All shook up
Es gab nicht viele Menschen, die einmal quer durch die Felder von Kansas gelaufen waren. Die paar jedenfalls, die sich tatsächlich die Mühe gemacht hatten, berichteten einstimmig, dass sie es nicht unbedingt noch einmal machen würden. Landschaftlich war es eher Durchschnitt, und von den paar bemerkenswerten Dingen, die einem dann doch noch begegneten, waren die meisten gefährlich oder hatten schlechte Laune. Mitunter kamen sie in einem braunen, verrosteten Pick-Up daher.
Fatty Arbuckle fuhr gerade in seinem braunen, verrosteten Pick-Up quer über eines seiner zahlreichen, brachliegenden Felder, als ihm diese kleine, dünne Linie am Horizont auffiel. Schnaufend hielt er das Auto an, kurbelte das Seitenfenster hinunter und kniff die Augen zusammen.
Tatsächlich.
Ein dünner Strich, gerade so zu erkennen vom Boden bis zu den Wolken. Viel zu gerade für einen Hurrikane.
Das würde er sich angucken. Auf jeden Fall! Sicher wieder diese Kinder. Lungerten ständig hier rum mit ihren Scheißdrachen.
Mit der Hand wischte er sich den Schweiß aus dem Gesicht, fischte schnell ein paar Schokoladenbonbons aus der Tüte auf dem Beifahrersitz und wendete dann laut schmatzend den Wagen.
Kein fünf Minuten später war Arbuckle bereits auf dem Rückweg. Sein Gesicht war bleich wie ein Rinderskelett, die Schokoladenbonbons hatte er vor Schreck verschluckt oder in den Fußraum gespuckt – etwa zu gleichen Teilen – und er fuhr schneller, als es dem Pick-Up gut tun konnte.
Sheriff Wilson war gerade damit beschäftigt, eine Melange aus alten Akten, hellblauen Formularen und leeren Pizzakartons so auf seinem Schreibtisch zu verteilen, dass sie genau den richtigen Eindruck von sowohl unbezahlten Überstunden als auch professioneller Gelassenheit vermittelten, als er das laute Quietschen eines bremsenden Autos hörte.
Noch bevor er irgendwie reagieren konnte, flog die Tür auf und Fatty Arbuckle preschte hinein.
„Sher... riff...!“ Es klang mehr geamtet als gesprochen. Jede Silbe wurde unterbrochen von einem fiependen Schnaufen. „Drau... ßen... auf... dem... Feld...“ Arbuckle schnappte nach Luft.
„Mr. Arbuckle?“ Wilson ließ ihm einen Augenblick, um sich zu fangen. Arbuckle gestikulierte derweil wild in der Luft herum und schnaufte weiter irgendwelche Silben vor sich hin, während ein ausgeschnauftes Stückchen Schokobonbon über sein Kinn rutschte.
„Mr. Arbuckle?“, versuchte Wilson es erneut. Diesmal mit größerem Erfolg. Von einem Moment auf den anderen preschte Arbuckle nach vorne, packte Wilson am Arm und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
„Hey!“ Wilson riss sich los.
Was bildete sich der Fettsack ein?
„Verdammt, Sheriff! Draußen... Draußen auf ´nem Feld von mir. Da is was nich in Ordnung. Geister oder so!“
Während er das sagte, kam er mit seinem schwitzenden Gesicht immer näher an Wilson heran, der sein bestes tat, um die vorbeifliegenden Bonbonreste zu ignorieren.
„Arbuckle, langsam! Wo gibt es Geister?“
„Draußen! Auf dem Feld! Ein Seil hängt da. Einfach so. Ohne Baum und nix!“
„Ja, muss denn jedes Seil einen Baum...“
„Nein! Anders!“ Wieder kam Arbuckle ihm näher. „Das Seil hängt an nix. Nix zu sehen. Hängt in der Luft!“
Wilson zog die Augenbrauen hoch.
„Aber es ist nicht zufällig mit Draht umwickelt. Oder aus Holz?“ Es war nicht ganz ungewöhnlich, dass Arbuckle nach einem langen Vormittag in der Sonne merkwürdige Dinge entdeckte, die sich später in Luft auflösten. Man fragte also besser direkt nach.
„Nein!“ Jetzt schrie er schon fast. „Hängt einfach da, ganz lang, bis zum Himmel! Kommen sie!“
Erneut griff Arbuckle nach Wilsons Arm und zog ihn Richtung Tür, diesmal aber gab dieser bereitwillig nach.
‚Wir beide’, dachte Wilson, und guckte dabei den Schreibtisch an, ‚wir brauchen mal eine kleine Pause voneinander.’ Außerdem hatte sich Arbuckle diesmal wirklich etwas Originelles zusammen gesponnen.
Kaum dreißig Minuten später stand Wilson auf einem großen Acker mitten in Tennessee, nahm den für einen Sheriff im Außendienst obligatorischen Cowboyhut respektvoll von seinem Kopf und blickte in die Höhe.
„Verdammt!“ Er kratzte sich am Kopf. So was hatte er noch nicht gesehen, und als er länger darüber nachdachte, wusste er auch, warum. Das hier war schlicht unmöglich. Da hing tatsächlich ein Seil mitten in der Einöde, hörte nur ein paar Zentimeter vorm Boden auf und schien nach oben hin gar kein Ende zu nehmen. Entweder ging es wirklich unendlich Richtung Himmel weiter, oder es war an irgendetwas befestigt, das ziemlich weit weg war. Aber an was? Flugzeuge schieden aus – sonst würde das Seil nicht so still hängen.
Wilson trat einen Schritt nach vorne, um sich das Seil genauer anzuschauen.
Es war gerade so dick wie sein Daumen und glänzte seidig matt – er war sich nicht sicher, aus welchem Material es bestand.
Vielleicht eine von diesen Weltraumfasern – mit Teflon oder so. Er könnte ja mal...
Gerade streckte er den Arm zum Seil hin aus, als er plötzlich innehielt.
War es nicht leichtsinnig, etwas anzufassen, das einfach so in der Gegend herumhing und eigentlich gar nicht da sein dürfte? Na ja, es ging. Immerhin war er der Sheriff. Und das hier war nur ein Seil. Ein sehr langes zwar, aber letztendlich nur ein Seil.
Als Wilson es dann schließlich in der Hand hatte, fühlte es sich sogar recht angenehm an. Sehr weich, fast schon flauschig, aber trotzdem griffig. Lag auch gut in der Hand. Ein tolles Seil.
Vorsichtig versuchte Wilson, daran zu ziehen, aber ohne Erfolg. Dann probierte er es noch einmal, jetzt mit einem kräftigen Ruck, aber ebenso erfolglos. Zum Schluss guckte er ein paar Sekunden lang unbeteiligt zum Horizont, drehte sich plötzlich um und sprang mit seinem ganzen Gewicht an das Seil. Nichts.
Was auch immer am anderen Ende war: so leicht ließ es sich nicht erschrecken.
„Hey, Sheriff!“
Wilson drehte sich um. Arbuckle, der darauf bestanden hatte, erstmal in seinem Auto zu warten, hatte das Fenster heruntergekurbelt und steckte jetzt seinen großen Kopf nach draußen.
„Is’ gefährlich oder was?“
Wilson schüttelte den Kopf und gab ihm mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er herkommen könne. Aufgeregt quetschte sich Arbuckle aus seinem Pick-Up und keuchte herbei. Wilson reichte ihm das Seil, das dieser zögernd in die Hand nahm.
„Keine Ahnung, was es genau ist. Von einem Flugzeug ist es nicht, sonst würde es sich ja bewegen. Irgendeine neue Art Wetterballon vielleicht.“
Arbuckle betrachtete derweil mit aufgerissenem Mund das Seil, das er immer wieder durch seine Hände gleiten ließ.
„Am besten, ich gebe es durch und die Kollegen melden es der NASA.“
„Der NASA?“ Plötzlich blickte Arbuckle auf. „Die mit den Raketen?“
Wilson kniff noch einmal die Augen zusammen, und versuchte, irgendein Ende des Seils zu erkennen.
„Ja. Ich glaube, die sind für so einen Kram zuständig.“ Er seufzte, und guckte wieder zu Arbuckle. „Nichts zu sehen.“
Arbuckle stand wieder mit offenem Mund am Seil, das er jetzt immer wieder um seine Finger wickelte, nur um es danach mit einer langsamen Bewegung wieder davon gleiten zu lassen.
Fast schon niedlich, dachte Wilson. Wenn er nur nicht so ein Arschloch wäre.
„NASA…“, murmelte Arbuckle. Dann hob er den Kopf, ließ den Mund weiterhin geöffnet und schaute für ein paar Sekunden zum Horizont.
„NASA…“
Während Arbuckle das sagte, bahnte sich ein kleiner Schweißtropfen gerade seinen Weg an dessen Kopf hinab, dem Ruf der Schwerkraft folgend. Er perlte zunächst ab von diesem recht kümmerlichen Haarbüschel in der Mitte des Kopfes, kroch dann langsam weiter Richtung Stirn, nahm über den Augen richtig Schwung und freute sich schon auf diese schwierige, enge Kurve an der Nasenseite, als sich ganz plötzlich der Körper, auf er gerade noch rumrutschte, mit einem Ruck wegbewegte. Ganz kurz noch schwebte der Tropfen recht ratlos in der Luft, fiel dann aber ohne Chancen auf Rettung böse zu Boden.
Arbuckle hatte sich ganz plötzlich umgedreht und stand nun mit aufgerissenen Augen vor Wilson.
„Runter vom Grundstück, Sheriff!“
„Wie bitte?!“
„Weg hier! Is’ mein Feld!“
Während er das sagte, rückte Arbuckle immer näher an Wilson heran.
„Arbuckle, was soll das?“
„Gehört mir! Ich hab’s gefunden. Is’ meins! Los, verzieh dich!“
Ungläubig zog Wilson die Augenbrauen hoch.
Wie immer. Das war klar gewesen. Dieser Idiot.
„Jetzt hör mal zu Arbuckle.“ Am liebsten hätte er ihm eine verpasst. Aber das durfte er nicht. Außerdem wäre es eklig gewesen.
„Meinst du, ich fahr eine halbe Stunde lang mit dir durch den Dreck, nur damit du mir jetzt ans Bein pissen kannst? Ich bin der Sheriff, ich darf…“
„Is’ egal ob du Sheriff bist! Is’ mein Land hier. Und das Seil is’ nich gefährlich!“
Arbuckle hatte jetzt seine Arme in die Seiten gestemmt und versuchte, möglichst breitbeinig zu stehen. Alles in allem sah er recht komisch aus – wie eine wütende Fleischwurst etwa – und nicht sonderlich Furcht einflößend. Weil Wilson aber wusste, was er von einem wütenden Arbuckle zu erwarten hatte, wollte er vorerst nachgeben. Arbuckle hatte noch nie Probleme damit gehabt, einen Streit vom Zaun zu brechen, und mit jemandem, der selbst auf Kinder schießt, wenn die ihre Drachen auf seinen Feldern steigen lassen, kann man ohnehin nicht allzu sachlich diskutieren.
Außerdem, überlegte Wilson, hatte er womöglich sogar Recht. Von dem Seil ging keine Gefahr aus, er hatte also keinen Grund mehr, überhaupt hier zu sein.
Wieder einer von diesen Sonderfällen, wegen denen er die Bezirksleitung anrufen musste.
„Ok, Arbuckle, pass auf! Ich fahr jetzt zurück und melde das Ganze, und spätestens morgen sehen wir uns wieder! Und glaub bloß, nicht, dass du mit der Tour durchkommst!“
„Is’ klar Sheriff!“
Arbuckle grinste breit.
„Und jetzt verzieh dich!“
Auf der Fahrt zurück zur Wache hatte Wilson vorerst keine Lust mehr auf Seile, so unendlich sie auch sein mochten, und erinnerte sich an dieses Mix-Tape, das er sich für solche Fahrten einmal aufgenommen hatte. Mit der einen Hand weiter am Lenkrad, mit der anderen unter dem Beifahrersitz kramend, förderte erst einen alten Keks, einen Strafzettelblock, auf dem jemand TicTacToe gespielt hatte, und schließlich auch das Mix-Tape zu Tage, das er ungeschickt ins Autoradio drückte.
Elvis. „All shook up“.
Wilson lächelte. Elvis, dachte er, ist wirklich das einzige, was diesen Job noch erträglich macht.
Gerade ertönte die Stimme des King, als Wilsons Blick auf die Digitaluhr am Autoradio fiel. 17:42 Uhr. Schon recht knapp für einen Anruf bei der Bezirksverwaltung.
Als einer der Polizisten, die für ein paar Jahre allein raus in das weite Farmland versetzt werden, um in kümmerlichen Büros mit angegliederter Kleinstzelle ihrem tristen Dienst nach zu gehen, hatte Wilson alles, was Aufregung versprach, erst einmal einem Vorgesetzten in der 40 Meilen entfernten Bezirksverwaltung in Arlington zu melden. Möglichst vor 18 Uhr. Sonst war niemand kompetentes mehr da.
Er beschloss, vom Motel aus anzurufen. Das lag auf dem Weg.
Nur ein paar Minuten später parkte Wilson sein Auto vor einem großen Blechschild mit der Aufschrift „Sammy’s“, stieg aus und lief die paar Meter über den Hof zur Rezeption. Aus dem Haupthaus, in dem auch die Bar untergebracht war, drangen ein paar Gitarrenriffs nach draußen, dann sang jemand die erste Strophe vom „Jailhouse Rock“.
„Tonight Live-Music“ kündigte eine kaputte Leuchttafel an.
Sammy, den Besitzer des Motels, fand er schließlich in seiner Hängematte auf der Veranda. Er schien Wilson schon von weitem gesehen zu haben.
„Sheriff Wilson! Bist mir endlich auf die Schliche gekommen. OK, ich geb’ alles zu. Ich war’s, hab’s ganz allein durchgezogen!“
Das war das Schicksal eines Sheriffs. Leute sagten ständig diesen Satz, weil sie ihn für lustig hielten. Und jedes mal wieder musste man sich als Sheriff dann für eine Variante entscheiden: Freundlich lächeln oder Erschießen?
Wilson lächelte freundlich.
„Sammy, hi! Hab nicht viel Zeit – kann ich dein Telefon benutzen? Dauert nicht lange!“
„Klar, Sheriff. Weißt ja, wo’s steht. Aber Finger weg von der Kasse!“
Wilson verdrehte die Augen und betrat dann den kleinen Vorraum, in dem Sammy seine Rezeption eingerichtet hatte. Hinter der Theke, unter einem Stapel Autozeitschriften, fand er das Telefon. Er wählte die Nummer der Bezirksleitung.
„Smith?“ Wie immer klang es hektisch.
„Hallo, Wilson hier.“
„Ah, Wilson...Was ist?“
„Sir, ich habe hier draußen was... tja... ziemlich merkwürdiges...“ Er schloss die Augen und versuchte, sich das Seil noch mal vorzustellen. Wie beschrieb man so etwas denn einem Vorgesetzten?
„Wilson, verdammt, wird das ein Quiz? Raus damit, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit.“
„Es ist... tja, eine Art Seil. Es hängt einfach so da. Jemand hat es auf einem Acker gefunden, weit und breit nichts, woran es aufgehängt sein könnte, und es ist wirklich verdammt lang. Bis zu den Wolken. Mindestens. Vielleicht eine Art Wetterballon oder so.“
„Ein Seil. Aha.“ Jetzt schien Smith sich irgendwas zu notieren. „Schon mal raufgeklettert?“
„Sir, es ist wirklich ein sehr langes Seil...“ Wilson trommelte mit den Fingern auf die Theke.
„Ach so. Natürlich... Und es hängt einfach so da?“
„Einfach so, mitten auf dem Feld.“
„...mitten...auf...dem...Feld... Gut, habe ich notiert. Dann schicken sie mir noch den Bericht, und dann schauen wir mal.“ Für ihn schien das Gespräch zu Ende zu sein.
„Mr. Smith?“
„Was denn?“
„Irgendwelche Anweisungen bis dahin?“
„Wachsam sein, Wilson! Immer wachsam sein!“ Ein Klicken beendete das Gespräch.
Mit einem lauten Knallen ließ Wilson den Hörer zurück in die Gabel fallen und drehte sich um.
„Ärger?“ Sammy stand in den Türrahmen gelehnt und blickte neugierig hinüber.
„Arbuckle...“
Sammy schüttelte den Kopf: „Ich hab’s früher schon gesagt: Einfach umlegen. Merkt hier draußen ohnehin niemand. Mein Segen hättest du...“
Wilson war schon wieder zurück an seinem Auto, als Sammy noch etwas einfiel.
„Hey, Sheriff! Kannst doch was Ablenkung vertragen. Komm heute Abend mal rüber, ich hab ´ne super Band vorne spielen. Zwei Typen, ein dicker Südstaatler mit Wahnsinnsstimme und ein kleiner Alter mit Bart, Jude oder so. Der spielt Schlagzeug. Die gehen richtig ab. Mal was anderes als diese Songwriter-Scheiße, die sonst so rumkommt.“
Wilson nickte nur, zog die Tür zu und legte seinen Hut auf den Beifahrersitz.
Mit ein paar runtergekommenen Truckern irgendeine schlechte Elvis-Revival-Band anschauen? Blasphemie! Wenn es eine Sache gab, die nicht nachgespielt werden durfte, von niemandem, egal wann, dann war das Elvis. Wilson verglich das immer mit Jesus. Wenn man den nicht live gesehen hat, dann war es auch Blödsinn, sich die Bergpredigt von jemand anderem anzuhören.
Er legte das Mixtape ein und wendete den Wagen.
Ein paar Stunden später dann war es ein lautes Dröhnen, das Wilson einen großen Schreck einjagte und ihn einen Augenblick lang ziemlich verwirrte. Schon ganz kurz nach dem Schreck nämlich merkte er, dass es ungewohnt schummrig um ihn herum war. Ein verdächtiges Zeichen. Ebenfalls verdächtig war der harte, eckige Gegenstand, der ziemlich fies an sein rechtes Auge drückte. Und dann das Dröhnen.
Als er bald darauf feststellte, dass er einfach beim Schreiben des Berichts eingeschlafen war und es sich beim harten Gegenstand um die „Esc“-Taste handelte, war er zunächst enttäuscht. Ein wenig Action hätte nicht schaden können. Dann aber fiel ihm, ein, dass er immer noch das Dröhnen hatte.
Er stand auf und horchte. Es kam von draußen. Von der Straße.
Langsam ging er zur Tür, öffnete sie einen Spalt und schob seinen Kopf nach draußen. Ein großer, greller Scheinwerfer leuchtete ihm ins Gesicht.
Dann war er weg.
Dann leuchtete er wieder.
Dann war er wieder weg.
Es dauerte noch zwei Scheinwerfer, bis Wilson sich ganz an die Helligkeit gewöhnt hatte und erkannte, was da vor seinem Büro die Nacht beleuchtete.
Eine ganze Horde kleiner Fernseh-Übertragungswagen, er zählte jetzt schon fast ein Dutzend, brauste wie eine Präsidenteneskorte durch das Städtchen. Die meisten waren weiß und hatten irgendeinen blödsinnigen Schriftzug auf die Seite geklebt. Und auf den Dächern konnte er diese einklappbaren Satellitenschüsseln erkennen.
„Was zum Teufel…?“
Wilson blickte die Straße entlang. Was gab es in dieser Gegend überraschendes, was Fernsehsender interessieren könnte? Noch dazu nachts?
Es brauchte noch einen Moment, bis Wilson begriff.
„Arbuckle!“
Laut fluchend lief er zurück ins Büro, griff sich den Autoschlüssel und rannte zu seinem Auto.
Wenn sich jetzt die Pressemeute auf dieses Seil stürzte, würde später er den Ärger für das Chaos bekommen, das diese Heinis normalerweise auslösten.
Ein lautes „Mistkerl“ und eine Beschreibung der näheren Umstände von Arbuckles Zeugung gingen im Geräusch der durchdrehenden Reifen unter.
Als Wilson am Tatort ankam, waren die meisten der Übertragungswagen noch nicht angekommen. – In Gegenden, in denen für Zugereiste nun wirklich gar nichts sehenswert war, gab man sich gewöhnlich nicht besonders viel Mühe mit Straßenschildern. Erst zwei Fernsehteams tummelten sich etwas ratlos auf dem Feld. Wilson griff sich seine Taschenlampe und stieg aus.
Erst jetzt fiel ihm auf, wie sich die Szenerie verändert hatte. Arbuckle hatte nicht nur einen rostigen Wohnwagen herbeigeschafft, der jetzt mitten auf dem Feld stand, auf der Ladefläche des Pick-Ups erkannte Wilson auch einen Haufen Bretter und Werkzeug.
Aus dem Wohnwagen hörte man Arbuckle schreien.
"Scheißkerle! Lasst mich raus! Ich weiß, was ihr vorhabt, aber nicht mit mir!“
Die Tür des Wohnwagens war mit einer großen Holzplanke zugeklemmt.
Arbuckles Geschrei folgten ein lautes Rumpeln, ein metallisches Scharren und schließlich ein lautes Knallen, der von der Tür auszugehen schien. Wilson trat näher und sah deutlich den Abdruck einer Bratpfanne, deren Aufprall das Blech des Wohnwagens nach außen gebeult hatte.
„Hey, Arbuckle, was ist los?“
Wieder ein Knallen. Wilson trat zurück.
„Verdammte Wichser! Kommt her, Feiglinge! Lasst mich raus!“
Ein Knallen.
„Wenn einer von euch seine Schmutzfinger an das Seil legt, dann… Wisst ihr überhaupt, mit wem ihr’s zu tun habt?“
Wilson beschloss, die Unterhaltung mit Arbuckle später fortzusetzen und sich erst einmal umzusehen. Er ging ein paar Schritte vom Wohnwagen weg und leuchtete dahin, wo er in der Dunkelheit das Seil vermutete. Jetzt wusste er, wofür Arbuckle die Bretter brauchte.
Der Schein seiner Taschenlampe fiel auf einen recht stümpern zusammengenagelten Holzzaun, auf den mit blauer Farbe „The Magic Rope“ gemalt war.
Wilson ging um den Zaun herum und stellte fest, dass zwei Seiten noch gar nicht fertig waren. Bretter und Nägel lagen lose auf dem Boden herum. Er bewegte den Strahl seiner Taschenlampe zum Seil.
Wilson erschrak.
Er leuchtete nach oben.
Er leuchtete nach unten.
Er leuchtete noch mal nach oben. Sicherheitshalber.
Nichts.
Das Seil war weg.
Mit einem lauten Krachen befreite sich Arbuckle aus seinem Wohnwagen.
„Verdammte Wichser!“
Ungefähr zur gleichen Zeit, im Himmel, war ein alter Mann mit Bart gerade damit beschäftigt, die letzten Meter eines langen Seils sorgfältig aufzurollen. Als er fertig war, legte er das Tau sorgfältig in Form eines Kreises auf den Boden, drehte das eine Ende um, so dass sich eine schöne Acht ergab, und korrigierte das ganze noch hier und da, bis es völlig symmetrisch war. Dann lächelte er zufrieden, blickte auf und winkte dem großen, dicklichen Mann zu, der zwei Wolken weiter an einen Gitarrenkoffer gelehnt vor sich hin döste.
„Wir können!“
Eine Minute später gingen beide in diesem leicht hüpfenden Gang, der hier oben üblich war, den Weg zurück zu ihren Wohnwolken. Es dauerte eine Weile, bis einer von beiden wieder zu sprechen anfing.
„Hast es immer noch drauf, was?“ Der alte Mann knuffte den anderen in die Seite.
„Ja. Du aber auch! Dein Beat heute... Nicht schlecht, Mann, nicht schlecht!“ Seine Stimme hatte diesen leichten Südstaaten-Slang.
„Aber, sag mal... Vater?“
„Was ist?“
„Damals, als du die Talente verteilt hast... Diese Stimme... Warum gerade ich?“
Jetzt blieb der alte Mann stehen, schob sich eine Strähne seiner langen, weißen Haare aus dem Gesicht und blickte seinem Gefährten mitten in die Augen.
„Weißt du... Bei dir, da hatte ich dieses Gefühl. Hab ich nicht oft! Und außerdem...“ Er blickte wieder zum Horizont.
„Ich wusste genau, dass Dylan es mit DEN Texten sowieso schafft.