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Aida: Wofür es sich zu heiraten lohnt
Aida: Wofür es sich zu heiraten lohnt.
„Du willst sie heiraten?“ Akram Scharim, legte das Besteck auf die Stoffserviette. Er musterte die Frau, die ihm gegenüber saß. Ihre manchmal so unbändigen Haare hatte sie zu einem strengen Knoten zusammengesteckt, als handle es sich um einen offiziellen Anlass. Er wusste, das die Einladung zum Essen in ihrem Quartier keine reine Höflichkeitsgeste war, erst recht nicht, da Selma selbst gekocht hatte.
„Das ist die einzige Möglichkeit ihr einen dauerhaften Aufenthalt und freie Bewegung zu ermöglichen.“ Selma stach ihre Gabel energisch in ein Stück Kartoffel und schob es sich in den Mund.
„Bist du dir sicher, dass es dir nur um die Einbürgerung geht?“
Selma schluckte hörbar ihren Bissen hinunter. „Selbstverständlich. Wenn sie meine Frau wird, bekommt sie volle Bürgerrechte der Erde und damit auch der Allianz. Das würde eine Menge Probleme lösen.“
„Du könntest ihre Einbürgerung einfach beantragen.“
„Dazu müsste ich nach Den Haag gehen. Das Gerichtsverfahren würde Monate dauern. So viel Zeit hat Aida möglicherweise nicht. Heiraten hingegen könnten wir problemlos. Nun ja, ich werde ein Gutachten von dir brauchen.“
„Wie ich sehe hast du dich bereits ausführlich erkundigt“, bemerkte Akram trocken und nahm einen Schluck Wein.
„Was soll das heißen?“ Jetzt war es Selma, die ihren Gegenüber musterte. Der ältere Mann verzog keine Miene.
„Du weist genau, was ich meine“ Selma öffnete den Mund doch Akram fuhr fort.
„Du hast sie befördert. Du verbringst deine Freizeit mit ihr. Ihr wohnt beide im selben Apartmentblock.“
Selma atmete tief durch. „Sie hat viel geleistet in den vergangenen zwei Jahren. Wir spielen zufällig beide gerne 3D-Squash und die Raumstation hat nur einen Wohnblock.“
„Was ich sagen will: Die Trennung von Ralf war sicher ein schwerer Schlag für dich, aber…“
„Es war vorhersehbar“, warf Selma ein. „Ralf wollte eine Familie, aber mit einer Botschafterin der Erde als Partnerin ist das nun einmal nicht möglich.“
„Das ist es, was ich meine“, entgegnete Akram. „Du hättest ihn nie geheiratet.“
„Um in Liebe zusammen zu leben muss ich nicht heiraten. Aber hier sichert eine Heirat möglicherweise Leben.“ Während Selma das sagte klopfte sie mit dem Finger auf die Tischkante. Es war ihr nicht entgangen, das sich Akrams dunkle Augen zu Schlitzen verengten, als sie das Wort Leben aussprach.
„Du bist intelligent, erfolgreich, und attraktiv! Wer würde nicht gerne mit dir ausgehen? Warum ausgerechnet Aida?“
„Es ist ja nicht so, als würden wir miteinander ausgehen.“ Selma presste ihre Lippen zusammen und schüttelte den Kopf.
„Nein, ihr benehmt euch wie zwei alte Partner, die sich nach Jahren entschließen zu heiraten“, konterte Akram. Wieder betrachtete er seine Gesprächspartnerin. Er entdeckte Spuren von Grau in ihrem vollen dunkelblonden Haar. Ein sanftes Lächeln umspielte seine Mundwinkel und erreichte schließlich seine Augenwinkel.
„Natürlich werde ich dich unterstützen. Es liegt mir auch nichts daran, dir Vorträge zu halten. Worum es mir geht bist du und ich bin mir nicht sicher, ob diese Entscheidung wirklich gut durchdacht ist. Die jüngsten Entwicklungen haben eine Eigendynamik, die mir nicht behagt.“
Selma ergriff über den Tisch die Hand des Mannes und öffnete den Mund um etwas zu sagen, als der Türmelder piepte. „Computer, Zutritt gewähren.“, sagte sie und lehnte sich wieder zurück.
„Botschafterin, Professor Scharim. Störe ich?“
„Ganz und gar nicht Aida. Wir haben gerade über Sie gesprochen. Setzten Sie sich doch.“ Akram deutet auf den freien Platz neben sich auf der Couch. Aida nahm Platz ohne sich anzulehnen und wandte sich Selma zu.
„Ihre förmliche Frisur und die Tatsache, dass sie sich mit dem Essen offenbar Mühe gegeben haben deuten darauf hin, dass die Anwesenheit von Professor Scharim einen triftigen Grund hat und nicht zufällig ist.“
Selma konnte sich ein amüsiertes Lächeln nicht verkneifen. „Wie immer kommen Sie ohne Umschweife zum Wesentlichen. In der Tat haben wir gerade über die Hochzeit gesprochen.“
„Ich nehme an, Professor Scharim stimmt den Plänen nicht zu.“
„So würde ich es nun nicht formulieren“, bemerkte Akram. „Ich habe meine Bedenken.“
„Das verstehe ich. Auch ich habe Bedenken, wenn gleich ich annehme, dass Ihre Bedenken anderer Natur sind als meine.“
„Das mag sein. Was mich interessiert ist: Wie sehen Sie die Hochzeit, Aida?“
„Es erscheint mir als die sinnvollste Lösung.“, erwiderte sie. „Außerdem…“ Aida schien Zeit zu benötigen, um nach den richtigen Worten zu suchen, aber sowohl Selma, als auch Akram wussten, dass dem nicht so war.
„…fasziniert mich dieses Ritual“, fuhr Aida fort. „Ich habe seine Einbettung in den verschiedenen terrestrischen Kulturen studiert. Es erscheint mir nicht sehr vernünftig sich ewig zu binden, in dem Wissen, dass dies für die meisten Menschen eine unerfüllbare Aufgabe darstellt. Allein die Tatsache, dass es trotzdem alle anderen Formen der formalen zwischenmenschlichen Bindung überdauert hat spricht für sich. Es ist mir natürlich bewusst, dass diese Hochzeit nicht den Idealvorstellungen, die ich in der Literatur gefunden habe, gerecht wird. Trotzdem interessiert es mich aktiv daran Teil zu nehmen.“
„In diesem Fall handelt es sich um eine Scheinehe.“ Akram sah zu Selma, die bisher geschwiegen hatte.
Ihre Lippen kräuselten sich zu einem höhnischen Grinsen. „Das soll uns erst einmal jemand nachweisen.“
„Ich stimme hier zu“, sagte Aida. „Es wäre rechtlich sogar unproblematisch, dass Botschafterin Dahl-Aurell eine romantische Beziehung zu einem Menschen eingeht. Allerdings könnte diese Ehe ein erhebliches Hemmnis darstellen eine solche Beziehung zu beginnen. Dies bezüglich sind auch meine persönlichen Bedenken.“ Während sie sprach beobachtete Akram, wie Selma Aida aufmerksam betrachtete, als schien sie etwas in Aidas Gesichtsausdruck zu suchen.
„Bitte entschuldigen Sie mich, mein Mobilcom wurde aktiviert.“ Aida stand auf. Sie nahm das Mobilcom vom Gürtel und hörte einer Stimme am anderen Ende der Verbindung zu, während sie in Selmas Küche ging.
Akram folge ihr mit den Blicken. Als sie in der Küche verschwunden war sagte er leise: „Ich weiß wirklich nicht welches Szenario mich mehr beunruhigt, Selma. Das du eine Scheinehe mit einem Wesen eingehst, dass wir kaum verstehen und dessen Ursprung nicht bekannt ist oder das du wirklich etwas für dieses Wesen empfindest.“
„Ich nehme deine Bedenken zur Kenntnis“, erwiderte Selma trocken.
Akram seufze. „Wird Aida sich für die Hochzeit einen echten Namen zulegen?“
„Aus praktischen Gründen werde ich meine volle Bezeichnung in Englisch angeben. Artificial Intelligence Drone Assistant entspricht allen Anforderungen eines Namens. Es besteht also keine Notwendigkeit meine Bezeichnung zu ändern”, ertönte es aus der Küche.
Selma lächelte. „Du hättest wissen müssen, das sie dich hört.“
„Nun gut. Ich nehme an, du brauchst von mir ein Gutachten, dass es sich bei Aida um eine intelligente Lebensform handelt. Das wird kein Problem sein. Ihre medizinischen Unterlagen habe ich noch gespeichert. Morgen Abend schicke ich dir das Dokument zu.“
„Ich weiß das zu schätzen. Deine Meinung als Freund und als Extropologe bedeutet mir viel.“
„Wenn es sich für dich lohnt dafür deine Prinzipien bezüglich Heiraten über Board zu werfen, wenn es dir das wert ist…“ Mit diesen Worten Stand Akram Scharim, Professor für Extropologie auf. „Lass mich wissen, wenn es Neuigkeiten gibt. Gute Nacht Selma.“
Aida kam gerade mit einem Glas Wasser aus der Küche zurück. Akram nickte ihr zu und im Gehen dachte er daran wie unauffällig menschlich Aida wirkte. Man könnte sie direkt für einen Menschen europider Abstammung halten. Die dunklen Haare waren zu einem schlichten Zopf zusammengebunden. Nur Aidas Augen verrieten, das sie kein Mensch sein konnte. Sie wechselten die Farbe. Meist nahmen sie einen Blauton an, aber Akram glaubte sich zu erinnern Aidas Iris auch schon in Weiß gesehen zu haben.
Sie setzte sich wieder auf die Couch. „Sie sehen angespannt aus, Botschafterin.“
Selma widerstand dem Impuls zu fragen wer versucht hatte Aida über ihr Mobilcom zu erreichen.
„Ich war etwas überrascht, als Sie Akram von Ihren Bedenken erzählt haben.“
„Ich nahm an, dass sie auch schon darüber nachgedacht haben. Es ist eine logische Schlussfolgerung, wenn man die Bedeutung der Hochzeit zu Grunde legt und analysiert was Menschen von intimen Beziehungen erwarten. Und ich nehme an für sie kommt ein Mensch als Partner am ehesten in Frage.“
Selma schwieg. Sie hatte tatsächlich nicht darüber nachgedacht, obwohl es offensichtlich war. Warum sie nicht über die Möglichkeit einer neuen Beziehung nachgedacht hatte wollte sie sich momentan nicht einmal selbst beantworten. Sie war fast froh, dass es wichtigeres zu besprechen galt.
„Die Gang’tok haben ein Eilverfahren mit dem Ziel Ihrer Auslieferung angestrebt haben. Das Oberste Gericht der Allianz wird sich bereits ab Anfang nächster Woche damit befassen. Ich habe den Abgesandten der Gang’tok um eine Stellungnahme gebeten, aber sie ziehen es wohl vor zu schweigen.“
„Sicherlich hat man Ihnen keine Auskunft gegeben weil hinlänglich bekannt ist, dass ich in Ihrem Team arbeite. Möglicherweise ist man darauf vorbereitet, das sie versuchen werden, meiner Auslieferung entgegenzuwirken.“ Aida nahm einen Schluck Wasser.
„Du liebe Güte! Ich bin die Erstkontaktbotschafterin der Erde. Ohne mich wären die Gang’tok jetzt nicht Assoziierte der Allianz.“ Sie stieß einen Seufzer aus. Das war alles an Frustration, das sie sich erlaubte sichtbar zu machen.
„Ich bin ebenfalls unzufrieden mit der Situation. Es mag sein, dass ich durch die Hochzeit die Bürgerrechte der Allianz erhalte, bevor meine Auslieferung auf die ein oder andere Weise nötig wird. Es besteht jedoch weiterhin die Möglichkeit, dass sie Gang’tok mich mit illegalen Mitteln zur Rückkehr auf ihre Heimatwelt zwingen werden.“
„Es ist auch deine Heimatwelt“, sagte Selma leise. Aida hatte den Wechsel in der Ansprache bemerkt, hielt es aber für richtig dies vorerst nicht zu kommentieren oder zu hinterfragen.
„Da muss ich widersprechen. Mein Bewusstsein beginnt dort. Aber es ist klar, dass ich auf der Heimatwelt der Gang’tok nicht erschaffen worden sein kann.“
Selma rieb sich den Nasenrücken. Normalerweise würde jetzt eine Diskussion über die Bedeutung des Begriffes Heimat folgen, doch Selma war müde. Sie hatte den ganzen Tag Unterlagen durchgesehen, dabei mochte sie Büroarbeit nicht besonders. Die ständige Sorgen um Aidas Zukunft im Hinterkopf hatten ihr den Tag, wie die Tage zuvor, nicht einfacher gemacht.
Aida bemerkte die schwindende Konzentration der Botschafterin.„Ich weiß Ihr Angebot zu der Hochzeit wirklich zu schätzen. Mir ist bekannt wie sehr es Ihnen widerstrebt selbst im Mittelpunkt eines solchen Rituals zu stehen“, sagte sie und leerte ihr Glas. „Ich glaube kein biologisches Wesen hat sich bisher so für mich eingesetzt.“
Selma lächelte. Trotz der hereinbrechenden Müdigkeit funkelten ihre Augen. „Ihr Leben ist nicht weniger Wert, nur weil es ein künstliches ist. Es ist leicht zu heiraten, wenn man damit vielleicht ein Leben rettet. Ein außergewöhnliches Leben, Aida.“