- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 6
Allein
Vorsichtig nippte ich an meinem Glas und sah mich um. Es war doch immer dasselbe. Dieselben Menschen, dieselbe Musik, dieselbe Party. Und doch ging ich hin, weil es das einzige Ereignis war, bei dem mein Freund nicht dabei war. Diese Zeit war die einzige, die ich für mich hatte. In der ich meine Gedanken schweifen lassen konnte, ohne Angst zu haben. Die meisten die ich kenne, würden sagen, ich solle ihn verlassen, für das, was er mir antat, noch immer antut. Doch zum Einen weiß niemand von ihnen, was sich meist Abends in unserer Wohnung abspielt, und zum Anderen haben sie alle doch keine Ahnung. Ein einziges Mal habe ich versucht, einer Freundin meine Situation zu erklären. Sie riet mir, die Polizei einzuschalten. Ich brach den Kontakt zu ihr ab. Wie sollte ich ihn verlassen? Ich selbst hatte kaum Geld. Außerdem konnte ich Simon nicht bei ihm lassen. Simon...
Der kleine Sonnenschein in meinem Leben. Mit seinem Lachen füllte mein Sohn jeden Tag aufs Neue mein Herz mit Hoffnung. Verlies ich Ben, würde ich Simon unglücklich machen, ihm seinen Vater nehmen. Und wer weiß, was Ben ihm aus Wut alles antun würde. Ich seufzte. Die teure Armbanduhr an meinem Handgelenk zeigte einundzwanzig Uhr, erinnerte mich daran, pünktlich zu Hause zu sein. Zu Hause...
Früher war das ein Begriff voller Liebe und Geborgenheit für mich gewesen. Heute bedeutete er Angst und Schmerz. Ich gab einem vorbeikommenden Kellner mein Glas und ging auf meine Tante zu. Sie sprach gerade mit ein paar Kunden. Sie würde wohl immer an die Arbeit denken. Doch genau diese Eigenschaft hatte sie weit gebracht. Ich glaube, meine Tante war eine sehr reiche Frau. Wie reich genau, wusste niemand. Doch die teuren Feste und Geschenke, die sie ihren Familienmitgliedern zu schenken pflegte, sprachen für sich. Als sie mich sah, lächelte sie erfreut.
„Madeline, da bist du ja! Ich habe dich ja noch gar nicht gesehen!“ Warm schlossen sich ihre Arme um ich. Ich schloss die Augen, sie war der einzige Mensch, bei dem ich entspannen konnte, mich geborgen fühlte.
„Entschuldige“, hauchte ich ihr ins Ohr, „aber ich muss auch schon wieder gehen.“
Entrüstet sah sie mich an.
„Schon?“
Ich nickte bedauernd.
„Na gut,“ seufzte sie, „es ist wirklich jedes Jahr dasselbe mit dir.“
Als ich die Tür zur Wohnung aufschloss, hörte ich leises Gemurmel. Wahrscheinlich schaute Ben Fernsehen. Ich streifte Schuhe und Jacke ab und legte meinen Schlüssel so leise wie möglich auf die kleine Kommode neben der Tür. Simon schlief vermutlich schon.
„Madeline?“, vernahm ich Bens Stimme.
„Ja“, rief ich gedämpft. Ich hörte das Rascheln von Kissen, dann Schritte.
„Warum kommst du erst so spät?“, fragte er, als er vor mir stand. Kein „Hattest du Spaß?“ oder „Ich freue mich, dich zu sehen.“.
„Es ist erst halb zehn, Ben.“
Ben verschänkte die Arme vor der Brust. Sein Kiefer mahlte. Ich wusste, es gefiel ihm nicht, wenn ich Widerworte gab, doch ich empfand diese Situation als harmlos, nicht viel bedeutend. Doch Ben sah das wohl anders.
„Ich hatte dir gesagt, du sollst um einundzwanzig Uhr hier sein“, sagte er beherrscht. Ich hob die Hände.
„Du hast recht, es tut mir leid. Das nächste Mal werde ich pünktlich sein“, beschwichtigte ich ihn. Bedrohlich sah er mich an. Ängstlich wich ich zurück.
„Es wird kein nächstes Mal geben.“ Schockiert sah ich ihn an. Was? Er wollte mir auch noch das letzte bisschen Leben nehmen? Ich hatte doch schon so viel für ihn aufgegeben! Das Schwimmen, meinen Job bei einem Modemagazin und die Besuche bei meiner Mutter, die sich in einhundertfünfzig Kilometer weiter Entfernung befand, war zur Hausfrau und Mutter geworden. Widerstand regte sich in mir.
„Das kannst du nicht tun“, flüsterte ich. Ben lachte.
„Und ob ich das kann. Madeline,“ sanft nahm er meine Hände, die ich verkrampft an meinen Körper gepresst hatte, „du liebst mich doch, nicht wahr? Also tu' doch bitte auch mal etwas für unsere Beziehung. Denk' an Simon...“ Früher hatte diese Manipulation geklappt. Ich hatte ihm immer alles Recht machen wollen, hatte mich seinem Willen gebeugt. Doch meine Liebe zu ihm war versiegt. Hass hatte sie ersetzt. Aber die Angst vor ihm und um mein Kind war größer, als dass ich etwas hätte tun können. Trotzdem schwieg ich diesmal nicht.
„Was haben denn die Partys meiner Tante mit unserer Beziehung zu tun?“, fragte ich ärgerlich. Ben erstarrte. Diesen Ton war er nicht von mir gewohnt.
„Du wirst tun, was ich dir sage“, presste er zwischen zusammen gebissenen Zähnen heraus. Ich schluckte. Ich kannte diese Situation. Ich erlebte sie immer wieder im Alltag. Machte ich ihm etwas nicht Recht, wurde er wütend. Ich musste dann besonders vorsichtig sein.
„Ben...“, flehte ich mit trockenem Hals. Seine Hände hatten meine losgelassen, hatten sich zu Fäusten geballt.
„Wirst du wieder dorthin gehen?“, fragte er mich. Ich wusste, es war ein Test, doch ich konnte nicht antworten, wollte nicht. In meinem Inneren schrie ich. Als ich nichts sagte, verdunkelte Zorn sein Gesicht. Er holte aus, doch ich duckte mich und drehte mich um. Versuchte ins Bad zu rennen. Doch Ben erwischte mich und riss mich an den Haaren zurück. Ich schrie auf. Schmerz schoss durch meinen Kopf. „Was soll das, Madeline?“, knurrte er wütend. Ich versuchte mich loszumachen, versagte aber. Einen Arm um meine Taille geschlungen, eine Hand in meinen Haaren, hatte er mich fest im Griff. Doch ich gab nicht auf. Strampelte, trat um mich und schrie. So war es jedes Mal. Mein Instinkt, mich zu wehren, war einfach zu groß und nebenbei hoffte ich, dass Simon nicht aufwachte und diese schreckliche Situation erlebte. Ich wusste, dass ich es so nur noch schlimmer machte, doch ich wollte mich ihm nicht unterwerfen. Mit einem heftigen Stoß wurde ich gegen die Wand geschleudert, landete dann hart auf dem Boden. Mein Kopf und meine Schulter schmerzten. Ich sah auf. Mit ausladenden Schritten kam Ben auf mich zu.
„Bitte“, schluchzte ich. Tränen traten aus meinen Augen, rollten mir über die Wangen. Ben packte meinen Arm.
„Was jetzt kommt, hast du dir selbst zuzuschreiben“, zischte er mir ins Ohr. Ich starrte ihn nur an. Wie konnte ein Mensch nur so böse sein? Wie konnte er behaupten, er liebe mich, und mich dann bei dem kleinsten Verstoß gegen seine Regeln so misshandeln? Er riss mich hoch und zerrte mich ins Wohnzimmer, das ich vor drei Jahren noch so liebevoll mit ihm eingerichtet hatte. Ich versuchte seine Finger von meinem Arm zu lösen, während ich hinter ihm her stolperte.
„Du tust mir weh!“, schrie ich verzweifelt, in dem Versuch ihn zur Vernunft zu bringen. Abrupt blieb er stehen und sah mich mit Zorn in den Augen an.
„Das hast du auch verdient“, brüllte er. Anscheinend hatte ich das Fass zum Überlaufen gebracht. Er holte aus und gab mir eine Ohrfeige, die mich zurück taumeln ließ.
Ein weiterer Schlag gegen den Kiefer ließ mich hinfallen. Der Schmerz setzte erst nach Kurzem ein. Ich schmeckte Blut. Zitternd und weinend zog ich die Beine an meinen Körper und schlang meine Arme um sie. Eine Salve von Tritten in meine Seite ließ mich schmerzvoll aufschreien. Ich war mir sicher, dass ein paar Rippen gebrochen waren. Ich schloss die Augen, versuchte alles auszusperren und es funktionierte. Mein Körper wurde taub, ich spürte Bens Tritte und Schläge nur noch dumpf. Ganz tief in meinem Innern schrie ich, doch ich brachte keine Kraft mehr auf. Für was auch immer. Irgendwann wurde ich endlich erlöst, ließ die aufkommende Schwärze bereitwillig zu. Sie riss mich mit sich fort.