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Adi
„Wenn ich einmal groß bin, dann bin ich ein mächtiger und berühmter Mann“. Immer wieder zog sich der schmächtige Adi in diese Kindheitsfantasien zurück. Vor allem, wenn ihm, so wie heute, die Vorschriften der Erwachsenen auf die Nerven gingen: Hausaufgaben machen, den Müll rausbringen. Nein! dann saß er doch viel lieber hier unter seinem Lieblingsbaum und quälte kleine Tiere, wie die Ameise, die er gerade mit dem gebündelten Licht seiner Lupe verfolgte. Letzten Sommer aber verirrte sich hier, im österreichischen Voralpenland ein Wandererpärchen, die er gerne zum Narren hielt um sich an deren Leiden aufzugeilen.
Natürlich kannte er damals den kürzesten und sichersten Weg zur schützenden Höhle, während das Sommergewitter mit Urgewalt auf Adi und das fremde Pärchen niederprasselte. Doch die Route über die wesentlich gefährlicheren Klippen versprach mehr Potential für Unglücke aller Art.
Mit neugierigem Blick verfolgten Adis wassergrauen Augen den panischen Zick-Zack Lauf der Ameise. Konzentriert hielt er die Lupe in der Hand, das gebündelte Licht erhitzte langsam aber stetig den Chitinpanzer des wehrlosen Insekts. Adi grinste. Dem Insekt ist bestimmt nicht so kalt wie ihm letztes Jahr im strömenden Regen, doch der Umweg über die Klippen hatte sich gelohnt.
Als die Frau damals mit ihren glatten Halbschuhen auf den nassen Steinen abrutschte und in die Schlucht zu stürzen drohte krampfte sich Adis Herz zusammen – vor freudiger Erwartung. Instinktiv riß die Frau die Arme nach oben um sich an der Felskante festzuhalten. Ihr Mann sprang vor und versuchte ihre Hand zu packen. Das laute Knirschen der Schulter als sie aus dem Gelenk sprang und der gequälte Schmerzensschrei der Frau, bewiesen Adi, daß ihr Mann den Sturz abfangen konnte. Was für ein Szenario: Das Gesicht des Mannes war entstellt vor Angst und Schreck. Tiefe Furchen zerfleischten seine Linien um Mund und Nase, hineingetrieben von der panischen Sorge um seine Frau. Sie ließen ihn schlagartig um Jahre gealtert erscheinen. Die Frau baumelte puppengleich an ihrer ausgekugelten Schulter über den Abgrund. Ihr Gesicht war so weiß wie ein Leichentuch, langsam zog der Mann sie hoch. Ihre Todesfurcht vermischte sich mit dem ziehenden Schmerz zerrissenen Gewebes zu einer Patina des Grauens, die sie bis in den letzten Winkel ihres Körpers ausfüllte. Schreck, Panik und Schmerz stülpten ihre Eingeweide von innen nach außen. Als sie sicher auf den Klippen lag erbrach sie sich, liegend auf den nassen Steinen.
Verdammt, die Ameise war ihm entkommen. Sein kleiner, eregierter Penis hatte seine Aufmerksamkeit gestört. Das beunruhigte und erregte ihn gleichzeitig.
Der heiße Sonnenstrahl, der sogar Papier verbrennen konnte, fing die Ameise wieder ein. Erwartungsvoll sah der Junge zu wie die Ameise, immer schneller werdend, der Hitze zu entkommen versuchte. Doch diesmal blieb Adi konzentriert. Das Sonnenlicht fraß sich förmlich an dem kleinen Körper fest. Schließlich wurde sie langsamer und langsamer. Mitleid empfand der Junge nicht, höchstens wissenschaftliche Neugier.
Dieselbe wissenschaftliche Neugier, wie damals als er den Mann bat, die Schulter seiner Frau untersuchen zu dürfen.
Die Höhle war trocken. Adi kannte sie schon lange und hatte vorgesorgt. Ein paar Decken und ein kleines Feuer, entfacht aus schon lange vorher gesammeltem Holz, wärmte die Wanderer.
Natürlich hatte er, Adi nie bei der Bergrettung gelernt wie man eine Schulter wieder einrenkt. Doch der Mann, dieser Idiot, glaubte ihm diese Lüge und seine Frau reagierte nicht, wenn man sie ansprach. Sie schaukelte nur leicht vor und zurück und jammerte leise.
Mit ernster Miene, die tiefes Wissen vermitteln sollte zog, drückte und quetschte Adi an der Schulter der Frau. Dabei stellte er entzückt fest, daß sie bei verschiedenen Bewegungen verschiedene Schmerzenslaute von sich gab. Drückte er zum Beispiel von oben auf das Gelenk, dann quiekte sie wie ein Schwein, wenn er aber kräftig an ihrem Arm zog stöhnte sie laut auf, sogar kleine Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn. Der Junge war begeistert. Für ihn verging die Zeit bis das Gewitter vorbei war wie im Flug. Schließlich versengte er mit tiefen Ernst seinen Blick in den Augen des Mannes und schüttelte bedauernd den Kopf. Hier können tatsächlich nur die Sanitäter der Bergwacht weiterhelfen.
Der Geruch nach verbranntem Chitin holte Adi aus seinen Gedanken zurück. Der Panzer der Ameise gab ein leises, knackendes Geräusch von sich. Die Hitze hatte die schützende Ummantelung aufgebrochen. Ein schmales Rauchwölkchen stieg in die Luft. Fast könnte man meinen, die Seele der kleinen Ameise verläßt ihren verkohlten Körper. Adi nickte zufrieden, er hatte erreicht was er wollte.
Er hatte auch bei den beiden Wanderern damals erreicht was er wollte. Macht zu haben über andere, Angst und Entsetzen auszulösen und studieren zu können, daß war sein Lebenselexier.
Nach dem Gewitter ging er schnell zur nächsten Bergwacht. Gemeinsam war der Abstieg ins Dorf ein Kinderspiel. Die Frau hatte Schmerzmittel bekommen. Ihre Schulter war wieder eingerenkt. Ihr Blick war wieder klar, sie war wieder ansprechbar. Beide bedankten sich überschwenglich für Adis Hilfe. Ohne ihn hätten sie das nie geschafft. Ohne ihn hätten sie sicherlich wesentlich mehr Schwierigkeiten gehabt, sagten sie.
‚Wie leicht sich doch die Leute täuschen und manipulieren ließen!‘, dachte Adi halb erstaunt und halb begeistert.
„Aus dir wird sicherlich einmal ein mächtiger und berühmter Mann“.
„Aaadolf.....essen!“, seine Mutter. Immer, wenn sie ihn nicht bei seinem Kosenamen rief war sie zornig.
Er hatte die Zeit vergessen. Zu schön war die Erinnerung gewesen an den letzten Sommer.
„Adolf!! Komm sofort zum essen ins Haus. Und wasch dir die Hände bevor du dich an den Tisch setzt!“
Die Ameise klebte noch unter seinem Schuh als er das Haus betrat.
[ 29.06.2002, 10:37: Beitrag editiert von: zauberer68 ]