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Aladin sein
Es ist Weihnachten. Draußen regnet es seit Stunden und hier drinnen sitze ich und stehe vor der kompliziertesten Aufgabe meines bisherigen Lebens: meiner ersten Liebeserklärung. Sie heißt Leyla und geht in meine Klasse. Und sie ist wunderschön. Ihr Vater kommt aus dem Iran und von ihm hat sie pechschwarzes Haar, eine etwas dunklere Hautfarbe und dunkle Katzenaugen mit den längsten Wimpern der Welt geerbt. Von ihrer Mutter hat sie die Intelligenz. Leyla ist unglaublich klug. Und das sage ich nicht nur, weil ich in sie verliebt bin. Nein, sie ist Klassenbeste und spricht perfektes Persisch. Ihre Stimme klingt dann ganz anders, viel weicher und irgendwie fremd. Wenn man die Augen schließt, sieht man sie vor sich, in fremdartige Gewänder gehüllt auf einem wunderschönen Teppich durch die Nacht fliegen.
Und ich möchte Aladin sein.
Einmal waren wir schon miteinander im Kino, den Film weiß ich schon gar nicht mehr. Aber es war so schön. Während eines besonders gruseligen Moments hat sie meine Hand genommen. Und sie auch noch gehalten, als es längst nicht mehr unheimlich war. Erst kurz bevor die Lichter angingen, hat sie dann losgelassen, ganz ruckartig, sie fast von sich geschleudert, als wäre ihr das Ganze furchtbar unangenehm. Aber eine Zeit lang sind wir wie ein Pärchen dagesessen, ihre Hand in meiner, ein bisschen kalt. Ihre Finger sind immer kalt. In Deutsch sitzt sie neben mir, sie leiht sich manchmal einen Stift aus und oft, sehr oft, berühren unsere Hände sich zufällig dabei.
Ich glaube, Leyla mag mich auch.
Und sie mag Schnee. Vor ein paar Wochen lag welcher. Gefreut wie ein kleines Kind hat sie sich und mir gleich einen Schneeball in den Nacken geworfen. Das konnte ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen! Bald waren wir in die schönste Schneeballschlacht verwickelt und wohl die einzigen aus unserer Jahrgangsstufe, denen das nicht zu doof war. Geendet hat es damit, dass wir in einem Schneehaufen gelandet sind und versucht haben, uns gegenseitig mit soviel Schnee wie nur möglich einzureiben. Plötzlich schwebte Gesicht nur eine Handbreit über meinem …
Zum ersten Mal geküsst haben wir uns aber auf der Geburtstagsparty ihrer besten Freundin. Ich war angetrunken, sie nicht und in einer dunklen Ecke ist es passiert. Danach hat sie eine Woche nicht mehr mit mir geredet.
Ich tippe ihre Nummer ein, ich habe sie schon so oft gewählt, dass ich sie auswendig kann. Im Radio dudelt „Santa Baby“, es wird dunkel, aber kein Stern schafft es durch die Wolkenmassen. Das Plätschern des Regens beruhigt mich. „Reiß dich zusammen!“, denke ich mir. Einen Augenblick zögere ich noch, dann drücke ich die Taste mit dem grünen Telefon herunter. Die Nummer wird gewählt. Ein Klingeln. Noch eins. Noch eins. Und noch – „Hallo?“ Leyla ist am Apparat. Mein Atem geht schneller. „Hallo?“ Meine Hände zittern. Ich öffne den Mund, hole tief Luft. „Hallo? Meike? Meike? Lass den Mist, ich hab deine Nummer erkannt! Hallo?“ Ich lege auf.