Alles glänzt.
Das Fließband würgt immer neue Teile hervor. Immer wieder, immer schneller. Zu schnell heute für Jörg, der jeden Tag, acht Stunden lang geduldig Teil A auf Teil B schraubt.
Festziehen, prüfen, umdrehen, weiter. Heute kommt er nicht mit, gerät aus dem Takt.
Schwitzt. Beginnt wieder von neuem und scheitert erneut.
Er fühlt sich krank. Sein Kopf dröhnt und auf seiner Stirn steht Schweiß. Der schwarze Kaffee, den er in der Früh viel zu hektisch und viel zu heiß in sich hinein geschüttet hat, brodelt unangenehm und lässt Jörgs Magen schmerzen.
Er kennt diesen Schmerz schon seit vielen Jahren. Alles fühlte sich wund an. Jede noch so kleine Bewegung versetzt seinen ganzen Körper scheinbar in Brand. Alles dreht sich. Seine Beine knicken ein. Kraftlos sackt er zusammen und bleibt liegen. Seine Sinne scheinen immer schneller zu einer zähen, teigigen Masse zu verklumpen. Er vermag nicht mehr zu sagen, wo oben oder unten ist und alles dreht sich. Ihm ist kotzübel und er spürt, wie sein kärglicher Mageninhalt sich den Weg nach oben bahnt.
Urplötzlich schwellen alle Geräusche zu einer alles überrollenden Welle an. Sie hätte ihn zweifelsohne umgeworfen, wenn er nicht bereits im Dreck gelegen hätte. Verschwommen sieht er Menschen, die sich über ihn beugen, ihn anstarren und hektisch reden.
Sein Schädel fühlt sich an, als wäre er der Länge nach gespalten worden und kleine bunte Lichtblitze tauchen vor seinen Augen auf. Er muss kotzen. Danach geht es ihm ein wenig besser. Sie schicken ihn nach Hause.
In der Bahn lehnt er seinen Kopf an die Fensterscheibe und wartet darauf, dass die Schienenstöße ihn von seinen Schmerzen befreien oder diese tiefer in sein Hirn stoßen. Ihm ist das egal. Immer wieder flackert sein eigenes Gesicht in der Scheibe auf. Er starrt hin, weil er sonst nichts hat, wo er hinstarren könnte. Er sieht einen vierundfünfzigjährigen Mann, dessen Haut schlaff am Schädel hängt und dessen Haare nur noch einen dünnen Kranz bilden. Seine Ohren stehen ab wie die Henkel einer Kaffeetasse und seine Augen haben sich tief in die Höhlen zurückgezogen.
Er war mal ein hübscher Bengel gewesen und vor gar nicht allzu langer Zeit hätte er selbst diesem Spiegelbild noch eine Chance gegeben. Jetzt sieht er nur noch seine verbrauchte Hülle und weiß auch genau, wer Schuld daran trägt, dass es ihm schlecht geht, dass sein Leben zu Ende ist, wie er meint.
Groll steigt in ihm hoch, der sich nach und nach zu Hass verdichtet. Jörg kennt dieses Gefühl, dieses Gift in den Adern, das ihm die Luft nimmt; ihn rasend macht.
Seine Frau, diese verdammte kleine Hure. Er hat jung geheiratet; viel zu jung. Er musste, denn sie war schwanger. Er hatte sie damals im Suff gefickt, als er jung war und als es ihm egal war, wo er seinen Schwanz reinsteckte. Kein Hirn, kein Problem.
Er hatte doch so viel vor in seinem Leben. Ja, er wollte was reißen, was beweisen, Karriere machen, Geld verdienen, Weiber kaufen. Sie hat ihm alles kaputt gemacht. Sie hat sich an ihn gehängt mit dem Kind, dieses schwachsinnige blonde Weib und hat ihn niemals wieder allein gelassen.
Er hat sie geheiratet, damals. Hatte er denn eine Wahl? Jörg denkt an die Hochzeit. Er in einem geborgten Anzug und sie mit stark geschminktem Gesicht in einem scheußlichen Kleid. In der Hand einen Strauß Nelken. Nelken, ausgerechnet Nelken, denkt Jörg und verzieht das Gesicht. Er hat diese Blumen schon immer gehasst.
Jörg denkt auch an seine Tochter, während er im schmutzigen Fenster seine bleichen Gesichtszüge betrachtet. Ein Kind der Liebe? Pah! Ein Zufall im Suff schon eher. Kann er wenigstens stolz sein? Nein, so etwas wie Vaterstolz kennt er nicht.
Warum auch? Er hat keinen Grund dazu. Seine Tochter ist inzwischen sechsundzwanzig und liegt ihm immer noch auf der Tasche. Sie hat es nicht einmal auf die Reihe bekommen, wenigstens einen Schulabschluss zu machen. Stattdessen wohnt sie immer noch zu Hause; kommt und geht wann sie will und fickt wen sie will.
Sein Innerstes lacht trocken auf. Er ist weit weg von dem Leben, das er sich einmal erträumt hat. Er ist ein billiger Arbeiter an einem Fließband. Beliebig und austauschbar. Unwichtig. Sein Leben spielt sich zwischen Arbeit, Schnaps und einem freudlosen Zuhause ab. Jeden Tag der gleiche Trott. Aufwachen neben einer Frau, die er nicht begehrt und schon gar nicht liebt, aber ab und zu anfassen muss, weil sie sonst das tut, was ihn wahnsinnig macht:
Sie will mit ihm reden. Immer und immer wieder. Sie will sich mit ihm über ihre Probleme unterhalten. Sie will diskutieren, ihn anschreien und ihn mit jedem Wort, das sie sagt, daran erinnern, dass er hier festsitzt.
Jörg schauert bei dem Gedanken. Sie soll die Fresse halten oder, noch besser, einfach verschwinden.
Aber nein, den Gefallen tut sie ihm nicht. Sie klebt an ihm wie Scheiße am Schuh. Wieder kocht Hass in ihm hoch. Giftiger, breiiger Hass.
Jörg ist wütend. Er hat mehr von seinem Leben erwartet. Er hat mehr vom Leben verdient, verdammt nochmal!
Kraftvoll schreit der Gedanke in ihm auf und jagt ein wenig Blut in sein blasses Gesicht.
Der Zug hält und Jörg tappt über den Bahnsteig, noch immer unsicher auf den Beinen.
Kraftlos steigt er die Treppen zu seiner Wohnung hinauf, wirft sein bisschen Leben gegen die ewig klemmende Tür und lässt sich auf die Couch fallen. Seine Augen gleiten in dem spärlich möblierten Raum umher.
Alles glänzt. Die biedere Idylle ist kaum zum aushalten.
Er lässt seine speckige Tasche mitten auf den hellen Teppich fallen, denn er weiß nur zu genau, dass sie das wahnsinnig macht, wenn sie dann nach Hause kommt.
Er will duschen, sich den Dreck der Arbeit und den Dreck seines Lebens von der Seele waschen und vielleicht ein wenig wichsen.
Das ist etwas, womit er sich auskennt. Solosex und billige Nutten, die sich für ein Taschengeld die ganze Nacht ficken lassen. Dabei fühlt sich Jörg seinem eigentlichen Leben um einiges näher. Er, der Sugardaddy für sechzehnjährige Junkies mit Pickeln am Arsch.
Sie müssen nur die Klappe halten. Nur ficken, nicht reden. Jörg muss an eine kleine dürre Nutte denken, die ihn einmal fragte, ob er kein schlechtes Gewissen seiner Frau gegenüber habe. Als er zu stottern begann und versuchte, sich irgendwie zu rechtfertigen, fing die Nutte an zu lachen und zog sich ihren dreckigen Slip wieder über die dürren Knie. Jörg hat ihr ins Gesicht geschlagen, so hart er konnte, aber die verdammte kleine Nutte lachte immer weiter, auch dann noch, als er immer weiter auf sie eindrosch.
Das Wasser rauscht in seinen Ohren und der ganze klebrige Mulch, der bis dahin seinen Körper bedeckt hat, strudelt in Richtung Ausguss. Jörg schließt die Augen und genießt einen kurzen Moment die Freuden seiner Hand. Er hört nicht, wie die Tür aufgeht und seine Frau reinkommt. Er sieht nicht, wie sich ihr stark geschminktes Gesicht zu einem Grinsen verzerrt. Er öffnet erst dann die Augen, als sie mit ihrem hässlichen, rot lackierten Finger auf ihn zeigt und lacht.
Sie lacht schallend und ohne Luft zu holen. Er hat sie noch nie so lachen sehen und unbändige Wut steigt in ihm hoch. Bis unter die Schädeldecke. Er schreit sie an, dass sie weggehen soll, aber sie prustet und lacht immer weiter. Jörg schiebt sie hinaus; nackt wie er ist, die Hand noch immer an seinem Schwanz und schlägt die Tür zu. Er kann sie immer noch kichern hören.
Er lässt sich auf den Badewannenrand fallen. Das Wasser tropft an ihm herunter und bildet eine Pfütze unter ihm. Seine Hände zittern und er merkt, wie die Wut ihn blind werden lässt. Er hasst diese Frau, die da mit dem Finger auf ihn gezeigt hat. Diese Frau, die nun in der Küche steht und lacht. Seine Frau, die nicht nur lacht, weil sie ihn beim Wichsen erwischt hat, sondern die lacht, weil sie weiß, dass er wegen ihr nicht das Leben führen kann, das er verdient.
Jörgs Wut brodelt. Er zieht sich an und geht in die Küche. Sie steht am Herd und kocht. Als sie ihn sieht, entschlüpft wieder ein Kichern ihren Lippen und sie schaut auf.
Jörg heftet seinen Blick auf sie, schaut sie sich genau an. Er überlegt kurz, ob er darin noch irgendetwas Liebenswertes sehen kann. Er mustert sie eindringlich, nähert sich ihrem Gesicht bis auf ein paar Zentimeter und freut sich über die leise Panik in ihren Augen.
Nein, da ist nichts. Gar nichts, nur blanke Abscheu. Jörg atmet durch und tritt näher an seine Frau heran.
Sie weicht zurück, halb ängstlich, halb verwirrt. Er ist schneller und drückt sie in eine Ecke. Jetzt schießt endlich die Angst in ihr angemaltes Gesicht und gräbt ansehnliche Furchen hinein. Jörg ist zufrieden.
Sie will sich an ihm vorbei zwängen, aber er stellt sich ihr in den Weg und sieht sie weiter an. Seine Augen weiden sich an der Panik in ihrem Gesicht und er kommt ihr immer näher. Er kann ihren Atem riechen, diesen widerlichen Atem von billigen Mentholzigaretten. Die raucht sie ununterbrochen.
Genüsslich betrachtet er ihre vor Angst geweiteten Augen und greift nach dem Messer, mit dem sie eben noch Fleisch geschnitten hat.
Jörg betrachtet die blanke Klinge und fragt sich, ob sie auch so spielend leicht durch ihr Fleisch gleiten würde. Er will ihr das Lachen aus dem Gesicht schneiden, die lange Klinge immer wieder über ihre Haut gleiten lassen. Sie wird zappeln und schreien, natürlich. Sie wird ihn anflehen aufzuhören. Natürlich.
Sie würde auch auf Knien um ihr Leben betteln, wenn er das will.
Der Gedanke erregt Jörg. Seine Faust schließt sich fest um den Griff des Messers. Er beginnt, ihre Haut zu ritzen. Sie schreit und quiekt wie ein Schwein und ihre Augen füllen sich mit Tränen.
Sie windet sich unter seinem Griff, aber Jörg ist stärker, hält sie fest und freut sich an den roten Linien, die über ihre Wangen laufen und immer breiter werden.
Ihre Angst lässt ihren Körper beben und sie weint. Dicke blutige Tränen, aber Jörg macht weiter. Die Klinge drückt sich tiefer in ihre Haut. Jörg grinst, als er das Entsetzen in ihrem Gesicht sieht. Sie war noch nie besonders schön, aber mit den aufgerissenen Augen und den blutigen Striemen gefällt sie Jörg zum ersten Mal. Er schaut sie an, beinahe liebevoll und drückt ihr das Messer fester in die Haut.
Blutende Menschen haben manchmal eine morbide Schönheit, denkt Jörg, legt das Messer weg, setzt sich neben sie und sieht ihren Schmerzen zu. Sie krümmt sich auf dem Boden, wimmert.
Er starrt sie an. Das Messer hat er sorgsam abgewischt und zurückgelegt. Sie gefällt ihm, wie sie so daliegt und er hebt sie hoch und trägt sie ins Bad. Beinahe zärtlich lässt er ihren Körper auf den Boden gleiten, hockt sich daneben und öffnet seine Hose. Ihre Augen weiten sich und Blut rinnt weiter weiter ihre Wangen hinab. Jörg schaut sie an und nimmt erneut seinen Schwanz in die Hand.
Sie soll zuschauen und noch einmal so lachen wie vorhin. Sie dreht ihren Kopf weg, will es nicht sehen, aber Jörg zerrt an ihren Haaren und zwingt sie genau hinzuschauen. Wie von Sinnen beginnt seine Hand sich zu bewegen. Er will sie lachen hören.
Sie soll genau hinsehen, was er macht.
Ihr Kopf sackt nach vorne.
Jörg schlägt ihr ins Gesicht so hart er kann. Mitten hinein in die blutigen Schnitte und schreit sie an, dass sie hinschauen soll und lachen. Ja, lachen! So wie sie es vorhin auch getan hat.
Sie will sich bewegen, etwas sagen, doch die Kraft hat sie bereits verlassen, sie ist ohnmächtig und blutet auf den Boden. Jörg sieht sie an, macht seine Hose zu und grinst.
Er wischt säuberlich das Blut von den Fliesen und schließt dir Tür. Er ist zufrieden und dreht sich zum Gehen um.
Alles glänzt.