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Alb-Träume
Auf diese Nacht hatte sie sich so lange gefreut. Schon während ihrer Zeit mit Tom stellte sie sich vor, auf einer Decke unter freiem Himmel zu liegen um die Sterne zu betrachten. „Unsere Freunde“ hatten sie das Sternbild Orion genannt, das allerdings nur in den Monaten zu sehen war, die sich für ein nächtliches tête-à-tête weniger eigneten. Aber natürlich waren da auch die Gedanken an einen romantischen Sommerabend verbunden: ein Gläschen eisgekühlter Cremant und ein paar Leckereien vom Italiener. Insgeheim hatte sie sich vorgestellt, er würde ihr zuhause die Augen verbinden und sie dann an diesen Ort ihrer Sehnsucht bringen und alles wäre so, wie sie es sich in ihren geheimsten Gedanken erträumt hatte. Aber es kam anders und die Scheidung war noch nicht lange her.
Nun stand die Sonne schon tief, als sie und Robert auf der Hochfläche angekommen waren. Im Juni brannte dort oben immer das riesige Sonnwendfeuer, jetzt waren nur zwei, drei Spaziergänger auf dem Heimweg. Es war ein Ort an dem sich sprichwörtlich Fuchs und Hase „Gute Nacht“ sagen. Das Aufpumpen der Luftmatratze mit der elektrischen Pumpe erwies sich, als sie die Funktion durchschaut hatten, als banal. Robert zog die Matratze, nachdem sie die richtige Härte hatte, in die Mitte der großen Wiese. Diese war durch den Feldweg, der am Steinbruch endete, geteilt. Dort stand auch der Wagen. Roberts I-Pod war am Radio des Voyagers angeschlossen und spielte Musik, die sie beide liebten. Während eines Jazzkonzerts hatten sie sich vor sechs Monaten kennengelernt und sofort verliebt. Sie hatte ein paar Leckereien vom Feinkosthändler in die Picknickbox gepackt und die Flasche italienischen Rotwein, die sie gemeinsam leerten, bis die Sonne am Horizont verschwand.
An diesem Tag war es hier schon bei Ankunft merklich frischer als unten in der Stadt. Jetzt lag sie etwas weinselig neben Robert auf der großen Luftmatratze. Es war erst April und der Orion war noch zu sehen in dieser kalten, klaren Nacht auf der Schwäbischen Alb. Die beiden Schlafsäcke hatte er zu einem zusammengefügt und darüber noch zwei alte Decken gebreitet. Beide trugen Sportkleidung, dicke Socken und hatten warme Stirnbänder, die sie gewöhnlich bei Winterspaziergängen trugen, über die Ohren gezogen. Er hielt sie im Arm, während sie die Sterne und Satelliten am dunklen Himmel betrachteten. Robert kannte sich am Nachthimmel ganz gut aus und zeigte ihr, was er erkennen konnte. Manchmal blinkte ein Flugzeug dazwischen. Für Sternschnuppen war es fast noch zu früh. Die Musik hatte aufgehört zu spielen; sie hatten nicht bedacht, dass die Batterie des Wagens schon älteren Datums war und der I-Pod gab ihr den Rest. Sicher würde sie sich bis zum Morgen wieder erholt haben. Der Wein, die frische Luft und das warme Lager machten müde und sie schliefen kurz nacheinander ein.
Es war wohl gegen 2 Uhr früh, als sie von Motorengeräuschen geweckt wurde. Erschrocken tippte sie Robert an und er zuckte zusammen. Langsam fuhr ein Wagen auf dem Feldweg in Richtung Steinbruch. Ein zweiter Wagen folgte und beide stoppten in einiger Entfernung. Offensichtlich war es keine Polizeistreife, soviel konnte sie klar erkennen. Sie hörten Stimmen und sahen in der Dunkelheit einen Mann mit einer Taschenlampe auf den Voyager zugehen. Er leuchtete in den Wagen, ging um ihn herum und kehrte, nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass sich im Wagen niemand aufhielt, schnellen Schrittes zu seinen Begleitern zurück. Auf der Wiese vermutete er wohl niemanden. Wieder waren mehrere Männerstimmen zu hören. Beide PKW entfernten sich dann so weit, dass sie außer Sichtweite waren. Sie und Robert blieben unbeweglich auf der Matratze liegen. Ihr Herz klopfte bis zum Hals und die Gedanken überschlugen sich. Wer waren die Männer, die sich nachts dort oben auf der Alb, weit weg von Wohnhäusern und Lokalen trafen und was hatten sie dort zu tun? Sie traute sich kaum zu flüstern, aus Furcht, man könnte auf ihr Lager inmitten der Wiese doch noch aufmerksam werden. Die Zeit verging nur langsam aber nach etwa 20 Minuten hörten sie erneut Motorengeräusche und die Fahrzeuge verließen die Hochfläche.
Trotz der ersten Erleichterung war Sie sehr beunruhigt, weil ihr klar war, dass ein schnelles Zusammenpacken und Wegfahren unmöglich war: Die Autobatterie war sicherlich noch nicht kräftig genug, um den Wagen zu starten. Robert versuchte sie zu beruhigen und jetzt erst bemerkten sie, dass sich die Matratze unter ihnen hart anfühlte. Sie hatten versäumt zuhause zu prüfen, ob das doch schon etwas ältere Modell noch seine volle Funktion hatte. Nun war fast die gesamte Luft entwichen und der Boden fühlte sich hart und trotz des dicken Schlafsacks langsam auch kalt an. Wieder fiel ihr Blick nach oben in den Himmel, der noch immer sternenklar war, und die Milchstraße stand direkt über ihnen. Dieser Anblick war atemberaubend. Robert hielt sie fester als zuvor im Arm und sie lagen schweigend nebeneinander. Ein Gefühl von Geborgenheit, unendlichen Glücks und großer Zufriedenheit legte sich trotz des harten Untergrunds über ihre Körper. Die Angst war gewichen und irgendwann schliefen sie ein.