Abstufungen von Braun
Eine flackernde Laterne störte sie bei ihrer Jagd. Sie ist eine der vielen Jägerinnen der Postmoderne. Die meisten gieren nach Gefäßen, doch sie sitzt grade in der Quelle – eine grüne, miefende, für sie doch verheißungsvolle Quelle.
“Jackpot!“
Leicht von einer rötlichen Schmiere umgeben, steigt sie aus dem Container des neuen Lebensmittelgeschäftes. In ihrer Linken ein Netz voll Äpfel, sie sehen gequetscht aus; das dazugehörige Datum rät zur Vorsicht.
“Apfelmus, endlich Reis und Apfelmus“
Trampelnd und vor Freude trötend, steigt sie auf die begrünte Anhöhe, welche den angrenzenden Wanderweg zur U-Bahn vom Parkplatz abtrennt, hinauf. In der horizontalen Mitte dieser Anhöhe gibt es verschiedene Einbuchtungen, es sind die Gräben der, auf dem Wanderweg Zigaretten verkaufenden, Vietnamesen.
“Nein“, “Nein“,“Jaaaa!“
Sie rennt. Sie rennt. Sie rennt. Sie steht.
Eines der kleineren Geschäfte hat einen Wachschutz, hier kann sie ihre Beute sichten.
“Mist, nur eine Stange. Erzkriminelle.“
„Stopp, das ist Privatgelände!“, rief der vergreiste, erstaunlich freundliche, gar liebenswürdig erscheinende Wachmann.
„Na, willste ne Kippe?“, beide lachen. //
„Reis hab ik, na und sonen Gasbrenner, dit Zeug musste aber zuckern, sonst is dit so semi-jut.“
„Sag mal Helmut, wieso, also wirklich, wieso hast du Reis und nen Gasbrenner bei dir?“
„Kleenet, ik bin Helmut der Wachehalter! Ne, der Chinamann um die Ecke, Onglong oder so, der gibt mir immer zwei jute Mahlzeiten, dafür pass ik da mit ner Zellumdrehung Verzögerung mit auf.“
„Ha, ha, hellsichtiger Helmut, Herr Wachtmeister.“
„Bist aber keene Grüne oder so ne Emanze, dit hätte ik gerochen. Also die Emanzen riecht man, ist ja selbsterklärend und die Gemüsepartei, die hat ja mit dem Schrödinger da wat jemacht, sowieso, Grün und Rot, Geschichte wiederholt sich. Der Goethe, also der Poet, nicht der Begründer der Gotik, der hatte da auch so ne Farblehre, der wusste schon was passiert. Wie sagt man, Kunst ist zeitlos, aber ik werd nur meine Zeit los. Dit einzige braune hier, dit sollte der ungezuckerte Apfelmus sein!“
„Teilen wir, Genosse Helmut.“
„Ahoi.“ //
„Steh auf! Du willst Deutscher sein? Dreckiger Rotgardist!“, schrie der große, am linken Arm mit einer 999 tätowierte, glatzköpfige Mann. Gleich einer Matroschka wurde er jedoch immer kleiner, umso genauer man sich ihn anschaute und um so stärker man ihn mit den Blicken auseinander nahm; unter der vielleicht dritten Zwiebelschicht erkannte man, dass es lediglich ein betrunkener Mitvierziger war.
„Hier, deine Übermenschenlehre, dieser Nietzsche....“, erwiderte der am Boden liegende, pausbäckige und in einem marineblauen Jackett noch sehr elegant wirkende Jüngling.
„Was Übermensch, spiel weniger Videospiele. Wolgadeutscher, du!“ und so langte ein weiterer Schlag ins Gesicht des blonden - im Ganzen wesentlich “deutscher“ aussehenden als der Täter - Jungen. //
„Ey mein Bursche, ich hab grade gemammpft und jetzt stampft mir so eine klägliche Gestalt entgegen? Dein Jackettchen ist ganz blau, du tätest gut dem gleichzutun. Dein Gesicht folgt ja auch dem Beispiel.“
„Formidable, du bist wie ich. Lass uns reden, lass uns streiten, lass uns sein, wie kein anderer je war.“
„Ach verstehe, du bist blauer als die Farbe selbst, die Jugend von heute...“, stellte sie mit einem sehr ausdrucksstarken Lächeln fest.
„Bitte, kein Gestus der Selbstgefälligkeit, wir dürften in etwas gleich alt sein.“, stellte wiederum er mit einem erhobenem Zeigefinger fest.
„Name und Alter?“
„Friedrich, 23. Gegenfrage: Geschichte?“
„23 also, du siehst anders aus, was soll´s. Ich aß etwas und streune nun, nicht´s was weitere Ausführungen wert wäre. Wie kommst du zu solch prächtiger Farbpracht?“, sie wirkte wenig überrascht, zeigte sich aber sehr interessiert an seiner Antwort.
„Ein Umriss dürfte wohl reichen: Meine Unterhaltung und ich waren in einer Bar. Die Beschäftigung wurde mir lästig, sie ging. Ich führte einen Diskurs mit den Stammgästen, nachträglich fiel mir auf, es waren wohl Stammgäste bei einem Stammtischtreffen – doof gelaufen. Diskussionen über die Rothschild´s“, - er gähnt - „etwas Geplänkel über die Hohlerde und Reichskriegsflugscheiben, es war unterhaltsam, aber sehr bedeutungsleer. Irgendwann wurde mir alles zu abstrus, man sprach über Echsenmenschen und Chemtrails, da erwähnte ich, ganz nach schulmeisterhafter Manier, dass es alles Unfug sei und es keine empirischen Beweise gäbe. Es flogen Bannwörter auf mich und ja, andere Dinge – haha.“, Friedrich schien sichtlich belustigt und schämte sich nicht seiner Verletzungen.
„Du bist ja ein Unikat....“, sagte sie; ihre Stimme war verhältnismäßig weich und ihr Kopf errötete zunehmend, sie schien verwirrt.
„Aber junge Dame, das war der Komparativ, der Superlativ folgt erst noch. Er gab nun besagten Disput, aber, es ist ein durchaus hartes, starkes aber, es gab noch eine Opposition. Diese Opposition erschien mir anfänglich als Hilfe, denn sie schlug meine Peiniger, sie kam offensichtlich zu meiner Hilfe, umso verblüffender war, dass sie sich so schnell maskierten - so dachte ich in diesem Moment der Erregung. Doch dann schlug man mir wiederholt in den Bauch, man bezeichnete mich als Nazi, als Neo-Nazi, als reaktionär etc. Der Superlativ war grundlose Gewalt, kein Auslöser, kein Reiz der alles Rechtfertigt, ganz und gar marchavellistisch sein Revier markierend wurde ich gepeinigt.“, erstmalig wirkte er betrübt, weniger aufgrund des Leides, viel mehr aufgrund des Unrechts.
„Friedrich, das tut mir Leid.“, sie reichte ihm ihren letzten Apfel, den sie aus ihrem ausgefransten Mantel zog.
„Ich danke, lassen sie mich einen Umtrunk zahlen, ich bitte drum.“
„Gern.“
So wurde ihr inneres Pochen zu einem äußeren und der Abend wich der Morgenröte.