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Adamspoker
Jetzt nur nicht die Nerven verlieren. Wir befinden uns in der dritten Runde, die Karten sind verteilt und 35.000 Euro befinden sich im Topf. Wir sitzen bereits zum vierten Mal in dieser Gesellschaft beim inzwischen weit verbreiteten „Adamspoker“. Es wird wohl deshalb so genannt, weil es durchaus passieren kann, dass einem am Ende nichts bleibt als das Adamskostüm. Es geht also ums Ganze. Volles Risiko. Alles oder Nichts. Hier haben schon Leute völlig ruiniert den Tisch verlassen – ganze Existenzen wurden in diesen Räumen schon ausgelöscht. Selbst über Mord und Selbstmord wird immer wieder berichtet. Adamspoker bewegt sich am Rande der Legalität, wird aber immer beliebter.
Die Runde ist eröffnet. Ich verfalle in meine übliche Taktik. Nur nichts anmerken lassen, neutral und abgeklärt wirken, aber nicht desinteressiert erscheinen. Bloß nicht schwitzen oder lächeln.
Organisator und Leiter dieser Runde ist Schulze. Schulze kommt aus Essen, ist aber weit über das Ruhrgebiet hinaus bekannt und hat jahrelange Erfahrung in der Leitung von Adamspoker. Äußerlich ein wenig an Claude Oliver Rudolph erinnernd, gelingt es ihm spielend seinem Ruf als kompromissloser und harter Hund gerecht zu werden. Dass er kein Falschspiel dulden und keine Ausschreitungen zulassen wird, lässt sich aus seinem versteinerten und vernarbten Gesicht ablesen. Na ja, seine Organisation ist ja auch mit horrenden Gebühren an den Einsätzen beteiligt.
Ich nehme meinen Gegenspieler, oder besser meine Gegenspielerin ins Visier. Blufft sie? Was kann sie auf der Hand haben? Meine Gegenspielerin ist eine blonde hagere Frau mittleren Alters, genannt „Gabi Ost“, weil sie aus Dresden stammt. Aber glauben Sie mir, im Adamspoker ist sie ein Vollprofi. Trotz völlig ausdruckloser Miene wirkt sie überheblich und leistet sich nicht den allerkleinsten Fehler. Ich muss vorsichtig sein. Ich muss aufpassen, dass nicht ich am Ende splitterfasernackt den Saal verlasse, sondern sie. Obwohl ich zugeben muss, dass mich die Vorstellung einer unbekleideten Gabi Ost im Moment wirklich nicht erregen kann. Verdeckt schaut sie sich noch mal ihr Blatt an. Was kann sie nur haben? Diese offen zur Schau getragene, unerträgliche Selbstsicherheit macht mir jetzt doch zu schaffen. Es geht immerhin um 35.000 Euro. Unsere Blicke kreuzen sich. Ich sehe in ihre kalten blauen Augen. Jetzt dem Blick standhalten. Ganz kurz, für den Bruchteil einer Sekunde meine ich ein selbstgefälliges arrogantes Lächeln, das heißt eher ein Mundwinkelzucken, ausgemacht zu haben. Verdammt, es sieht nicht gut für mich aus. In diesem Moment greift Schulze ein und will die Blätter sehen. Jetzt gilt es. „Karten offen auf den Tisch.“
Gabi legt einen auf ihren Namen abgeschlossenen Kaufvertrag für unseren Mercedes SL im Wert von 35.000 Euro vor. Wo hat sie den denn ausgegraben? Dagegen zählt meine Bescheinigung des Arbeitgebers, dass ich regelmäßig mit dem Wagen zur Arbeit gefahren sei, natürlich nicht viel. Gut, Familienrichter Schulze spricht ihr „im Namen des Volkes“ den Wagen zu, die Runde ist verloren. Meine Nochehefrau Gabi und ihr schmieriger Scheidungsanwalt reiben sich zufrieden die Hände. Aber damit habe ich gerechnet. Für die nächste Runde bin ich deutlich besser vorbereitet. Neues Spiel, neues Glück. Jetzt spielen wir um die Zukunft und das Sorgerecht für unsere minderjährigen Kinder.