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Alina kommt heim

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29.01.2013
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Alina kommt heim

Als das Flugzeug am Moskauer Flughafen Scheremetjevo landete, klatschten nur wenige Leute, denn die meisten Fluggäste waren Russen. Alina schaute aus dem Fenster und sah Reihen von identischen Betonhäusern, die aus der Ferne wie aufgestellte Streichholzschachteln aussahen, und spürte plötzlich, dass ihr das Atmen wehtat. Jedes Mal, wenn sie in Moskau ankam, fühlte sie einen seltsamen Schmerz in den Lungen, und sie stellte sich vor, die Lungen wären ihre Seele. Und das seit zehn Jahren. Man hat nur eine Heimat, dachte sie, aber man merkt es erst, nachdem man sie verlassen hat. Alinas Freundinnen saßen daneben, sahen das Gleiche und langweilten sich. Sie waren Gäste.

Man hat nur eine Heimat, und, wenn man Glück hat, einige Freunde. Alina hatte zwei Freundinnen, Leonie und Yang. Sie hatten sich dieses Mal mit nach Moskau eingeladen. Diese Eigeninitiative verursachte logistische Probleme, denn sie mussten irgendwo schlafen und irgendwie unterhalten werden. Alina freute sich trotzdem darüber, dass sie mitgekommen waren, denn sie hatte keine Freunde mehr in ihrer Heimat, somit war die Heimat nur noch ein Denkmal an die dort verbrachte Kindheit, die mit der Zeit immer heller und schöner erschien.

„Ich will nicht, dass diese deine Leonie mitkommt“, hatte Alinas Mutter zu ihr gesagt. „Dass sie mir eine Miene verziert, wenn sie unsere Wohnung sieht, und ihren Eltern erzählt, in welchen furchtbaren Bedienungen die Russen leben. Yang kannst du mitnehmen. Sie ist nicht so verwöhnt.“ Aber Leonie war mitgekommen, sie saß nun hinten im Auto und folgte den grauen Wohnblöcken mit den Augen. „Sieht aus wie Peking vor dreißig Jahren“, sagte Yang. Leonie sagte nichts. Als sie ankamen, erklärte sie sich freiwillig bereit, auf dem Klappbett zu schlafen. Keiner lobte sie dafür. Es war spät, und alle waren müde.

Alina saß mit ihrer Mutter in der Küche, sie tranken Tee und erinnerten sich an die alten Zeiten. Aus dem Fenster sah man Alinas Grundschule. Das Fensterbrett war vergilbt, die Tapeten hatte in den zehn Jahren ihrer Abwesenheit keiner gewechselt. Die Wohnung erschien immer kleiner, je mehr der Tag ihrer Emigration in die Vergangenheit rückte. Alinas Tante wohnte hier mit ihrem Mann, Tochter, Schwiegersohn und Enkelin. Sie waren für zwei Wochen zu ihrer Datscha abgereist, damit Alinas Familie in dieser Zeit in Moskau leben konnte. Sie waren weg, doch ihre Sachen lagen überall in der Wohnung rum. Alina sagte zu ihren Freundinnen, sie dürften nichts anfassen, was nach dem Privatbesitz der Tante aussah, wohl wissend, dass der Hinweis überflüssig war. Leonie würde auch ohne ihre Predigten nichts in die Hand nehmen, und Yang bastelte bereits eine Kette aus Tantes glitzernden Haarklammern.

Am nächsten Morgen besuchten sie den Kreml. Leonie hatte einen Plan erstellt, wohin sie jeden Tag gehen könnten, dabei gab es mehrere Alternativen, damit für jeden etwas dabei war. Aber der Kreml war das Herz von Moskau und damit Pflicht. Yang lernte dort chinesische Touristen kennen, sie waren jung und trugen große Rücksäcke, vermutlich Studenten. Sie luden Yang irgendwohin ein. Yang sagte, sie würde es sich überlegen und gab ihnen eine falsche Handynummer. Leonie lernte niemanden kennen, obwohl sie Menschen Deutsch reden hörte. Sie dachte darüber nach, dass eine Hauptstadt nichts über das ganze Land aussagte. Leonie war mit ihren Eltern oft gereist und hatte viele Hauptstädte gesehen. Sie hatten alle ihren eigenen Charme, und doch waren sie alle ähnlich pompös. Diesmal verreiste sie mit fremden Eltern, lebte in ihrer ohnehin kleinen Wohnung, dabei hatte Leonie gedacht, in Moskau wären alle wohlhabend. Jetzt luden sie die fremden Eltern auch noch in ein Café ein, bestellten Pfannkuchen und zahlten dafür. Ihr blieb ein Stück Pfannkuchen im Hals stecken, als sie das sah, sie hatte ein schlechtes Gewissen. Während sie mit ihrem Gewissen kämpfte, aß Alina ihren Pfannkuchen auf, den sie unvorsichtigerweise zu lange im Teller liegen gelassen hatte. Die fremden Eltern bestellten ihr dann einen Neuen.


„Zieht Absätze an, möglichst hohe“, sagte Alina, als sie sich am Abend zum Ausgehen kleideten. Die Mädchen hatten beschlossen, in einen beliebten Club mit schlechtem Ruf zu gehen. Leonie zog einen langen grauen Top an, das betonte ihre Figur.
„Was ist das? So wirst du nicht reinkommen“, warnte Alina.
„Man muss es ja nicht übertreiben mit den Klamotten“, antwortete Leonie mit einer Lehrerstimme. Sie war etwas gekränkt, das graue Top war ihr Lieblingskleid. Aber das behielt sie für sich.

„Wenn ihr euch besäuft, braucht ihr nicht mehr nach Hause zu kommen. Ihr könnt dann gleich zurück nach Deutschland fliegen und dort weiter saufen. Was lachst du? Hast du vergessen, wie gefährlich es hier ist? Wenn deine Leonie irgendwo vergewaltigt wird, werde ich schuld daran sein, weil ich euch nachts aus dem Haus ließ. Eigentlich sollte ich euch nirgendwohin gehen lassen. Habt ihr am Tag nicht genug Zeit?!“ Alina versprach ihrer Mutter, um drei zu Hause zu sein. Wären sie nicht ausgewandert, dann würden sich ihre Eltern nicht so paranoid anstellen, dachte sie. Dann wäre alles anders. Aber nicht unbedingt besser.

Sie kamen tatsächlich nicht rein, aber nicht wegen Leonies Lieblingskleid, sondern wegen der langen Schlange, die sich keinen Millimeter voran bewegte. Ein Teil der Schlange zog zu einem anderen Club mit dem kommunistisch angehauchten Namen „Red Oktober“. Dort verlangte man 20 Euro Eintritt, das ließ Alinas Nostalgie sofort verschwinden. Sie gingen trotzdem rein. Der DJ spielte nur russisches Elektro. Die Besitzer vom „Red Oktober“ bemühten sich um eine noble Einrichtung und schöne Tänzerinnen. Die Ausstattung grenzte an Kitsch, die mit Samt überzogenen Wände ergaben eine absurde Kombination mit den fünfzackigen roten Sternen an den Barthecken. Die Tänzerinnen glänzten, wie Fische, und bewegten sich, wie Brasilianerinnen auf Extasy. Keiner schien hier zu wissen, dass man es nicht übertreiben sollte. Die Clubbesucherinnen sahen aus wie teure Prostituierte, gebräunt und knapp bekleidet. Leonie wurde traurig, sie mochte keine Glitzer. Ihr wurde plötzlich klar, dass sie nicht tanzen konnte. Sie stand einige Minuten lang verloren auf der Tanzfläche und ging dann zur Toilette.

Alina und Yang fanden ein freies Sofa und setzten sich. Sofort tauchten junge Männer auf, die es vor ihnen besetzt hatten, und forderten die Mädchen auf, zu verschwinden. Sie hatten eigene Frauen dabei und brauchten keine neuen, aber das Sofa brauchten sie. Im Stehen zu saufen war ungenießbar, davon wurden die Beine müde. Sie äußerten ihren Wunsch höflich, aber entschlossen. Yang lächelte unverstehend und blieb sitzen, sie verstand alle Sprachen intuitiv. Die Männer standen da und warteten.

Als Leonie aus der Toilette zurückkam, entschieden sie sich plötzlich um. Es sei genug Platz für alle da, sie können ja aufrücken. Ein junger Mann, der sich als Igor vorgestellt hatte, setzte sich neben Leonie und erzählte ihr von sehenswerten Orten in Moskau. Seine Hand lag auf ihrem Oberschenkel und rutschte immer höher. Leonie schwieg, lächelte und trank den dritten Wodka Lemon.

Leonie war groß und blond, sie hatte immer Männer in Clubs angezogen, wie ein Magnet. Es war die Art von Typen, die in der Hoffnung auf schnellen Sex alle attraktiven Mädchen anmachten. Meistens bekamen sie eine Abfuhr, selten, wenn sie Glück hatten, einen Quickie. Doch Leonie war höflich und zurückhaltend, deshalb blieben die Männer stundenlang an ihr kleben. Sie hatten den Eindruck, dass sie ihnen zuhörte und sie vom tiefsten Herzen verstand. Manche vergaßen sogar ihr ursprüngliches Vorhaben und erzählten Leonie von ihrem harten Schicksal, bis sie von Yang oder Alina weggezogen wurde.

Igor und seine Hand an Leonies Oberschenkel waren somit nicht überraschend und sogar vorhersehbar. Er bestellte Absinth für alle. Auf Alina hatte der Absinth eine seltsame Wirkung, sie legte sich auf den Boden und lachte hysterisch. Auf Leonie hatte er überhaupt keine Wirkung. Yang trank keinen Absinth und schaute oft auf die Uhr.

„Sag mal, siehst du die Leo irgendwo?“, fragte sie Alina etwas später.
„Aaaah. Wen?“
„Leo. Hast du sie gesehen?“
„Ja“
„Wo?“
„Aah. Nein.“
Yang lächelte nicht mehr. Ihr wurde klar, dass sie aus dem Club nicht rauskommen konnte. Alina war nicht mehr zurechnungsfähig. Leonie war vor kurzem mit dem Russen verschwunden und kam nicht zurück. Es war halb drei. Sie hatte keine Adresse.

Leonie lief mit Igor durch nächtliche Straßen. Sie gingen an Cafes vorbei, die wie mit buntem Licht gefüllte Aquarien aussahen. In Moskau gab es Restaurants, die rund um die Uhr offen waren. Das gab es in Kirchheim nicht. In Kirchheim gab es keine Männer, die eine Ausländerin um drei Uhr nachts zum Essen einladen, damit sie nicht nach Hause fährt. Leonie hatte Hunger, sie wollte bei McDonalds essen und in den Club zurückkommen. Warum McDonalds? „Restaurants sind doch teuer“, sagte sie. Aber es war weit und breit kein McDonalds in Sicht.

„Ich habe noch nie gesehen, dass eine Frau so viel trinken kann, und du bist nicht einmal betrunken“, lachte Igor. „Sind in Deutschland alle so?“ Leonie zuckte mit den Schultern. „Natürlich bin ich dicht“, sagte sie nüchtern. Sie reagierte langsam. Was hätte eine betrunkene Frau sonst machen sollen, sich auf den Boden legen, wie Alina? Man sollte es nicht übertreiben. Es ist durchaus möglich, das eigene besoffene Verhalten in anständigen Rahmen zu halten.
Sie saßen in einem Restaurant und redeten. Igor erzählte, er hätte eine Firma, die mit Schmuck handelte. Leonie glaubte ihm nicht. Igor war 24. Er wollte cool dastehen und log, um ihr zu gefallen, dachte sie. Sie wollte nicht, dass er für sie zahlt, traute sich aber nicht, das zu sagen. Leonies Gedanken vermischten sich mit den Restaurantlämpchen, sie blinzelte langsamer als sonst. Die Wand war aus Glas, sie saßen fast im Himmel, der sie in die endlose schwarze Weite rief. Von oben würden sie Moskau sehen.

„Weißt du, ich will immer … jung bleiben … so wie jetzt. Weil danach nichts mehr kommt. Glaubst du nicht? Leonie, Leonie. Ich will mein Leben verbrennen, wie ein Streichholz …“ „Was? Warum?“, fragte Leonie verwirrt. Das macht keinen Sinn, dachte sie. Das macht alles keinen Sinn. Man lebt lang. Sie wollte zu McDonalds und zurück. Das hier war nicht geplant. Mann, Mädels, wo seid ihr? Antworten nicht … Verdammte Tastatur … Treffe die verdammten Tasten nicht.
„Warum? Das ist doch eine romantische…mmmh…romantische Vorstellung, nicht? Manchmal sieht man jemanden, und dann dreht sich alles um. Man kann sich verlieben, so, auf den ersten Blick, und dann… als ich dich dort sah, in diesem verdammten… in diesem verdammten „Oktober“, du warst dort wie ein Engel, du solltest da nicht hingehen, in diesen verdammten… Mit mir kannst du hingehen, aber sonst nicht… Du bist wie ein Engel, weißt du das? Du bist hell. Ich habe mich in dich verliebt, vielleicht deshalb? Glaubst du mir?“ Igor lachte.
„Ich weiß nicht“, sagte Leonie.
„Glaubst du mir nicht?“
„Männer sind alle so zynisch“, antwortete sie.
„Dann bin ich ein zynischer Romantiker… Und du bist ein Engel…“
„Ich bin eine Realistin.“ „Aah, Realisten sind doch … die schlimmsten Zyniker. Du bist nicht so, neeein, du hast … eine reine Seele. Das sieht man gleich …“ Besoffen ist er, dachte Leonie. Aber ein guter Mensch. Redet wirres Zeug. Wer fährt mich jetzt nach Hause? „Gehen wir!“
Igor wollte nicht gehen. Im Club war seine Freundin, Lena, sie würde eine Szene machen. Das war zu anstrengend. Igor wollte keine Szene. Lena, Leonie, ist doch alles gleich. Er wollte mit dem deutschen Mädchen trinken und Sterne anschauen. Oder was auch immer da im Himmel zu sehen war.

Leonie übernachtete bei Igor. Sie war berauscht von einer betrunkenen Leidenschaft und wollte Sex. Sie biss die Adern auf seinen Armen. Die Decke schaukelte vor ihren Augen, ihr war etwas schwindelig.

Während Igor schlief, wurde Leonie allmählich nüchtern. Ihr war heiß. Sie fand ihre Unterwäsche nicht und ging nackt auf den Balkon, um sich abzukühlen. Es kannte sie sowieso keiner hier. Leonie atmete die Morgendämmerung ein. Sie verstand plötzlich, dass sie lebte, und wollte weinen. Wenn sie die Augen schloss, sah sie zitternde, bunte Atome.

Leonie verschlief den halben Tag auf dem Klappbett. Alina stritt sich mit ihrer Mutter. „Und dass so was nie wieder vorkommt! Und sag deiner Freundin auf Deutsch, sie kann bei sich zu Hause rumhuren, nicht vor meinen Augen!“, schrie sie Alina an. „Obwohl, soll sie doch machen, was sie will. Ist nicht meine Tochter“, fügte sie bitter hinzu. Alina richtete ihrer Freundin aus, ihre Mama sei schlecht drauf, aber sie könne machen, was sie wolle. Leonie fand diese Erlaubnis aufgrund ihres Alters redundant. Ihre eigene Mutter hatte sie einmal angerufen und gefragt, ob alle gut angekommen waren. Wünschte ihnen viel Spaß. Das war’s.

Yang war nach der Party als Einzige nüchtern nach Hause gekommen und ließ sich jetzt diplomatisch das Bortschkochen beibringen. Sie schnitt Zwiebeln.
„So ungefähr?“
„Ja, ist gut.“
„Kann man in Russland mit einem Typ beim ersten Date schlafen?“, fragte Leonie vorsichtig. „Oder ist es bei euch nicht ok?“
„Date, so nennt man es also heutzutage“, antwortete Alina skeptisch.
„Naja, wir waren zusammen essen, von daher ist es ja schon wie ein Date.“
„Nein, das ist bei uns nicht ok“, sagte Yang. „Dafür wirst du feierlich hingerichtet. Du sollst mit ihm Händchen haltend unter dem Mond spazieren gehen, um lokale Anstandsvorschriften zu erfüllen, und das mindestens ein halbes Jahr. Nimm einen Urlaubssemester, ist doch cool. Ich werde auch mit dir bleiben.“
„Nee, danke!“
„.Das war ein Witz, Leo, du musst jetzt lachen und klatschen.“ Yang nahm Leonies Hände, klatschte und lachte selbst, ihre Augen tränten von den Zwiebeln.

Yang und Alina gingen in eine Karaoke-Bar. Leonie wollte nicht vor anderen Menschen singen. Sie traf sich mit Igor in seiner Wohnung. Offenbar verdiente Igor doch gut. Die Wohnung war groß, mit moderner minimalistischer Einrichtung. Igor hatte einen wesentlich besseren Geschmack als die Besitzer von „Oktober“. In seinem Schlafzimmer hingen vier Bilder von Nobuyoshi Araki. Natürlich Kopien, dachte Leonie.

Er schlug anstandshalber vor, einen Film anzuschauen, aber es fand sich keine DVD mit englischen Untertiteln, deshalb schliefen sie gleich miteinander. Igor flüsterte Leonie ins Ohr: „Ich liebe dich“. Er liebte sie wirklich in diesem Augenblick. Leonie hatte eine besondere, nordische Schönheit. Sanfte Gesichtszüge, helle Wimpern, blasse Porzellanhaut, sie glich einer märchenhaften Elfe.
„Danke“, antwortete Leonie und fügte nach einiger Überlegung hinzu: “Dito.“

„Was willst du in Zukunft machen, so in 10 Jahren?“, fragte sie ihn später, als sie durch Moskauer Stadtzentrum fuhren.
„In 10 Jahren? Keine Ahnung. Man kann nie wissen, was in der Zukunft passiert. Was meinst du eigentlich? Glaubst du an die ganzen Magier und Wahrsager? Nein, das passt nicht zu dir, du bist doch so eine Realistin.“
„Ich meine was anderes. Ich meine, was willst du im Leben erreichen? Oder wo willst du in Zukunft sein?“ Ich weiß nicht einmal, wo du jetzt bist, dachte sie.
„Ich will … Ich hoffe, ich werde glücklich sein. Wer weiß, ob ich da überhaupt noch lebe… Gott hat uns nicht die Fähigkeit gegeben, die Zukunft zu sehen. Vielleicht ist es das einzig Gute, was Er getan hat …“, sagte Igor nachdenklich. „Wir nennen es Hoffnung, aber wer weiß, was es ist.“
„Du bist schon lustig. Welcher Gott? Welche Magier? Ich will zum Beispiel eine Weltreise machen“, erklärte sie. „Ich werde zuerst arbeiten, um genügend Geld zu sparen, und dann mache ich eine Weltreise. Das ist wichtig für die eigene Entwicklung, verschiedene Orte zu sehen und verschiedene Kulturen, weißt du…“

Leonie hatte für diesen Tag Shopping mit ihren Freundinnen geplant, aber jetzt machte jeder, was er wollte. Alles ging durcheinander. Jetzt ging sie mit Igor shoppen. Leonie wollte zu H&M, aber sie fanden keinen. Sie fanden eine Chanel Boutique.
„Such dir aus, was du willst“, sagte Igor. Mit ihm machte Shoppen keinen Spaß. Leonie wollte keine Geschenke, vor allem wollte sie nicht mit Markenartikeln beschenkt werden. „Mir gefällt hier nichts“, versicherte Leonie. „Ich mag Chanel überhaupt nicht.“
„Warum?“
„Sie war mit einem Nazi zusammen.“
„Zu hart“, lachte Igor. „Nazis sind auch Menschen. Vielleicht hat sie ihn geliebt, ne?“ Leonie hatte eine interessante Aussprache, wie er fand. Fast korrekt, aber nicht englisch. Zu hart. Alles, was sie sagte, klang streng.
„Ich will dir etwas zur Erinnerung schenken. Damit du mich nicht vergisst.“
„Na gut, kauf mir ein Eis. Es wäre eine schöne Erinnerung, ein russisches Eis mit dir zu essen.“

Leonie war wie aus einer anderen Welt, edel und bescheiden. Sie hatte kein Fältchen zwischen den Augenbrauen und keine braun angemalten Wangenknochen, wie alle russischen Frauen, die er gekannt hatte. Sie war perfekt. Igor wollte sie nicht verlieren, er würde ein solches Mädchen nicht zum zweiten Mal treffen. Mit ihr erschien ihm das Leben nicht gut oder schlecht, sondern einfach und richtig.
„Wann gehst du zurück nach Deutschland?“
„In fünf Tagen.“
„Bleib.“
„Wie?“
„Mit mir.“
Alles leere Worte, dachte Leonie. Sie musste doch studieren.
„Du kannst hier auch studieren.“
Natürlich konnte man Wirtschaftswissenschaften im Ausland studieren. Aber das müsste man doch mindestens ein Semester im Voraus organisieren. Und Moskau wäre nicht ihre erste Wahl für ein Auslandsstudium, Igor hin oder her.

„Du bist anders als alle Frauen, die ich je getroffen habe. Andere wollten nur mein Geld, sie haben mich nicht geliebt. Und du willst nichts. Vielleicht hast du alles. Vielleicht kennst du das Geheimnis vom Glück. Geheimnisvolle Leonie.“
Leonie küsste ihn auf die Lippen. Sie spürte plötzlich eine endlose Weite und eine unerklärbare Sehnsucht in sich. Ihr tat Igor leid, den niemand liebte. Alinas Eltern taten ihr leid. Sie tat sich selbst leid.

„Hör mal, Leonie, dieser Igor gefällt mir nicht. Ich habe mit ihm geredet. Er macht kriminelle Sachen“, sagte Alina am nächsten Tag, als sie in der Küche Tee tranken.
„Wie?“ Leonie blieb der Atem stocken.
„Er und seine Partner kaufen alten Schmuck bei armen Menschen, meistens bei Rentnern, zahlen ihnen dafür nur ein Paar Euro. Darunter gibt es wertvolle antiquarische Sachen, die sie dann zu krassesten Preisen verkaufen.“
„Ist es hier illegal?“
„Hier ist alles legal“, seufzte Alina. „Aber es ist doch furchtbar, was sie machen! Sie rauben ja Menschen aus! Alte Menschen, manche waren im Krieg, sie haben für unsere Heimat gekämpft, damit der Arschloch Igor hier leben kann, und er nimmt ihnen das letzte weg, verstehst du?“
Leonie atmete wieder aus. Sie war nicht mit einem Kriminellen zusammen, das war wichtig. Billig anschaffen und teuer verkaufen, war doch der Grundprinzip der Marktwirtschaft, oder nicht?
„So kann man jedem Unternehmer Vorwürfe machen. So muss man die meisten Marken boykottieren. Du kaufst doch Klamotten bei H&M. Das ist im Prinzip das Gleiche“, antwortete Leonie. „Reg dich doch nicht so auf über Igor, wir fliegen eh in ein paar Tagen nach Hause“, fügte sie hinzu.

Leonie lud Igor in die Oper ein, um das ganze Essen in Restaurants etwas auszugleichen. Sie wollte ihm nicht auf der Tasche liegen. Außerdem hatte sie geplant, eine Oper zu sehen. Nach 15 Minuten wollte sie aus der Oper raus. Im stillen Gedenken an die teuren Eintrittskarten blieb sie sitzen. Während des ersten Aktes schrieb sie Yang in WhatsApp. Im zweiten Akt fragte sie Igor, ob sie nicht lieber aufs Klo gehen und rummachen könnten. Igor lachte und sagte, im Theater zu vögeln sei absolut respektlos. Sie taten es trotzdem.

„Wohin gehen wir?“
„Einfach so, spazieren. Warum magst du keine Oper?“
„Ich finde es langweilig, man versteht nichts von der Handlung, wenn die ganze Zeit nur gesungen wird.“
„Kannst du singen?“
„Nicht wirklich. Ich habe früher Ballett gemacht, aber dann hatte ich einen… wie heißt es…“ Kniescheibenvorfall. „Mein Knie ging kaputt. Und es musste dann operiert werden und so. Guck, ich habe immer noch eine Narbe.“
„Nein, Quatsch, du hast sehr schöne Beine.“
Leonie schaute ihn etwas beleidigt an, hatte sie etwa das Gegenteil behauptet?
„Danke. Diese weiße Narbe am Knie, siehst du? Ja, und dann… Dann habe ich noch eine Zeit lang Volleyball gespielt, und da habe ich mir den Ellbogen kaputt gemacht, den rechten. Ich musste danach zur Physiotherapie. Es ist ganz gefährlich mit den Gelenken beim Sport, ich hab mich schon so oft verletzt.“
„Interessant“, sagte Igor, Leonies Gelenke langweilten ihn. „Was denkt man in Deutschland eigentlich über Hitler?“

„Alina, stell dir vor, er hat gesagt, man sollte alle Juden nach Israel schicken. Sie haben alles in Russland geklaut, hat er gemeint, sie sind jetzt Politiker und Oligarchen, und andere Leute leben in Armut.“
„Man sollte ihn selbst sonst wohin schicken, am besten nach Sibirien, diesen Typ. Juden haben ihm alles geklaut, und das sagt der“, antwortete Alina genervt.
„Und Hitler findet er ok. Er glaubt, er war ein starker Leader und so. Ich hab ihm schon gesagt dass es falsch ist ... “
„Und?“
„Ich kann halt nicht so gut reden. Wie soll man jemandem erklären, dass Hitler schlecht war, das ist ja irgendwie selbstverständlich. Voll Scheiße. Er wird jetzt immer diese komische Überzeugung haben. Aber er kann ja auch nichts dafür, dass es hier in der Schule nicht so unterrichtet wird wie bei uns, die ganze Geschichte mit dem Dritten Reich … Und dann hört man irgendwas Radikales und glaubt das. Vor allem, wir haben das Thema in der Schule so oft durchgekaut, und ich konnte trotzdem fast nichts dazu sagen, wie dumm.“
„Tja, im Dritten Reich wärst du nicht gerade Goebbels rechte Hand, Leo“, lachte Yang. „Such a shame.“

Als Leonie vom Igors Haus zum Metro ging, bemerkte sie, dass etwas fehlte. Als sie zu Igor gekommen war, hatte sie eine Tasche gehabt, jetzt nicht mehr. Die Tasche lag wohl in Igors Wohnung. Leonie lief zurück. Vor den Wohnungstüren stand eine junge Frau und rauchte. Als Leonie näher kam, versperrte die Frau ihr den Weg und musterte sie mit einem schweren Blick. Sie hatte glatte, schwarze Haare, weit aufgerissene blaue Augen, und trug einen roten Balzer. Diese Details blieben Leonie in Erinnerung, denn im nächsten Augenblick schlug sie Leonie ins Gesicht. Leonie zuckte zusammen. Es war wie ein lauter Knall hinter dem Rücken. Wie ein Elektroschock. Es tat nicht weh. Igors Freundin war schwach, oder sie wollte nicht wehtun.

Leonie lief schnell die Treppe hinunter, mitten auf der Treppe blieb sie stehen. Die Frau schaute von oben auf sie, in ihren Augen schwamm schwarzer Hass. Sie verstand nicht, warum die schamlose Ausländerin immer noch da war. „Diese Missgeburt da“, die Frau zeigte auf Igors Tür, „diese Missgeburt ruiniert mein Leben. Und du, Hure, ruinierst mein Leben. Geh, Verschwinde! Oder ich weiß nicht, was ich mit dir mache. Mit ihm kann ich nichts machen.“

Die schwarzhaarige Frau sprach Russisch, und Leonie konnte sie nicht verstehen. Von ihrer Stimme bekam sie einen leichten Schauder. Ohne die Tasche konnte sie nicht nach Hause fahren. Ihr ganzes Geld, ihr Personalausweis und Alinas Adresse waren darin. Leonie stieg die Treppe wieder hoch und lief an der Frau vorbei. „Ich muss meine Tasche abholen“, sagte sie, zu niemandem gerichtet.

Leonie war mit ihren Eltern viel gereist. Sie hatte auf Reisen immer ihre Gedanken und Eindrücke aufgeschrieben. Dieses Mal hatte sie viele unbeantwortete Fragen. Warum hatte Alinas Mutter sie nicht gemocht? Von der Geschichte mit der Tasche wusste Alinas Mutter nichts, daran konnte es nicht liegen. Warum hatte Alina bei der Abreise am Flughafen geweint? Man kann sich nicht ewig an der Vergangenheit festhalten, sie ist vergangen. Man liest nicht immer wieder die gleiche Seite in einem Buch. Wenn Leonie ihre Kinderfotos anschaute, freute sie sich. Es war eine schöne Zeit gewesen. Sie kannte keine Nostalgie.
Leonie träumte davon, eine Weltreise zu machen. Nicht in jedem Land, aber zumindest auf jedem Kontinent wollte sie einmal gewesen sein. Auf Reisen schoss Leonie Fotos und schrieb Notizen, die sie zu Hause in einen Album mit braunen Seiten einklebte. Leonie konnte gut fotografieren, ihre Bilder waren nachdenklich, verträumt und künstlerisch. Davon wussten aber nur ihre Eltern, Alina und Yang. Von dem Album wusste überhaupt niemand, es war ihr geheimes Reisetagebuch. Leonie stellte sich vor, wie sie als alte Oma dieses Tagebuch durchblättern und sich daran erinnern würde, wie sie einmal jung gewesen war, lange Haare gehabt hatte, wie sie mit ihrem grünen Koffer durch fremde Städte gereist war, und sie würde bei diesen schönen Erinnerungen lächeln. Natürlich nur, wenn sie da noch lebte. Aber wenn sie da noch lebte, würde es bestimmt so sein.

 
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Hallo Schenja,


die Geschichte ist hervorragend. Also .. ich muss jetzt aufpassen, dass ich nicht auch noch in Groupieverdacht gerate, aber ich finde, das ist deine beste Geschichte bisher. Es ist eine umgekehrte Einwanderergeschichte, da kommt die Russin nach Hause, so fängt es ja an, hat dann Konflikte, aber dann ab der Hälfte tritt Alina zurück und kommt in die kommentierende Beobachterrolle, und man erlebt das Ganze aus der "Urlaubssicht", aus Leonies, der Deutschen, und dann zwischendurch wieder aus Igors Sicht, dem Russen. Du erzählst quasi Alinas Konflikt, indem die die Geschichte ihrer Freundin erzählst. Also anstatt: Alina hat Konflikt in Deutschland, oder Alina hat Konflikt in Russland, weil sie da auch nicht mehr ganz zugehört, zeigst du wie unterwschiedlich ihre beiden Welten sind, mit dem Konflikt Leonie - Igor. Ich find das ein bisschen genial. Das kann auch gefährlich sein, so mit den Persprektiven zu springen in einer Kurzgeschichte .. aber für mich funktioniert das hier. Und diese Dialoge sind echt super, diese unterschiedlichen Sichtweisen

„Weißt du, ich will immer … jung bleiben … so wie jetzt. Weil danach nichts mehr kommt. Glaubst du nicht? Leonie, Leonie. Ich will mein Leben verbrennen, wie ein Streichholz …“ „Was? Warum?“, fragte Leonie verwirrt. Das macht keinen Sinn, dachte sie. Das macht alles keinen Sinn. Man lebt lang.

Ich will mein Leben verbrennen wie ein Streichholz. :) Ja.. das ist Kurt Cobain fast, das ist auch meine Erfahrung mit Russen, das ist Dostoyewski, das ist Ivan Karamasov und so .. dieses leidenschaftliche, und total destruktiv und alles kann sich ändern und die große Liebe könnte das jetzt sein, die alles verschlingt, ich und alles, was ich tue.
Und dann die Leonie. Total behütet aufgewachsen und will reisen und dann BWL Studieren. Und zwischendurch bisschen Spaß im Urlaub. Und keine Sorgen und unbeschwert und nichts.
Und dann wunderbar: die Sicht der Mütter.

Ihre eigene Mutter hatte sie einmal angerufen und gefragt, ob alle gut angekommen waren. Wünschte ihnen viel Spaß. Das war’s.

Ja .. das ist halt Deutschland. Was soll hier groß passieren? Alinas Mutter denkt da an tausend Sachen vermutlich, da ist so ne Blondine alleine in Moskau betrunken mit irgendwelchen Typen unterwegs, Gott! Natürlich kann da viel passieren .. aber das ist wirklich was, das merk ich immer wieder hier, die deutschen Frauen fahren ganz alleine nach Südmerika und sind monatelang alleine mit einem Rucksack unterwegs, und die deutschen Eltern sind damit einverstanden, weil die halt ein anderes Weltbild haben oder keine Ahnung - und in anderen Kulturen hat man da total Schiss, da kann man als Frau sich nicht einfach alleine irgendwo rumtreiben ... also da spielen auch andere Werte eine Rolle, aber so die "Gefahr" an sich, die wird glaub ganz anders eingeschätzt, auch weil man es hier so gut hat.
Und dann total schön auch: Leonie ist gut erzogen und will sich benehmen und ist zurückhaltend, und trotzdem kann die russische Mama kann sie gar nicht ausstehen. Sie findet sie wahrscheinlich ein bisschen abgehoben und respektlos. Find ich total realistisch.


„Wohin gehen wir?“
„Einfach so, spazieren. Warum magst du keine Oper?“
„Ich finde es langweilig, man versteht nichts von der Handlung, wenn die ganze Zeit nur gesungen wird.“
„Kannst du singen?“
„Nicht wirklich. Ich habe früher Ballett gemacht, aber dann hatte ich einen… wie heißt es…“ Kniescheibenvorfall. „Mein Knie ging kaputt. Und es musste dann operiert werden und so. Guck, ich habe immer noch eine Narbe.“
„Nein, Quatsch, du hast sehr schöne Beine.“
Leonie schaute ihn etwas beleidigt an, hatte sie etwa das Gegenteil behauptet?
„Danke. Diese weiße Narbe am Knie, siehst du? Ja, und dann… Dann habe ich noch eine Zeit lang Volleyball gespielt, und da habe ich mir den Ellbogen kaputt gemacht, den rechten. Ich musste danach zur Physiotherapie. Es ist ganz gefährlich mit den Gelenken beim Sport, ich hab mich schon so oft verletzt.“
„Interessant“, sagte Igor, Leonies Gelenke langweilten ihn. „Was denkt man in Deutschland eigentlich über Hitler?“

Die Stelle find ich voll lustig und ja ... einfach wahr auch. Das ist ja tatsächlich so .. dass gehört zum Small talk in D, hier guck mal, bin beim Schlittschuhlaufen irgendwie runtergefallen, beim Skaten voll ausgewipet .. dass Frauen so was sagen auch .. was ja nicht unbedingt sehr damenhaft daherkommt. Und bestimmt sind russische Frauen da anders, und dann denkt der Igor: die will mir ihre Beine zeigen, oder: die ist voll unsicher wegen der Narbe jetzt, und braucht die Bestätigung, dass sie trotzdem sexy ist .. und Leonie meint das alles gar nicht so, sondern (fast) wie ein Typ, der meint: Stierlauf in Pamplona, 2002, wär fast gestorben.. alter, das war geil.

Und er dann natürlich: erzähl mal was von Hitler!

Ich find die ganze Interaktion zwischen den beiden einfach super. Auch dass sie nicht "betrunken" ist - So sind auch viele deutsche Frauen. Also verglichen mit Amerikanerinnen oder Engländerinenn oder was ich sonst so kenn - die trinken und bleiben trotzdem "normal" und kontrolliert. Was auch nichts Schlechtes ist, natürlich. Auch das mag ich hier: es kommt nicht so wertend daher. Ich denke, Alina beneidet Leonie auch um ihre Unbeschwertheit. Man sieht Alina fast nur meckern, der Club ist blöd, und ihre Nostalgie ist dahin, und dann Igor und so (dass mit H und M und freie Marktwirtscaft ist auch wieder ganz toll) , aber man ist halt kritisch mit DIngen die man kennt (und liebt.) Alina wird auch einen Vater und Brüder und Cousins und so was haben, die verbrennen wollten wie Streichhölzer .. also man könnte denken, Alina mag es gar nicht in Moskau, so kritisch sie sich gibt, und dann kommt zum Schluß aber der Satz - aus Leonies Sicht: Warum hat Alina am Flughafen geweint? Und aus Leonies Sicht macht das auch total Sinn ... aber man sieht halt, wie sehr Alina doch nich an Russland hängt, wie zerrissen man da ist, die kennt es anders in D, die kennt es vielleicht sogar "besser", die will auch nicht wie die Frau sein, die Igor mit Leonie betrügt .. aber wenn sie Russland wieder verlassen muss ... auf einmal muss sie weinen. Ich find das rührend auch. Und dann im letzten Absatz nochmal: wie unbeschwert Leonie denkt, wie einfach ihr Weltbild ist, wie problemlos ... so denken doch auch viele jungen Leute heute, bisschen Weltreise machen und Fotos knipsen, ladidadidad, dann alles auf facebook hochladen.
Also es ist sicher so, dass die Geschichte bei mir einen wunden Punkt trifft, weil ich selbst Zuwanderer bin, aber ich find wirklich: Die Geschcihte gehört zu den besten, die ich gelesen hab dieses Jahr im Forum. Alles, was man bei Jared Leto kritisiert hat: bisschen trashig, nicht "Ernst" genug, irgendwie wiedergekaut, keine anderen Perspektiven, im Kopf des Autors schon abgeschlossen: Das trifft hier alles nicht zu, sondern wirklich ganz im Gegenteil, aus den "Schwächen" vom letzten Text hat du hier Stärken gemacht. Das ist schon toll auch, wie du variieren kannst, ich hoffe wirklich, in Zukunft noch viel von dir zu lesen.

MfG,

JuJu

 

Moin Schenja,
ich habe nach einem Viertel der Geschichte mit dem Lesen aufgehört. Dabei ging es gar nicht einmal um den Inhalt (ich war ja erst beim Einstieg), sondern um deinen Schreibstil. Entschuldige die Formulierung, aber an manchen Stellen dachte ich, eine Achtklässlerin schreibt einen Aufsatz.

Nachdem das Flugzeug am Moskauer Flughafen Scheremetjevo gelandet war, klatschten einige Leute, jedoch nicht viele, denn die meisten Fluggäste waren Russen.
Wenn einige klatschen, klatschen logischerweise nicht viele. Eine Geschichte mit „Nachdem“ anzufangen, scheint mir schwierig. Der Satzbau ist nicht dazu angetan, direkt in die Geschichte eintauchen zu können: nachdem – jedoch – denn.

Alina sah aus dem Fenster Reihen von identischen Betonhäusern
Alina schaute aus dem Fenster und sah eine Reihe von identischen …

Und so seit zehn Jahren.
Und das seit …

Man hat nur eine Heimat, und, wenn man Glück hat, einige Freunde. Alina hatte zwei Freundinnen, Leonie und Yang. Sie hatten sich dieses Mal mit nach Moskau eingeladen.
Das mit der Heimat, dachte sie ja schon – warum die Wiederholung. Die Verknüpfung mit den Freunden finde ich unglücklich. Das „hat“ – „hatte“ – „hatten“ unschön.

Diese Eigeninitiative verursachte logistische Probleme …
Grausame Formulierungen, die so nicht in einen literarischen Text passen. Außerdem erklärst du direkt danach, was du damit meinst.

Alina freute sich trotzdem darüber, dass sie mitgekommen waren, denn sie hatte keine Freunde mehr in ihrer Heimat, somit war die Heimat nur noch ein Denkmal an die dort verbrachte Kindheit, die mit der Zeit immer heller und schöner erschien.
„freute sich trotzdem“ klingt banal – das „denn“ holprig und die Verbindung zwischen beiden herbeigedacht. Der Rest des Satzes klingt gestelzt und erneut mit einem arg konstruiertem Zusammenhang, der eigentlich keiner ist.

Aber Leonie war mitgekommen, sie saß nun hinten im Auto und folgte den grauen Wohnblöcken mit den Augen. „Sieht aus wie Peking vor dreißig Jahren“, sagte Yang.
Hier springst du zur anderen Freundin. Eigentlich habe ich als Leser erwartet, dass Leonie etwas sagt, aber ihre Freundin spricht und Leonie wir im dritten Satz wieder aufgenommen.

Leonie sagte nichts, sie war gut erzogen.
Warum musst du erklären, warum Leonie nichts sagt? Entweder schaffst du es aus dem Zusammenhang/aus der Stimmung heraus, dem Leser das zu vermitteln oder es ist, wie in diesem Fall, zu erklärend.

Nachdem sie zuhause angekommen waren, erklärte sie sich freiwillig bereit, auf dem Klappbett zu schlafen.
Einmal unabhängig davon, dass nicht alle Zuhause angekommen sind (wenn ich es richtig verstanden habe, sogar niemand, da die Wohnung Verwandten gehört), ist auch dieser Zusammenhang kein direkt logischer. Ist dazwischen nichts passiert? Sie treten ein und Leonie sagt, sie will auf dem Klappbett schlafen? Das „nachdem“ würde ich wirklich nur ganz begrenzt einsetzen. Genau das klingt wie Aufsatz in meinen Ohren.

Alina saß mit ihrer Mutter in der Küche, sie tranken Tee und nostalgierten.
„nostalgierten“ ist eine absolut grausame Wortschöpfung, die allenfalls jemand im Dialog sagen könnte.

Ich höre einmal auf, da die Liste sich so weiter fortsetzt und von mir auch nur als Erklärung für meinen Leseabbruch dienen sollte.
Tut mir leid, dass ich so negativ auf deinen Schreibstil reagiere. Ich hoffe, ich konnte meine Einschätzung rüberbringen. Sehe es einfach als eine einzelne Lesermeinung, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Herzlichst Heiner

 

Hallo Juju! Es freut mich sehr dass du meine Geschichte so gut findest. Wahrscheinlich hat es dir gefallen, weil du dich für die russische Literatur interessierst und Igor dich an Iwan Karamasow erinnert :) Ich fand Iwan göttlich, eine der besten Figuren in der Weltliteratur überhaupt, aber so Leute sind im echten Leben anstrengend. Die linke Maustaste funktioniert gerade nicht, deshalb kann ich nichts zitieren... Ich finde Leonie nicht unsympatisch, vielleicht hat sie sogar die richtigeren Lebensansichten, weil sie eben so unbeschwert und glücklich ist, aber gibt es so etwas wie die richtigeren Lebensansichten? Sie war nicht überheblich, Alinas Mutter hat sie nicht gemocht, weil sie eine Deutsche war und weil sie sich mit Igor rumgetrieben hat :) Cool, dass du die Situation realistisch findest, ich dachte, es kann sich fast keiner damit identifizieren.
Ich kenne niemanden, dem bei einer Hippiereise durch Südamerika etwas Schlimmes passiert ist. Bin echt beeindruckt, wie viel du darin gesehen hast, vor allem in den Dialogen zwischen Igor und Leonie. ach, es ist schwer, ohne die linke Maustaste zu leben. Es war eigentlich nicht beabsichtigt, Schwächen der letzten Geschichte ins Gegenteil umzuwandeln, ist einfach eine andere Geschichte. Ich war mir nicht sicher, ob man dauernd die Perspektive wechseln darf, darum freut es mich voll, dass du es hier in Ordnung findest. Vielleicht sagt noch jemand was zu diesem Punkt, würde mich interessieren :) Aus einer Perspektive würde es von der Idee her nicht funktionieren.
Beste Geschichte von mir und auch noch eine der besten dieses Jahr im Forum- krass, danke! Ich fand die Idee gut, aber aus literarischer Sicht gibt es natürlich bessere. Es ist ein sehr großes Kompliment, dass du den Inhalt so gut findest und verstehst, und überhaupt- danke^^

hallo heiner! Woher diese Intoleranz zu Aufsätzen? Du bist offenbar kein Deutschlehrer xD "Ich habe zwei Sätze gelesen und finde, du kannst nicht schreiben"- das mag stimmen, bringt mir aber nichts. Wahrscheinlich hast Du es geschrieben, um dem vorherigen Kommentator zu widersprechen, das ist natürlich Dein gutes Recht. Ich kann jetzt zwei Sätze überarbeiten, aber mehr kann ich mit der Kritik leider nicht anfangen und bitte darum fortan um adäquatere Hinweise. Warum muss es eine Reihe sein und nicht mehrere Reihen? Und so weiter. Auf jeden Fall vielen Dank dafür dass Du dir die Zeit zum Kommentieren genommen hast, es kann natürlich nicht allen gefallen, aber ich kann auch nicht alles umschreiben.

 

… ne, Deutschlehrer bin ich nun wirklich nicht, aber Aufsätze in der Schule und das, was hier auf kg.de läuft, sind schon andere Welten. Und nein, weil Juju jubelt, muss ich nicht grundlos kritisieren. Wir sind hier nicht im Kindergarten!
Meine Hinweise waren nur eine Lesermeinung, die auch Relevanz hat, wenn man nach einem Viertel des Textes abbricht. Umschreiben musst du gar nichts – das war nicht meine Absicht. Wenn dir meine Kritik nichts sagt, ist das absolut in Ordnung. Ignorier sie einfach.

Herzlichst Heiner

PS. Reihe oder Reihen ist völlig egal – wenn es Reihen sind, muss natürlich auch Reihen dort stehen (habe ich ehrlich nicht drauf geachtet). Es ging mir um den Satzbau. Ich schaue aus dem Fenster. Und dann sehe ich etwas. Deine Konstruktion klingt schief. Aber vielleicht nur mein ganz persönlicher Leseeindruck.

 
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Hallo Schenja,

Ich finde Leonie nicht unsympatisch, vielleicht hat sie sogar die richtigeren Lebensansichten, weil sie eben so unbeschwert und glücklich ist,

Ja, ich find Leonie auch nicht unsympathisch. Ich denk, das gibt die Geschicte auch nicht her. Warum auch? Die hat ihren Spaß und bleibt cool und naja ... so will ich das auch immer können. Ich find das einfach total schön, wie du das zeigst ... so aus der russichen Perspektive, sowohl aus Alinas als auch Igors als auch die der Mütter ... das ist so die Sicht, die bekommt man halt normalerweise nicht. Und vor allem Alinas Sicht ist sehr zerrissen und komplex ... sodass ja. Wie du sagst: vielleicht macht es Leonie viel "richtiger" .. aber am Flughafen weinen und so ist natürlich trotzdem alles drin ... Also ich finds einfach total schön :)

 

Hallo Schenja!

Als das Flugzeug am Moskauer Flughafen Scheremetjevo landete, klatschten nur wenige Leute, denn die meisten Fluggäste waren Russen
Mir gefällt der erste Satz sehr gut. Man kann denken, dass die Leute ja eigentlich nicht klatschen, weil sie irgendwo sind, wo sie noch nie waren, sondern weil der Pilot sicher gelandet ist. Aber hier kann man das auch gleich mit seinen eigenen Vorurteilen zusammenbringen, die man eventuell von Russen hat. So ging es mir. Russen klatschen nicht, wenn ein Mann nur seinen Job macht, wo kämen sie denn da hin ...?

Alina sah aus dem Fenster Reihen von identischen Betonhäusern
Ich fände es besser, wenn du schreiben würdest: Alina sah aus dem Fenster und betrachtete .... sah durch das Fensterglas Reihen ...., sah hinter der Scheibe ....,
Ich hab da auch ein Problem mit gehabt: Ich sah aus dem Fenster eine Katze. Hört sich komisch an, oder? Alina sitzt ja nicht im Fenster.

Erster Absatz insgesamt ziemlich gut, finde ich.

Die Wohnung erschien immer kleiner, je mehr der Tag ihrer Emigration in die Vergangenheit rückte.
Hier und auch bei dem Satz mit der Eigeninitiative vorher würde ich normal denken: Uuh, das hört sich aber jetzt sehr sachlich an, trockene Beamtensprache und nicht sehr schön zu lesen, aber hier habe ich das Gefühl, ich sillte abwarten, wie du das im Text weiter verwendest. Es passt für mich gut zu einer Geschichte, in der jemand zurück nach Russland geht, weiß auch nicht, Tschechow und überhaupt die berühmten russischen Schriftsteller, die haben auch oft so sehr sachliche Sätze drin, um etwas ganz eindeutig beim Namen zu nennen wahrscheinlich, und dann treffen sie einen kurz später doch mitten ins Herz. Mal sehen.

Sie waren weg, doch ihre Sachen lagen überall in der Wohnung rum.
Das fällt dann auf, wenn es dann so umgangssprachlich wird. lagen verstreut vielleicht?


Am nächsten Morgen besuchten sie Kreml.
den Kreml

Die fremden Eltern bestellten ihr dann ein Neues.
einen Neuen

Also ich finde schon, dass da noch einige Ecken zu glätten sind, was den Stil angeht. Die Zeiten wechseln manchmal, ohne dass man einen Sinn dahinter sieht und bei manchen Formulierungen ist echt noch mehr drin, mal sehen, ob ich ein paar Beispiele im weiteren Verlauf des Textes finde, bin jetzt gerade da, wo Leonie zu Mc Donalds will.

Leonie atmete die Morgendämmerung ein. Sie hatte ein Hochgefühl, bei dem man plötzlich versteht, dass man lebt, und deshalb weinen will. Wenn sie die Augen schloss, sah sie flatternde bunte Atomen.
Hier zum Beispiel: Sie hatte ein Hochgefühl, bei dem sie plötzlich verstand, dass sie lebte, sie wollte weinen. Es würde aber auch reichen: Sie atmete die Morgendämmerung ein uns spürte, dass sie lebte. Sie wollte weinen. Oder: Sie hatte das Gefühl, als würde sie Leben mit der Morgendämmerung einatmen. Ihr war zum Weinen zumute.
Ich finde halt, dass du viel Stimmung verschenkst. So eine tolle Szene, wo ein nacktes, deutsches, guterzogenes Mädchen über den Dächern von Moskau das Leben einatmet und spürt, dass es vielleicht lange Zeit nicht richtig gelebt hat, sollte man so teuer wie möglich verkaufen. Es heißt übrigens Atome. Würde aber den Satz nicht unbedingt so lassen.

Ich will … Ich hoffe, ich werde glücklich sein. Wer weiß, ob ich da überhaupt noch lebe… Gott hat uns nicht die Fähigkeit gegeben, die Zukunft zu sehen. Vielleicht ist es das einzig Gute, was Er getan hat …“,
Das erinnert auch wieder sehr an die "Alten Russen".

Die Dynamik zwischen Leonie und Igor find ich echt sehr gut, überhaupt gefällt mir die Geschichte, die du erzählst, da steckt viel drin, was mich auch beschäftigt, ich habe auch viele ähnliche Erfahrungen persönlich gemacht.

Alina, stell dir vor, er hat gesagt, man sollte alle Juden nach Israel schicken. Sie haben alles in Russland geklaut, hat er gemeint, sie sind jetzt Politiker und Oligarchen, und andere Leute leben in Armut.“
Ja, ich hab tatsächlich auch diese Erfahrungen gemacht, nur war es ein anderes Land, auch in Osteuropa, und Igor ist jetzt meine Frau. Sie hat zwar selbst nicht diese Meinung, aber viele ihrer Freunde, die alle sehr gut ausgebildet, belesen sind, sozial etc. sehen das mit den Juden ähnlich und sagen: Was habt ihr eigentlich immer alle mit Hitler, so verkehrt war der doch gar nicht. Das ist schon sehr heftig, wenn man so aufgewachsen ist wie ich.

Als Leonie vom Igors Haus zum Metro lief, bemerkte sie, dass etwas fehlte.
Das ist auch so ein Beispiel für schlampige Formulierung. Metro sagt man ja eigentlich kaum, wenn man deutsch spricht, dann müsste es aber zur Metro heißen, denke ich. Außerdem heißt es von Igors Haus. Und laufen bedeutet, dass sie ... na ja eben lief. Tat sie das wirklich? Ging sie, oder wollte sie Sport treiben? Also der Satz könnte auch von meiner Frau stammen.

Als sie zur Igor gekommen war, hatte sie eine Tasche gehabt, jetzt nicht mehr.
zu Igor. Da sind echt noch viel mehr Fehler drin.

Mich erinnert das stark an die Texte von Maria. Volle Kanne, tolle Dynamik, sprachliche Probleme, die aber häufig zu frischen Formulierungen führen. Und eben ein Plot, der richtig zieht. Keine halben Sachen. Mir gefällt das.

Das Ende finde ich nicht optimal. Da fehlt mir das, was mir der Text vorher versprochen hat. Ich wollte was Düsteres, der ganze letzte Absatz ist überflüssig, finde ich, erklärt Sachen, die schon klar sind.

Das Ende müsste mehr reinhauen, ansonsten gefällt mir die Geschichte sehr gut. Du könntest allerdings manchmal ein bisschen weniger deutlich sein. An der Sprache solltest du noch arbeiten. Vielleicht hat jemand Lust, die Fehler rauszusuchen.....


Lollek

 

Hallo Schenja!

Der eigenartige Charakter deiner Geschichte fließt - glaube ich - daraus, dass Russland von den beiden Reisenden, Leonie und Alina, unterschiedlich erlebt wird.

Alina hat eine Verpflanzung von Russland nach Deutschland durchgemacht - solch eine Verpflanzung ist ja nicht nur ein reizvoller Aufbruch zu neuen Ufern, sondern auch eine Entwurzelung - sie ist aus dem Land ihrer Kindheit herausgerissen, aus dem Kindheitsparadies vertrieben, und zwar unwiederruflich, und ihr Besuch in der Heimat bereitet ihr schmerzliche nostalgische Gefühle. Leonie dagegen erlebt Russland als Ort für ein romantisches Urlaubsabenteuer - als ein Aufbruch zu einem neuen Ufer, aber ohne Verlust des Kindheitsparadieses. Und als Alina mitkriegt, wie sich dieses Abenteuer in der Diskothek anbahnt, nimmt es sie sehr mit:

Auf Alina hatte der Absinth eine seltsame Wirkung, sie legte sich auf den Boden und lachte hysterisch

Denn Russland unbeschwert als Urlaubsabenteuerland genießen wie Leonie das tut - das kann Alina in der Heimt, der sie nachtrauert wie ihrer behüteten Kindheit, nicht mehr.

Da der Schauplatz deiner Erzählung Russland ist, passt dazu stilistisch auch gut ein russischer Kolorit, der auf russische Wurzeln verweist - zum Beispiel

Alina saß mit ihrer Mutter in der Küche, sie tranken Tee und nostalgierten.

Als dir dieser Satz einfiel, schwebte er dir wahrscheinlich muttersprachlich
vor: ...пили чай и ностальгировали

gerne gelesen
Grüße
gerthans

 
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an heiner:

aber Aufsätze in der Schule und das, was hier auf kg.de läuft, sind schon andere Welten.
Streng genommen werden in Schulaufsätzen Texte analysiert, während auf kg.de neue verfasst werden.
Ich schaue aus dem Fenster. Und dann sehe ich etwas. Deine Konstruktion klingt schief.
Ok, jetzt habe ich das verstanden. Korrigiert!
Ignorier sie einfach.
Wieso denn, Du hast dir Gedanken über meinen Text gemacht, ich weiß das zu schätzen, ich wünschte nur, die Kritik wäre verständlicher und weniger abwertend.

nochmal an Juju:

so will ich das auch immer können
-hehe, dann viel Spaß^^
Und vor allem Alinas Sicht ist sehr zerrissen und komplex
findest du? Ich habe mich darum bemüht, sie komplizierter zu machen, als Leonie, aber über Alina wird nicht so viel gesagt ... Schön, dass es jemand erkannt hat :)
Also ich finds einfach total schön
- Danke, es hat mich voll gefreut, deinen Kommentar zu lesen!

Hallo Herr Lollek! Danke für Deine Kritik, ich hab ein paar Dinge korrigiert, die du erwähnt hast. "Zur Igor" war ein Tippfehler :)

Aber hier kann man das auch gleich mit seinen eigenen Vorurteilen zusammenbringen, die man eventuell von Russen hat. So ging es mir. Russen klatschen nicht, wenn ein Mann nur seinen Job macht, wo kämen sie denn da hin
- ich habe einmal von meinen Landsleuten gehört, im Kino und im Flugzeug klatschen nur Idioten. Das fand ich lustig und fast schon philosophisch ... Daher der erste Satz. Es gibt natürlich trotzdem Russen, die im Flugzeug klatschen :)
Hier und auch bei dem Satz mit der Eigeninitiative vorher würde ich normal denken: Uuh, das hört sich aber jetzt sehr sachlich an, trockene Beamtensprache und nicht sehr schön zu lesen
Das war eher ironisch gemeint, z.B. logistische Probleme. Alinas etwas sarkastische, aber auch melancholische Sicht. Scheint viele zu stören, vielleicht muss ich das irgenwie anders ausdrücken.
Übrigens, cool, dass Tschechow in Deutschland gelesen wird :D
Würde aber den Satz nicht unbedingt so lassen.
Warum?
ich hab tatsächlich auch diese Erfahrungen gemacht, nur war es ein anderes Land, auch in Osteuropa, und Igor ist jetzt meine Frau. Sie hat zwar selbst nicht diese Meinung, aber viele ihrer Freunde, die alle sehr gut ausgebildet, belesen sind, sozial etc. sehen das mit den Juden ähnlich und sagen: Was habt ihr eigentlich immer alle mit Hitler, so verkehrt war der doch gar nicht. Das ist schon sehr heftig, wenn man so aufgewachsen ist wie ich.
Das habe ich auch schon seehr oft gehört, ich frage mich, wie die Leute darauf kommen, vor allem Osteuropäer, die im 2.Weltkrieg am meisten Opfer zu beklagen hatten.
Ein düsteres Ende wäre hier unrealistisch, finde ich. Den letzten Absatz finde ich nicht schlecht, schade, dass du ihn als redundant empfindest.
Du könntest allerdings manchmal ein bisschen weniger deutlich sein
Ok, das stimmt an einigen Stellen.
Danke für Deine Meinung und die hilfreichen Verbesserungsvrschläge, es freut mich sehr, dass die Geschichte dir trotz Ende gefallen hat!

Hallo gerthans! Danke für deine Interpretation! Kannst Du russisch? Das ist vielleicht überraschend :)

Als dir dieser Satz einfiel, schwebte er dir wahrscheinlich muttersprachlich
vor: ...пили чай и ностальгировали
ja, analog bei "sie sah aus dem Fenster", habe aber beides geändert. Hoffentlich funktioniert die "russische" Atmosphäre auch ohne dem Wort "nostalieren"...
Und als Alina mitkriegt, wie sich dieses Abenteuer in der Diskothek anbahnt, nimmt es sie sehr mit
- ich weiß nicht, ob sie so viel mitgekriegt hat, sie war ja betrunken :) Aber sie war während ihrem ganzen Aufenthalt gereizt, Leonies Affäre mit Igor hat sie genervt, während Leonie ihre Launen nicht nachvollziehen konnte. im Prinzip wollte ich genau das zeigen, was Du geschrieben hast.
Deine psychologischen Analysen sind immer sehr interessant zu lesen ... Danke, es freut mich, dass dir das Ganze insgesamt gefallen hat!
Ich gehe dann in die Küche Tee trinken.

 
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Warum?
Weil es Atome heißt, nicht Atomen, und weil ich flatternde, bunte Atome zu lustig für diesen Moment finde. Da stell ich mir die Dinger mit Flügelchen vor und ganz aufgeregt. Vielleicht einfach ein besseres Wort für flatternde.

Scheint viele zu stören, vielleicht muss ich das irgenwie anders ausdrücken.
Nein, stört mich nicht, finde schon, dass es zum Text passt. Hab auch nicht geschrieben, dass es mich stört.

Ein düsteres Ende wäre hier unrealistisch, finde ich.
Stimmt! Düster ist das falsche Wort. Melancholischer halt.

Vielleicht stört mich der letzte Absatz auch, weil da echt viel durcheinander geht und so kein Lesefluss aufkommt.

Leonie war mit ihren Eltern viel gereist. Sie hatte auf Reisen immer ihre Gedanken und Eindrücke aufgeschrieben. Dieses Mal hatte sie nur Fragen. Nur Fragen, keine Gedanken und keine Eindrücke? Warum hatte Alinas Mutter sie nicht gemocht? Leonie war doch immer nett und freundlich gewesen. Das Fette würde ich echt mal weglassen. Das hast du schon sehr oft erwähnt. Von der Geschichte mit der Tasche wusste Alinas Mutter nichts, daran konnte es nicht liegen. Warum hatte Alina bei der Abreise am Flughafen geweint? Man kann sich nicht ewig an der Vergangenheit festhalten, sie ist vergangen. Man liest nicht immer wieder die gleiche Seite in einem Buch. Wenn Leonie ihre Kinderfotos anschaute, freute sie sich. Es war eine schöne Zeit gewesen. Sie kannte keine Nostalgie.
Leonie träumte davon, eine Weltreise zu machen. Nicht in jedem Land, aber zumindest auf jedem Kontinent wollte sie einmal gewesen sein. Auf Reisen schoss Leonie Fotos und schrieb Notizen, die sie zu Hause in einen Album mit braunen Seiten einklebte. Oder nur klebte. Leonie konnte gut fotografieren, ihre Bilder waren nachdenklich, verträumt und künstlerisch. Davon wussten aber nur ihre Eltern, Alina und Yang. Von dem Album wusste überhaupt niemand, (Album vorher noch nicht erwähnt, glaube ich) es war ihr geheimes Reisetagebuch. Leonie stellte sich vor, wie sie als alte Oma dieses Tagebuch durchblättern und sich daran erinnern wird (würde), wie sie einmal jung gewesen war, lange Haare gehabt hatte, wie sie mit ihrem grünen Koffer durch fremde Städte gereist war, und sie wird (würde) bei diesen schönen Erinnerungen lächeln. Natürlich nur, wenn sie da noch lebte. Aber wenn sie da noch lebte, wird (würde) es bestimmt so sein.
Die letzten beiden Sätze finde ich wirklich redundant. Wenn sie tot sein sollte, wird sie nicht lächeln, klar, aber warum du den gleichen Satz nochmal anhängst, das verstehe ich nicht.


Du könntest allerdings manchmal ein bisschen weniger deutlich sein
Ok, das stimmt an einigen Stellen.
Vor allem hat man relativ schnell verstanden, das Leonie gut erzogen ist ;)

 

an Herr Lollek: Danke für Deine Antwort!

Leonie stellte sich vor, wie sie als alte Oma dieses Tagebuch durchblättern und sich daran erinnern wird (würde), wie sie einmal jung gewesen war, lange Haare gehabt hatte, wie sie mit ihrem grünen Koffer durch fremde Städte gereist war, und sie wird (würde) bei diesen schönen Erinnerungen lächeln. Natürlich nur, wenn sie da noch lebte. Aber wenn sie da noch lebte, wird (würde) es bestimmt so sein.
Genau so habe ich es zuerst geschrieben, dann dachte ich, dass "würde" nicht so oft vorkommen sollte, daher die Frage- darf "würde in drei Sätzen hintereinander vorhanden sein?
Die letzten beiden Sätze finde ich wirklich redundant.
Igor hat gesagt, dass er nicht weiß, was in 10 Jahren passiert und ob er da noch lebt. Leonie denkt zum Schluss, sie weiß auch nicht, wie lange sie leben wird, aber sie meint zu wissen, was passieren wird, wenn sie lebt. Das eigentlich ist der Sinn von dem Absatz, meiner Meinung nach durchaus melancholisch. Vielleicht etwas redundant, aber es gibt schlimmeres, siehe Doktorarbeiten :) Nein, im Ernst, in der Literatur wird auch öfters diesselbe Aussage seitenweise wiederholt.
Danke für die Korrekturvorschläge! (wird morgen umgesetzt)

 
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Servus Schenja,

das ist die falsche Herangehensweise, sich mit einem Text zu beschäftigen, ich weiß, aber als allererstes in diesem Thread las ich heiners Kommentar, noch vor deiner Geschichte, keine Ahnung, wie’s dazu kam.
Und eigentlich konnte ich viele seiner Einwände bezüglich deines Stils und eigenartiger Satzkonstruktionen nachvollziehen. Also so aus dem Kontext herausgelöst, klingen einige deiner Formulierungen ja wirklich etwas seltsam.
Als ich deine Geschichte dann las, waren meine Bedenken schnell wieder weg. Von den ersten Sätzen an wurde ich reingezogen in den Text, war einmal mehr bezaubert von deinem Stil, den ich seit deiner Debütgeschichte einfach mag. Der sich für mein Gefühl allerdings auch weiterentwickelt hat, also nicht mehr ganz so unbekümmert-exaltiert (exaltiert-unbekümmert?) klingt, wie bei deinen ersten Texten, aber nach wie vor unverwechselbar ist. (Schriebest du im Maskenball, würde ich dich nach drei Zeilen enttarnen, trau ich mich wetten.)

Ich war noch nie in Russland, aber von Beginn an hatte ich beim Lesen Bilder im Kopf, einen richtigen Film eigentlich, angefangen mit dem Ausblick aus dem landenden Flugzeug und diesen drei so unterschiedlichen jungen Frauen, über die enge, vollgeräumte Wohnung und Alinas Mutter, bis zum heutigen modernen Moskau mit all seinen Veränderungen zu früher, ja, und die Moskauer Jeunesse dorée in dieser Russendisco. Das war mir alles so sichtbar, so miterlebbar. Im Grunde nur Bilder, wie ich sie von Fotos oder aus einschlägigen Filmen kenne, aber nicht jeder Geschichte gelingt es so spielend leicht, mir ein derart lebendiges Kopfkino zu erzeugen, wie deiner hier. Das kann ja nur an der Erzählweise liegen, behaupte ich mal.
Und wie auch schon JuJu gefiel mir besonders der Handlungsaufbau, also dieser behutsame Perspektivenwechsel, das Schwerpunktverlagern von einer Figur zur anderen. Und wie sich daraus deren unterschiedliche Sichtweisen auf die Welt und das Leben entschlüsseln. Das ist dir wirklich gut gelungen, das macht die Geschichte einfach sehr echt und lebendig.

Und beeindruckt hat mich auch die Lässigkeit, mit der du hier wirklich große Themen schulterst. Diese unterschiedlichen Mentalitäten, das Aufeinanderprallen zweier Kulturen, die wir schon aufgrund historischer Umstände nach wie vor als zwei eigenständige Welten betrachten, die sich aber in Wahrheit ja immer mehr anzugleichen beginnen, oder, zynisch gesagt, wo die eine Kultur von der anderen sich das jeweils schlechteste abschaut und es assimiliert. Brave new world halt.
Und in diese durcheinandere Welt wirfst du deine drei Mädchen, eine lässiger und bezaubernder als die andere, allen voran natürlich Leonie, mit der du eine wirklich beeindruckende Frauenfigur geschaffen hast.

Man liest nicht immer wieder die gleiche Seite in einem Buch. Wenn Leonie ihre Kinderfotos anschaute, freute sie sich. Es war eine schöne Zeit gewesen. Sie kannte keine Nostalgie.

Leonie atmete die Morgendämmerung ein. Sie verstand plötzlich, dass sie lebte, und wollte weinen. Wenn sie die Augen schloss, sah sie zitternde[,] bunte Atome.

Sehr schön.

Diese Leonie muss man einfach mögen. Ungemein sympathisch und liebenswert erscheint sie mir in all ihrer Widersprüchlichkeit, cool und rational, und dann doch wieder voller Sehnsüchte, und ihr zur Seite der schlitzohrige Igor. Ein Kleinganove? Ein Opportunist? Oder einfach nur ein Mann, ein Mensch, der sich halt ein Stück vom Kuchen nimmt, weil er meint, es stünde ihm zu. Kann man es ihm übelnehmen? Und dem das Tortenstück Leonie dann vom Teller rutscht sozusagen.
Also da ist schon viel drin in deiner Geschichte.

Es war die Art von Typen, die in der Hoffnung auf schnellen Sex alle attraktiven Mädchen anmachen. Meistens bekommen sie eine Abfuhr, selten, wenn sie Glück haben, einen Quickie. Doch Leonie war höflich ...

Da würde ich im Präteritum bleiben.

„Sag mal, siehst du die Leo irgendwo?“, fragte sie Alina etwas später.
„Aaaah. Wer?“
„Leo. Hast du sie gesehen?“
„Ja“
„Wo?“
„Aah. Nein.“

Herrlich. „Aaaah. Wen?“ gefiele mir allerdings noch besser.

Yang war nach der Party als Einzige nüchtern nach Hause gekommen und ließ sich jetzt diplomatisch das Bortschkochen beibringen. Sie schnitt Zwiebeln.
„So ungefähr?“
„Ja, ist gut.“
„Kann man in Russland mit einem Typ beim ersten Date schlafen?“, fragte Leonie vorsichtig. „Oder ist es bei euch nicht ok?“
„Date, so nennt man es also heutzutage“, antwortete Alina skeptisch.
„Naja, wir waren zusammen essen, von daher ist es ja schon wie ein Date.“
„Nein, das ist bei uns nicht ok“, sagte Yang. „Dafür wirst du feierlich hingerichtet. Du sollst mit ihm Händchen haltend unter dem Mond spazieren gehen, um lokale Anstandsvorschriften zu erfüllen, und das mindestens ein halbes Jahr. Nimm einen Urlaubssemester, ist doch cool. Ich werde auch mit dir bleiben.“
„Nee, danke!“
„.Das war ein Witz, Leo, du musst jetzt lachen und klatschen.“ Yang nahm Leonies Hände, klatschte und lachte selbst, ihre Augen tränten von den Zwiebeln.

Großartig!

Ein wirklich toller Film, Schenja! Klug, witzig und sehr unterhaltsam, hat mir sehr gut gefallen.


offshore

 
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Hallo Ernst! Vielen vielen Dank für den Kommentar! ich finde es interessant, dass du den Text als Film empfunden hast, würde echt gerne wissen, wie Du dir die Figuren vorgestellt hast. Es hat etwas Szenarisches an sich, war aber nicht wirklich beabsichtigt. Es freut mich voll, dass Du die Discobilder mochtest. Ich habe versucht, so ein auf naive Weise kitschiges Bonzenmilieu darzustellen ... Mir fällt übrigens ein, dass Discos in der Literatur meist negativ beschrieben werden. Trotzdem gehen Leute gerne hin, warum eigentlich? Oder sind es nur diese Intellektuellen, die keinen Spaß in Clubs haben und Geschichten darüber schreiben? xD

(Schriebest du im Maskenball, würde ich dich nach drei Zeilen enttarnen, trau ich mich wetten.)
das glaube ich sofort, manche Leute sind leicht zu erkennen, ich zum Beispiel an den "komischen" Formulierungen :) Na gut, die wirklich komischen habe ich schon korrigiert. Andere lasse ich, weil sie mehr oder weniger ironisch gemeint waren.


Jeunesse dorée
so nennt man sie in Russland tatsächlich, ist das irgendein geläufiger Begriff? Auf Fanzösisch klings es schöner.
Diese unterschiedlichen Mentalitäten, das Aufeinanderprallen zweier Kulturen, die wir schon aufgrund historischer Umstände nach wie vor als zwei eigenständige Welten betrachten, die sich aber in Wahrheit ja immer mehr anzugleichen beginnen, oder, zynisch gesagt, wo die eine Kultur von der anderen sich das jeweils schlechteste abschaut und es assimiliert.
Natürlich gleicht sich die ganze Welt durch Globalisierung irgendwie an. Aber die Denkweisen sind unterschiedlich. Zum Beispiel Dir gefällt Leonie, und Igor magst Du nicht ;) Ich glaub Juju mochte den.

Ein wirklich toller Film, Schenja! Klug, witzig und sehr unterhaltsam, hat mir sehr gut gefallen.
Danke! (vor allem für "klug" :) )So etwas hört man echt gern.

 
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Hallo Schenja,

ich starte mit einigen Anmerkungen

Zitat: Als das Flugzeug am Moskauer Flughafen Scheremetjevo landete, klatschten nur wenige Leute, denn die meisten Fluggäste waren Russen.

Das Klatschen von Passagieren bei der Landung eines Flugzeuges kenne ich nur von Charterflügen bei Pauschalreisen. Ich gehe davon aus, dass du einen Linienflug beschreibst. Auf allen meinen bisherigen Linienflügen (und das sind verdammt viele!) innerhalb von Deutschland und Europa hat noch nie ein Passagier geklatscht. Allerdings bin ich auch noch nie nach Moskau geflogen. Möglicherweise wird da bei Landungen grundsätzlich geklatscht?

Zitat: Alina schaute aus dem Fenster und sah Reihen von identischen Betonhäusern,

Ich mag mich täuschen, aber nach meinen Sprachempfinden müsste es heißen "und sah Reihen identischer Betonhäuser"

Zitat: Dass sie mir eine Miene verziert, wenn sie unsere Wohnung sieht, und ihren Eltern erzählt, in welchen furchtbaren Bedienungen die Russen leben.

Gewollte? warum? Später redet die Mutter ohne solche Auffälligkeiten, oder?

Zitat: dass eine Hauptstadt nichts über das ganze Land aussagte.

Finde ich überflüssig.

Zitat: sie hatte immer Männer in Clubs angezogen, wie ein Magnet.

Ich weiß ja nun aus deinen anderen Geschichten, was du sprachlich drauf hast. So gesehen ist dieser Vergleich eine eher enttäuschende Lösung ;-)

Zitat: Es war die Art von Typen, die in der Hoffnung auf schnellen Sex alle attraktiven Mädchen anmachten.

Ich halte das für einen weit verbreiteten Irrtum. In der Hoffnung auf schnellen Sex macht Mann in der Regel nicht die attraktiven Mädchen an, sondern eher deren "nicht ganz so attraktiven" Freundinnen (attraktive Mädchen haben meistens "nicht ganz so attraktive" Freundinnen, das ist ein Naturgesetz!). Und ein weiteres Naturgesetz ist es, dass Typen, die schnellen Sex wollen, (meistens) genau wissen, dass sie den von den attraktiven Mädchen eher nicht bekommen, während ihre "weniger attraktiven" Freundinnen (oft) schneller zu haben sind. Aber möglicherweise ist das nur eine regionale Erfahrung meiner eigenen Historie.

Zitat: Sie gingen an Cafes vorbei, die wie mit buntem Licht gefüllte Aquarien aussahen.

Wie schön! Daran gemessen ist der Vergleich mit dem Magneten eben schwach!

Zitat: Sie traf sich mit Igor in seiner Wohnung. Offenbar verdiente Igor doch gut. Die Wohnung war groß, mit moderner minimalistischer Einrichtung.

Irgendwie fand ich die Erkenntnis über Igors Wohnung an dieser Stelle überraschend. Sie war doch vorher schon mal da - oder wo hatte Sie mit ihm geschlafen?

Ja, so, nun überlege ich mal.

Diese Geschichte macht auf mich einen nicht ausbalancierten Eindruck. Du beginnst, als wäre Alina die Hauptfigur, und Leonie wird als ihre Freundin wie eine Nebenfigur avisiert. Aber im Verlauf (das interpretiere ich jetzt einfach mal) der Handlung hat sich Leonie selbstständig gemacht und zusammen mit Igor die Geschichte an sich gerissen. Das wirkte auf mich etwas ... ziellos, als wäre dir am Anfang selbst auch noch nicht so ganz klar gewesen, wohin du eigentlich wolltest. Und so hast du einfach mal deine Figuren machen lassen, was die wollen. Mir kam es so vor, als würde sich nach jedem Absatz neu entscheiden, wohin die Handlung laufen soll, ohne dass du dir das konzeptionell überlegt hast (was ich gar nicht negativ meine). Es wirkt ein wenig improvisiert (auch das ist nicht negativ gemeint, sondern soll nur zeigen, wei der Text bei mir als Leser ankommt). Möglicherweise fiel dir für Alina keine spannende Geschichte ein, und so hat dann Leonie den Zuschlag bekommen?

Ein bisschen fehlt dem Text die für deine sonstigen Texte typische Leichtigkeit und sie geizt auch ein wenig mit den spielerischen und ungewöhnlichen Formulierungen, die mich in deinen anderen Storys so begeistert haben. In diesem Fall ist es hauptsächlich die Struktur, die du am lockeren Zügel führst, während die Formulierungen und deine Figuren "erarbeitet" und eigentümlich zurückgenommen wirken. Ich mag mich täuschen und du kannst mich gern eines Besseren belehren, aber in dieser Story hat dir möglicherweise ein wenig die Inspiration gefehlt? Die Handlung wirkt unschlüssig und die Figuren sind nicht ganz so stark.

Ja, ich mache hier bei diesem Text jetzt etwas, was mich selbst immer nervt, wenn es bei meinen Geschichten gemacht wird - wenn einer schreibt: "... verglichen mit deinen anderen Texten fällt diese etwas ab." Aber auf einen entsprechend hohem Niveau natürlich, wenn ich mir den bisheriges Gesamtwerk betrachte!

JuJu schreibt in seiner Kritik, dies wäre deine beste Geschichte. Ich finde das nicht. Ich finde sie eher etwas schwächer und unentschlossen und ich habe das Gefühl, dass du da irgendwie gegen deinen sonstigen Stil angeschrieben hast. Abgesehen davon gibt es natürlich schöne Beschreibungen und amüsante Stellen/Dialoge zu finden, aber sehr sparsam.

Ich finde die Story insgesamt natürlich trotz allem gut und unterhaltsam und ein Groupie kann ohnehin nicht enttäuscht werden, das ist klar ;-)

Rick

 
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Hallo,
leider hat mir die Geschichte nicht gefallen. Und das aus mehreren Gründen.
Ich will voranstellen, dass ich den gleichen kulturellen Hintergrund habe wie Alina und wahrscheinlich auch wie du. Deswegen betrachte ich diese Geschichte mit den Augen eines Immigranten, der sich die ganzen Fragen im Zusammenhang mit diesem Zwischenzweiweltenleben, wobei es eigentlich, wenn man das jüdische dazu nimmt, zwischen drei Welten ist, schon gestellt hat.
Jetzt ist das so, dass du hier dieses Spannungsfeld zwischen diesen beiden Welten in Gestalt von Igor und Leonie dargestellt hast, das aber sehr holzschnittartig und teilweise, wie ich fand, beliebig gemacht hast. Klar, die Deutsche ist pragmatisch, will BWL studieren und selbst das Erleben von Abenteuern betrachtet sie als einen Weg zur Persönlichkeitsoptimierung.

„Ich werde zuerst arbeiten, um genügend Geld zu sparen, und dann mache ich eine Weltreise. Das ist wichtig für die eigene Entwicklung, verschiedene Orte zu sehen und verschiedene Kulturen, weißt du…
Selbst wenn sie von Liebe sprechen, kommt sie mit einem trockenen
und fügte nach einiger Überlegung hinzu: “Dito.“
daher.
Und der Russki ist leidenschaftlich, impulsiv, schwafelt irgendein betrunkenes Zeug von hellen Engeln und brennenden Streichhölzern und hat sich natürlich sofort in die kühle, nordische Deutsche verliebt, die so anders ist, als die russischen Frauen, weil sie nicht nur an sein Geld will. Und diese ganzen starken Gefühle hindern ihn überhaupt nicht daran, Rentner auszunehmen. Der praktische Romantiker eben, so einer wie er in "Der Idiot" angesprochen wird. Ein Antisemit ist er natürlich auch noch. Ja, das ist sehr klischeehaft, finde ich.
Es ist ja ein riesiges Thema mit der Migration und auch mit dem Nachhausekommen. Da geschieht so viel in der parallelen Sozialisierung, wenn man die Wertewelt der Eltern aus der Sowjetzeit mit ihrer gemeinschaftsorientierten kulturellen Prägung der westlichen Freiheitsidealisierung und dem ganzen Individualismus gegenüber stellt. In Russland gab es ja noch ein Falsch und ein Richtig, nicht so wie hier, wo es nur vertretbar sein muss, um akzeptiert zu werden. Ich meine, es ist ein riesiges Konfliktpotential hier und das streifst du stellenweise, aber so rein auf der oberflächlichen Klischeeebene.
Das mit dem Rumhuren und der Freiheit von sexueller Entfaltung, mit der Emanzipation, mit dem Materialismus der Russen und das man da in Deutschland vergleichsweise eher auf ideele Werte setzt. Da gibt es Ansätze für diese Dinge, aber nach meinem Geschmack sind sie viel zu wenig ausgearbeitet. Das reicht mir nicht, dass gesagt wird, Leonie mag keine Markenartikel und will lieber zu McDonalds. Das sind so Gegenüberstellungen, die aus einer Immigrantenperspektive betrachtet, schon platt daherkommen. Darüber habe ich mit meinen Immigrantenfreunden debattiert, da waren wir 18.
Die Geschichte heißt ja, Alina kommt nach Hause. Aber wo ist denn ihr persönlicher Konflikt? Da kommen so abgegriffene Bilder von in der Küche sitzen und über vergangene Zeiten nachdenken. Auch dass man nur eine Heimat hat, was man nur merkt, nachdem man sie verlassen hat, das ist ein Gedankengang, der müsste meiner Meinung nach in der Immigrantenliteratur schon verboten werden, so oft hat man einen ähnlichen Satz bereits gelesen.
Also Alina ist hier ja nur eine Statistin. Du lässt diese Figur, deren komplexes Selbstverständnis richtig interessant wäre, einfach unter den Tisch fallen und das obwohl du den Text mit dem Fokus auf sie anfängst.
Was die letzten beiden Absätze sollen, verstehe ich nicht. Sie passen für mich nicht in den Text.
Ja, vielleicht kommt mir das Ganze nur so bieder vor, weil ich mir dazu schon viele Gedanken gemacht habe, aber den Eindruck werde ich halt nicht los.
Geh den Text auch noch mal auf Rechtschreibfehler durch. Ich weiß jedenfalls nicht, was ein roter Balzer sein soll.
Lieben Gruß
randundband

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Rick! Es tut mir leid, dass ich so spät auf deinen Kommentar antworte, ich sollte vielleicht öfter hier vorbeischauen.
Als ich zum ersten Mal geflogen bin, ist mir aufgefallen, dass Leute geklatscht haben. Danach habe ich nicht mehr darauf geachtet und kann nicht genau sagen, wie oft es vorkommt. Vielleicht klatschen irgendwelche Leute, und du beachtest es einfach nicht oder vergisst es sofort. Sie klatschen ja nicht zehn Minuten lang und schreien nicht "Zugabe". Ich sehe jedenfalls keinen logischen Fehler in diesem Satz und würde ihn stehen lassen.

Möglicherweise fiel dir für Alina keine spannende Geschichte ein, und so hat dann Leonie den Zuschlag bekommen?
- ich habe die Handlung schon geplant, wie sie ist, aber wenn es unbalanciert wirkt, ist hätte ich sie wohl besser planen sollen. Die mit Licht gefüllten Aquarien finde ich nicht soo schlecht. Ehrlich. Der Magnet-Vergleich ist natürlich banal, aber das würde mich bei einem fremden Text nicht wirklich stören. Aber gut zu wissen, dass vergriffene Metaphern auffallen.
attraktive Mädchen haben meistens "nicht ganz so attraktive" Freundinnen, das ist ein Naturgesetz!
haha DAS ist ein verbreiteter Irrtum, ich habe noch nie so was beobachtet. Aber wenn deine Logik stimmen sollte, würden unattraktive Damen statistisch gesehen viel öfter angemacht werden als attraktive, das wäre eine ziemlich verkehrte Welt :)

Danke für dein Kommentar, auch wenn dir die Geschichte nicht gefallen hat, habe ich ihn echt gerne gelesen, weil lustig.


Hallo, randundband!

Es freut mich, dass jemand mit russischem Migrationshintergrund die Geschichte gelesen und kommentiert hat. Es tut mir leid für die späte Reaktion!
Deine Abneigung kann ich nachvollziehen, den empörten Ton allerdings nicht, er wird dem kleinlichen Anlass einfach nicht gerecht. Klischeehafte Migrantengeschichte-ja und? Es gibt sie wie Sand am Meer, man kann sich natürlich darüber aufregen, aber Kischees liegen in der Natur der Sache. Ich würde sogar sagen, jede Geschichte zu diesem Thema bedient sich der Klischees. Eine klischeefreie Story würde etwa so gehen: ein Chinese, ein Ire und ein Deutscher treffen sich in einer Bar. Sie bestellen Bier und schauen Fußball.
Die empfundene Andersartigkeit von Ausländern kommt dadurch zustande, dass sich die Vertreter einer Nation, Bewohner einer Stadt usw. als unterschiedlich betrachten, und die Außengruppen als homogen und klischeebehaftet. Du meinst wahrscheinlich, dass man mit Klischees in Kurzgeschichten sensibler umgehen sollte, dem würde ich noch zustimmen. Das gilt allerdings auch für Kommentare.

Da kommen so abgegriffene Bilder von in der Küche sitzen und über vergangene Zeiten nachdenken. Auch dass man nur eine Heimat hat, was man nur merkt, nachdem man sie verlassen hat, das ist ein Gedankengang, der müsste meiner Meinung nach in der Immigrantenliteratur schon verboten werden, so oft hat man einen ähnlichen Satz bereits gelesen.
Wenn es immer wieder aufgegriffen wird, ist es vielleicht etwas, was dem durchschnittlichen Immigranten am Herzen liegt. Immigrantenliteratur sprüht nicht gerade vor Originalität, so wie z.B. Erotikliteratur. Es ist nun mal immer wieder das Gleiche.

Danke für dein Kommentar und dafür, dass du dir Gedanken über meine Geschichte gemacht hast. Es kann natürlich sein, dass die obengenannten Klischees in der Literaturrubrik jeder kostenlosen Immigrantenzeitung immer wieder durchgekaut werden, aber beide haben ihre Existenzberechtigung, sowohl die Klischees als auch die Immigrantenzeitungen. Weil das einfache Pöbel wie ich sich dadurch betroffen und berührt fühlt und eine nostalgische Träne vom einfältigen Gesicht streicht :)

 

Hallo Schenja,

Deine Abneigung kann ich nachvollziehen, den empörten Ton allerdings nicht, er wird dem kleinlichen Anlass einfach nicht gerecht.
Du hast recht. Ich habe gerade nochmal meinen Kommentar durchgelesen und muss sagen, dass ich mich ziemlich im Ton vergriffen habe. Es tut mir leid. Keine Ahnung, was da in mich gefahren war. Das ist mir ein bisschen peinlich jetzt.
Ich denke schon, dass sich auch in der Migrantenliteratur, wie in jedem Genre, noch was neues finden lässt, aber darum geht es jetzt nicht. So gemein hätte ich nicht sein dürfen, das war ja schon irgendwie persönlich.
Also nichts für ungut. Will dir vor allem überhaupt nicht deine nostalgischen Tränen verderben. Wir sehen uns bestimmt noch und dann wirds obersachlich zugehen. Versprochen.
lg, randundband

 

Hallo nochmal! Passt schon, ich habe schon befürchtet, dass du auf meinen Kommentar beleidigt reagierst und wir noch ewig hin und her diskutieren. Bin absolut für Sachlichkeit, vor allem wenn es um Moral oder nostalgische Tränen geht.

 

Hallo Schenja,

Zitat: ich sollte vielleicht öfter hier vorbeischauen.

Ja, das solltest du wohl.

Zitat: Vielleicht klatschen irgendwelche Leute, und du beachtest es einfach nicht oder vergisst es sofort. Sie klatschen ja nicht zehn Minuten lang und schreien nicht "Zugabe". Ich sehe jedenfalls keinen logischen Fehler in diesem Satz und würde ihn stehen lassen.

Ich bin gerade jetzt wieder kurz hintereinander drei Mal Linie geflogen und habe jedes Mal an deine Geschichte gedacht ;-) Aber geklatscht hat niemand, Nur gelacht. Als eine Stewardess nach einem Flug München-Hamburg die Passagiere nach der Landung in Hamburg mit den Worten "Willkommen in München" begrüßte. Aber du musst das Klatschen wegen meiner Anmerkung nicht gleich streichen.

Zitat: wenn deine Logik stimmen sollte, würden unattraktive Damen statistisch gesehen viel öfter angemacht werden als attraktive, das wäre eine ziemlich verkehrte Welt

Statistisch gesehen werden attraktivere Damen sicherlich häufiger angemacht als die weniger attraktiven. Aber statistisch gesehen wacht "Mann" morgens häufiger neben den Zweitgenannten auf. So ist mein Einwand gemeint. Und noch eine Anmerkung dazu. In meinen wilden Jahren hatten wir einen Kumpel in der Clique, der ein echter, also wirklich echter Frauenschwarm war. Wenn ich mit dem unterwegs war, habe ich besonders viele Frauen kennengelernt. Die haben mich immer über den ausgefragt und wollten seine Nummer haben. Das läuft doch andersrum genau so, denke ich.

Zitat: Die mit Licht gefüllten Aquarien finde ich nicht soo schlecht. Ehrlich. Der Magnet-Vergleich ist natürlich banal, aber das würde mich bei einem fremden Text nicht wirklich stören. Aber gut zu wissen, dass vergriffene Metaphern auffallen.

Da hast du meine Kritik aber nicht aufmerksam gelesen. Ich finde das Aquarium-Bild ebenfalls richtig toll. Gerade deshalb fand ich den Magnetvergleich für deine Fähigkeit, besondere Vergleich zu finden, halt enttäuschen.

Und: Die Story hat mir sehr wohl gefallen, aber im Vergleich zu deinen anderen Werken kommt sie halt nicht unter die ersten Plätze. Das ist nun mal so, wenn man hier hohe Maßstäbe für das eigene Werk setzt. Jede weitere Story von dir wird daran gemessen.

Okay, das nur noch mal zur Verfeinerung, damit auch alle meine Aussagen verständlich werden.

Rick

 

Huhu!
Zurzeit bin ich oft hier, bin aber oft übel beschäftigt oder einfach zu faul... Aber es ist natürlich sehr Scheiße, Leuten einen Monat später zu antworten, da plagt mich schon mein Gewissen.

Leonie wird ja auch nur angemacht und nicht abgeschleppt, sie ist (normalerweise) keine Schlampe :) Aber wenn ich mir vorstelle, dass ein Typ zu mir kommt und so kokett nach der Handynummer meiner heißen Freundin frägt, wie du beschrieben hast- da würde ich mindestens angepisst reagieren. Manche Dinge, die Frauen sich leisten können, gehen bei Männern gar nicht ;)
Doch, klar habe ich deinen Kommentar aufmerksam gelesen, für mich klang es an der Stelle aber so, als wäre "Männermagnet" im Vergleich zu den Aquarien noch harmlos. Bin aber erleichtert, dass du die Aquarien doch gut findest. Ich habe in Kiew viele bunte gläserne Cafes gesehen, seitdem habe ich dieses Bild im Kopf.
Die Geschichte war eigentlich älter als andere Sachen, die ich hier gepostet habe, btw. ich habe sie vor Ewigkeiten angefangen, und irgendwann habe ich sie korrigiert und gepostet. Ich bleibe aber dabei, dass sie was hat :)

 

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