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Ain't no mountain high enough
Aufatmen…..endlich raus aus dem Großstadttrott. Einatmen…..die Luft ist so unglaublich erfrischend. Entdecken…..es ist wunderschön hier.
Diese Exkursion sollte der Anfang sein. Er wollte ein ganz neuer Mensch werden. Aufgewachsen war er in Deutschland. In Bayern ließ er sich mit Anfang zwanzig nieder. Er gründete eine Firma, die erfolgreichst Kugelschreiber für die Werbeindustrie herstellte. Es hört sich absurd an, aber damit ließ sich unheimlich gut leben. Als Geschäftsführer verdiente er genug, um zum minderen Teil der Wohlstandsbevölkerung zu gehören. Mit gleichem Konzept wollte er nach Amerika gehen. Da würden sicher auch Kugelschreiber gebraucht. Sicher würden sie auch gut mit dem Schriftzug „New York Times“ in der Hand liegen. Seine Firma investierte Millionen um endlich auch in New York eine Geschäftsstelle eröffnen zu können. Das Ziel war es, in verschiedenen Ländern auf der ganzen Welt durch die Herstellung von Werbekugelschreibern Weltmacht Nummer eins zu werden.
Zumindest in der Werbekugelschreiberherstellungsindustrie.
In New York war allerdings der Druck der Konkurrenz zu groß gewesen. Die Firma ging binnen weniger Monaten Pleite. Die Hauptgeschäftsstelle in München musst auch dicht gemacht werden. Hunderte von Arbeitskräften mussten entlassen werden, Millionen von Euro wurden einfach so in den Sand gesetzt. Und alles nur wegen einem zu großen Streben nach Macht.
Der ganze Stress, die ganze Arbeit hätten ihn fast kaputtgemacht. Wie oft wäre er einfach nur gern eingeschlafen und nie wieder aufgewacht. Die Firma hatte einige Klagen am Hals, weil Kunden ihre Lieferungen nicht mehr erhielten, diese aber schon bezahlt hatten. Im Nachhinein war ihm klar, dass er viel falsch gemacht hatte. Er war es, der seine eigene Firma in den Ruin trieb. So vielen Menschen hatte er einen Arbeitsplatz verschafft und letztendlich wieder entrissen. So vielen Menschen hatte er eine neue Karriere versprochen, die sie auch bekamen. Nur hatten die Karrieren seiner Manager und Geschäftsstellenleiter ein rasches Ende.
Ehemalige Mitarbeiter warteten immer noch auf ihr Geld. Pächter auf die Miete der Fabrikhallen und Büros. Er hatte sich Feinde gemacht wo er nur konnte. Die Medien stampften ihn zusätzlich in Grund und Boden. Hätte er doch bloß damals nicht diese Gier nach dem großen Geschäft gehabt. Hätte er gewartet und gesehen wie es in Deutschland läuft. Dann hätte er frühzeitig merken können, dass es zu riskant gewesen wäre, sofort ins Ausland zu gehen. Denn so toll lief es nach einiger Zeit auch hier nicht mehr. Wie gern würde er jetzt die Zeit zurückdrehen und all die Fehler nicht begehen, die jetzt sein junges Leben zerstört hatten.
Freilich hatte er noch ein wenig Geld. Zwei Millionen. Soviel hatte er sich für „schlechte Zeiten“ zurückgelegt. Nun reichte das Geld aber vorn und hinten nicht.
Wenigstens einen Traum erfüllte er sich noch, bevor er sämtliches Hab und Gut unter den Hammer gab. Er flog allein nach Asien, reiste in eine Bergregion in der Nähe des Himalajas. Die Gegend hier war teilweise unzugänglich und gefährlich. Falls ihm was zustoßen würde, wäre es kein Verlust. Was hatte er zu verlieren? Er war mit seiner Firma verheiratet gewesen, was anderes gab es in seinem Leben nicht.
Einfach mal abschalten und vergessen. Würde es ihm hier gelingen alles hinter sich zu lassen? Er wollte einmal in seinem Leben wirklich über den Dingen stehen.
Seine Reise führte ihn durch den Tropenwald. Nur ein kleines, recht zugängliches Stück; hier in der Nähe waren einige Dörfer; aber für ihn war es überwältigend. Wie konnten die Menschen hier überleben? Er befand sich nach tagelangem Marsch am Fuße eines erloschenen Vulkans. Ein winziger überwucherter Weg wies ihm die Route um an den Gipfel zu gelangen. Schlangen sollten seine Weggefährten sein. Er sah auch Insekten, die er noch nie zuvor sah, nicht einmal in seinen Büchern über Naturkunde.
Sein Marsch, war wie ein Marsch in die Vergangenheit. Er dachte darüber nach, wie er damals das Elternhaus verließ um Karriere zu machen. Allein mit einer hirnrissigen Idee zog er los. Danach folgten die erfolgreichsten aber auch schwersten Jahre seines Lebens. Er hatte damals kaum Zeit für sich. Der Kontakt zu seiner Familie brach fast komplett ab. Freunde hatte er auch kaum. Geschäftspartner, ja die hatte er, aber waren sie wirklich seine Freunde, wie sie immer angaben zu sein? Bei der nächsten Angelegenheit hauten sie ihn übers Ohr. So war es jedes Mal. Trotzdem gefiel ihm das, was er machte. Er schwamm in Geld. Er war erfolgreich. Hatte viele Frauen. Die große Liebe wünschte er sich nie. Außerdem konnte er nicht erwarten, dass ein Stammhalter so ehrgeizig war wie er. Wozu also eine Frau?
Am zehnten Tag wurde das Unterholz lichter und der Anstieg viel steiler, als dieser noch am Anfang seiner Reise war. Am elften Tag waren es nur noch wenige hundert Meter. Trotzdem richtete er sein Schlaflager noch einmal auf. Er wollte den Gipfel am letzten Tag erreichen. Am letzten Tag seiner steilen Karriere. Dann sollte der Fall kommen. Wie es auch im wahren Leben war. Gut, der Fall hier war nicht sehr steil, er würde sich einfach wieder per Fuß nach unten begeben. Könnte hier nicht doch eine Klippe sein? Aber nein, diesen Gedanken versuchte er zu unterdrücken. Die Firma kam auch nach und nach zu Fall. Damals war er noch wie besessen davon, dass er mit Geld allein, die Verluste bezahlen konnte. Als irgendwann die Geldressourcen aufgebraucht waren, hieß es Abschied nehmen von diesem Gedanken.
Besessen….. das war das richtige Wort. Er war seit Tagen unterwegs. Um zu Vergessen. Aber er konnte nicht vergessen. Weder die Probleme, noch seine Zukunftsaussichten. Würde er in den Knast müssen? Oder auf der Straße leben? Was würde ihm bevorstehen? Das alles hatte sich tief in seine Seele gefressen, nicht einmal hier, wo die Luft dünn und sauber, wo noch nie zuvor ein Mann, stattlich wie er selbst gewesen war, selbst hier konnte er nicht Vergessen.