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alleinflug
Alleinflug
>> Die Haube ist verschlossen und verriegelt<<
>> Ich bin richtig und fest angeschnallt<<
>> Das Funkgerät ist betriebsbereit<<
Auswendig spreche ich es vor, das Gebet all derer, die in den Himmel wollen.
Sitze dabei kaum ein paar Zentimeter über der Wiese, ausgestreckt, eingeengt in einer Mischung aus Seifenkiste und Düsenflieger und habe Angst.
Ein Samstag, eine Woche davor, das Gewitter ist im Anzug, die Flieger landen, nur ein großer weißer Vogel dreht unbeirrt seine Kreise.
Schorge hat viel Erfahrung, ist schon über sechzig, macht Loopings am Himmel, auf der Erde ist er still.
Was man von seiner Frau nicht sagen kann, sie hat eine Warze auf der Nase, nicht nur die BILD-Zeitung kann sie nicht leise lesen.
>>Die Trimmung ist leicht kopflastig<<
>> Alle Ruder frei und leichtgängig<<
Schorge meldet über Funk den Landeanflug, das ist Vorschrift, dann nichts mehr.
Warten, schweigen, zögern. Wo bleibt Schorge?
Laut und höhnisch ruft seine Frau: Der Schorge ist bestimmt im Acker!
Der Mann am Funk ruft mir zu, ich solle mal nachsehen.
Ich renne los. Nach ein paar Metern weiß ich, scheiße, die 1. Hilfe-Tasche fehlt, renne aber weiter, unten im Tal liegt ein weißer Flieger.
>> Der Höhenmesser ist auf Null eingestellt <<
Eine LS 4 oder LS 5, ich weiß es wirklich nicht mehr. Jedenfalls schnittig, ästhetisch, modern, alles was möglich ist um mit 15 Metern Spannweite mit den Bussarden um die Wette zu kreisen:
Zersplittert die Kanzel, gebrochen die Flügel und der Rumpf, nur ein alter Mann, der in den Gurten hängt und nach dem Leben röchelt, als ich endlich ankomme.
>> Alle Ruder frei und leichtgängig <<
Es ist komisch, neu für mich, aber es muss so sein, ich lege meine Hand auf die Schulter des alten Mannes und streichel ihn: Is gut Schorge, is gut...
>> Der Startraum ist so weit ersichtlich frei <<
>> Auf Seilriss vorbereitet <<
Dies ist eine Lüge, aber ich gebe das Zeichen, den Daumen nach oben und jemand hebt den Flügel an. Jetzt gibt es kein Zurück.
Endlich kommen die anderen. Wollen Schorge sofort aus dem Flugzeug heben. Ich stell mich davor: Was ist denn mit dem Rücken?
Einer sagt: Das Leben geht vor!
Schließlich helfe ich mit, ihn auf die Wiese zu legen.
Das silberne Seil vor mir wird straff, ein Ruck, ich rase über den Boden, beschleunige fast so schnell wie die Formel 1, ziehe vorsichtig am Knüppel, hebe ab.
Dann kommt der Notarzt. Will das Hemd mit einer Schere aufschneiden, nehme sie aus seiner Hand, reiße das Hemd auseinander.
“Blutdruck messen” sagt er, ich reiche das Gerät weiter an den Lehrer, es fällt auf die Wiese, kann nicht fassen, jemand der Fliegen beibringt muss das doch können???
Kaum habe ich den Knüppel nach hinten gezogen, sehe ich nur noch Himmel, dafür gibt es keinen Maßstab, jede Kontrolle ist mit dem Blick vom Boden verschwunden, jetzt zählt nur das richtige Gefühl.
Dann kommen die Luftrambos mit dem Hubschrauber eingeflogen, rote Overalls, frisch gewaschen und gestärkt, nur Unterhosen darunter, als sie ihn zum Intubieren umdrehen, frage ich, warum nicht gleich auf die Trage, aber Luftrambos sind es nicht gewohnt zu antworten.
Lasse nach, der Knüppel nähert sich neutral, der Himmel lässt die Erde wieder sehen, dann ein deutlicher “Knack”, das Seil ist los, ich fliege, auch wenn es bloß 300 Meter sind.
Endlich ist er auf der Trage, wird zum Hubschrauber gebracht.
Die Luft an diesem Vorabend ist golden, sanft, ich fliege wie auf Schienen, aber auch zum ersten Mal allein. Wenn ich jetzt was Falsches mache...
Der Hubschrauber hebt ab.
Ich melde mich mit >> Delta 28 an Position <<, fliege weit über den Flugplatz weg und drehe bald ein.
Den Knüppel gedrückt rast der Boden auf mich zu, im richtigen Augenblick fange ich ab, lande sanft, das Funkgerät meldet: Schöne Landung, Delta 28.
Das Rückrat ist an mehreren Stellen gebrochen, aus dem Koma kommt Schorge nie zurück.
Am Abend dann sind alle weg, der Flugplatz gehört mir. Leicht regnet es aus den grauen Wolken, die aussehen, wie Eierkartons von unten.
Dreh am Autoradio und dann singt David Bowie: This is major Tom to ground controll