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Adventsfrühstück
Heute ist es wieder mal so weit. Heute decken alle den Tisch besonders reichhaltig, nicht nur Wurst, Marmelade und Nutella. Heute sollen auch Käse, geschnittene Früchte, Tomaten und Gurken ihren Weg auf den Frühstückstisch finden. Außerdem gibt es neben dem üblichen Chemiebrot aus dem Supermarkt auch Brötchen und Croissants vom Bäcker, vielleicht sogar die ein oder andere Laugenstange, oder Stückchen. Dann werfen die Mütter liebevoll ihre Kinder mitten in der Nacht, so gegen 11 Uhr vormittags, aus dem Bett und schleifen diese in Unterwäsche oder Nachthemd in die Küche. Die ewig undankbare Jugend erwidert diese Art der Liebkosung mit gewohnter Gleichgültigkeit und Abweisung.
>>Muss das sein? Was ist so toll am ersten Advent? Oder am zweiten? Kannst du mich nicht einfach pennen lassen? Ich muss schon unter der Woche so früh raus, da kann ich ja wohl wenigstens am Wochenende ausschlafen.<<
Das sollte man sich merken. Man stelle sich mal vor, man landet an einem Samstagabend nach einem Besuch in der Bar bei einer jungen Dame, findet vor der Tür heraus, dass sie gerade volljährig war und natürlich noch bei ihren Eltern wohnt und man deshalb besonders leise die Treppen hoch gehen sollte und am nächsten Morgen wird man unsanft von ihren Eltern geweckt, die natürlich nicht wissen, dass es einen gibt. Selbstverständlich sind längst alle wach bis man beide Socken in dem verdreckten Kinderzimmer der gestrigen Errungenschaft gefunden hat, also fällt unauffällig Hinausschleichen von vorn herein flach. Was nun? Aus dem Fenster klettern? Im Schrank verstecken? Oder den Tatsachen ins Auge sehen und mit voller Selbstverständlichkeit sich mit an den Frühstückstisch setzen, alle damit nerven, was man alles nicht essen konnte und damit ein kostenloses Adventsfrühstück im Kerzenschein abstauben und jegliche Chancen auf ein Wiedersehen zunichte machen. Natürlich nimmt man damit in Kauf die nächsten 48 Stunden der namenlosen Korpulationspartnerin von der Familie zur Hölle machen zu lassen.
>>Moin. Gibt’s auch Käsebrötchen?<< stand ich begeistert in der Tür. Natürlich hatte ich vorher in Sekundenschnelle den gedeckten Tisch gecheckt und war mir sicher, dass es keine Käsebrötchen gab. Aber wenn schon ein Morgen voller Peinlichkeiten, dann eben auch richtig.
>>Ich bin übrigens Patrick.<<
Die Familie hatte nicht sehr gepflogene Manieren. Guckten alle nur wie ein Auto und stellten dabei jegliche Tätigkeit ein. Ich nahm das zum Anlass, mir erst mal die Tasse Kaffee an einem der leeren Plätze zu eigen zu machen und beim Schlürfen erwartungsvollen Augenkontakt aufzubauen.
>>Ja… ähm… ha… hallo Patrick. Morgen.<<
>>Morgen<< schlossen sich der Vater und der kleine Bruder mürrisch an. Irgendwie kam ich mir unerwünscht vor. Dabei hätten die es ja gar nicht besser haben können. Immerhin hatte ich ihre Tochter glücklich gemacht, sogar mehrmals, und will nicht jeder für seine Kinder, dass sie glücklich sind?
>>Du bist also der… neue Freund? Von Sarah?<< fragte die Mutter noch einen Rest Hoffnung bewahrend. Aha. Sarah also. Schon mal ein Problem weniger.
>>Hm. Hab’ ich noch nicht drüber nachgedacht. Glaube eher nicht. Wird sich noch herausstellen.<<
>>Oh, Gott sei Dank.<< erleichterte sich der Vater. War mir aber eigentlich auch egal.
>>Aha. Okay, Patrick. Könntest du… dir vielleicht… naja… eine Hose anziehen?<<
Offenbar machte ich die Mutter nervös. Um das Ganze auf die Spitze zu treiben und weil ich nie besonders nachdachte, bevor ich den Mund aufmachte, hakte ich da gleich mal nach.
>>Mache ich Sie nervös? Gefällt Ihnen nicht, was sie sehen?<<
Ding ding ding. Jackpot. Wenn sie mich nicht bisher schon hassten, ein völlig abwegiger Gedanke für meine Person, taten sie es jetzt.
>>Okay okay. Bin gleich wieder da. Vielleicht bringe ich auch Sarah mit, wenn sie mit Kotzen fertig ist.<<
Auf dem Weg nach oben lernte ich die kleine Schwester kennen. Müsste so um die 16 gewesen sein. Und unnatürlich aufgeschlossen.
>>Haaaallloooo. Wer bist du denn?<< sagte sie begeistert mit Zahnbürste im Mund auf dem Flur stehend zu mir und musterte mich von oben bis unten. Da läuft man einmal in Unterhose herum und schon glotzt einem die ganze Familie aufs Gehänge. Den Leuten war auch nichts heilig. Gute alte Familienwerte, erster Advent, Familienfrühstück und alles, was die Leuten sehen, ist ein hin und her baumelnder Schwanz. Gut, ich hätte mich unten in der Tür nicht unbedingt noch da kratzen müssen, oder mich wenigstens umdrehen können, aber wozu? Wussten ja doch alle, was ich da machte.
>>Patrick. Bin ein Freund von Sarah.<<
>>Oh, wirklich? Sicher?<<
>>Ziemlich sicher, ja.<<
>>Na dann. Sag Bescheid wenn sich das ändert.<< verschwand sie wieder ins Bad.
Und da wundert man sich, was aus der Jugend wird. Versaute kleine Dreckstücke. War ja schon heiß, wie sie da so in ihrer Jogginghose davon wackelte und auf ihrer Zahnbürste rum kaute. Vielleicht war sie ja auch schon 18? Man weiß ja nie, heutzutage sind die ja auch viel reifer als wir damals. Das viel zu schlecht unterdrückte Geschrei von unten brachte mich aber wieder zurück auf Kurs.
>>Na Süße, ausgekotzt? Deine Mutter sagt du sollst frühstücken kommen.<< betrat ich Sarahs Zimmer.
>>WARST DU ETWA UNTEN? SO?<<
>>Jop. Deine Mutter hat gerufen dass das Frühstück fertig ist. Wusstest Du, dass heute erster Advent ist? Verrückt oder? Außerdem roch es nach Kaffee. Ich mag Kaffee.<<
>>Ohhhh Goooooottt.<< schlug sie ihre Hände vors Gesicht. >>Wie kannst du überhaupt schon wieder was essen wollen? Du warst doch total stramm gestern.<<
>>Jahre lange Übung, Schätzchen. Bin schon etwas länger im Training als du. Macht aber…<<
Ich durfte nicht einmal meinen Satz beenden, bis Sarah zu Speirunde 2 aufs Klo rannte. Ich wusste nicht was unangenehmer war, ihre Würgelaute oder das Geschrei von unten. Vielleicht sollte ich doch lieber gehen. Wenigstens war damit klar, dass ich nicht Sarahs neuer fester Freund war. Ein fester Freund nämlich, würde ihr jetzt zur Hilfe eilen und ihre Haare nach hinten halten. Ich zog mir stattdessen mal lieber meine Hose an. Und da ich schon dabei war, auch alles andere was ich so von mir finden konnte.
>>Du bist so ein Idiot. Wieso gehst du da runter?<< kam Sarah aus dem Bad wieder.
>>Früher oder später hätte ich sowieso runter gehen müssen. Jetzt haben wir den peinlichen Teil hinter uns, sei doch froh.<<
Bestechende Logik, fand ich. Sarah sah das anscheinend anders. Sie sagte aber nichts und zog sich stumm eine pinke Jogginghose mit der Aufschrift "YUM!" auf dem Hintern an. Seeexyyyyy. Ein paar Minuten Ruhe mehr würden denen da unten sicher nicht schaden.
>>Wie stehen die Chancen auf Morgensex?<<
>>Ich hasse dich.<<
>>Okay. War einen Versuch wert.<<
>>Du nimmst jetzt all dein Zeug, ich gehe nochmal Zähneputzen. Dann gehen wir runter, du trinkst deinen Kaffee, bleibst 5 Minuten und verziehst dich dann. Verstanden?<<
>>Geht klar Chefin. Glaub’ die mögen mich eh nicht.<<
Wenn Blicke töten könnten. Da ich meinen Kram ja schon gepackt hatte und die Geschichte mit Sarah nicht nach einer Zugabe aussah, ging ich mal nach neben an. Vielleicht standen die Chancen ja hier besser.
>>Ich glaub’ das mit Sarah ist nicht so…<<
>>Ach nein? Das tut mir aber leid.<< grinste sie mich an. >>Du hast die da unten ganz schön aufgemischt. Die schreien schon die ganze Zeit wegen dir rum.<<
>>Ja. Ist mir nicht entgangen.<< lachte ich, >>Was machst du heute Abend? Lust was trinken zu gehen?<<
>>Bist du überhaupt schon nüchtern?<<
>>Wahrscheinlich nicht.<<
>>Dann gehen wir danach aber lieber zu dir.<< lachte sie mit, >>Schreib deine Nummer auf den Zettel da, Patrick.<<
Sie zeigte auf den Schreibtisch. Die Art, wie sie Patrick sagte, war schon wieder unheimlich erotisch. Gute Gene in der Familie. Und gut, dass es nur zwei Schwestern gab. Sie hockte auf dem Fußende des Bettes und zog sich gerade Socken an.
>>Ich bin übrigens Mareike.<<
>>Dann bis heute Abend Mareike. Es war mir eine Freude.<<
>>Du meinst bis gleich. Du musst noch 5 Minuten mit uns am Tisch sitzen, oder hast du das schon vergessen?<<
>>KLAPPE HALTEN. ALLE BEIDE. DU, LAS SIE IN RUHE. DU, ZIEH DICH AN. Frückstück!<< kommandierte Sarah aus dem Badezimmer kommend herum.
>>Ai ai Madame.<<
Gefiel mir, die Kleine. Die Eltern einigten sich wohl in den letzten Minuten darauf, mich nicht an den Eiern aufzuhängen und versuchten sogar mich in ein Gespräch zu integrieren, während Sarah im Boden versank, Mareike mich mit ihren Blicken auszog und ich die letzten zwei Croissants vernichtete. So viel Hunger konnte Sarah ja eh nicht haben, nach der Kotzerei. Ich hielt mich während meiner Gesprächsanteile brav bedeckt, immerhin hatte ich genug Chaos angerichtet für einen Morgen. Außerdem wollte ich die sichere Nummer mit Mareike nicht verkacken.
>>Ich muss dann mal los. Danke für’s Frühstück. Sarah, ich ruf dich an.<<
>>BITTE NICHT. << schrie der Vater noch seinen Abschiedsgruß hinterher. Und das am Adventssonntag. Unverschämtheit.
>>Ja ok. Bis dann.<< sagte Sarah und gab mir einen Kuss auf die Wange. Sie wollte wahrscheinlich nicht als Schlampe dastehen.
>>Bis dahaaaan.<< zwinkerte mir Mareike zu.
>>Hauste.<< schloss der kleine Bruder das Thema ab.
>>Schönes Ding.<< gratulierte ich mir vor der Tür selbst. >>Nette Familie. Ich glaub’ jetzt sind wir richtig dicke.<<