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Alexander Luxemburg
Mein Name ist Alexander Luxemburg. Ich bin 25 Jahre alt und habe eine hübsche Frau, einen angenehmen Beruf und ein schnuckliges Häuschen. Direkt nebenan liegt ein kleiner Park.
Ist es nicht wunderschön, morgens von lieben Vogelstimmchen geweckt zu werden, wenn sich die Erde unterweilen frisch und rund taut? Die Vögel entführen einen so verständnisvoll aus den Träumen, wie es irgend geht.
Morgen werde ich hingerichtet. Ich hatte schon so eine Vorahnung, denn der Prozess, zu dessen Besuch ich leider immer gezwungen wurde, verlief reichlich unglücklich.
Meine Rechtsanwältin, Frau Dr. Passer, war engagiert, aber dem Druck einer langwierigen Verhandlung nicht gewachsen. Sie sah etwa so aus wie jemand, der einfach nur vergessen hatte, Selbstmord zu begehen. Sie war ungeheuer blass und hatte merkwürdige, hellbraune Augen, bei denen ich vermutete, dass der Schöpfer sie nicht hatte einweisen können, so eigenartig saßen sie in ihren Höhlen.
Jedesmal wenn sie ihre leichte Stimme hob, um mich zu verteidigen, wurde sie vom Staatsanwalt mit Donnerstimme einfach niedergebrüllt. Sie weinte dann und zitterte.
Sie zerbrach. Am Anfang war sie noch tapfer, lobte mich in leisen Worten, machte auch zu meiner Rettung dem Richter zweifelhafte Offerten, die dieser ablehnte. Später sprach Frau Passer gar nicht mehr, weinte- scheinbar unmotiviert- stundenlang und trommelte dabei mit ihren kleinen Fäustchen auf dem Pult herum. Ich weiß nicht genau wann, es muss wohl das fünfte oder sechste Prozessjahr gewesen sein, fing ich mit der Verzweifelten zu schmusen an. Sie tat mir ja so leid. Leichenkalt war sie.
Richter von Grau machte zunächst einen passablen Eindruck. Er war zu außergewöhlicher Freundlichkeit bemüht, und ich glaubte fast, dass meine Sache gut stünde. Er sprach auch immerzu von Zuneigung und benahm sich mir gegenüber wie ein verliebter Teenager. Manchmal sah er mich intensiv an, zwinkerte mir zu und warf mir in unbeobachteten Momenten Handküsschen zu. Doch diese Momente inniger Symphatie wechselten sich mit Phasen betonter Sachlichkeit ab und wurden immer seltener. Diese ekelhafte Nüchternheit!
Wenn Richter von Grau so ausgesprochen sachlich war, wägte er die verschiedenen Argumente ab, verlor sich in Erläuterungen, Ausführungen und Erklärungen. Stundenlange Monologe waren nicht unüblich. Je länger er sprach, desto weniger folgte man ihm. Ich und andere schliefen vor Langeweile ein. Selbst der grausige Staatsanwalt konnte sich nicht lange disziplinieren und schlummerte dann und wann.
So war ich froh, als dieser zähe Prozess ein Ende hatte und das Urteil verkündet wurde: Tod durch Bauchschuss!
Frau Passer warf sich leise seufzend aus dem Fenster und zerschellte- sie hatte sich endlich umgebracht! Wie ich erfuhr, hinterließ sie ein Kind und eine Ex-Affäre.
Ich schäme mich fast, dass ich die Folgezeit in der Todeszelle und im Todestrakt als eine angenehme in Erinnerung halte.
Kontakt hatte ich nur zu dem Wärter und Scharfrichter in Personalunion, Herrn Somme. Er hatte ein markantes Gesicht, erdbeerrote Haare und wurde mir, trotz seiner antisemitischen Grundsätze, der beste Freund.
Wir spielten oft Schach und unterhielten uns über alte Weibergeschichten und sündhafte Saufgelage. Wir wurden immer offener zueinander, sprachen über selbst unbedeutendste Probleme, trösteten uns und kuschelten uns in dunklen Nächten aneinander.
Ich weiss kaum, wie das alles kam, aber es war gar zu schön.
Wir gaben uns Kosennamen. Er nannte mich immerzu "Opferchen", wenn er mich ein wenig necken wollte. Ob seiner roten Haare hieß ich ihn "Erdbeertod" und wenn ich üble Laune hatte "Metzger". Wir lachten dann immer und fielen uns in die Arme. Er war so warm wie ein Frischgeborenes.
Mich ärgerte ungemein, dass ich ihn mit so einer schrecklichen Aufgabe, wie es eine Hinrichtung nun einmal ist, belasten muss. Ich hatte so großes Mitleid mit ihm, aber er erklärte, dass es schon schwer sei, ja, aber es sein schließlich sein Beruf und es müsse doch gemacht werden. Herr Somme führte aus, dass er sich besser fühlen würde, wenn er es machen würde, gerade weil wir so wunderbar befreundet seien, denn einen Wildfremden möchte er mir nicht zumuten, er hätte dann kein Vertrauen und Kontrollmöglichkeit und wäre sehr besorgt um mich. Da wäre es schon besser, wenn er es in tiefer Brüderlichkeit verrichten würde.
Der Gute hatte recht. Er holte uns einen Schnaps aus der Gefängnisküche und ich fühlte mich wieder besser.
Die letzten Wochen schlichen so vorbei und als endlich der Hinrichtungstermin bekannt gegeben wurde, war ich recht erleichtert.
Der Mond scheint heute glanzrot in die Zelle und erinnert mich an Herrn Somme, den ich morgen zum letzten Mal sehe. Ich werde hingerichtet- Tod durch Bauchschuss. Ich muss zugeben, anfangs war ich reichlich angespannt, doch nun bekümmert es mich gar nicht mehr. Ich freue mich nicht gerade, aber eine merkwürdige Ruhe umfasst mein ganzes Gemüt.
Es ist halt wie ein Pflichttermin so ist; ein Zahnarztbesuch, bei dem ein lästiger Zahn entfernt wird.
Ich, Alexander Luxemburg, werde hingerichtet und es beruhigt mich, dass Herr Somme es übernimmt. Ansonsten könnte ich wohl kaum einschlafen oder würde wenigstens schlecht träumen. Zu Ehren meines Freundes habe ich mir als Henkersmahlzeit Erdbeeren gewünscht.