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Alle für einen
„Was nun?“, fragte Johann neben mir. Vor uns standen 168 Insassen. Nein! Nicht 168. 167!
Ich drehte mich zu Johann. „Wie ist er raus?“
„Hat sich in der Wäsche versteckt.“ Ich verzog das Gesicht. Natürlich war ich wütend. Aber ich mochte Johann. Er war ein guter Soldat. Er hatte eine weitere Chance verdient, sich mir zu beweisen.
„Was schlägst du vor?“, fragte ich. Einen Moment sah er mich verwirrt an. Er war es nicht gewohnt, Entscheidungen zu treffen.
„Ähm … Nun … Suchen! Wir suchen ihn! Und wir befragen seine Mitbewohner.“
Ein Anfang! Aber nicht genug! „Was hältst du von einem Exempel?“
„Wenn wir ihn finden, dann werden wir …“ Er sah meinen Blick auf die Gruppe.
„Oh“, sagte er, „natürlich müssen wir auch seine Baracke zur Rechenschaft ziehen. Sie waren gewiss an der Flucht beteiligt.“
Ich lächelte ihn an. Er hatte einen blonden Seitenscheitel und blaue Augen. Ein Prachtexemplar.
„Wie würdest du mit ihnen vorgehen?“
Er dachte kurz nach. „In die Kammer!“
Ein Wimmern war zu hören. Ein kleiner Junge klammerte sich an seine Mutter. Ich bückte mich zu ihm herunter.
„Wie heißt du denn?“
Große grüne Augen blickten mich an. Eine Träne kullerte seine Wange runter, als er mit zittriger Stimme antwortete: „R-Rafael!“
Er war vielleicht sieben Jahre alt, aber an seiner Nase konnte man bereits sein wahres Wesen erkennen.
„Bitte“, flehte die dreckige Gestalt über ihm. Sie legte einen Arm um den Jungen und der gelbe Stern darauf fiel mir ins Auge.
„Er ist noch so jung“, bettelte sie. Eine abscheuliche Kreatur, winselte wie ein Hund.
„Gas wäre zu gnädig.“
Ich stand auf und klopfte mir ein bisschen Staub von der Uniform. „Pfahlhängen wäre angebracht. Fang mit dem Kleinen an!“
Mit einem geübten Handgriff riss Johann den weinenden Jungen weg von seiner Mutter. Er wand sich unter dem kräftigen Griff.
„Nein, Rafael!“, schrie die Mutter und stürzte sich auf Johann. Sie war schwach und hatte gegen einen Deutschen nicht viel auszusetzen. Mit einem einzigen Hieb wurde sie zu Boden gestoßen. Johann zog mit der freien Hand seine Waffe. „Wie wagst du es?“
„Mama!“, quietschte der Kleine und versuchte den Arm um sein Hals zu lockern.
„Halt!“, rief ich. Eine verdutzte Miene machte sich auf Johanns Gesicht breit. „So leicht willst du sie doch nicht davon kommen lassen? Sie hat deine Uniform ganz schmutzig gemacht mit ihren Dreckfingern. Sie soll noch ihrem Sohn zuschauen. Danach kannst du mit ihr machen, was du willst.“
Man muss den jungen Soldaten immer ein bisschen Gerechtigkeit beibringen.