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Alice

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25.01.2002
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Alice

Jan steht am Fenster und weint. Die Tränen laufen ihm über die Wangen, seine Finger umklammern das Fensterbrett. Noch nie fühlte er eine dermaßen große Wut in seinem Bauch. Am liebsten würde er sich eine Axt aus dem Gartenhäuschen holen und mit dem Fahrrad zur Sporthalle fahren. Er weiß, dass dort gerade die 13 bis 16jährigen Jungen Handballtraining haben, bei ihm. Gleichzeitig aber fühlt Jan sich so hilflos. Fühlt sich als hätte ihm jemand Fesseln angelegt und die Lippen zusammengeklebt. Er möchte gerne schreien, aber ein Kloß in seinem Hals versperrt den Tönen den Weg. Alice ist seine beste Freundin, seit Jahren. In den letzten Monaten begann er mehr für sie zu empfinden, doch er versteckt seine Gefühle aus Angst die sie zu bedrängen, aus Angst die Freundschaft zu zerstören. Alice spielt Handball seitdem er sie kennt. Sie hatte wirklich Talent, deshalb verboten ihr ihre Eltern auch immer wieder alles hinzuwerfen. Sie hatte das Zeug dazu in das Nationalteam zu kommen, will aber schon lange mit dem Spielen aufhören. Auch Jan hatte nie verstehen können warum. Hatte – jetzt schon.

Er sieht Alice vor sich wie sie auf seinem Bett sitzt, mit ihren großen braunen Augen. Sie hat ein Glas mit Orangensaft in der Hand, welches sie gedankenverloren hin- und herdreht. Sehr lange sagt sie kein Wort. Das ist ungewöhnlich, denn sie ist normalerweise sehr redselig, unterhaltsam. Ihr fällt immer etwas ein, und wenn sie ihm von Löchern in Strumpfhosen erzählt. Dieses einfache zwanglose Drauflosreden ist eines der Dinge die Jan so an ihr faszinieren.
Alices Blick ist war auf einen unendlich weit entfernten Punkt hinter seinem Schreibtisch gerichtet. Als Jan zur Tür hineinkommt, er war in der Küche gewesen um Pizza für sie beide in den Backofen zu schieben, bemerkte er dass irgend etwas mit ihr nicht stimmte. Ihr Oberkörper lehnte an der Wand während sie die Beine so nah wie möglich an sich herangezogen hatte und sie mit den Armen umschloss. Sie bebte als würde sie frieren. Ihr Gesicht war starr, die Kiefer aufeinandergepresst. Jan setzte sich auf seinen Drehstuhl und blickte sie an. Die Stimmung war ruhig, aber dennoch bereitete er sich innerlich, aus Intuition wohl, schon auf die unfassbaren Sätze vor. Mit einem Mal öffnete sie den Mund und sprach leise: „Es ist meistens nach Heimspielen. Es hat damit angefangen, dass ich in das Trainerbüro kommen sollte. Ich hatte noch das Trikot an, er beschwichtigte mich nicht zu schreien. Ich war so geschockt, so durcheinander ...“
An den Rest will Jan sich nicht mehr erinnern. Er weiß nur noch, dass er darauf nichts sagen konnte. Er fühlte lediglich diese Wut und die Trauer, machte sich Vorwürfe dass er nicht schon früher etwas an ihr bemerkt hatte. Was hatte dieser Typ nur mit Alice gemacht, am liebsten hätte er sich zu ihr auf das Bett gesetzt und sie in den Arm genommen. Aber er war wie gelähmt. Sie erzählte weiter, wie er sie immer und immer wieder genötigt hatte. Irgendwann fragte Jan, seit wann der das mache. Als sie erwidert „Seit ich vierzehn bin“ wird Jan richtig schlecht. Er möchte sich übergeben. Das darf einfach nicht wahr sein. Seine liebe lebensbejahende Alice, wie kann sich ein Mann nur so verhalten? Jan ärgert sich weil er keine Worte seine Wut und Trauer auszudrücken gefunden hatte. Alice war einfach aufgestanden und aus der Tür gegangen. Jan könnte sich dafür ohrfeigen, dass er ihr nicht nachgelaufen war, aber er hatte all diese Bilder noch im Kopf, kannte den Trainer. Jetzt steht er am Fenster und sieht nach draußen, durch den Regen hinüber über den Spielplatz, wo Alice wohnt. Zum ersten Mal wird ihm klar, dass er sie liebt, mehr als er sich selbst bisher immer eingestanden hatte. Wie betäubt geht er ins Badezimmer um sich zu duschen. Das Wasser auf der Haut tut gut. Als würde es diese schmutzigen Bilder wegwaschen. Härter als sonst schruppt er sich mit dem Waschlappen ab. Als er aus der Dusche steigt fällt sein Blick auf seine Hose, den Gürtel. Alice schenkte ihm ihn zum letzten Geburtstag. Jan fasst einen Entschluss.

Hastig zieht er sich an und holt aus dem Keller, der Tiefkühltruhe, eine zweite Pizza. Er schließt eilig sein Fahrrad auf und klemmt die Papppackung auf den Gepäckträger. Gedanken jagen ihm durch den Kopf – wir müssen ihn anzeigen – ich habe versprochen keiner Menschenseele etwas davon zu erzählen. Eigentlich wäre es nicht nötig gewesen diese kurze Strecke mit dem Fahrrad zu fahren, aber Jan möchte so schnell wie möglich bei ihr sein. Er weiß dass sie gerade alleine ist. Er nimmt sich keine Zeit mehr das Rad an die Wand zu lehnen , lässt es einfach im Vorgarten auf den Rasen fallen. Er klingelt Sturm, tritt von einem Bein auf das andere, sein Herz rast. Alice öffnet die Tür. Als er sieht wie aus ihren Augen Tränen laufen und sie gleichzeitig versucht zu lächeln zieht er sie zu sich heran, fährt ihr mit der rechten Hand über das Haar und gibt ihr einen Kuss auf die Stirn.

(ms, 04.02.2002)

[Beitrag editiert von: Poetna am 12.02.2002 um 16:08]

 

Ein sehr delikates Thema das du angegriffen hast.
Es ist aber auch ein Thema an dem sich schon sehr viele Autoren versucht haben und gescheitert sind.
Gleich vorne weg. Du wärst beinahe gescheitert.
Und zwar aus folgenden Gründen.
Da wären zuerst deine Schnitzer, wie :

Er weiß, dass dort gerade die 13 bis 16jährigen Jungen Handballtraining haben, bei ihm.
Oder, dass du deine Geschichte Zwar Alice heisst, das Mädchen am Beginn der Story Alica genannt hasdt um sie in der Mitte wieder zu einer Alice zu machen.
Du wirst jetzt bestimmt antworten, dass sind Kleinigkeiten.
Du hast sicher recht, aber idese Kleinigkeiten lenken den Leser brutalst von der Story ab.

Der nächste Punkt ist, dass du meiner Meinung nach keine Lust mehr gehabt hast die Story weiter zu schreiben und der Geschichte somit ein würdiges Ende fehlt.

Ausserdem fehlt mir hier etwas die Sicht der Protagonistin. Du beschreibst nur das Leiden des Jungen das die Mißbrauchte liebt.
Wo bleiben die Gedanken und Gefühle von Alice?
Liebt sie diesen Jan auch?
Was verspürt sie, als er plötzlich mit einer Pizza vor der Tür steht?

Darüber solltest du mal nachdenken. Denn meiner Meinung nach fehlt der Geschichte noch vieles.
Man kann sich hineinfühlen. Das hast dusehr gut geschafft. Aber die Gefühle bekommen kein Highlight. Sie bleiben am Ende stehen und das hättest du vermeiden sollen!

Luja sog i

 

@Hennaboindl

Danke für den Hinweis zwegs Alice, ich hab's gleich geändert.

Was verstehst Du denn bzw. meinst Du mit dem Begriff Schnitzer?
Ist es Deiner Meinung nach denn nötig hier Alice die Geschichte der Protagonistin zuzuschreiben? Ich ging eigentlich eher von Jan als Haupakteur aus. Naja.

mfg
ms

[Beitrag editiert von: Poetna am 06.02.2002 um 22:02]

 

Ich denke, das Schlimmste, was einem passieren kann, dem sich jemand anvertraut, ist zunächst die eigene Hilflosigkeit... verbunden mit dem Versprechen "Keiner darf das je erfahren".

Die Geschichte wird aus der Sicht von Jan erzählt. Es wird versucht, zu zeigen, was in ihm vorgeht... was er tun soll.

Das er am Ende wider der Vernunft keine Anzeige erstattet, zeugt von menschlicher Schwäche. Oder wird er Alice doch dazu überreden können? Sie davon überzeugen können, daß es der bessere Weg anstatt Schweigens ist? Das Ende läßt Freiraum für Vermutungen. Und das gefällt mir.

Ernstes Thema. Seriös und nicht nach Effekten haschend rübergebracht.

Unbedingt noch einmal die Story bezüglich der "Schnitzer" überarbeiten. Hoffe, du weißt, wie ich das meine.

Poncher

 

Bin ich ja froh dass sich das noch geklärt hat.

Die Schnitzer habe ich verbessert, danke für den Hinweis.
Bis dann
ms

 

Hallo Poetna!

Deine Geschichte finde ich außerordentlich gut aufgearbeitet und möchte mich Ponchers Stellungnahme anschließen. ;)

Liebe Grüße
Susi

 

Hi PoetnaEin schweres Thema, und es ist als versuch, dem gerecht zu werden nicht schlecht.

Das offene Ende gefällt mir, weil es in Richtung Zukunft zeigt.

Die sonstigen Schwächen wurden vorher schon von anderen angesprochen.

Sprachgefühl hast Du, und man darf auf weiteres durchaus gespannt sein.

Lord

 

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