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Albtraum
Warum setzt sich dieser Mann in mein Abteil? Draußen regnet es. Er ist schön. Ich krame nach einem Buch. Wo ist dieses verdammte Buch. Da. Ich hab es. Ich habe gedacht, ich kann in Ruhe heimfahren. Ich wollte lesen. Endlich einmal in Ruhe lesen. Es ist ja immerhin schon 10 Uhr abends. Da kann man schon auf ein eigenes Abteil hoffen. Er sieht mich an. Ich lese. Ja. Und ich lese jetzt. Er sieht mich an und er durchschaut mich. Ich kenne diese Sorte von Männern. Diese Typen, die einem selbstgefällig bis auf den Grund der Seele blicken. Er lächelt. Von sich selbst überzeugt. Präpotenter Kerl! Was willst du von mir? Ich werde verlegen. Es regnet, sage ich leise, erröte. Du bist nicht warm angezogen. Er sieht auf meine Beine. Was bildet er sich ein? Die Stiefel sind hoch genug. Oh, verdammt was sage ich da? Seine Augen sind warm. Warm und überlegen. Herzlich und präpotent. Er ist älter als ich. Er ist kräftig. Eine Zigarette, schnell eine Zigarette. Meine Hände wühlen ziellos in meiner Tasche. Endlich. In den Mund mit dieser blöden Zigarette. Du rauchst? Was will der Kerl. Das ist ein Raucherabteil. Meine Hände zittern leicht. Ja, ich rauche. Jetzt noch das Feuerzeug. Ein Königreich für ein Feuerzeug. Ich finde es nicht. Er sieht mir zu, bewundernd und abschätzig. Er soll doch zum Teufel gehen. In meinen Jackentaschen habe ich es vielleicht. Dieses Feuerzeug. So. Die Zigarette brennt. Er hustet. Er steht auf. Will er gehen. Ich will nicht, dass er geht. Ich sage, ich könnte sie ausdämpfen, die Zigarette. Bin ich noch bei Trost? Rauche ruhig. Er zieht die Vorhänge des Abteils zu, schweigt. Ich starre ihn an, bin verwirrt. Er wühlt in seinen Taschen. Nimmt ein Buch heraus. Er liest. Der Zug setzt sich in Bewegung. Er beachtet mich nicht. Ich dämpfe aus. Ich wippe mit den Beinen. Draußen gibt’s keine Landschaft. Nur Nacht. Ich spiegle mich im Fenster. Ich lächle mich an. Ich schlage die Beine übereinander. Lege den Kopf auf meine Schulter. Schließe meine Augen. Wie heisst du? Die Stimme. Diese tiefe Stimme. Ich sage ihm meinen Namen. Und du? Sein Name. Er sitzt mir gegenüber. Der Zug schaukelt. Die Welt herum versinkt. Dieses Gefühl. Nur er und ich. Es ist wie ein Sog. Ich kann mich diesem Sog nicht entziehen. Er und ich in einem Zugabteil. In der Nacht. Ich greife in meine Haare, lächle, blicke auf meine Schuhe. Er liest wieder. Das ist nicht fair. – In meiner Verwirrung lese ich auch, stelle mich lesend, warte dass er etwas sagt. Sag was. Sag endlich was. Noch eine Zigarette, stelle mich lesend. Dann seine Hand auf meinem Knie. Seine Augen –liebevoll und kalt. Keine Chance. Meine Gedanken sausen durch den Kopf. Das ist nicht die Wirklichkeit. Was mache ich hier? Mein Atem. Komm. Ich komme zu ihm. Es ist zu spät. Ich bin bei ihm. Die Berührungen. Ich kann nicht mehr denken. Ich habe keine Wahl. Jetzt. Und es geschieht. Und es ist zu spät. Es ist geschehen.
Ich bin völlig durcheinander. Was habe ich gemacht. Warm liegt sein Arm um meinem Hals. Das war jetzt nicht mein Plan, das alles, sage ich. Ich weiss, Mädchen. Er küsst mich zärtlich.
Ich kenne diese Sorte Männer. Sie schauen bis auf den Grund der Seele.
Sich mit ihnen einzulassen ist ein Albtraum.