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Alles für die Firma
Tim Keland malte kleine Quadrate auf seinem Besprechungsblock aus. Dies tat er meist, wenn eine Konferenz stattfand. Ich sah ihm interessiert dabei zu und kritisierte innerlich die Schlampigkeit seiner Strichführung.
„... werden Sie beide ein Konzept einreichen. Möge der Bessere gewinnen.“
„Wie meinen Sie das?“, fragte Tim unseren Vorgesetzten geistesgegenwärtig. Ich selbst schwieg, verdattert wie ich war.
„Unser Budget deckt nur ein Projekt ab. Ein Einzelprojekt.“
Tims Blick schoss zu mir. „Gibt es keine Alternative?“ Gott, wie kläglich meine Stimme klang.
„Es tut mir leid“, beendete unser Vorgesetzter die Konferenz.
Tims letztes Aufbäumen gegen die Willkür äußerte sich wie folgt: „Sind wir jetzt im Alten Rom bei irgendwelchen Gladiatorenkämpfen?“ Nicht originell, aber um Längen besser als mein Schweigen.
Während Tim mit Feuereifer seine Ausarbeitung in Angriff nahm, saß ich wie gelähmt. Unfähig auch nur einen Stift zu halten. „Sag mal, Tim ...“
„Pass auf, es ist besser, wir reden nicht mehr miteinander, denn schließlich stehen wir ab sofort in unterschiedlichen Lagern."
Die Tage vergingen und allmählich wurde die Stimmung im Büro unerträglich. Am fünften Tag baute ich eine Sichtschutzwand aus Aktenordnern zwischen unseren Schreibtischen auf. Die Revanche hing am nächsten Tag in Form eines Benutzungsplans für die gemeinsame Kaffeemaschine am Kühlschrank. Dafür sägte ich Kelands Garderobenhaken an. Vorher hatte ich es mir natürlich nicht nehmen lassen, kalte Zigarettenasche und die klebrige Innenseite einer Bananenschale, darunter zu deponieren. Mein Triumph, als Kelands Kamelhaarmantel im Dreck landete, währte nur kurz. Mein Projektordner war verschwunden, dafür fand ich in der Hauspost meinen Antrag auf ein Einzelbüro, der von der Obrigkeit abgelehnt worden war.
Als Keland auf die Toilette ging – und ich wusste, dass seine Sitzungen dort immer sehr lange dauerten – verfütterte ich seinen Projektordner an den Reißwolf. Keland fing mich nach Dienstschluss auf dem Parkplatz ab. „Bis heute lagen deine Späße noch im Rahmen, aber dass du meine Aufzeichnungen vernichtet hast, verzeihe ich dir nicht.“
Ich verzichtete auf einen verbalen Kommentar und hielt vor meinem glubschäugigen Kollegen lediglich einen ausgestreckten Mittelfinger in die Höhe.
Ich konnte nicht schlafen, weil der Ärger heiß im Magen brannte. Also rief ich nachts um halb Drei bei Kelands an. Als sich seine Frau meldete, legte ich auf. Das Spiel wiederholte ich jede halbe Stunde. Nach dem dritten Durchlauf ging sie nicht mehr ans Telefon. Als ich am Morgen das Haus verließ, stellte ich fest, dass mein Briefkasten aufgebrochen war. Ich fügte „Schloss besorgen“ meiner To-Do-Liste hinzu – die im Übrigen immer länger wurde und beschloss, mich zu rächen.
Wahnsinn, wie agil Keland hinter der Trennwand seinem Projekt nachging, während meine eigene Arbeit litt. Er hämmerte unablässig Daten in seine Tastatur. Vermutlich exzellent formulierte Begründungen, warum gerade er es verdiente, den Zuschlag zu bekommen. Mein Cursor blinkte immer noch allein auf weiter Flur, ohne die buchstäbliche Gesellschaft. Was ich dringend benötigte, waren Verbündete. Darum kümmerte ich mich in der Mittagspause. Zur ausgemachten Zeit erhielt Keland einen Anruf, der ihn für Stunden von seinem Arbeitsplatz weglocken würde. Nachdem er Hals über Kopf und kreidebleich das Büro verlassen hatte, wartete ich noch fünf Minuten. Dann stürzte ich an seinen Rechner und hoffte, dass er sein Passwort nicht geändert hatte. Er hatte es mir vor einiger Zeit für den Vertretungsfall genannt. Zugegeben, kein feiner Zug von mir, ihn glauben zu machen, seine Frau und seine dreijährige Tochter lägen schwer verletzt auf der Intensivstation. Aber wie heißt es doch: In der Liebe und im Krieg sind alle Mittel erlaubt.
Bingo, da waren sie, seine Dateien. Ich klickte das gelbe Köfferchen doppelt an, das den Titel „Einzelprojekt“ trug. Der Ordner enthielt absolut keine Daten, dafür erschien auf dem Bildschirm eine blinkende Meldung: Ihr Login wird aufgezeichnet.
Ich wusste nicht, was das zu bedeuten hatte, aber es machte mir Angst. Überhaupt strömte in meinem Körper permanent zu viel Adrenalin durch die Adern. Die Schübe begannen, wenn ich nur in Kelands Nähe war und endeten erst, wenn mir mitten in der Nacht vor Erschöpfung die Augen zufielen. Das Schlimmste an der Situation war jedoch, dass der Stress meine gesamte Kreativität auffraß. Seit der fatalen Konferenz war ich nicht einen Schritt voran gekommen. Zudem zermürbte es mich, weil ich nicht wusste, was Keland alles schon ausgearbeitet hatte. Ich ahnte, dass er nicht im eigentlichen Sinne gegen mich kämpfte, sondern für seine Familie. Mein Herz stach wieder einmal erbärmlich.
Mich wunderte, dass Keland überhaupt nicht mehr auf meine Attacken reagierte. Gelassen nahm er meine groß inszenierte Verleumdungskampagne hin, die ich in der Kantine gegen ihn gestartet hatte. Ich hatte durchblicken lassen, er habe ein Verhältnis mit der Vorstandssekretärin. Das Gerücht war auf fruchtbaren Boden gefallen und hatte sich schnell verselbständigt. Würdevoll saß Keland allein am Tisch und verspeiste seine von zuhause mitgebrachten Butterbrote. Wenn ich gemeinsam mit anderen über ihn lachte, schmeckte das Lachen bitter und versetzte mir einen Stich – mitten ins Herz. Während Keland immer fleißiger wurde und zahlreiche Überstunden machte, wie ich hörte, ging ich zunehmend früher nach Hause.
Einen Tag vor Abgabetermin des Projektes machte mein Herz schlapp. Ich brach morgens beim Rasieren zusammen. Meine Putzfrau fand mich und verständigte den Notarzt. Im Krankenhaus diagnostizierten die Ärzte einen Herzinfarkt. Ich sollte noch mindestens sieben Tage in der Klinik bleiben. Ein Schock. Mühsam hatte ich im Geiste bereits eine Rechtfertigungsrede formuliert, warum meine Resultate so mager ausfielen. Ich stahl mich aufs Krankenhausklo, zückte mein Handy und rief in der Firma an. Die Sekretärin eröffnete mir, dass mein Vorgesetzter nicht zu sprechen sei.
„Richten Sie ihm bitte aus, dass ich mit einem Herzinfarkt im Krankenhaus liege?“
„Oh, gute Besserung. Sie Ärmster.“
„Danke. Hat Herr Keland eigentlich schon sein Konzept eingereicht?“
„Welches Konzept?“
„Na, die Ausarbeitung für das Omegaprojekt.“
„Das hat der Vorstand doch vor einer Woche gekippt, weil die Gelder in unsere Marketingoffensive investiert werden. Haben Sie denn meinen Brief nicht erhalten? Ich habe ihn selbst geschrieben und an Ihre Privatanschrift geschickt. Die Hauspost ist mir zu schlampig. Herr Keland hat seinen übrigens erhalten, sagte er mir. Außerdem freut er sich schon auf seine Versetzung in die Marketingabteilung.“