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Agathe erfreut
Agathe erfreut die Klinke mit sanftem Druck. Die gepolsterte Tür gibt bereitwillig nach, lässt sie in den Raum. Ein schwerer Schreibtisch gefertigt aus Eiche drängt sich in ihr Blickfeld. Theodor hasst die Aufdringlichkeit seines Tisches, schließlich ist er das Zentrum des Zimmers. Er macht sich bemerkbar: „Achten sie nicht auf seine dominante Präsenz, er ist vom alten Schlag und mächtig stolz auf seinen Stammbaum. Willkommen in meiner Detektei. Was ist ihr Begehren?“
Verständlich, dass sich das Möbelstück bei Agathes Erscheinung in den Vordergrund gerückt hat. Ihr rotblondes Haar harmoniert hemmungslos lange mit der Zartheit ihres blassen Gesichts, welchem man einen gewissen Anteil an Porzellan nicht absprechen kann. Das altrosa Samtkostüm verleiht ihr die Ausstrahlung weicher, weiblicher Anmut. Die Jacke sitzt eng, würde aber niemals beengen. In hautfarbener Seide umgarnen Strümpfe ihre Beine, ebenso wie sich das Rauleder der winterweißen Stiefel an ihre Unterschenkel schmiegt.
Agathe entzieht dem Eichenmöbel ihre Aufmerksamkeit und schenkt sie Theodor. Ihre Blicke treffen sich unter dem Deckenventilator, der sich genötigt fühlt, seine Rotationsgeschwindigkeit zu erhöhen, um die Temperatur im Raum auf konstantem Niveau halten zu können. „Setzen Sie sich, bitte“, er weist mit der Hand auf einen Sessel, gefertigt aus Kirschholz, übermalt mit kirschrotem Schleiflack. „Meine Flügel sind verschwunden“, erklärt sie befangen. Unausweichlich zart werden die Sinne des Detektivs von Agathes Sinnlichkeit berührt.
Sie ihrerseits traut Theodor sofort die Fähigkeit zu, ihr behilflich zu sein. Seine hellrosa Ausstrahlung schimmert von Sensibilität, während ihm sein atlantikfarbener Seidenanzug, unterstützt von einer azurblauen Krawatte, eine ernste und kompetente Aura verleiht und dabei gleichzeitig an die Karibik erinnert; eine Kombination, die äußerst selten ist. Das orange Hemd tut sein bestes, um seine humorvolle Seite zu betonen. Sein Füllhalter strotzt vor schreibender Kraft. Die dunkelbraunen Augen Theodors ruhen weich auf ihren Schultern, ohne diese mit allzu unmissverständlicher Sehnsucht zu belasten.
„Wie kam das? Wie konnte ihnen so etwas passieren?“ Das alte abgeklärte Eichenholz kann ein leises Ächzen nicht unterdrücken, während der Ventilator allmählich an seine Leistungsgrenzen gelangt, und somit kein Verständnis für den etwas sentimentalen Plattenspieler hat, der seinerseits honigsüße Melodien erklingen läßt.
„Ich gebe zu“, begleitet Agathes Stimme die Musik, „meine alten Flügel waren etwas abgestoßen. Gewiss, ich hatte sie mir schon allzu oft in der Hitze versengt. Aber, mein Freund, sie haben mich dennoch in den Himmel getragen. Ich sehne mich nach meinen Flügeln, auch wenn aufgrund ihrer Beschädigungen Bruchlandungen häufig unvermeidbar waren. Ja, meine Flügel waren erneuerungswürdig, dennoch fehlen sie mir arg. Nun muss ich zwar nicht mehr ihre Bürde tragen und auch der kräftezehrenden Reparaturmaßnahmen bin ich entledigt. Mißverstehen sie mich nicht, mein Freund, ich kann ohne Flügel gut leben. Aber ich fliege gerne, genieße das Schweben.“ Die Kaffeemaschine röchelt, während das Feuer im Kamin nach und nach verlischt, sich bei Agathes Worten seiner Hitze schämt.
Theodors Stirn legt sich in Falten, wogegen seine Augen- und Mundfältchen abwehrend in Erscheinung treten, so dass sie die Dramatik ihrer obigen Kollegen abschwächen, ja sogar komplett aufheben. „Meine Freundin, das ist ein ernstes Problem. Sind sie sicher, dass sie ihre Flügel nirgends verlegt haben? Oder sind sie gar gänzlich geschmolzen, weil sie zu nahe an die Sonne geraten sind? Auch das kommt vor.“ Agathe berührt unwillkürlich ihr Schulterblatt, sinnierend über die Worte des Detektivs. Die Stehlampe verleiht in ihrem jugendlichen Stil der Situation ein mattes goldenes Licht, während der Ventilator inzwischen in wahnwitziger Geschwindigkeit rotiert. In einem schönen Bogen wölbt sich die kirschhölzerne Sessellehne sanft an der Stelle von Agathes Schulterblättern; sie kann nicht anders.
„Nein, mein Freund, die Flügel waren plötzlich verschwunden. Seither sitze ich in einer Wirklichkeitsfalle. Nehmen sie meinen Auftrag an?“ Die Wanduhr läßt ihre Zeiger ruhen, so dass sich die Momente von nun ab in vollkommener Ausschließlichkeit aneinander reihen. „Meine liebe Freundin, sie sind bei mir richtig. Ich fühle mich wie geschaffen für ihr Anliegen. Sie machen mich glücklich, mir ihr Begehren zu übertragen.“ Die Stimme des Detektivs passt in aufregender Weise zu der unendlich romantischen Jazzmusik, die nun die Situation erfüllt, nachdem der empfindsame Plattenspieler endgültig seine Hemmungen verloren hat. „Gut, mein Lieber, ich freue mich inständig.“ Agathe reicht Theodor zum Abschied die Hand. Der Ventilator ist der Hitze in der Detektei längst nicht mehr gewachsen, und selbst das alte, abgeklärte Eichenholz kämpft um seine Contenance.
Theodor begleitet sie zum Ausgang und betrachtet fasziniert die Ansätze frischer, seidenweicher Flügel an Agathes Schulterblättern. Während er die nun etwas widerwillige Türe öffnet, kann er nicht umhin, mit seinen Händen ganz vorsichtig und zärtlich den matt seidig glänzenden Federflaum anzutasten. Der Ventilator versagt - endgültig.