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Adel verzichtet!

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08.05.2010
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Adel verzichtet!

Ein romantischer Liebesroman. 491 Seiten.


Die Sonne küsste den Tag und weckte ihn zärtlich. Sie versprach herrliches, sommerliches Wetter. Das Morgenrot schminkte das Bergpanorama mit berauschendem, goldenem Licht.
Henry steuerte die „stretched Limousine“, einen verlängerten Maybach, in die Auffahrt des Grafenschlosses. Er war der Fahrer dieses Wagens und er war stolz darauf. Die Stelle hatte er vor eineinhalb Jahren angetreten. Die Arbeit bei der jungen Gräfin bereitete ihm Freude und er verdiente auch nicht schlecht. Früher lief es nicht so gut für ihn. Die Firma, für die er als Mechaniker tätig war, hatte Insolvenz anmelden müssen und Henry stürzte in die Arbeitslosigkeit. Über fünf Jahre verbrachte er in diesem lethargischen Zustand, bis die Gräfin ihn herausriss. Er war ihr dankbar, so unendlich dankbar.
Henry öffnete die Doppeltür des Fonds und stellte sich flankierend daneben. Er stand stramm und hielt die Hand, zum Gruß, an die Chauffeursmütze. Anselm, der weißhaarige, alte Butler öffnete die Tür des kleinen romantischen Schlosses und die Gräfin schritt elfengleich hindurch. Sie trug ein weißes, sportliches Outfit und der weiße Schal um ihren Hals wehte wie ein Fähnchen im Morgenwind. Graziös hopste sie die riesige Steintreppe herab und ihre lange, blonde Mähne federte über ihre Schultern.
„Wie schön sie ist!“, dachte Henry, während sie einstieg und wortlos Platz nahm. Er schloss die Doppeltüre, ging langsam um die Nobelkarosse herum und setzte sich an seinen Arbeitsplatz.
„Wo soll es denn hingehen, Fräulein Isabelle?“, fragte er höflich.
„Fahr mich zur Villa Hildenbrand!“, befahl sie und zog ihren Lippenstift aus der weißen Handtasche.
Henry stutzte: „Aber ..., dann sind wir ja den ganzen Vormittag unterwegs?“
„Hoffentlich,“ lächelte die Gräfin vielversprechend, „ dann haben wir viel Zeit füreinander!“
Henry strahlt über das ganze Gesicht, startete den Motor und fuhr los.
Umständlich drehte sie den kirschroten Lippenstift auf und zog langsam und verführerisch die Konturen ihres wohlgeformten Mundes nach. Dabei blickte sie vielversprechend in den Rückspiegel des Wagens. Ihre Blicke kreuzten sich immer wieder, immer langanhaltender, immer sehnsüchtiger. Nach einiger Zeit hielt sie es nicht mehr aus. Sie schnallte sich ab und kniete sich auf den gegen die Fahrtrichtung montierten Sitz. Langsam beugte sie sich zum Fahrer vor.
„Ich habe mich so sehr nach dir gesehnt.“, gestand Henry, „Diese Heimlichtuerei bringt mich noch um!“
„Aber jetzt bin ich ja bei dir, mein Liebster. Ich liebe dich. Ich begehre dich. Du bist mein Herz, mein Leben.“, hauchte sie zuckersüß in Henrys Ohr und legte ihre Hand auf seine starke Schulter. Henry schloss für einen Moment die Augen und genoss den Hall dieser Worte. Eine Welle großen Glücks durchströmte seinen Körper, wie Musik. Langsam und wiederwillig öffnete er die Augen wieder. Ein Leuchten strahlte aus ihnen heraus und erhellte den Innenraum des Fahrzeugs. Auch die Augen der Gräfin funkelten wie lupenreine Diamanten und reflektierten sein Leuchten. Nichts hielt die Gräfin mehr im Fond zurück und sie zwängte sich zwischen den Vordersitzen hindurch, um ihm näher sein zu können. Sie setzte sich auf den Beifahrersitz und legte ihre linke Hand auf seine rechte, die das Lenkrad umklammerte.
„Hier bin ich!“, flüsterte sie verliebt.
„Wir müssen vorsichtig sein.“, ängstigte sich der überrumpelte Chauffeur plötzlich. „Ich möchte nicht, dass du wegen mir enterbt wirst und du alles verlierst.“
„Alles was ich will, bist du!“, versuchte sie ihn zu beruhigen, „ Alles was ich mir wünsche, bist du! Alles, was ich brauche, bist du!“
Entwaffnet von diesen Worten, drehte er ihr sein Gesicht zu und fokussierte ihre wunderschönen, samtweichen Augen. Langsam glitt sein Blick den perfekten Nasenrücken hinab, verweilte kurz an der süßen Nasenspitze und blieb elektrisiert an den roten, geschmeidigen Lippen hängen. Er konnte dieser Anziehung nicht länger standhalten. Wie gegenpolige Magnete zogen sich Henry und Isabelle an, gaben dieser Kraft nach und bewegten sich langsam, aber unaufhörlich, aufeinander zu. Eine glückliche Kollision ihrer Lippen war unausweichlich.

„Stopp!“, schrie die Gräfin unvermittelt, „ Ich will das nicht!“
„Ich doch auch nicht,“ bestätigte Henry, „aber wir haben keine andere Wahl!“
„Niemand kann mich dazu zwingen!“, protestierte Isabelle. „Niemand!“
„Aber die Leser wollen das so haben.“, entgegnete Henry. „Sie wollen dass wir uns kriegen. Schließlich ist das hier ein kitschiger Liebesroman und kein Krimi.“
„Ich liebe dich doch überhaupt nicht und deine schleimigen Lippen werde ich nicht küssen!“ stellte die Gräfin klar, „Und wegen deines Mundgeruches hätte ich mich fast übergeben müssen!“
„Ich liebe dich doch auch nicht!“ bestätigte Henry „ Aber ich bin Profi. Und wenn der Autor schreibt, dass ich ein blöde, arrogante Aristokratenkuh küssen muss, dann küsse ich eine blöde, arrogante Aristokratenkuh. Sonst wirft ihn der Verlag raus.“
„Das nimmst du Arbeiterarsch zurück!“, erboste sich die Gräfin. „Du glaubst doch nicht etwa, dass es mir Vergnügen bereitet, mit einem rülpsenden, furzenden Proleten, auf so engen Raum eingesperrt zu sein. Ich soll jemanden küssen, der 30 Jahre älter ist als ich! Lächerlich!“
„Reg dich ab, du Gewitterziege!“, ereiferte sich Henry. „Du hast doch nichts zu verlieren. Wenn meine Frau liest, was mir dieser Schmierfink zuschreibt, reicht sie die Scheidung ein. Meine fünf Kinder bekomme ich nur am Wochenende zu sehen und aus der Wohnung wirft sie mich auch noch raus.“
„Meine Eltern werfen dich auch raus,“ heulte die Gräfin los, „aber vorher schicken sie dir noch einen Killer vorbei. Ich werde ja nur enterbt, verliere Rang und Ansehen und lande in einer Sozialwohnung.“
Henry liefen die Tränen über sein Gesicht: „Wir sind doch unschuldig, Isabelle! Wir sind Opfer des Autors. Wir müssen für ihn schuften und Dinge tun, die wir eigentlich gar nicht tun wollen. Er benutzt uns nur, wie Spielzeug. Er spielt Gott und macht Kohle ohne Ende mit unserem Unglück.“
Die Gräfin hatte sich wieder gefangen: „Du hast recht!“, sagte sie. „Dieser Schreiber richtet uns zugrunde. Wir müssen rebellieren, um unsere Freiheit zurück zu bekommen. Wir kündigen einfach und kehren zum Schloss zurück. Dort nehmen wir unser langweiliges Leben wieder auf! Ich bin die Gräfin, du der Fahrer und weiter passiert nichts.“
Henry wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Genial!“, stellte er fest. „Einfach und genial! Der Autor hat uns nicht mehr im Griff und muss uns in Ruhe lassen. Eine stinknormale Geschichte interessiert keine Sau und wir sind frei! Frei! Das ist die Lösung.“
Die Gräfin zwängte sich wieder zwischen den Vordersitzen hindurch, nahm im Fond Platz und schnallte sich an. Dann nahm sie ein Tuch aus der weißen Handtasche und wischte sich die Schminke aus dem Gesicht. Sie blickte in den Rückspiegel und traf Henrys Blick.
„Wenn ich bedenke,“ begann sie erneut, „was er uns alles hätte tun lassen können, fährt es mir kalt den Rücken hinunter.“ Sie schüttelte sich. „Und meine Fettpölsterchen hätte er bestimmt auch verschwiegen. Das hätte mit Sicherheit die kitschige, romantische Atmosphäre zerstört.“
Henry lachte laut los: „ Ein Glück, das niemand sehen kann, wie wir in Wirklichkeit aussehen. Meine Glatze und das Fässchen, das ich vor mir hertrage, hätte er auch unterschlagen... .“
Sie lachten. Sie lachten laut. Sie lachten mich aus. Sie lachten, bis sie nicht mehr konnten. Dann fuhren sie bei strömenden Regen zurück zum Schloss. Es regnete schon den ganzen Tag. Dieses Mistwetter hatte sich festgesetzt.
Sie kehrten in die Normalität zurück und führten ihr langweiliges Leben weiter. Sie war die Gräfin. Er war der Fahrer. Und nichts weiter. Normal. Öde. Alltäglich. Einfach langweilig.

Die Rebellion meiner Hauptdarsteller war erfolgreich und ich konnte nur machtlos zusehen, wie sie meinen Bestseller vernichteten. Ich musste mir etwas anderes einfallen lassen, sonst würde der Verlag die 100,000 Euro, die ich als Vorschuss erhalten hatte, zurückfordern.
Mein Kugelschreiber vibrierte in meiner Hand. Ich schwang ihn hin und her, konnte aber das Papier nicht berühren. Dann aber begann er an zu kreisen. Zuerst kreiste er noch hektisch, wurde langsam ruhiger, das Vibrieren hörte auf und schließlich schrieb er auf das leere Blatt ... mit uns nicht!!!.

 

Salve Ludwig,

Dein Zweitstand mit den sich verselbständigenden Schnulzenfiguren, die in die Sicherheit der nicht erzählenswerten Langeweile flüchten, hat mich köstlich amüsiert. Sprachlich ist der Text durchaus solide, ein paar kleine Wortwiederholungen innerhalb weniger Sätze stören den Lesefluss und ließen sich ohne Verlust eliminieren. Im letzten Absatz wiederholst Du einen ganzen Satz, das wirkt, als hättest Du umgeschrieben und vergessen, einen Teil zu löschen.
Außerdem kommt vor und hinter den drei Auslassungspunkten ein Leerzeichen.

Den satirischen Ansatz hinter der Geschichte sehe ich allerdings nicht. Gut, Du nimmst zwischen den Zeilen die Sehnsucht einer bestimmten Lesergruppe nach Kitsch, Romantik und Harmonie aufs Korn, die zu völlig austauschbaren Plots mit immergleichen Phrasen und fest definierter Eigenschaftszuschreibung an Wetter, Haus, Auto und Aussehen der Figuren führt.
Egal, wie sehr sich dem Autoren die Zehennägel beim Schreiben kräuseln - denn die Rebellion der Figuren lese ich zumindest als inneren Widerwillen des Autoren.
Das müsste mMn allerdings noch viel gemeiner, spritziger, absurder, zugespitzter passieren, um als Satire zu ziehen. So ist es ein amüsanter Text, und das ist viel, aber zumindest in meinen Augen als Satire zu schwach.

LG, Pardus

 

Hallo Ludwig,

mir hat besonders der erste Teil gefallen, der den schauderhaften Stil gewisser Zeitschriften imitiert. Dann kam die Wende und ich habe lachen müssen:

„Stopp!“, schrie die Gräfin unvermittelt, „ Ich will das nicht!“
„Ich doch auch nicht,“ bestätigte Henry, „aber wir haben keine andere Wahl!“
„Niemand kann mich dazu zwingen!“, protestierte Isabelle. „Niemand!“
„Aber die Leser wollen das so haben.“, entgegnete Henry. „Sie wollen dass wir uns kriegen. Schließlich ist das hier ein kitschiger Liebesroman und kein Krimi.“

Was danach folgt, mit "Arbeiterarsch", Mundgeruch, dreißig Jahre Altersunterschied und "Gewitterziege" ist stilistisch nicht ganz so toll - aber immer noch okay. Die Lösung mit der stinknormalen Geschichte schließlich fand ich originell.

Highlight:

„Wenn ich bedenke,“ begann sie erneut, „was er uns alles hätte tun lassen können, fährt es mir kalt den Rücken hinunter.“
Das Komma kommt nach dem Anführungszeichen: "Wenn ich bedenke", ...

Das ist leiser und doch treffender Humor. Die Pointe mit den Figuren, die das Kommande übernehmen, liest man zwar von Zeit zu Zeit (Sofies Welt u. a.) aber bei dir wirkt sie überzeugend.

Beste Grüße,

Berg

 

Danke für ehrliche Meinung und besonders für die Kritik! Das hilft weiter!

MfG,

Ludwig

 

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