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Adeles Teddy
Vater schüttelt hilflos den Kopf, während er seiner Frau beim Aufwischen der Dreckspur zuschaut. Fast täglich führt eine Spur aus frischer Erde vom Fenster zum Bett. Sorgenvoll runzelt er die Stirn. Adele, ihre Tochter, liegt seit dem schlimmen Unfall schwer verletzt im Bett. Wie kommt dieser Dreck jeden Abend in ihr Zimmer? Sie konnte unmöglich aufstehen.
Freudig schaut Adele die Blumen und die verschiedenen kleinen, mit Erde verschmierten Gegenstände auf ihrem rosafarbenen Nachttisch an.
"Wer hat diesen Dreck ins Zimmer gebracht?", fragt Adeles Mutter irritiert.
"Teddy."
"Wer hat die frischen Wiesenblumen auf deinen Nachttisch gelegt?", fragt sie weiter.
"Teddy hat sie mir gebracht."
Frau Fransen runzelt kummervoll ihre Stirn. "Liebes, dein Teddy ist nur ein Plüschtier. Er kann dir keine Blumen gebracht haben."
"Doch natürlich! Schau, er hat mir auch noch schöne Schneckenhäuschen mitgebracht." Strahlend zeigt Adele auf der kleinen, flachen Hand verschiedene, mit nasser Erde verschmierte Kleinigkeiten.
Seufzend wirft Frau Fransen den Bodenlumpen ins Schmutzwasser und stellt den Putzkübel zur Seite. Langsam nimmt sie das Röhrchen aus der Hosentaschen, schüttelt ein paar Tabletten in die Hand und legt sie auf die Zunge. Für ein paar Sekunden schliesst sie die Augen. Plötzlich, nur für einen ganz kurzen Moment, glaubt sie, einen Schatten hinter dem langen Vorhang zu sehen. Nein, nein, denkt sie und greift nochmals nach dem rasselnden Döschen.
"Wieso ist das Fenster offen?", wundert sich ihr Vater, der die Szene bis jetzt anteilslos beobachtet hat.
"Das Fenster klemmt. Teddy konnte es nicht mehr schliessen", erklärt Adele.
Verzweifelt schauen sich Herr und Frau Fransen in die Augen. Der Vorhang bewegt sich leicht im Durchzug. Es fällt ihnen schwer ihre Tränen zu unterdrücken.
Dazu will ihr Vater nichts sagen. Die Hirngespinste seiner Tochter machen ihm grosse Angst. Stattdessen ermahnt er sie, "du sollst nicht neben dem offenen Fenster liegen, Kleines." Sofort realisiert er, wie idiotisch seine Bemerkung ist. Adele wird nie mehr alleine aufstehen können. Ich muss unbedingt dieses Fenster reparieren, denkt er traurig und schliesst das Fenster mit einem kräftigen Ruck.
Während Herr Fransen die Steine und Schneckenhäuschen im Lavabo sorgfältig mit einer alten Zahnbürste säubert, bettet seine Frau ihre Tochter voller Liebe ein. Sie nimmt Adeles Teddy vom Regal. Seit sie angefahren wurde, kann sie ohne das Stofftier nicht mehr einschlafen, denkt sie tief traurig. Adele streckt die immer noch eingebundenen Arme ihrem Teddy entgegen. Schlaff hängen die mit Erde verkrusteten Beine und Arme des felligen Spielzeuges an seinem Körper.