Alberese
Im Süden der Toskana gibt es einen wundervollen Strand. Er befindet sich im Naturschutzgebiet von Alberese. Zuerst muss ein Ticket gekauft werden, in der Touristeninformation in Alberese, erst dann ist es möglich eine Schranke zu passieren um in des Naturschutzgebiet samt Strand zu fahren. Der Strand ist schmal, aber wunderbar. Es gibt keinerlei Verkaufshäuschen am Strand. An manchen Tagen ist der Strand, vor allem gegen Abend, eher schwach besucht. Charakteristisch sind einige vom Meerwasser gebleichte Bäume, oder besser deren Reste, die am Strand liegen. Sehr praktisch um Bikinis oder Handtücher zu trocknen.
Ich habe mir ein Auto gemietet, für einige Tage. Meine erste Fahrt führt mich direkt nach Alberese. Schnell das Ticket gekauft und sofort zum Strand.... nachdem ich geparkt habe, mache ich mich mit Handtüchern, Sonnencreme, zwei Büchern, einem Vorrat an Wasser, frischem Obst und einer Camera auf an den Strand. Er ist gut gefüllt, aber nicht übervoll. Schnell ziehe ich mein Kleid aus und springe gleich in die Wellen! Das salzige Meerwasser ist mein Element. Ich schwimme weit hinaus, so weit, dass ich noch sicher sein kann, problemlos zurückzupaddeln, denn hier gibt es keinerlei Rettungsteam. Ich lasse mich treiben, die Strömung hier ist sehr schwach, es gibt kaum Wind. Ganz entspannt schwimme ich zurück. Die Italiener folgen ihrem Ritual: Das Wasser wird eingehend betrachtet und dessen Farbe kommentiert. Dabei steht man höchstens bis zum Knie im Wasser. Das aber problemlos zwei Stunden lang in denen ununterbrochen geredet wird. Irgendwann begibt man sich wieder zu seinem Lager, um zu essen. Schwimmen? nein, auf keinen Fall. Da fallen die ganz wenigen schwimmenden, sportlichen Ausnahmen um so mehr auf. So wie 'Davide'. So nenne ich ihn in Gedanken als ich ihn zum ersten Mal sehe. Ahhhhhhhhhh was für ein Mann! Er ist Mitte Vierzig vielleicht, mit dem Körper eines sehr sportlichen Mannes von Mitte Dreißig. Seine dunkelbraunen Haare glänzen feucht. Er hat Locken und, soweit ich das aus sicherer Entfernung sehen kann, grün-braune Augen. Er ist schlank und muskulös zugleich. Glücklicherweise trägt er keinerlei Schmuck, weder eine der übel großen Goldketten, noch eine wasserfeste Uhr. Noch nicht einmal eine Sonnenbrille. Ich allerdings nehme meine nicht ab, so kann ich ihn besser beobachten. Er ist mit drei Freunden hier. Sie lachen viel und wirken völlig entspannt. 'Davide' und seine Freunde schwimmen, tatsächlich, und 'richtig'. Einer von ihnen ist mit Taucherbrille und Harpune unterwegs. Ich versuchte mich auf mein Buch zu konzentrieren, würde aber viel lieber mit den vieren Schwimmen gehen.... Zwei Stunden vergehen. Die Hitze des Nachmittags ist wunderbar. Sie brennt auf der Haut, ich liege deshalb im Schatten. 'Davide' hat mich entdeckt. Ich spüre seine Blicke, selbst wenn ich ihm meinen Rücken zukehre. Ich lese, oder zumindest gebe ich vor zu lesen. Die Ritual-Italiener sind nach einer Pause auf ihren Handtüchern wieder knietief im Wasser und lassen ihrem Rededrang ganz freien Lauf. Davide ist einer der schönsten Männer dieser Welt, das ist sicher. Außerdem scheint er in keiner Weise dem Typus italienischer Anmacher und Gigolo zu entsprechen. Das macht ihn um so aufregender. Ich mag es wenn Jemand eine gewisse Unnahbarkeit ausstrahlt. Keine Arroganz sondern Unnahbarkeit. Würde ihm gerne sofort ein Gedicht widmen, auf Englisch vielleicht. Das lege ich ihm dann auf sein Handtuch, wenn die vier im Wasser sind, wie zufällig. Die Zeit vergeht, langsam, zum Glück. Ich habe jetzt meinen Schattenplatz verlassen und liege in der milden Abendsonne. Der Strand von Alberese leert sich mehr und mehr, die Familien sind bereits aufgebrochen. Einige Paare liegen noch hier und da verstreut. ‚Davide’ spielt jetzt mit seinen Freunden Strandfußball. Ich stehe auf, will noch einmal schwimmen gehen. Er lächelt mir zu als ich mich der kleinen Gruppe nähere. Mir wird heiß. Nein, der Mann ist viel zu schön. Ich schwimme weit hinaus, fast zu weit. Sehe nur noch ganz kleine Pünktchen am Strand. Als ich zurückkomme, packen Davids Freunde ihre Sachen. Nur er selber packt nicht. Sollte er... noch bleiben wollen? Wieder lächelt er mir zu, ich wage kaum direkt zu ihm zu sehen. Von wegen wilde Jägerin... ich lasse mich auf mein Handtuch fallen. Die drei Freunde verabschieden sich. ‚Davide’ bleibt. 20 Meter von mir entfernt. Er öffnet eine Art Kühltasche und holt eine Flasche Rotwein heraus. Mit der Flasche und 2 Bechern in der Hand kommt er zu mir. Ich schlucke. Er steht vor mir und er ist noch viel schöner als der marmorne David. Seine vielen vielen dunklen Brusthaare glänzen feucht. Sein Mund ist umwerfend. Er lächelt zu mir herunter. Begrüßt mich auf Italienisch. Wir wechseln zwei, drei Sätze, sein Akzent ist nicht toskanisch. Er kommt aus Padua und ist Doktor der Geologie. Ich biete ihm einen Platz auf meinem Handtuch an. Er setzt sich sehr grazil, ohne sich abstützen zu müssen. Er öffnet die Flasche, ein Chianti, schenkt uns beiden ein. Wir sagen 'Salute', auf das Meer, auf was auch sonst.... ohne einen großen Schluck des Weins wäre ich jetzt wahrscheinlich ohnmächtig. Wir unterhalten uns in einer Mischung aus Englisch und Italienisch. Er ist nicht nur schön sondern auch schlau. Der Strand ist jetzt fast leer. Das letzte Sonnenlicht wärmt uns. Mir ist eh unendlich heiß. Wir wollen ein Stück am Strand entlang gehen. Er nimmt meine Hand um mir aufzuhelfen. Langsam gehen wir nebeneinander her, wie in einem Traum. Nach einigen Metern zieht er mich sanft in den Sand. Ich bebe. Er streichelt mein Gesicht, eine Ewigkeit, lässt seine zarten Finger über meine Wangen, meine Augenbrauen, mein Kinn und meine Lippen gleiten, ganz sanft, nicht mehr, immer wieder. Ich muss diesem Mann entfliehen, bevor ich mich haltlos in ihn verliebe. Allein seine Augen sind nicht von dieser Welt. Er sagt genau das von meinen. Sonst reden wir nicht. Ich versuche aufzustehen um wegzurennen. Es geht nicht. Ich sinke in seine Arme zurück. Jetzt hält er mich wie ein kleines Mädchen, wie sein kleines Mädchen. Nicht mehr. Er versucht nicht meinen Bikini auszuziehen, vermeidet es mich intim zu berühren. Macht keine überflüssigen Worte. Er hält mich sanft fest und wiegt mich in seinen wunderbaren, braunen, mit lockigem Haar übersäten Armen. Ich vergesse alles um mich herum, Raum, Zeit, sogar das Meer. Ich küsse ihn, oder er mich, wir uns, sanft nur, nicht wild und fordernd. Es müssen Stunden vergangen sein, oder Tage und Wochen. Es ist stockfinster als wir den Strand verlassen. Ich kann mich kaum auf den Beinen halten. Davide = Marcello trägt mich förmlich zu meinem Auto. Wir tauschen keinerlei Adressen oder Telefonnummern. Steigen einfach ein, er in sein Auto und ich in meins. Wir fahren los. Ich bin ohne jegliche Konzentration, aber es gibt nur eine Straße und die führt kilometerlang geradeaus. Dann biegen wir ab, er nach links und ich nach rechts. In den Tagen danach bin ich mir nicht sicher, ob ich das alles geträumt habe. Vielleicht wäre ich das bis heute nicht, wenn ich nicht Rotweinflecken auf meinem Strandhandtuch gefunden hätte und einige lockige sehr dunkle Brusthaare auf meinem verschwitzten Dekollete. Und noch immer bin ich glücklich darüber, dass es bei unserer übersinnlichen Zärtlichkeit geblieben ist, ob im Traum oder in der Realität, und auch darüber, dass wir keine Daten ausgetauscht haben, denn diesen Mann hätte ich sicher nicht überlebt.
Ich bin seitdem nicht wieder an den Strand von Alberese zurückgekehrt, aber eines Tages werde ich das sicher, ganz sicher...