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Absturz in die Kaffeetasse
Das Rauschen von fließendem Wasser aus dem Badezimmer drang schwach an mein Ohr. Wie jeden Morgen baute ich das Geräusch erst in meinen Traum mit ein. Wenige Minuten später riss das Klingeln des Weckers mich aus dem Schlaf. Die bleierne Müdigkeit lag tonnenschwer auf meinen Körper.
Mein Mann kam aus dem Bad ins Schlafzimmer zurück. Der herbe Geruch seines After Shaves lag schwer in der Luft.
„Guten Morgen“, sagte er. „Hängst du mir bitte den blauen Anzug heraus? Ich bekomme in der Firma heute wichtigen Besuch. Es geht um einen bedeutenden Geschäftsabschluss der mich, bei Gelingen, die Karriereleiter höher steigen lässt.“
Ich antwortete nur ein kurzes: „Ja mach ich“, und quälte mich dann mühsam aus dem Bett. Anscheinend ging es bei Georg jeden Tag um irgend einen wichtigen Termin. Er war so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass er es anscheinend nicht bemerkte, wie still ich geworden war.
Ich hängte den Anzug an den Schrank und ging runter in die Küche, um mir einen Kaffee zu kochen. Für Georg kochte ich Tee. Seit einigen Wochen meinte Georg, er könne keinen Kaffee mehr vertragen. Ich deckte den Frühstückstisch, steckte Weißbrot in den Toaster und stellte Aufschnitt, Marmelade und Honig bereit. Dann ging ich an das offene Küchenfenster und rauchte eine Zigarette. Als ich meinen Mann die Treppe herunter kommen hörte, drückte ich den Glimmstengel hastig im Aschenbecher aus. Georg mochte es nicht, wenn im Haus geraucht wurde. Er hatte mich morgens schon oft deswegen angefahren. Heute jedoch schien er bester Laune zu sein. Er kam in die Küche und setzte sich beschwingt an den gedeckten Tisch. Er streute etwas Zucker in seinen Tee, und aß einen Toast mit Erdbeermarmelade. Dabei erzählte er mir einige belanglose Dinge. Wie immer geriet Georg ins Schwärmen über das, was er noch alles erreichen wollte. Ich hörte nur halb hin. Mit Schwung stellte er die Tasse auf den Tisch, gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. Dann eilte er mit dem Mantel über dem Arm, und dem Schirm in der Hand zur Tür, um in die Firma zu fahren. Ich blieb zurück, trank eine weitere Tasse Kaffee und zündete mir eine neue Zigarette an. Ich verfiel weiter in meine trüben Gedanken. Wie gerne würde ich wieder arbeiten. Aber Georg meinte, er verdiene genug Geld. Damals hatte ich mich geschmeichelt gefühlt. Endlich konnte ich mich um Dinge kümmern die mir wichtig waren. Wir hatten uns vor zehn Jahren in der Firma kennen gelernt. Ich war Georgs Sekretärin gewesen. Damals waren wir immer zusammen aus dem Haus gegangen. Jetzt hatte eben alles an Bedeutung verloren, und nur noch das, was Georg tat war von Größe. Ich konnte mich nicht erinnern, wann diese Niedergeschlagenheit angefangen hatte. Meine Welt wurde von Tag zu Tag farbloser. Eigentlich hätte ich auch einmal wieder einen gründlichen Hausputz machen müssen, aber ich hatte einfach keinen Elan. Ich wußte nicht einmal mehr, wann ich das letzte Mal sauber gemacht hatte.
Am Abend machte Georg mir wieder Vor-würfe. Er lief durch das Wohnzimmer, und meckerte über die halb gelesene Zeitschriften auf dem Wohnzimmertisch herum. Er mißachtete auch meine Versuche das Haus für uns ein wenig gemütlicher zu machen.
„Liebes, du weißt doch, dieses Haus ist vom besten Innenarchitekten eingerichtet worden. Betreibe doch bitte nicht immer Stilbruch, wenn du deine eigenen Ideen hier hereinbringst.“ Ich hatte das Dekorieren dann aufgegeben. Nun saß ich im Sessel und sah aus dem Fenster.
Ein spät sommerlicher Tag war zu Ende gegangen. Die Blätter verfärbten sich schon deutlich. Wieder konnte ich mich nicht konzentrieren. Ich schloß die Augen und meinte in einem Karussell zu sitzen. Georgs Stimme hatte sich zu einem gespenstischen Flüstern verändert.
„...und dann hole ich dich zu dem kleinen Empfang von zu Hause ab.“
Verwirrt sah ich zu Georg auf.
„Träumst du, oder was ist los“, fragte Georg leicht gereizt. „Die Geschäfte in der Firma laufen gut, ich denke, morgen werden die Verträge zur Übernahme der finanzschwachen Firma unterschrieben. Und bitte geh zum Friseur und kleide dich mit was Elegantem, aber bitte nicht zu overdressed.“ Georg ermahnte mich, wenigstens den Anschein von Interesse zu zeigen. Ich sollte mich aber aus allem raushalten, wenn ich nicht wüsste, worum es gehe.
„Ich gehe noch mal weg“, sagte er. „Warte nicht auf mich, es wird sicher spät.“ Mit diesen Worten verließ er das Haus.
Ich saß noch einige Zeit nur so da und trank die zweite Tasse Kaffee aus. Ich hasste es, wenn er mit mir sprach als sei er der Vater und ich seine Tochter. Ich beschwerte mich aber nicht darüber, denn ich wusste, er würde es sowieso nicht verstehen.
Ich streckte meine schmerzenden Beine aus. Langsam kehrte das Gefühl in meine müden Glieder zurück. Eine Weile brauchte ich um zu verstehen, wo ich war. Ich setzte mich langsam auf und schaute mich im Zimmer um. Am Abend hatte ich es nicht geschafft ins Bett zu gehen, und hatte im Sessel übernachtet. Ich wollte auf Georg warten, war aber dann eingeschlafen. Ich fühlte mich wie immer müde und ausgelaugt.
„Georg“, rief ich. Doch keine Antwort kam. Warum hatte ich auch nicht nachgefragt, wo er denn noch hin wollte. Oder hatte ich gefragt? Ich konnte mich nicht erinnern. Ich stellte mir erst einmal einen Kaffee an und rauchte dazu eine Zigarette. In der Küche hatte ich mich an den Tisch gesetzt und versuchte krampfhaft einen klaren Gedanken zu fassen. Das Klingeln an der Haustür ließ mich zusammenzucken. Auf wackeligen Beinen tastete ich mich langsam zur Tür. Das Klingeln gab nun einen Dauerton von sich. Ängstlich schaute ich durch den Türspion. Erleichtert erkannte ich meine Freundin Renate, und öffnete den Eingang.
„Hallo Renate.“
„Darf ich rein kommen“, fragte Renate ohne Umschweife.
„Ja, aber nicht so lange. Ich muß noch irgendwo hin, nur in Moment weiß ich nicht, was es war.“ Ich sah sie mit erstaunten Blick an. Schon vor längerem hatte ich mit ihr über meine Antriebslosigkeit gesprochen, und das es immer schlimmer wurde. Ich ging ein Stück zur Seite, um sie herein zu lassen. Wir gingen zurück in die Küche.
Renate sah mich besorgt an.
„Jette, wie geht es dir?“
„Ich weiß nicht so recht, ich glaube ganz gut.“ Ich hatte das Gefühl, als hätte ich einen Knoten in der Zunge.
Renate versuchte mir einiges zu erklären.
„Ich habe, ohne es zu wollen, Bruchteile eines Telefongesprächs von Georg mit angehört. Am Dienstag mußte ich für einige Stunden zur Vertretung in das alte Büro zurück. Jette“, sprach Renate weiter, „ich habe einen Verdacht, aber ich möchte meine Vermutung erst von einem Arzt bestätigt wissen. Bitte ziehe Dich an und begleite mich.“
Das war vor genau drei Monaten. Renates Vermutung hatte sich bestätigt. In meinem Blut wurde ein hoher Spiegel an Beruhigungsmittel nachgewiesen. Es hätte nur noch kurze Zeit gedauert, bis ich an einer Überdosis gestorben wäre. Renate hatte eine Anzeige gegen Georg gemacht. Ich war dazu nicht in der Lage. Georg hatte dann der Polizei gestanden, mir Valium in das Kaffeepulver getan zu haben. Er selbst habe zu Hause nur noch Tee getrunken. Auf die Frage, was ihn dazu getrieben habe, antwortete er ziemlich abfällig, dass wir uns wohl auseinander gelebt hätten. Er meinte, nur mit Valium konnte er mich kontrollieren. Er hatte Sorge, ich würde ihn vor seinem Chef und den Kollegen blamieren. Seine Karriere als Jurist war ihm wichtiger. In Kürze sollte er in den Vorstand der Firma gewählt werden. Er sagte, ich wäre dann nur im Weg gewesen. Eine Scheidung hätte angeblich seinen Ruf in der Firma ruiniert. Georg hatte dafür gesorgt, dass Renate in eine andere Abteilung versetzt worden war. Seinen Kollegen hatte er erzählt, ich sei schwer herzkrank, und daher nicht sehr belastbar.
Ich hatte es wohl Renate zu verdanken, das nichts schlimmeres passiert war. Mit der Trennung von Georg hatte für mich ein neues Leben begonnen. Jetzt lebe ich allein in meiner kleinen Eigentumswohnung. Georg habe ich seit dem nicht mehr gesehen. Wenn nun morgens mein Wecker klingelt, spüre ich nur eine leichte Decke auf meinen Körper. Das Valium hat starke Spuren an meinen Körper hinterlassen.
Nur langsam finde ich in ein normales Leben zurück.