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Alles in Socke: RedSock
RedSock
„Drängle doch nicht so.“
„Laßt die kleinen doch auch mal nach vorn.“
„Die kleinen haben hier nichts verloren.“
„Ach, ja? Und was sollen sie deiner Meinung nach tun? Sich aufribbeln?“
„Ruhe da hinten, sofort!“ Donnerte die rauchige Stimme der Wollne. Augenblicklich trat Stille ein. Wenn die Wollne etwas sagte, war es ein Befehl!
Sie war alt, hässlich und dick. Aber sie hatte den besten Platz in der Schublade. Direkt vorne an der Blende. Dort, wo sich durch Austrocknung ein kleiner Spalt im Holz gebildet hatte. Von hier aus hatte man einen guten Überblick über das restliche Zimmer. Nicht zuletzt dadurch zollten ihr die übrigen Insassen großen Respekt. Aber auch die vielen Mythen und Geschichten, die sich um die Wollne rankten gaben ihr so etwas Unnahbares, etwas Autoritäres.
Man erzählte sich, dass die Wollne noch die 70er miterlebt hätte. Das war wohl etwas übertrieben. Tatsache aber war, dass sie eine Selbstgestrickte war. Eine, die man gerne an kalten Winterabenden vor dem Kamin anzog. Deshalb umgab sie oft ein verwegener Geruch von Rauch und Freiheit.
Und wenn sie „Ruhe“ sagte, dann hieß es auch „Ruhe“! Schließlich durften die Menschen nie erfahren, was sich in der Sockenschublade alles abspielte. Dabei ging es hier, im Vergleich zum Kleiderschrank, relativ ruhig zu.
Die Tür ging auf, das Licht ging an, ein paar Schritte waren zu hören, die Schublade wurde geöffnet. Mit wenigen geübten Handgriffen wurden weitere Socken an ihren Platz gelegt. Die Schublade schloß sich. Man hörte sich entfernende Schritte, der Lichtschalter wurde betätigt, die Tür ging zu.
„Paß doch auf, wo du liegst.“ Als diese Fistelstimme erklang, verdrehten die anderen verächtlich die Augen. Die Stimme gehörte der Seidenen, oder auch ‚Halbseidenen’, wie sie von den anderen heimlich genannt wurde. Sie war weiß und trug eine Borde aus Spitze, aus echter, wie sie immer betonte.
Sie lag stets in der hinteren linken Ecke. Ein einziges Mal nur wurde sie getragen. Deshalb konnte sie auch nie mit Neuigkeiten prahlen. Und das, was sie erlebt hatte, kannten die anderen schon auswendig. Aber jeder Neuzugang bekam, ob er nun wollte oder nicht, eine detaillierte Beschreibung jenes außergewöhnlichen Tages, an dem sie doch so maßgeblich dran beteiligt war. „…und alles in weiß. Das musst du dir mal vorstellen. Kleid, Schuhe, Handschuhe, Schleier. Und ICH.“
Aber keiner wollte ihre Geschichte mehr hören, und so lag sie die meiste Zeit teilnahmslos in ihrer hinteren linken Ecke und rümpfte die Nase über das gewöhnliche Volk.
„Verzeihung, Madame,“ näselte die Tennissocke gekünstelt. „Ich habe mich wohl von ihrer Schönheit hinreißen lassen.“
Grölendes Gelächter von allen Seiten (außer aus der hinteren linken Ecke). Obwohl die Tennissocke alles andere als ansehnlich war, wurde sie von allen (außer von der in der hinteren linken Ecke) als guter Kumpel und lustiger Geselle geschätzt.
Anfangs versuchte die Tennissocke jedem zu erklären, dass sie eigentlich weiß sei. Daraufhin brach jedes Mal ein Gelächtersturm über sie herein. Aber dafür, dass sie die rote Farbe auch nach der Wäsche nicht loswurde, konnte die Socke nichts. Ihr war es peinlich, dass sie nicht so schön sauber wie die anderen Socken aus der Waschmaschine kam. Dann erklärte sie den anderen, dass dieser Effekt durchaus gewollt und sehr schwer zu erzielen sei. Es wäre mit ihr, wie mit Kupfer. Das roste ja auch nicht, sondern würde Patina ansetzen. Und das sei etwas Edles. Man einigte sich mit der Zeit darauf, dass die Tennissocke eben rot-weiß meliert sei.
„Da ist was los“, begann einer der Frischgewaschenen. „Ich kann euch sagen: das gibt noch Ärger.“
„Nun erzähl schon,“ drängte die Hellblaue. „Laß dir doch nicht jedes Wort einzeln aus dem Hacken ziehen.“
Es war mucksmäuschen still in der Schublade. Jeder wollte hören, was sich in der Waschküche ereignet hatte.
„Ihr kennt doch RedSock,“ fuhr der Frischgewaschene fort. „Der hatte sich doch so in die Damasttischdecke verknallt.“
„Armer Kerl,“ seufzte die Wollne. „Seine erste große Liebe und dann wird nichts draus.“
„Schon seit Wochen überlegte er, wie er ihr näher kommen könnte,“ erzählte der Frischgewaschene weiter. „Dann hat er mir von seinem Plan erzählt. Ehrlich Leute, ich hab versucht ihn davon abzubringen. Aber ihr wisst ja, wie er ist.“
„Nun mach es nicht so spannend,“ die Hellblaue platzte fast vor Neugierde.
„Er hat sich heimlich in die Kochwäsche geschlichen.“ flüsterte der Frischgewaschene.
„Ach das bringt doch nix,“ unterbrach ihn die Getupfte. „Spätestens beim Befüllen der Maschinen merkt die Frau doch, dass er da nix zu suchen hat.“
„Eben nicht,“ trumpfte der Frischgewaschene auf.
Entsetztes Aufschreien der gesamten Sockenschaft.
„Ist der denn wahnsinnig?“
„Das überlebt er nicht.“
„Der wird endgültig ausgemustert.“
„Oder er endet als Kindersocke.“
„Die haben doch keine Kinder,“ sagte die Hellblaue traurig.
Die Tür ging auf, das Licht blieb aus, Gekicher, Stille, merkwürdige Geräusche.
„Noch nicht,“ hauchte die Wollne verschmitz, „noch nicht.“