Alex - Fürchtest du dich?
Wir schleichen durch das Gestrüpp. Noch sind wir nicht richtig in der Tiefe. Aber es fällt leicht, die Orientierung total zu verlieren. Einige Male bleibe ich an Zweigen hängen, zerkratze meine Arme an Dornengestrüpp oder trete in Brennessel. Aber ich verkneife mir ein Aufschreien. Er tut es ja auch nicht. Durch das Blattwerk strahlen Reste der untergehenden Sonne und machen die Bäume schimmern. Er geht voraus. Längst sind weit und breit keine Wege mehr zu sehen. Und den Waldrand haben wir aus unserem Sichtbereich verloren.
Kaum zu glauben wie ungewohnt es ist, auf unebenem, weichem Boden zu laufen. Meine Beine knicken um, aber ich kann mich an Ästen festhalten. Dann - langsam wird es immer dunkler. Seltsame Geräusche lassen mir Schauer über den Körper jagen und ich bekomme eine Gänsehaut als neben uns eine Eule davon flattert.
„Fürchtest du dich?“ fragt A und hackt ein kleines Messer in einen alten, morschen Baum.
„Nicht wirklich.“
„Was fühlst du dann?“
„Was meinst du?“
„Ich meine... also ich hätte jetzt Bock... Ich würde jetzt gerne jemanden durchficken. Du nicht?“
Ich rutsche vor lauter Überraschung aus und schlage mir mein Knie auf. Es beginnt übel zu bluten.
A kommt zu mir und fragt ob ich OK bin. Es tut höllisch weh. Und was er da gesagt hat, beruhigt mich kein wenig.
„Warte, komm her! Ich mach das.“ Er kniet sich zu mir in die weiche Erde und hält mein Bein fest. Ich hab keine Gelegenheit aufzustehen.
„Was soll das werden?“ Noch bevor ich mich versehe hat er mir meinen Rock über die Oberschenkel geschoben und tastet mein Knie ab, um die Wunde herum. Seine Fingerkuppen streifen die weiche, glatte Haut an meinen Kniekehlen und es kitzelt.
„Hör auf damit!“ fauche ich wütend.
„Ich mach doch gar nichts.“ flüstert er, während er meinen linken Oberschenkel hoch streicht. Er tut es ganz sanft und macht knapp vor meinem Slip halt. Dann streicht er wieder runter, sieht mir in die Augen und leckt meine Wunde dabei ab. Ich halte den Atem an. Mein Herz rast. Überall Geräusche. Überall Geister. Und es brennt tierisch. Ich versuche ihn von mir wegzustoßen. Er lacht.
„Was erwartest du? Ich bin eine Hure.“
„Du weißt wer ich bin... wir dürfen das nicht!“
„Weißt du wie egal mir das ist?“
„Hör auf!“
„Warum wehrst du dich dagegen? Es gefällt dir doch.“
„Es gefällt mir nicht.“
„Wollen wir wetten?“ A bohrt seine Fingernägel in die offene Wunde. In mein blutiges Fleisch. Und ich schreie atemlos. Seine andere Hand greift nach meinem Kinn.
„Keiner ist hier um dich zu sehen, Mädchen. Komm schon.“ Als er mich küsst gebe ich auf. Er hat recht. Er tut nichts, das ich nicht wollte.
Ich lasse mich auf die Blätter zurück fallen. Der Himmel ist tief dunkelblau. Nur der volle Mond steht mahnend über uns und die Sterne blinken kalt.
Er beginnt meine Wunde zu küssen und leckt sie wieder ab. Dann wandern seine Lippen höher, tiefer, sind mal an meinen Knöcheln, mal an meinem Bauch. Mal zwischen meinen Beinen, mal auf meinen Schenkeln. Am liebsten will ich im Boden versinken und mich auflösen. Was ich zulasse ist mein Geständnis. Ich fühle mich schuldig und schwächer denn je unter seinen Berührungen.
A kniet vor mir. Ich liege mit gespreizten Beinen wie in einem billigen Porno da, im Matsch. Er sieht mich nur an. Und ich glaube er lächelt erhaben. Ich sehe das nicht durch die Dunkelheit aber als er spricht höre ich eine Spur amüsierte Selbstsicherheit in seiner Stimme. „Lass es zu!“ Und irgendwann spüre ich den Stoff seiner zerrissenen Jeans auf meinen nackten Beinen. Spüre wie er sich zu mir runter beugt und seine Hüften auf meine drückt. Spüre seinen Ledergürtel, dessen offene Schnalle mir schmerzhaft in den Bauch schneidet. Seinen Atem auf meiner Haut. Ich habe seine seidigen schwarzen Locken im Gesicht und seine Zunge in meinem Mund. Sein Gewicht auf mir. Aber in der nächsten Sekunde stößt er sich von mir weg, rappelt sich vom Boden auf und wankt - fällt. Rutscht im Matsch auf Knien weg von mir. Steht kraftlos auf, stolpert und fällt wieder. Wischt sich die Tränen aus seinem wütenden Gesicht. Zittert und schluchzt. „Scheiße!“ Erst verharrt er zusammengekrümmt auf dem Boden. „Scheiße!“ Flashback, denke ich. Hab viele Bücher darüber gelesen... Und ich weiß, dass er gerade vor Angst heult. Gefangen in der Erinnerung. „Es tut mir so leid...“ sage ich voll Mitleid. „Red keine Scheiße! Du hast keine Ahnung! Verdammt...“ Brüllt er mich an, aus voller Kehle. So habe ich noch nie jemanden erlebt. So voller Zorn und Hass. Er zieht das Messer aus dem Holz und stürmt damit auf mich zu. Rammt es neben mir in den Boden und tritt mir stattdessen in die Seite. Prügelt auf mich ein. Ich fühle mich als würden mir die Eingeweide zerfetzt werden. Spüre den Schmerz in Wellen über meinen ganzen Körper schwappen. Er hört nicht auf. Ich kann nicht fühlen oder denken. Und ich halte wimmernd den Atem an als er bebend und schluchzend zusammenbricht.
[ 02.08.2002, 23:07: Beitrag editiert von: Alexis ]