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Absturz

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04.02.2003
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Absturz

Absturz

Das Glas mit dem Rotwein stand seit einer halben Stunde auf dem Tisch. Einige Male war Suzanna kurz davor gewesen, einen Schluck zu trinken, hatte dann aber doch gezögert. Warum hatte sie den Wein überhaupt gekauft, wo sie doch wusste, hatte sie erst Alkohol im Haus, würde sie nicht widerstehen können?
Der Tag im Büro hatte sie fertig gemacht. Stress mit dem Chef, Stress mit den Kollegen – sie wollte sich mit einem guten Wein belohnen. Wirklich – nur belohnen, nichts anderes! Ein Glas, hatte sie sich gedacht, ein einziges Glas und die Flasche Chilenischen Weins in den Einkaufswagen getan. Ein Schluck Wein zum Essen konnte nicht schaden.

Seit zwei Wochen hatte sie keinen Tropfen getrunken, war selbst in der Bar standhaft geblieben, als ein alter Freund sie eingeladen hatte.
Es hatte keines Totalabsturzes bedurft, um sie erkennen zu lassen, dass sie zu viel Alkohol trank. Zu oft – zu viel. Jeden Abend mindestens eine halbe Flasche Wein - telefonierte sie stundenlang mit einer Freundin, konnten es durchaus auch mal anderthalb Flaschen werden - war nicht gerade wenig.
Suzanna liebte das wohlige Gefühl, wenn der Alkohol anfing zu wirken. Alles wurde mit einem Mal leichter, alles war halb so schlimm. Es gab Tage, da konnte sie erst nach einem guten Schluck Alkohol hemmungslos und befreiend weinen.

Nein, sie war noch keine Alkoholikerin, dessen war sie sich sicher. Ihr Körper hatte in den zwei Wochen Abstinenz keinerlei Entzugserscheinungen gezeigt, vielmehr war es so, dass sie den Geschmack, den Geruch des Weines vermisste. Wie oft am Tag ihre Gedanken den Genuss eines Glases Wein durchspielten, konnte sie nicht sagen. Aber sie hatte standhaft bleiben wollen, sie hatte Angst gehabt, in den Kreis der Abhängigkeit zu geraten. Andererseits war sie nicht familiär vorbelastet, was sicherlich eine bedeutende Rolle bei Alkoholismus spielt, redete sie sich immer wieder ein.

Und jetzt saß sie da und betrachtete den tiefroten Wein in dem großen bauchigen Glas. Sie mochte chilenische Weine, die sie mit ihrem intensiven Geschmack immer wieder aufs neue beeindruckten. Gut, sie hatten auch einen höheren Alkoholgehalt als viele Weine aus anderen Ländern, aber sie war überzeugt, dass das für sie keinerlei Rolle spielte.
Heute hatte Suzanna sich den Wein etwas kosten lassen, doch es war nicht nur einmal vorgekommen, dass sie extra einen Wein mit hohem Alkoholgehalt ausgesucht hatte. Das waren dann die Tage gewesen, an denen sie sich einfach nur betäuben, nein, besaufen wollte, was sie heute ja nicht vorhatte.
Warum zögerte sie, es war lachhaft. Langsam führte Suzanna das Weinglas an ihre Nase. Genüsslich sog sie den Duft auf - sie roch Kirschen, Rauch und etwas Vanille. Es wäre eine Sünde, den Wein jetzt, wo er schon geöffnet war, nicht zu trinken. Sie hielt das Weinglas ins Licht. Diese Farbe – brillant.
Dann der erste Schluck. Ihre Zunge spielte mit dem Wein, um alle Geschmacksrichtungen voll auszukosten. Der Wein war weich und rund, genau wie sie es mochte.
Nein, sie war eindeutig keine Trinkerin! Für sie stand der Genuss im Vordergrund. Die Betäubung, die mit diesem Genuss einher ging, war wohl eher als schöner Nebeneffekt zu betrachten.

Suzanna schenkte sich nach. Hatte sie wirklich schon die halbe Flasche geleert? Na, egal, dafür würde sie frühestens am Wochenende wieder etwas Alkoholisches trinken, versprochen! Es war Montag.

Der Wein fing an zu wirken, ihre Gedanken tanzten. In der Vergangenheit, in der Zukunft, in anderen Welten.
Leicht. Was machte sie sich Sorgen? Würde nicht alles seinen Weg gehen – von allein?

Oh, die Flasche war schon leer. Sie trank zu schnell. Vor einer Stunde hatte sie den ersten Schluck genommen. Sie hasste sich. Warum war sie nur so willensschwach. Blöde Kuh, so schnell konnte der Genuss vorbei sein – eine lächerliche Stunde! Der Abend war noch so lang. Sollte sie schon ins Bett gehen? Nein, sie hatte noch nicht die nötige Bettschwere.

Nein, das ging nicht... Sie konnte doch nicht die Flasche Brandy aufreißen, die sie für ihren Bruder zum Geburtstag gekauft hatte. Aber die Lust auf Alkohol war noch ungestillt und wurde immer stärker. Nein, das war nicht drin... Sie war doch nicht abhängig, warum verhielt sie sich dann wie eine Säuferin? Vielleicht...wenn sie sich das letzte Glas Wein einteilte, würde sie den Brandy nicht brauchen. Brauchen – was heißt schon brauchen? Sie brauchte keinen Alkohol! Hatte nur Bock darauf. Was war schon schlimm daran, sich mal wieder richtig zu betrinken? Deshalb war man ja nicht gleich suchtgefährdet. Und wenn doch?

Ach, scheiß drauf, was sollte das alles?! Diskussionen mit sich selbst – wegen Alkohol. Lächerlich! Sie dachte zu viel nach! Eine Freundin hatte ihr vor kurzem vorgeworfen, sie sei ein Kopfmensch, vielleicht hatte sie recht.
Suzanna riß das Geschenkpapier von der Flasche Brandy. Spanischer – den mochte ihr Bruder am liebsten und sie würde ihn auch mögen! Heute! Jetzt! Sofort!
Stilvoll geht die Welt zugrunde, dachte sie sich, als sie das Glas mit heißem Wasser vorwärmte.
„Auf mich, den Kopfmenschen! Prost!“
Sie kippte den Brandy hinunter - er brannte in ihrer Kehle, aber er wärmte auch so schön von innen.
Noch ein Glas, weil man ja auch einem Bein bekanntlich nicht stehen kann... Schmeckt sicher auch ohne vorgewärmtes Glas...

Nach dem dritten Glas machte sich Suzanna nicht mehr die Mühe, den Brandy ins Glas zu gießen.

 

Hi Magd!

Ersteinmal weiß ich gar nicht, was ich zu dieser Geschichte sagen soll. Die Gedankengänge deiner Prtagonisten sind nachvollziehbar und könnten wohl wirklich aus dem Kopf einer Alkoholsüchtigen zu stammen. Das beweist uns auch, warum diese Menschen statt dem Alkohol einen anderen Freund brauchen.

Du hast einen guten Erzählstil, beschreibst das nötige, verzichtest auf das Unnötige. Auch der Stil ist passend zum Thema. Vielleicht wäre eine Ich-Form auch passend gewesen, vielleicht auch nicht.

Da ich selten auf Rechtschreibfehler achte, sind mir hier keine gravierenden aufgefallen.

cu_christoph

 

hallo christoph,

dafür, daß du nicht weißt, was du sagen sollst, sagst du aber viel... :-)
nein, danke für deinen kommentar. es freut mich, wenn die story gefällt.
sicher könnte man sie auch in der ich-form schreiben, aber ich mag diese form nicht so besonders, da ich festgestellt habe, daß viele leser den protagonisten mit dem autor gleichsetzen. besonders bei derartigen themen wird das dann schnell als erfahrungsbericht abgehakt. und das muß ich mir nicht geben... :-)

b.

 

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