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Absolut neutral

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25.02.2010
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Absolut neutral

Ich lehne mich zurück, schließe die Augen und warte. Dabei bemühe ich mich, nicht zu denken. Natürlich geht das nicht. Also versuche ich meinen Geist auf etwas zu konzentrieren. Fehlanzeige. Mit einem Seufzer nehme ich mein Buch wieder zur Hand und lese weiter. Schon nach einer halben Seite passiert es erneut.
„Dieser Vergleich hinkt”, sagt die nervtötende Stimme in meinem Kopf.
„Halt die Klappe!”, gebe ich zurück und lese weiter.
„Das kann man weglassen”, klugscheißert sie schon nach drei weiteren Sätzen.

Entnervt lasse ich das Buch sinken.
„Ich habe dieses Buch bereits drei Mal gelesen. Es ist perfekt. Ich liebe es und werde es auch noch weiter lesen - ohne ständig dabei von dir gestört zu werden.” Böse blicke ich nach rechts in den Spiegel. Um meine Aussage zu untermauern, halte ich dem Blick meiner Augen eine Weile stand, bevor ich mich erneut der Lektüre zuwende.
Den nächsten Kommentar unterbinde ich schon gleich zu Anfang, indem ich das Buch zuklappe und vor mir auf den Tisch werfe.
Toll, ich kann es nicht glauben. Da habe ich nun gerade einmal eine Hand voll mittelmäßiger Kurzgeschichten geschrieben und kritisiere schon einen der größten Schriftsteller der Geschichte. Wie unglaublich arrogant. Ich will gar nicht kritisieren. Ich will lesen. Ich will mich in den Welten meiner Phantasie verlieren, nicht im Halbwissen von Grammatik und Dramaturgie.

Ich schalte den Fernseher an. 20.15 Uhr, genau richtig. Ich zappe durch die Kanäle, bis ich an einem Titel hängen bleibe. Den wollte ich schon im Kino sehen. Der Film fängt vielversprechend an, doch schon nach zehn Minuten reißt mich die altbekannte Stimme aus der Handlung heraus: „Unglaubwürdiger Charakter. Und diese Dialoge … “, wobei sie das Wort Dialoge mit einem langgezogenen „o” quält. Ich schalte den Fernseher ab.
„Okay”, entgegne ich. Ich bin in Streitstimmung. „Wenn Du willst, gebe ich dir etwas zum daran herum kriddeln.” Ich hole mein Netbook und öffne meinen letzten Entwurf von „Zwecklos”, einer fast acht Seiten umfassenden Kurzgeschichte, mit der ich seit Wochen nicht vorankomme.

Mit einem schadenfrohen Seitenblick auf den widerlichen Kritiker in mir beginne ich zu lesen. Wie erwartet, unterbricht mich die Stimme schon nach ein paar Minuten.
„Warte!” Ich warte. „Lies die letzten drei Sätze noch einmal.” Ich lese.
„Besser als Shakespeare!” Die Stimme trieft vor Stolz. Ich schließe mein Netbook. Ich gebe auf.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Ihr Lieben,

vorab zu meiner Verteidigung:
Ich halte mich nicht für Shakespeare. Auch nicht für einen Fast-Shakespeare.

Ich musste den Charakter natürlich etwas überzeichnen, um eine geschichtenwürdige Geschichte zu schreiben.

Ich hab die Handlung ausnahmsweise weder geplant, noch ruhen lassen, noch korrigiert. Sie soll auch keine große Literatur sein, sondern wirklich nur ein kleiner geistiger Erguss, der Euch lediglich ein mildes Lächeln heraus locken soll.

Mein Motiv ist nicht schwer zu erraten, denke ich. Nachdem ich die letzten Wochen jeden Tag hier gewesen bin, viele Geschichten gelesen, gelobt und kritisiert habe, belästigt mich diese, für Kritik sensibilisierte, Stimme sogar, wenn ich abends im Bett zur Entspannung lesen möchte.

Was bei der Geschichte natürlich gelogen ist, ist, dass diese nervige Stimme mir in Wahrheit sehr wohl hilft auch meine Geschichten zu korrigieren und zu kürzen. Gott sei Dank.

Verzeiht mir also diese Überstürztheit, ich musste diesen Versuch nutzen meinen Kritiker darin so zu blamieren, dass er mich für ein paar Kapitel in Ruhe lässt ;o)

Schönen Abend Euch allen

elisabeth

 

Hi elisabeth,

würde vielleicht besser in Satire passen, die ich aber auch erst im letzten Absatz entlarvte. Davor habe ich vergeblich den Humor gesucht; was jetzt aber nicht heißt, dass es eine laue Pointengeschichte ist.
Mit dem Wissen um das Ende hab ich die Geschichte im Nachhinein gerne gelesen, der Titel passt auch sehr gut dazu. Dorn im Auge des Bruders. ;)

Fehlerliste:

Dabei bemühe ich mich nicht zu denken.
michKOMMA
Also bemühe ich mich an andere Dinge zu denken.
michKOMMA
Mit einem Seufzer nehme ich mein Buch wieder zur Hand und lese weiter. Schon nach einer halben Seite passiert es wieder.
Vielleicht beim zweiten Mal "erneut".
“Halt die Klappe!” gebe ich zurück und lese weiter.
Die ersten Anführungszeichen unten (ist durchgehend so); Klappe!"KOMMA
mit der ich seit Wochen nicht voran komme
vorankomme
Wie erwartet unterbricht mich die Stimme schon nach ein paar Minuten.
erwartetKOMMA

 

Hallo Tserk,

danke für Deine Anmerkungen, habe sie sofort verbessert. Dass ich jedesmal eine Wortwiederholung in der Geschichte habe, obwohl ich immer noch extra daraufhin kontrolliere, ist unglaublich.

Wenn Du die Geschichte verschieben möchtest, dann nur zu. Ich dachte, sie wäre nicht bissig genug für Satire. Aber um so besser ;o)

Gute Nacht

elisabeth

 

Hi elisabeth,

ich lese gerade erst deine Nachbemerkung, die ist ja fast so lang wie die Geschichte. :)

Das Thema, kg.de und seine Kritiker, ist sicher nicht neu, aber ich fand deine Geschichte nun mal recht erfrischend, kann man sich auch immer mal wieder vor Augen halten (sollte ich vielleicht mal im Mod-Forum vorschlagen, so als Text nach der Registrierung, den man sich durchlesen muss, bevor man Geschichten einstellen/kritisieren darf :D ).

Wegen der Verschiebung schreibst du am besten einen Humor-Mod an, Asterix oder weltenläufer.

Tserk

 

Hallo elisabeth!

Ein kleines, unterhaltsames Häppchen.

nach zehn Minuten reißt mich die altbekannte Stimme aus der Handlung heraus: „Unglaubwürdiger Charakter. Und diese Dialoge … “
Und ich glaubte die ganze Zeit, es ginge nur mir so. :D

Liebe Grüße

Asterix

 

Hi Elisabeth,


Ja, mir hat die Geschichte auch gefallen. Die Idee ist toll und die Situation vermutlich jedem hier bekannt ;)

„Das kann man weglassen”, klugscheißert
Ich liebe originelle Sprechverben.

Du könntest vielleicht noch ein wenig mehr aus dem Ding rausholen, wenn du ein wenig mit Meta-Ebenen spielst. Ist jetzt nur ne Idee, aber wenn du zB hier...

„Dieser Vergleich hinkt”, sagt die nervtötende Stimme in meinem Kopf.
... tatsächlich einen hinkenden Vergleich in deinen Text einbaust ("sagte die Stimme in meinem Kopf, der sich wie eine Wassermelone anfühlte" oder so), dann hättest du quasi einen Gag im Gag.
„Das kann man weglassen”, klugscheißert sie schon nach drei weiteren Sätzen.
Oder hier: Da könntest du drei Sätze später in deinem Text tatsächlich einen vollkommen unwichtigen Satz einbauen, den man weglassen könnte.

Aber, wie gesagt, das wäre nur ne Anregung. So, wie er ist, fand ich den Text ziemlich unterhaltsam.

 

Hi elisabeth,

Jaaaaaaaaaaaaaaaaaa, mir geht's oft genauso. Obwohl ich hier mitnichten die begnadetste Schreiberin bin, erwische ich mich beim Lesen von Büchern immer wieder dabei, wie ich denke: "Das würde ich anders formulieren" oder "Das klingt aber komisch". Ich schimpfe mich dann und versuche mich auf den Text zu konzentrieren und in die Geschichte einzutauchen.

Aber ein bisschen klugscheißen will ich auch noch, wenn ich schon einen Komm fabriziere:

Böse blicke ich nach rechts in den Spiegel, der dort hängt.

Wenn Du nach rechts in den Spiegel schaust, dann hängt der da, sonst könntest Du nicht reinschauen ;). Also kann der Nebensatz mE einfach weg.

Auch die Pointe gefällt mir. Also, wenn das so ist, bin ich tierisch gespannt, was von Dir noch so kommt.

Tschüss
Giraffe :)

 

Hallo elisabeth,

auch ich reihe mich in die Reihe der Erfreuten ein:

Sie soll auch keine große Literatur sein, sondern wirklich nur ein kleiner geistiger Erguss, der Euch lediglich ein mildes Lächeln heraus locken soll.

Ziel erfüllt. Ich hab mich gut unterhalten und geschmunzelt und meine Stimme im Off hielt auch Klappe. Deshalb einfach nur so:

Gern gelesen!
Fliege

 
Zuletzt bearbeitet:

Ha, ich dachte mir, dass es Euch auch so geht. So ist KG.de zwar ein Segen, weil man viel lernt hier (und ich bin ja noch gar nicht lange dabei), aber auch ein Fluch, weil man plötzlich alles bewerten muss und das ganz schwer abstellen kann.

Giraffe, Du setzt mich unter Druck ;) Dabei hab ich doch gleich hinterhergeschick, dass ich mich nicht für einen Shakespeare-Nachkommen halte. Ich habe nur eine Pointe gebraucht.. und dazu musste ich mich sehr übertieben loben.

Naja, der Spiegel könnte ja auch stehen ;) Ich hab schon weggenommen, dass er antik ist und zwischen hohen Pflanzen hängt haha. Okay, ist gelöscht.

Danke gnoebel, das ist wirklich eine gute Idee. Ich denke da mal drüber nach. Ich bin so im Kürzungswahn, dass es mir schwer fällt etwas hinzu zu setzen (ich glaube ich werde paranoid).

Freut mich

elisabeth

 

Hallo elisabeth,

joa, ein ganz netter Happen für zwischendurch ;)
Die Stimme kenne ich auch. Allerdings kann sie glücklicherweise auch genau anders herum kommentieren: Loben in den höchsten Tönen.

Ich will mich in den Welten meiner Phantasie verlieren
wobei das ja nur die halbe Miete ist. Den Rest, bzw die erste Hälfte zahlt ja der Autor ;)
ch hole mein Netbook und öffne meinen letzten Entwurf von „Zwecklos”, einer fast acht Seiten umfassenden Kurzgeschichte, mit der ich seit Wochen nicht vorankomme.
für mich hätte der clou darin bestanden, hättest du auf diese Geschichte verwiesen. Das wäre dann runder gekommen. ;)

grüßlichst
weltenläufer

 

Hej Elisabeth,

das ist nett geschrieben und gut beobachtet.

Och, fühl dich ruhig ein bisschen unter Druck gesetzt, wenn Du dann etwas ähnlich kurzweiliges produzierst ... Shakespeare! :D

Viele Grüße
Ane

 

>„Dieser Vergleich hinkt”, sagt die nervtötende Stimme in meinem Kopf.
„Halt die Klappe!”, gebe ich zurück und lese weiter.
„Das kann man weglassen”, klugscheißert sie schon nach drei weiteren Sätzen.<

Schöne Geschichte,

liebe elisabeth,

die mit der inneren Stimme spielt und sowas wie romantische Ironie zeigt. Schon der Titel >Absolut neutral< kann auf den Text bezogen nur ironisch gemeint sein.

>Dabei bemühe ich mich, nicht zu denken. Natürlich geht das nicht. Also versuche ich, an andere Dinge zu denken.< Da hat mich zu meiner Wölflings-Zeit (fast fuffzig Jahre her also) ein Jungpfadfinder mit dem Spruch traktiert "Denke nie(,) gedacht zu haben, denn das Denken der Gedanken ist ein sinnloses Denken. Wenn du denkst, du denkst", was korrekt natürlich nur im Konjunktiv II daherkäme, aber der Junge sagte es, wie hier notiert, mit heiligem Ernst, "denkst du nur, du denkst." Was besagen will: man kann nicht nichts denken.

In der Tat: ein schmackhafter Happen für zwischendurch. Doch wo bleibt erwähntes >„Zwecklos”, an dem sich die innere Stimme zumindest nicht als Gewissen offenbart. Denn das äußert sich immer als ein schlechtes.

>„Warte!” Ich warte. „Lies die letzten drei Sätze noch einmal.” Ich lese.
„Besser als Shakespeare!” Die Stimme trieft vor Stolz. Ich schließe mein Netbook. Ich gebe auf.< Aber nicht doch! Wenn schon nicht Shakespeare, dann darf die (kleine) elisabeth doch mit einem Großbuchstaben beginnen. Nun warte ich (siehe Zwecklos) aufs elisabethanische Zeitalter.

Gruß

Friedel

 

Hoi elisabeth

Sehr amüsant!
Ist dir gut gelungen, diesen Möchtegern-Kritiker in dir (oder uns) drin darzustellen.

„Dieser Vergleich hinkt”, sagt die nervtötende Stimme in meinem Kopf.
„Halt die Klappe!”, gebe ich zurück und lese weiter.
„Das kann man weglassen”, klugscheißert sie schon nach drei weiteren Sätzen.
Dieser Dialog ist richtig gelungen.

Ich lehne mich zurück, schließe die Augen und warte. Dabei bemühe ich mich, nicht zu denken. Natürlich geht das nicht. Also versuche ich, an andere Dinge zu denken.
Das zweite "denken" ist zuviel. Könnte es nicht ersetzt werden?

Den nächsten Kommentar unterbinde ich schon gleich zu Anfang, indem ich das Buch zuklappe und vor mir auf den Tisch werfe
Das "schon" ist mMn überflüssig. Stört den Lesefluss.

Hat Spass gemacht zu lesen!

Gruss Rolf

 

Hallo elisabeth,

ganz neutral betrachtet, natürlich, fände ich es besser die Geschichte noch mehr in Richtung Satire zu trimmen und dann verschieben zu lassen. Für die Rubrik ‚Humor‘ fehlen die Gags, auch wenn der Text nett zu lesen ist. (Obwohl – ‚richtig‘ nett ist der Inhalt nicht, da du ein prinzipielles Problem ansprichst: Kann man überhaupt sinnvoll Kritiken schreiben?).
Vielleicht ist dieses Über Ich noch arroganter, besserwisserischer, als dargestellt und fühlt sich dann erst richtig wohl …

L G,

Woltochinon

 

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