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Alan lächelt

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21.02.2003
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Alan lächelt

Anm. d. Autors: Ich bin mir bewußt, daß nun einige von Euch denken werden, "Oha! Was für ein Spinner!". Gut, mag sein, ich hab ne Meise, aber wer hat die nicht. Der Vollständigkeit halber sei also angemerkt, daß Alan keine - wie auch immer gearteten - autobiographischen Züge meiner selbst in sich vereint. Dachte ich wenigstens . . . . . :p

Es gibt Tage, da wollte Alan einfach nur jemanden töten. Nicht, daß er besondere Wut auf einen besonderen Menschen aus einem besonderen Anlaß gehabt hätte, nein, einfach nur um dem Universum ein Stück Gleichgewicht zurück zu geben.

An solchen Tagen war er dann auch mit seinen Gedanken nicht bei unbezahlten Rechungen, dem Duft der Haare einer Frau oder den geschäftlichen Abläufen, er dachte nur daran, wen er wohl am angenehmsten wie würde töten können.

Solche Tage gab es in unregelmäßigen Abständen und sie kündigten sich meistens dadurch an, daß der Zeitraum vor solchen Tagen immer irgendwie ereignislos war. Keine überraschenden Anrufe alter Freunde, keine aufregende Frau die ihn in der Bar anlächelte, geschweige denn mit ihm zusammen ein Stundenhotel zu besuchen gedachte, keine Post – ein wenig nichtssagende Werbung vielleicht, nichtmal ein besonderes Abendessen mit seiner Frau. Er kannte das schon, wenn absolut nichts passiert, wachte er früher oder später auf, und er spürte, er müsse jemanden töten. Heute noch.

Alan hatte mit niemandem darüber gesprochen, er hatte immer mal daran gedacht, zu einem Psychologen zu gehen um sich dieses Gefühl erklären und möglicherweise austreiben zu lassen. Er tat es nie, es war ihm zu umständlich, denn an Tagen an denen Alan niemanden töten wollte, dachte er nicht daran zu einem Seelenklempner zu gehen. Immer nur wenn er jemanden töten wollte.

Angefangen hatte es damit, daß er eines Morgens viel zu früh aufwachte. Er mußte zwar ins Büro, aber das erst in vier Stunden. Seine Frau schlief neben ihm. Er war müde, aber die Hitze fraß an ihm, wie die Geier an Prometheus Leber. Viel Licht fiel noch nicht durchs Fenster, es war noch vor Sonnenaufgang, aber er konnte sie trotzdem sehen. Es war still, ihr Atem war ruhig. Er lächelte. Nicht weil er sie liebte, nicht weil sie schön anzusehen war, auch nicht weil er dachte, daß die ersten Sonnenstrahlen sicher ihren Nackenflaum zum Strahlen bringen würden. Er lächtelte, weil er sich dazu zwang zu lächeln. Er zwang sich zu lächeln, so wie ein Vater lächelt, der sein Kind dabei beobachtet wie es die Welt in einem Schneckenhaus entdeckt. Er zwang sich zu lächeln, weil er fühlte er wollte sie töten. Er zwang sich zu lächeln, auch deswegen, weil er wußte, sie würde sich nicht wehren können, er schämte sich nicht und bald lächelte er nicht mehr aus Zwang, sondern aus Zuneigung zur Klarheit des universellen Planes.

Als die Sonne aufging, er die Strahlen in ihren Nackenhaaren zu zählen versuchte und sie schließlich aufwachte, mit ihren Augen zurücklächelte, er sah wie schön er sie finden konnte und er sie noch immer liebte, verschwand der Wunsch sie zu töten. Sie bumsten und er mochte ihr noch nichtmal während dessen ein paar Ohrfeigen verpassen, wie sie es mochte. Er fand das wäre so, als würde er sich einen dabei runterholen.

Auf der Fahrt ins Büro war das Gefühl wieder da. Ein Verkehrspolizist der jeden Morgen an einer bestimmten Ampel am Hafen den Verkehr lahmlegte statt ihn zu regeln, war an dem Tag durch einen Kollegen ersetzt worden. „Mist! Den hat schon ein anderer erwischt!“, dachte Alan im Vorbeifahren.

Als ihm seine Sekretärin den Kaffee brachte, lächelte er sie an, und fragte sich, ob es nicht auch zu ihren organisatorischen Aufgaben gehörte, sich töten zu lassen. Von ihm, ihrem Vorgesetzten, den zu unterstützen sie schlußendlich die heilige Pflicht hatte. Vom Gleichgewicht des Universums garnicht zu reden.

Beim Zielvereinbarungsgespräch mit seinem Chef glänzte er an diesem Tag, schon weil er ständig lächelte. Das Gespräch lief zufriedenstellend und ihm fiel auf, daß er seitdem er aufgewacht war ständig gelächelt hatte. „Das Lächeln des Wissenden.“, dachte er, „Das Lächeln des Henkers, der zwar Mitgefühl für den Verurteilten hat, in seinem Beruf aber Erfüllung findet..“. Warum sollte er sich schämen?

Bevor er nach Hause fuhr, schaute er in der Videothek vorbei. Alles was ihn interessiert hätte war ausgeliehen. Klar, es war zu heiß, als daß die Typen raus gehen würden, alle saßen sie vor dem Fernseher, die Klimaanlage auf 16 Grad eingestellt. Der Angestellte kannte ihn, grüßte tuntig und machte ein nicht allzu intelligentes Gesicht dabei. Alan lächelte ihn an, nickte bestimmt und sagte ruhig: „Mit der Kordel vom Datastick erdrosseln?“
Die Schwuchtel glaubte sich verhört zu haben und bat um Widerholung der Frage. Alan erschrak. Er erschrak so sehr, daß er zum ersten Mal an dem Tag, das Lächeln aufgab. Als ihm dies bewußt wurde, erschrak er ein weiteres mal, zuckte – im Versuch unbeteiligt zu erscheinen – mit den Achseln und ging. Nein, geschämt hatte er sich wegen des Wunsches, jemanden zu töten nicht, damals nicht und heute nicht, aber Sorgen machte er sich manchmal schon.

Das Dauerlächeln und das Gefühl der Überlegenheit an solchen Tagen schwächten sich mit der Zeit ab. Alan registrierte das, verstand aber auch, daß die Tage mit dem Wunsch zu Töten deswegen nicht öfter vorkamen. Er war nicht süchtig nach diesem Gefühl der wissenden Überlegenheit; natürlich waren das immer Tage an denen er sich gut fühlte, natürlich begann er damit sich vorzustellen, wie er den Mädchen in der Croissanterie, bei der er sein Frühstück kaufte, zärtlich das Genick brach. Süchtig war er nicht, er tat nichts um diese Mordwunschtage herbeizuführen, doch wenn sie kamen war es ihm nur kurz mulmig dabei. Spätestens in der Croissanterie fühlte er sich gut und lächelte den Mädchen zu, die er töten wollte. Er hatte bemerkt, daß sie sich an den Tagen an denen er sie töten wollte, immer zu verrechnen pflegten. Sie kannten ihn, er kaufte jeden Tag das Gleiche, er zahlte immer passend. Wollten diese jungen Frauen von ihm getötet werden? Spürten sie, daß er heute dazu bereit war? Wollten sie ihm helfen, das Universum zu verbessern?

Ein anderer Grund fiel ihm für seine vorkommende Mordlust nicht ein, die Sucht hatte er ja – per Definition – ausgeklammert, blieb also nur der universelle Plan.

Mit der Zeit hatte er einen sehr scharfen und unerklärlichen Blick dafür entwickelt, wie ein bestimmter Mensch am – für alle Beteiligten – angenehmsten zu töten sei. Dies war der eigentliche Grund dessen, daß er sich überhaupt bisweilen Sorgen machte. Abgesehen von seiner Frau, wußte er sofort wie der Gegenüber von fremder Hand zu sterben wünschte. Seine Frau war die erste bei der er das Gefühl hatte, sie töten zu wollen. Sie war auch die einzige, die er nach seinem „Erweckungserlebnis“ nicht mehr töten wollte; töten durfte, wie er fand.

Selbst wenn er – wie heute – aufwachte und der erste Gedanke, der ihm durch den Kopf ging war, wen er heute würde töten – sie lächelte er nicht an. Sie wollte er nicht töten. Merkwürdigerweise schämte er sich dafür etwas.

Als er aus dem Haus ging und den Zeitungsjungen anlächelte - ihn sollte man mit einem gezielten Steinwurf zur Leistung des Obolus an eine bessere Welt bewegen, wie Alan fand - , machte er sich wieder Sorgen.
„Heute gehe ich zum Psychologen.“, sagte er zu sich. Dann lächelte er den Himmel an, wählte die Nummer der Auskunft in sein Mobiltelefon und ließ sich mit einem reputierten Therapeuten verbinden, dessen Namen er in einer Zeitschrift gelesen hatte.

Er bekam einen Termin für 16:00h. Die Sprechstundenhilfe des Therapeuten würde er mit einem linkshändigen Schnitt durch den Hals bedienen, das konnte man an ihrer Stimme hören. Den Psychologen selbst aber, den müßte er wohl geradewegs erschlagen.

Das war Alan etwas unangenehm, er lächelte aber in der Gewißheit das Richtige zu tun.

 

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