Allein in der Nacht
Es ist wieder eine dieser schlaflosen Nächte in denen ich die Anwensenheit eines toten Freundes spüre, der nach seinem Selbstmord nicht nur mir immer wieder im Traum erscheint. Da ich in meinen Träumen sehr mächtig bin zermahle ich dann seinen halbverwesten Leib zu Staub. Heute Nacht beschliesse ich es dabei nicht bewenden zu lassen und mache mich auf den Weg zu seinem Grab in der klaren kalten Winternacht, die vom Vollmond fast zu hell erleuchtet ist. Lediglich die Bäume am Wegesrand spenden die herrliche Dunkelheit, die ich so geniesse. Ich fürchte sie nicht die Schwärze der Nacht, denn ich bin wieder mal in einer Stimmung in der ich sicher bin das schlimmste Tier im weiten Umkreis zu sein. Die Schläge der alten Kirchturmuhr klingen so vertraut und wollen nicht enden. Ich zähle sie nicht. Langsam gehe ich den Weg zu dem baumbestandenem Friedhof auf dem er keine Ruhe findet. Er tötete sich damals mit fünf Stichen ins Herz, die er sich mit einer leeren Spritze zufügte, legte sich neben seine Frau und ließ die Herzkammer vollbluten. Nachdem ihm das Leben zum Schatten seiner selbst hat werden lassen. Sein Tod machte mich damals sehr zornig. Er war irgendwie desertiert, das Loch das er riss ist nach Jahren noch nicht gefüllt, die Wunde blutet noch. Meine Verzweiflung war damals grenzenlos mit meinen Tränen hätte man einen Hund ertränken können. Ich erinnere mich noch wie ich getrieben von unerträglichem Schmerz die Beerdigung verließ, weil ich die Anwesenden nicht mehr ertrug. „Wie beerdigt man einen Selbstmörder?““ Was für Blumen wirft man ihm ins Grab?“ Wir hatten uns nie darum gekümmert was „man“ so macht. Geschmacklosigkeiten dieser Art vergällten mir die Trauerfeier, die sonst sehr angemessen war, schön mit Rockmusik und ohne Pastor. Ich hatte mich für einen türkisen, buntgemusterten Seidenschal entschieden, der den Traum von grenzenloser Freiheit, love, peace and happiness repräsentierte, den ich mit Ihm begrub. Der dumpfe Ton den die gelben Tulpensträusse der anderen verursachten als sie auf seinem Sarg aufschlugen gab mir den Rest und ich verließ die Beerdigung fluchtartig, nachdem ich ihm wütend den Schal ins Grab geschleudert hatte.
Heulend lief ich zu meinem Auto und raste tränenblind zum Teutoburger Wald. Ich fuhr zum Luisenturm, einem Aussichtspunkt von dem man einen weiten Blick auf das Land hatte. Die Fernsicht und der Wald hatten mir schon oft die Kraft gegeben weiterzumachen. Doch diesesmal wäre ich wohl zu Tode erschrocken, wenn ich nicht so verzweifelt gewesen wäre. Denn der kurze Fahnenmast, der mit schweren Eisenklammern auf dem Turm fest verankert war fing an wie wild zu vibrieren. Es hörte nicht auf und wurde langsam bedrohlich, obwohl die Holzkonstruktion des Turmes fest und ruhig auf seinem Fundament stand.
– Seitdem bin ich sicher, daß es Übersinnliches gibt -
–
Später hörte ich seine dumpfe, hohle Stimme „Ihr seid alle Schuld an meinem Tod“. Doch ich lachte darüber wie König Lear im letzten Akt. Mir fiel wieder sein wildes, freies Lachen ein als ich den Friedhof durch das schwere Eisentor betrat. Ich beschloss nicht gleich an sein Grab zu treten sondern erst die Ruhe der Toten zu geniessen, das sanfte Rauschen des Windes in den Bäumen und Büschen, die Schönheit der Schatten, die sie in der Vollmondnacht auf den hellen Kiesweg warfen, der weiße Marmor einiger Grabsteine im fahlen Schein.
In der Dunkelheit bewegte sich etwas. Eine schlanke schwarze Gestalt trat aus dem Schatten der Bäume und näherte sich mir lautlos auf dem Kiesweg. Ihr langes schwarzes Haar wehte leicht im Wind und umrahmte ein bleiches schmales Gesicht wie die Nacht denTag. Einzelne Strähnen schienen sich wie von selbst zu bewegen und gaben Ihr eine gespenstische Erscheinung. Zumal das lange, nachtfarbene Kleid Sie nur teilweise aus der Dunkelheit hervortreten liess. Ihre Konturen waren nicht klar zu erkennen. Wir gingen mit ruhigen Schritten aufeinander zu. Ich war erstaunt daß sie mich nicht zu fürchten schien. Ich empfand ein gewisses Glücksgefühl. Eine verwandte Seele in der Einsamkeit, hier an diesem Ort? Als sie näherkam sah ich die feinen Züge ihres sensiblen Gesichtes, das geheimnisvolle, böse Lächeln, der weisse Schimmer ihrer Zähne als sie leicht die schwarzen Lippen öffnete, die Verachtung, die ihre Mundwinkel nach unten zog. Sie wirkte tatsächlich gefährlich. Welch angenehme Erscheinung dachte ich bei mir, sie sieht dich an wie die Schlange das Kaninchen.
Ich sah die funkelnde, finstere Strahlung ihrer dunklen Augen, die von hauchdünnen Brauen geziert waren und war hingerissen von dieser Frau wie noch nie in meinem Leben. Als ich dicht vor ihr Stand, spürte ich ihren Triumph und den mörderischen Hass, der mich so angenehm berührte. Unter dem schwere Samt ihres hochgeschlossenen Kleides hoben und senkten sich ihre vollen Brüste bei jedem der heftiger werdenden Atemzüge. Ich bemerkte die schwarzen Spitzenmanschetten die ihre schlanken Hände mit den langen schwarzen Nägeln, die wie Raubtierkrallen wirkten, halb verhüllten als sie mit einer schnelle, eleganten Bewegung ein silbernen mit Ornamenten verzierten Rapier aus dem Ärmel zog und mir geschickt auf die Rippen, besser gesagt zwischen die Rippen etwas unterhalb des Herzens setzte. Ich spürte den leichten Druck der Klinge durch das dicke, feste Leder meiner Kutscherjacke in deren weiten Ärmeln sich leider keine Waffe verbarg. Tief atme ich die kalte Luft dieser klaren Nacht und höre den Ruf einer Eule fast dröhnend in den Ohren. Ich schaue tief in ihre gnadenlosen schwarzen Augen und sehe nur ein Glitzern als ich bemerke wie sich schmerzhaft meine all zu enge Hose spannt. Was für ein geilerTod dachte ich grade als sich das blanke Entsetzen auf Ihren schönen, gerade noch vom Hass geprägten Zügen abzeichnete. Blitzschnell drehte sie sich um und verschwand lautlos zwischen den Schatten der Bäume. Ich sank auf einen Grabstein nieder und schaute ihr lange nach als es mir kalt den Rücken hinunterlief und ich empfand wieder diese eisige Furcht im Nacken mit der ich die Nähe meines toten Freundes spürte. Ich drehte mich nicht um, denn sein Anblick ist nicht allzu appetitlich nach all den Jahren. Laut sage ich mit seltsam tonloser Stimme „Oh, Bomber lass mich doch wenigstens heute Nacht allein....
allein in der Nacht“