Alles im Reinen - unterwegs mit Islands Musikern
Von Julien Green stammt der Satz, ein einziges Laster genüge, um dem Leben einen Inhalt zu geben.
Manchmal aber scheint ein Leben nicht genug. Denn mein Laster sind gleich deren sieben. Sie heißen Studmenn, kommen aus Reykjavik, Island, und sind eine Pop Band. Besser gesagt ein isländisches Phänomen, denn in dem Land, in dem Tage und Nächte fließend ineinander gehen, sind sie die populärste und erfolgreichste Gruppe des Landes, haben zwei Filme gedreht, ein Brettspiel und einen Tanz erfunden und haben der isländischen Gesellschaft und Musikszene entscheidend ihren Stempel aufgedrückt. Es ist die einzigartige Zusammenarbeit der besten Musiker des Landes, und ursprünglich diente diese Band als Reaktion dessen, was in der Musik als vorhersehbare Formate galt. Ihre Musik ist beides, verrückt und intelligent zugleich, schlechter Geschmack und Ironie, und dabei immer in Islands Kultur und Wesensart verwurzelt.
Island. Natürlich denkt man zuerst an Lava, unwirtliche Gegenden, sprudelnde Geysire, eruptierende Vulkane. Eine Insel der Extreme, Dramatik und Kraft. Und dennoch ist das zu eindimensional, um Island ausreichend zu beschreiben. Denn unter Island lauert die Doppelbödigkeit und die Unbeherrschbarkeit- es ist ein Meister der Verführung und der Verwandlung. Sanft und kratzbürstig, launisch, gewöhnlich und verrückt, gefährlich und angeberisch, ein Land der Lügen, der Großmäuler und der Charmeure. Ein Land der Geschichten und Geschichtenerzähler. Und Land des schlechten Geschmacks. Mit der glitzernden Metropole Reykjavik, schneller, schicker und moderner als alle anderen. Island ist ein Land ohne Disziplin und „Management“ klingt in diesem Zusammenhang wie knapp überm Tierschutz.
Aber Studmenn und ich sind alte Freunde. Und wir arbeiten an einer Tour durch Deutschland im Mai. Um den Schock etwas abzumildern, beginnt die Invasion schrittweise. Für den Februar gibt es das Angebot, auf einem isländischen Fest in Hamburg, einem Thorrablót, zu spielen, und diese Fahrt wird mit einem Clubgig in Hamburg kombiniert.
Ein Troß von 12 Leuten, bestehend aus den 7 Musikern, zwei Gogotänzern, einem Soundmixer, einem Lichttechniker und mir setzt sich also in Bewegung.
Nach 3 Stunden Schlaf holt mich Jakob Magnusson ab, der Keyboarder und Hammond-Organist, die rast- und ruhelose Seele und eigentlicher Bandmanager.
An der dunklen Scheibe des Autos spiegelt sich mein Gesicht wider, während draußen die Lichter der Stadt im schwarzblauen Nachthimmel glitzern. Man sieht die letzten Tage der Organisation dieser Tour, die Soundchecks, Gespräche, Proben, Finanzierungen, Telefonate, die Änderungen in letzter Minute und die Zeit, die zum Schlafen fehlt. In Island sind die Menschen vielseitig, ich bin plötzlich für die Kostüme verantwortlich, dirigiere Gogotänzer, werde den Gig filmen und habe in der letzten Nacht noch eine Slide-Show für den Hintergrund aus den Rippen geschnitzt. Und dennoch glitzert da auch was. Es glitzert die Freude und der Spaß, es glitzert die Tatsache, daß diese Musiker eine grandiose Band sind, voll Funken sprühender Energie, und Freude bricht auf, wie der nächtliche Himmel, der sich langsam blau färbt, das satte, tiefe, trunkene blau Islands, daß wir es wirklich geschafft haben. Wir sind unterwegs.
Tag eins der Tour beginnt, indem ich in der Drehtür im Flughafen Keflavik steckenbleibe.
Kein gutes Zeichen, aber ich quetsche mich wieder raus und wenig später ist die halbe Halle ist voll mit Gepäckwägen, bis obenhin aufgetürmt mit Instrumenten und Taschen.
In dem oberflächlich betrachteten Chaos von Leuten, Gepäck und Koffern sind alle da, sind seltsam unaufgeregt und plötzlich hat jemand hat einen Stapel Tickets in der Hand. Ich merke, wie ich mich zweiteile und der deutsche Kontrollfreak in mir nach Ordnung kräht, aber thetta reddast, denkt der Isländer, es regelt sich alles – irgendwie.
Er sticht heraus, unser Frontmann. Egill Olafsson, Schauspieler, Komponist und Sänger, mit der atemberaubenden Ausstrahlung, der sonoren Stimme und dem prägnanten Gesicht. Neben ihm leuchtet der Rotschopf des Bassisten Tomas Tomasson, dazwischen der Drummer Asgeir Oskarsson, in einer Ecke steht Thordur Arnason, das Gitarrengenie, vorneweg agiert Eythor Gunnarsson, einer der sechs weltbesten Keyboardisten, und zwischen allen Ragnhildur Gisladottir, kurz Ragga, Sängerin von strahlender Schönheit und absolut stimmliches Klangwunder. In all dem stetig wechselnden, driftenden Bild einer Herde zieht Baddi, einer der beiden Gogotänzer, an mir vorbei, die Krawatte kühn vom Hals gerissen....
In meinem Kopf fängt es leise an zu pochen, der Schlafmangel zeigt sich. Glücklich die, die an Bord schlafen können. Egill belegt die Bankreihe hinter mir, neben mir hat sich Jakob zusammengerollt. Nur die beiden Gogoboys, beide weit über 70, sind fit und plündern die Schnapsvorräte der Stewardeß. Zeit rinnt durch die Finger wie Sand. Wir landen in Kopenhagen und jeder trollt sich wie auch immer Richtung Gepäckband. Doch Sand kommt ins Getriebe, als am Mietwagenschalter die Autos nicht bezahlt sind, die wir eigentlich vom Veranstalter des isländischen Fests gestellt bekommen sollten. Man hat die Kreditkartennummer zwar übermittelt, aber die Mietwagenfirma nimmt das nicht an, sie wollen eine Karte vor Ort. Man telefoniert, wartet, hofft auf Klärung quer durch Deutschland, Island und Dänemark und geht in der Zwischenzeit essen. Thetta reddast, sagen die Isländer, während ich Streßflecken bekomme. Doch die Bandmitglieder sind erstaunlich ruhig, man inspiziert schon mal die Autos. Es sind deren zwo. Für 12 Leute. Ganz zu schweigen von den Instrumenten. Der Kontrollfreak in mir maunzt schon wieder, aber die Ruhe der Isländer ist schier unendlich.
Eine Stunde ist vergangen, eine weitere zieht ins Land, bis wir das Geld einfach vorstrecken. Aber wie kriegt man 12 Leute plus Instrumente und Gepäck in zwei Autos? Und wieder, thetta reddast, man quetscht sich rein, schließlich ist das hier Rock´n Roll....
Es ist dunkel, als wir 7 Stunden später in Hamburg das Hotel erreichen. An der Rezeption rasen drei oder vier Sprachen in meinem Kopf durcheinander und 12 Leute stromern rein und raus. Sprachfetzen hängen in der Luft, irgendwelche Schlüssel werden ausgehändigt. Jaeja, jetzt, nein später, gleich, wer wohin, Doppel oder Einzel? Irgendwann hat jeder einen Schlüssel, jeder saust umher, verteilt auf drei Stockwerke.
Wir gehen Essen und das Kontrolldenken dimmt langsam weg, während die Tage fließend ineinander über gehen. Tag zwei der Tour beginnt, indem ich einen Pilz in meinem Kaffee finde, bevor ich nächtens zum Club fahre, um meine trüben Erinnerungen aufzufrischen. Hoppla.
Weder der Club noch die Werbung ist, wie wir uns das vorgestellt haben.
Ich stapfe im Hotel hin und her, es ist spät, knapp 5 Uhr morgens, zerfressen von nachtwachen Gedanken. Vernunft pocht sich ins Gehirn, als sprächen zwei Ebenen miteinander. Addi und Baddi, die beiden Gogoboys, sind wach und munter und räubern das Frühstücksbuffett. Ich telefoniere wie wild umher, um die PR zu retten. Kleinigkeiten halten auf, jemand frühstückt, jemand ist noch nicht wach, und irgendwo dazwischen klingelt immer ein Handy.
Gegen Mittag spült es alle Mitglieder der Tour irgendwie ins oder ans Hotel. Wir fahren in den Club und ich ziehe los und verteile Flyer in der Uni, bis wieder das Telefon klingelt.
Baddi braucht neue Schuhe zum Tanzen. Zwischendurch pralle ich in meinen Freund Thomas, der extra den Weg von Köln nach Hamburg auf sich genommen hat. Es bleibt nicht viel Zeit für Begrüßung und er wird einfach eingesogen, während ich ihm in Stichworten ein Jahr erkläre, in dem wir uns nicht gesehen haben. Anruf von Jakob, wir müssen sofort zurück, die Proben laufen. Ich stehe auf dem Jungfernsteg, in dritter Reihe und schwitze Blut und Wasser. In meinem Kopf pocht es, wo bleiben die beiden? Komm, komm, komm, schneller, schneller... Wir rasen zurück, Rücksicht im Straßenverkehr war einmal, während ich am Telefon mit Musikverlegern verhandle. Der Kopf hat die Wahrnehmung eines Videoclips erreicht, Bilder laufen und schneiden sich im Sekundentakt. Meine Stimme hat einen seltsamen Kommandoton erreicht, in dem es nur noch zu Stichworten reicht, egal in welcher Sprache. Die Probe läuft bereits und ich rase backstage, um meine beiden Gogoboys in die Klamotten zu zwängen.
Das Metronom tickt. Die Bande muß essen, und ich poche mir den Überblick ins Gehirn, wer wo was und wann. Jogge zwischendurch zum Bahnhof, kaufe Videocassetten und rase zurück, ins Restaurant. Schreibe die Gästeliste. Wir fahren zum Club, bereiten die Kostüme vor, Thomas macht die Ansage und...mir stockt der Atem. Studmenn verwandeln den Club für zwei Stunden in einen Mikrokosmos, in dem alles im Reinen ist. Voll überschäumender Selbstverständlichkeit im Sturm des sonoren Breitwandsounds agiert Egill wie ein Derwisch, stemmt den Körper gegen die fesselnden Akkorde, geht auf den Bewegungen eines Kraftpaketes mit seiner Stimme wie ein Fels in der Brandung, während Ragga den Raum gefangennimmt wie keine Zweite mit ihrer Stimme, die so markant, eigenwillig und so grandios ist. Sie spielen ihre Musik mit soviel Druck, daß das Phänomen auch in Hamburg zu spüren ist. Sie haben die Konvention von der Unkonventionalität entwickelt, und ihre beiden 70jährigen Gogoboys wagen ein Tänzchen dazu. Das hat etwas wahrlich Befreiendes an sich, eine Symbiose aus Spaß und Rock, das Publikum ist begeistert. Es geht auf.
Vor der Bühne.
Denn der Club hat unsere Vertragsbasis nicht ganz erfüllt, und wir müssen verhandeln. Ich höre die Steine krachen, Risse sich auftun wie bei einem Erdbeben. Aber thetta reddast. Als ich meinen zitternden Körper nach den Verhandlungen wieder aufrichte, atme ich tief durch, hinaus, auf die lichtschluckende Straße, mit der Band zurück ins Hotel.
Die Tage gehen fließend ineinander über. Ich schlittere in Tag drei der Tour, indem mir der Absatz bricht.
Gegen sieben Uhr morgens krieche ich zu Thomas ins Bett, doch für Schlaf ist keine Zeit, denn deutsche Frühstückszeiten sind irre. Zwei Stunden später bin ich also wieder auf den Beinen, wie auch die beiden großen alten Herren des Gogotanzes. Ragga und Egill liegen noch im Koma, Jakob hat schon seit gestern keiner mehr gesehen. Wir sollten auschecken, manche packen Taschen, manche nicht und unser Jakob bleibt bis mittag verschwunden.
Das Hotel, daß das isländische Festival jährlich in seinen Hallen duldet, ist außerhalb und wunderschön zwischen Wald und Weiher gelegen. Jakob saust los, checkt ein und holt Schlaf nach, während der Rest Gepäck schleppt. Es gibt nur Reservierungen für 10 und nicht für 12 Leute, doch mit Glück ergattern wir zwei weitere Zimmer in einem Hotel gegenüber, bevor ich zurück nach Hamburg fahre, um die Finanzen mit dem Club zu regeln. Zurück im Hotel laufen bereits die Vorbereitungen für das große Fest, das mit dem feierlichem Abendessen gegen 6 Uhr beginnen wird, ehe die Band ab 11 Uhr Nachts bis ins Morgengrauen für Stimmung sorgen wird. Das Thorrablót ist ein isländisches Fest, in dem Mitte Februar gefeiert wird, da die Hälfte des Winters überstanden ist. Einmal im Jahr freuen sich Isländer an traditionellen Speisen, mit dem sie sonst nur Touristen schocken: Vergrabender Hai, geschmorter Hammelkopf, gesäuerte Hammelhoden, und dazu wird der schwarze Tod, isländischer Branntwein, gereicht.
Das Essen beginnt im festlich geschmückten Ballsaal, die Stimmung ist gut und Studmenn übernehmen das Regiment im Saal. Sie spielen wie der Teufel. Egill ist in seinem Element, er nimmt Bühne und Saal gefangen, tanzt, spielt, singt, springt ins Publikum, wirft den Kopf zurück im gleißenden Scheinwerferlicht, hüllt sich in seine Jacke, von überschäumender Präsenz, um kurz darauf in den Raum zu eruptieren. Das Licht und die Begeisterung des Publikums spiegeln sich in seinem Antlitz, seine Augen geschlossen, weit weg und doch ganz in der Dramatik seines Auftritts. Der Saal, das Publikum, einfach alles an diesem Abend ist ein ausgelassener Mikrokosmos voll Spaß und taumelnder Freude, und gegen 6 Uhr morgens, als das Konzert langsam zu Ende geht, gibt es keine Grenzen mehr. Nicht in der Musik, im Alkoholpegel der Zuschauer, nicht zwischen Island und Deutschland.
Alles wird wirr, alles geht unter im Strudel der Feier und der Musik. Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren, und die Band spielt und spielt und spielt. Vor und zurück, vor und zurück, nimmermüde. Draußen graut es, als das Fest und die Gäste sich langsam auflösen, während man Egils Stimme noch lange im Raum charmeuren hört. In der klaren Luft des Frühlingsmorgens falle ich in mein Bett, falle ins Koma. Die Dunkelheit übernimmt das Sein. Das nachtschwarze Meer, ich kann es hören, wie es an die Klippen schlägt.
Meine Hand aber macht einen Reflex und plötzlich habe ich das Handy am Ohr, aber ich höre nicht, ich träume einen schwarzen Traum vom Nichts, sinke in ihn herein immer tiefer, während ich irgendwelche Informationen durchs Telefon murmle. Stapfe unter die Dusche und komme langsam zu mir. Dafür bin ich gezwungen, mich im Spiegel anzuschauen. Der Herr der Ringe unter den Augen starrt zurück.
Doch der Kaffee wirkt Wunder, der mir der ältere Herr an der Rezeption anbietet, während ich zwischen den Gogoboys und ihm dolmetsche. Ich gebe den Schlüssel im Hotel ab und quetsche mich ins Auto. Wieder sieben Stunden Fahrt liegen vor uns.
Es ist Nacht, als wir in Kopenhagen an den Flughafen kommen. Alles zerfließt, wir schieben Unmengen Gepäck durch die Gegend, trollen uns durch die Menschen und sortieren uns vor dem Check-in. Gepäckstücke werden sortiert, alles wird x-mal umgeschichtet als die Bodenstewards sichtlich genervt dreimal ihre Meinung ändern, wohin mit den Instrumenten. Endlich geht die Maschine und wir fliegen mit heftigen Turbulenzen durch die Nacht und Winter empfängt uns in Keflavik. Ich stehe da, in der unendlichen Weite des Schneesturmes, die harten eisigen Kristalle packen mich, reiben mich auf und wehen mich unter jedem Schritt zu. Aber mir ist nicht kalt. Denn ich sprühe Funken des unendlichen Glücks. Das Geradeauslaufen ist noch immer in Ordnung, aber ich muß scharf dran denken, sonst würde ich mich gerne drehen. Drehen, drehen und tanzen, mich einfach durch die Straßen rollen. Drehen, tanzen, fallenlassen, mit einem Lachen auf den Lippen einfach hier und jetzt in ein tanzendes Nichts eintauchen. Wir haben's geschafft. Und nun liebt auch Hamburg meine Band. Gibt es etwas Schöneres? Und wir kommen wieder, bye, bye, im Mai, für alle anderen.