Es stimmt, dass es ziemlich schwer ist, etwas zu schreiben, was noch nie da war. Aber selbst ein "klassischer" Plot, also einer, der in seinen Grundstrukturen schon ganz oft da war, kann unter Umständen doch noch zu einer weiteren lesenswerten Geschichte werden, wenn der Autor gut schreiben kann - wenn er es also schafft, die Geschichte lebendig und anschaulich erzählen. Dann liegt das "vollkommen Neue" eben nicht unbedingt in der Handlung, sondern in der Art des Erzählens. Und ich habe schon einige Geschichten gelesen, wo das der Fall war.
Wenn eine Geschichte als klischeehaft und voraussehbar abgestempelt wird ... Es muss nicht immer Hochspannung sein, aber normalerweise - auch hier gibt es Ausnahmen - möchte ich als Leser doch ein bisschen überrascht werden. Ich lese vielleicht noch weiter, wenn ich nach den ersten Sätzen schon weiß, wie die Geschichte endet - weil ich dann noch erfahren möchte, warum genau sie so enden wird. Als Beispiel (vielleicht fehl am Platz) fällt mir García Márquez' "Chronik eines angekündigten Todes" ein, wo der Leser von Anfang an weiß, dass der Protagonist sterben wird. Trotzdem ist es insgesamt noch eine spannende Geschichte, die man vom Anfang bis zum Ende liest, denn das Anfangswissen enthüllt uns noch nicht alle anderen relevanten Details. Bei extrem klischeebeladenen Geschichten ist das anders, weil man da relativ schnell nicht nur das Ende an sich, sondern auch die wichtigsten Umstände errät. Und dann bleibt man als Leser unbefriedigt zurück, weil der Autor einem nichts geboten hat, wofür sich das Lesen gelohnt hätte. So geht es mir jedenfalls, wenn ich eine Geschichte lese und ihr Klischeelastigkeit vorwerfe.
Das Rad völlig neu erfinden wird man vermutlich bei kaum einer Geschichte, aber relativ nützlich ist es doch, wenn man Klischees - so man mit ihnen arbeitet - gezielt durchbricht. Wenn man sich von vornherein mit "viel Liebe" um die eigenen Figuren kümmert, sie also möglichst lebendig gestaltet, dann ist schon viel gewonnen. Die Erfahrung habe ich zumindest gemacht. Genauso beim Plot. Wenn die junge Frau, die nachts allein im Spukhaus Ketten rasseln hört, ein einziges Mal nicht mit dem Kerzenleuchter auf den Dachboden steigt, ist ein Klischee durchbrochen und der Plot verliert seine Vorhersehbarkeit.
Also: Klar, es gibt noch immer Ideen, die keiner hatte - oder die zumindest noch keiner in eine Geschichte gepackt hat - oder zumindest nicht in eine, die man kennt. Aber selbst, wenn man auf "alte" Ideen zurückgreift, muss das nicht zwangsläufig schlecht sein. Mir geht es so: Wenn ich eine Geschichte schreibe, habe ich das dringende Bedürfnis dazu, und im Notfall kümmert es mich dann auch nicht, ob die Idee an sich oder der Grundplot schon einmal da waren. Gerade, wenn ich das weiß, will ich aus meiner ähnlichen / gleichen Idee umso intensiver etwas Eigenes machen.