und hörbar aus, Leben rein und Krankheit raus. Werde weich, warm, leicht.
Liege weich, warm und klein inmitten von rosigen Gänseblümchen.
Elfen umschwirren mich, greifen langfingrig nach meinen Gliedern, nehmen mich hoch - da springt er fauchend auf meine Brust, versuche ihn abzuwerfen, er fährt die Krallen aus. Ich schreie. Wieder.
Samtkatzenpfote, gähnt mich herzlichst an, leckt über meine Nase. Mir wird übel. Höllenerinnerung.
Kater schnurrt, reibt seinen Kopf an meiner Wange. Sein Fell duftet nach Vanillemilch. Ich lasse mich zurücksinken und schaue den Elfen zu, wie sie, sich in lila Luft auflösend, in den Himmel wirbeln. Dann wird alles katzenschwarz.
„Oh happy day“ schrillt mich mein Handy aus dem Schlaf.
Mutter.
„Alles okay“, sag ich.
Ob ich noch im Bett liege.
„Nein, wie kommst Du...“
„Es ist gleich elf und Du klingst verschlafen. Ist Dir nicht gut?“
„Doch, alles...“
„Mona hast Du schon was gegessen?“
„Ja.“ … „Was? Ach Mama, mach mich nicht verrückt. Ich komm klar.“ … „Ja. Geht mir gut.“ … „Vergess ich nicht.“ … „Nein, musst Du nicht, danke. Bis dann.“
Ich rapple mich hoch. Wieder dieser Katzentraum. Schleppe mich unter die Dusche. Brause mich warm und kalt, rubble mich trocken. An der Wand lehnend betrachte ich mich im Spiegel. Durfte sie behalten, die rechte, meine liebste Brust. Sie ist ein wenig kleiner, runder, straffer als die linke, beinahe perfekt. Und doch hätte sie mich fast umgebracht.
Ich setze mich auf den Badhocker, massiere meine Kopfhaut mit Birkenwasser, fühle den Babyflaum. Kopfhaare wachsen 0,3 bis 0,5 mm pro Tag, habe ich gelesen. Meine sind recht flott 'rausgeschlüpft', um, als wären sie erschrocken ob ihrer Kühnheit, in den Winterschlaf zu verfallen. Und dieses Straßenköterblond, es macht mich blass. Ich schminke mich sorgfältig, kleide mich an und begebe mich auf den Weg in die Küche, um mir ein spätes Frühstück zu bereiten. Schalte das Radio ein:
„Die Zeit: es ist genau 12:30 Uhr“
Also brunche ich, alles okay. 15 Uhr zum Adventskaffee verabredet, bei den Eltern. Dann Weihnachtsmarkt. Gut, dass ich so lange geschlafen habe, unterdrücke ich ein Gähnen. Diese Träume, die machen mich fertig.
Tine ruft an. Ob ich Lust habe, heute Abend mit ihr auszugehen, das Leben feiern in der Salsabar.
„Nee, Du, ich schaff das nicht.“
„Mensch Moni, reiß Dich mal zusammen, Du bist doch - oder geht’s Dir nicht gut? Ich meine, ist alles in Ordnung mit Dir?“
„Alles okay, keine Sorge. Es ist nur, ich bin so müde, immer noch. Es kotzt mich ja auch an, aber...“
„Aber, Kleine, Du musst langsam wieder in die Puschen kommen! Sei doch froh, dass Du wieder gesund bist! Morgen, morgen hole ich Dich ab, keine Widerrede! Bis dann.“
„Aber“, Tine hat aufgelegt, typisch Tine. Können mir doch alle den Buckel runter rutschen. Verstehe es ja selbst nicht. Ich bin gesund, doch ich fühle mich wie hundert plus.
Räume den Tisch ab, mache mich ausgehfertig, alles im Schneckentempo. Werde wieder zu spät kommen. Mutter wird mich mit Röntgenaugen durchleuchten, während Vater versucht, die Stimmung aufzulockern.
Flocken schmelzen auf meiner Nase. Der Schnee knirscht unter meinen Stiefeln. Die Luft duscht meine Lungen mit eisigem Sauerstoff. Meine Müdigkeit verfliegt. Hinter mir miaut es, eine weiße Katze streicht um meine Beine.
„Warum besuchst nicht Du mich mal im Traum?“, frage ich sie. Sie legt sich auf den Rücken, lässt sich den Bauch kraulen. Mein Handy meldet sich, Schneekatze verschwindet über den Gartenzaun.
Mutter. Sorgt sich, wo ich bleibe.
„Alles okay.“
Die frische Luft hat mir gut getan. Ich bin müde, aber nicht ausgelaugt, sondern, wie wohlverdient nach einem Zehnkilometerlauf. Vielleicht fühle ich mich morgen besser. Dann gehe ich wieder spazieren, nehme ich mir beim Einschlafen vor.
Und, tatsächlich, wache ich endlich einmal wieder ausgeschlafen auf, bin fit, belastbar. Gleich nach dem Frühstück putze ich die Wohnung. Danach koche ich und überfalle Tine mit Pasta arrabiata. Das hat sie von ihrer Hartnäckigkeit. Wir plaudern, trinken Sekt, wie in den guten alten Zeiten. Meine Kopfschmerzen lache ich weg. Tine hat recht, man muss sich einfach 'mal zusammenreißen.
Zu Hause angekommen schlafe ich beinahe im Stehen ein.
Ich träume von der Schneekatze. Wir sausen über Frühlingswiesen und jagen die Mäuse. Katze wird immer schneller, ich verliere an Boden, schnappe nach Luft, Brust schmerzt, hebe bleischwere Beine nach oben und vorwärts. Schneekatze? Ein fernes Knäuel. Knäuel wird größer, springt mich an, wirft mich um und ist wieder der dicke schwarze Kater.
Verkatert wache ich auf. Es liegt nicht am Alkohol, hatte nur zwei Gläser. Ganzkörperschmerz. Muskelkater oder Metastasen?
Mutter ruft an. „Alles okay“, sag ich.
Gehe zu meinem Onkologen. Ich komme ohne Termin dran, beschreibe ihm meine Beschwerden. Er beruhigt mich, tastet die Brüste und nimmt Blut ab. Erklärt, dass ich Geduld haben muss, dass dies alles zum normalen Genesungsprozess gehört, verschreibt mir einen Stimmungsaufheller und Tabletten gegen die Angst.
„Was soll ich damit?“, frage ich ihn.
Statt einer Antwort drückt er mir noch schnell eine Broschüre in die Hand und ich soll mich jederzeit melden, wenn was ist. Nur hat er leider nun keine Zeit mehr. Das Wartezimmer platzt aus allen Nähten.
Ich schleppe mich nach Hause, lege mich mit der Broschüre auf die Couch und beginne zu lesen: über das Leben nach dem Krebs, wie wichtig die Psyche ist, dass man sie mitbehandelt, dass der Arzt heutzutage aufklärt, damit der Patient weiß, was auf ihn zukommt. Ich lese über die nachwachsenden Haare, konditionierte Übelkeit, die Angst und über Müdigkeit.
Schwarzer Kater springt an meine Seite, wettert wie Tine: „Moni, reiß Dich zusammen!“
„Kann nicht, zu müde.“, flüstere ich.
„Ich weiß“, schnurrt er.“
„Was soll ich tun?“
„Nicht viel.“, schmiegt er sich an meinen Leib.
„So kann ich nicht aufstehen.“
„Sollst Du auch nicht. Du sollst mich herzen, mich genießen.“
„Und dann?“ Ich streichle das samtene Fell, kraule das Schwarz ins Weiß.
Schneekatze: „Dann wird es besser, alles zu seiner Zeit.“
„Bin ich wieder krank?“
„Nein. Dazwischen.“, schnurrt Schneekatze, leckt sich ihre Pfoten, putzt das Näschen, schleicht davon.
„Warte!“, rufe ich ihr nach. „Wie heißt Du?“
„Fatigue*.“, miaut sie. „Bis bald.“
*Fatigue, auch Tumorerschöpfung genannt, ist ein an Leistung unangepasstes, überwältigendes, geistiges und körperliches Müdigkeitsphänomen.
In der Regel dauert es lange nach erfolgreicher Krebstherapie an.
Sie brauchen Zeit; Krankheit, Therapie und deren Folgen physisch und psychisch zu verarbeiten, wie ein vom Krieg zerstörtes Land Zeit braucht, sich zu erholen.
Fatigue ist nicht mit depressiven Störungen gleichzusetzen, auch nicht mit normaler Müdigkeit, welche sich durch Ruhe und Schlaf beheben lässt.
Genießen sie regelmäßige Pausen, überlasten sie sich nicht, bewegen sie sich viel an frischer Luft, auch Ausdauersportarten sind zu empfehlen.
Das Wichtigste und Schwierigste zu guter Letzt: haben sie Geduld und gönnen sie sich die Zeit, die sie brauchen.