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Abschied

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18.05.2019
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Abschied

Seit Tagesanbruch hatte ich mich in die Schatten gedrückt und das Dunkel unter den Brücken gesucht. In der Hitze des Mittags zog ich die Kapuze über die Augen; während der goldenen Stunden des Nachmittags eilte ich an den verlassenen Stadtmauern entlang, grau und braun wie sie. Ich mied Straßen und Gassen, die betriebsam und unruhig waren an diesem Tag, an dem die anderen sich auf das große Fest vorbereiteten. Doch endlich kam der Abend heran. Die Sonne versank hinter Zinnen und Giebeln, die Schatten wurden länger, und das Licht, das mich den Tag über verfolgt hatte, wich der Dämmerung. Als einzige Tageszeit war die Nacht zu ertragen, die mich den anderen ähnlich werden ließ. Nur im Dunkeln konnte ich leben, verborgen vor ihren Blicken.
Denn bei Licht war ich ihnen ausgeliefert. Die Fenster ihrer Verkaufsläden, Handelskontore, Schreibstuben und Wohnungen, die Lampen, die die Straßen erleuchteten, die Fackeln, die die anderen trugen, wenn sie am späten Abend von ihren Versammlungen und Gesprächen heimkehrten, die Laternen der Bediensteten, die ihre Herrschaft durch die abendlichen Straßen geleiteten, sie waren gefräßige Augen, durchdrangen das Dunkel, hielten Ausschau nach mir und wollten mich bannen. Ja, die ganze Stadt war ein großes Auge, sie war darauf aus, Verrat zu üben, sie war ein wacher böser Verfolger, niemals ganz abzuschütteln und niemals ganz vom Schlaf übermannt.
Meine Verbündeten waren das tiefe Braun und das Schwarz der Nacht. Auf Wegen, die mir seit langem vertraut waren, konnte ich in der Dunkelheit die Straßen durchstreifen und die Plätze der anderen umschleichen, selbst kaum auszumachen wie eine graue Katze. Aus finsteren Toreinfahrten und von selten begangenen Treppen, hinter den Brunnen hockend und unter den Büschen ihrer Gärten kauernd sah ich ihnen zu, studierte ihre Mienen und Gesten, beobachtete durch die golden leuchtenden Fenster ihre Verhandlungen und Feste. Ich sah den Ernst und die gemessenen Bewegungen, mit denen sie ihre Gewänder trugen, hörte ihre gewichtigen Worte und nahm die Sicherheit wahr, mit der sie Streitigkeiten austrugen, Verbindungen stifteten, das Ihre vermehrten und sich fortpflanzten. Selten benutzten sie Fäuste und Waffen. Sie lachten einander zu und sprachen miteinander; bei der Begrüßung reichten sie einander die Hände, und sie umarmten und küssten sich.
Zu ihnen gehörte ich nicht. Ihre Häuser zu betreten, wo nach Sonnenuntergang Kerzen und Öllampen entzündet und Herdfeuer entfacht wurden, war mir versagt. Schon lang war es her, dass ich mich auf den Märkten gezeigt hatte, wo Bauern aus der Umgebung und Händler aus fernen Ländern vielblättrige Artischocken, glänzende Auberginen, gelb gereifte Birnen, Trauben, Äpfel, die der Hand schmeichelten, Pilze, duftende Gewürze und manchmal sogar goldfarbene Pomeranzen feilboten. Wann ich zuletzt in ihren Gasthäusern hatte Mahlzeit halten können, wusste ich nicht mehr. Der Lärm der Gaststuben, das Geschrei der Handwerker und Markthändler, die ihre Suppe aßen und die Becher in der Luft schwenkten, der Glanz der Lichter in ihren Augen hatten mich oft dort hingezogen, wo ich, auf einer der hinteren Bänke hockend, ihr Treiben verfolgt hatte. Nicht einmal die Kirchen waren sicher, in denen sie ihre Gottesdienste abhielten, und auch ihren prächtigen Prozessionen musste ich fernbleiben. Nur von weitem sah ich noch manchmal das wundertätige Standbild des Heiligen, wie es, fast als wäre es lebendig, Achtung gebietend hin- und herschwankte, während es durch die Straßen getragen wurde.
Denn sie stellten mir nach. In den Straßen patroullierten gedungene Sucher, Häscher und Aufpasser, die nach mir Ausschau hielten. Sie verstellten sich, verschwammen mit den vielen anderen und gaben sich nicht zu erkennen. Vielleicht kannten sie sogar meinen Namen, den ich sorgsamer hütete als die anderen ihren größten Schatz, ja, den ich nicht mehr verwendete und selbst fast schon vergessen hatte. Warum hatten sie mich nicht längst aus den Augen verloren? Ihren Nachstellungen war ich ausgeliefert und ihrem Zugriff preisgegeben. Auch sie waren gnadenlose Augen in dieser Stadt des Sehens, der verfolgenden, gehässigen, quälenden Blicke. Die Signalements, die an den Stadttoren und an den Wänden der Häuser angeschlagen waren, wem galten sie als mir. Genau und treffsicher, ihrer Wirksamkeit gewiss und ohne Zweifel am Erfolg beschrieben sie meine Gestalt und mein Wesen.
So eilte ich, selbst ein Schatten, von einem dunklen Ort zum anderen, mied die Terrassen und die prächtigen Treppen, die in der hellen Sonne zum Spaziergang und zum Aufenthalt einluden, und huschte ungesehen in die Kellereingänge.
Während die Schatten tiefer fielen, saß ich, den Rücken gebeugt und den Kopf gesenkt, in der Nähe des großen Stadttors. In meiner Kindheit, vor langer Zeit, war ich dort oft mit den Chorschülern vorüber gezogen. Von fern vernahm ich die Musik, die sie heute, am Vorabend des großen Fests, in der Residenz spielten. Unter meiner Kapuze sah ich, wie verspätete Gäste Hand in Hand vorübereilten, festlich gekleidet und voller Vorfreude. Ihre Stimmen erreichten wohltönend mein Ohr und gesellten sich zu den Bildern, die unscharf, wie mit verlaufender Farbe gemalt, vor mein inneres Auge drängten. Worte und Bilder erinnerten an alte Erzählungen und verströmten einen warmen Schein.
Du Tor, so sprach ich zu mir, warum bist du noch immer am selben Platz? Warum verlässt du nicht diesen Ort, an dem du umherirrst ohne feste Stelle, gejagt von deinen Feinden, gepeinigt von deinen Verfolgern, ohne Ruheplatz, ein Vertriebener, wo auch immer du dich aufhältst?
Inzwischen war es ganz dunkel geworden. Denn hier, nahe der Stadtmauer, hatten sie keine Lampen angezündet. So brach ich auf. Im Wasser lagen die Kähne bereit, mit denen sie morgen, bei hellem Sonnenschein, den Fluss befahren würden, um mit ihren Sonnenschirmen Spaziergänger und Zuschauer am Ufer zu grüßen. Ich bestieg das letzte Boot, das am Steg angebunden war, löste die Leine und stieß ab. Während ich mich zurücklegte, trieb das Boot auf das schwarze Wasser hinaus und drehte sich leise in die Strömung. Die Lichter der Stadt blieben zurück und die Sterne, die Sterne kamen näher als je zuvor.

 

„Abschied“,

lieber Medon -

und damit erst einmal herzlich willkommen,

das Wort, ist wohl eine Substantivierung des Verbes „abscheiden“ (so auch die frühere Form des Abschied als „abscheid“, und genau das vermeine ich in Deinem Debüt zu erkennen, da scheidet einer aus einer mutmaßlichen Siedlung (zumindest mit einem alten Kern, die Stadtmauer spricht dafür) an einem Fluss.

Der Icherzähler will mit einem Boot fliehen.
Sicherlich nicht grundlos.
Aber wir erfahren den Grund nicht

Nun erfahren wir einiges in blumigen Worten übers Wetter und die mutmaßlich alte Stadt auf knapp vier Seiten Standardmanuskript, die Zeile zu 60 Zeichen courier 12 pt. (die Type der guten alten Schreibmaschine), 30 Zeilen je Seite - aber so gut wie nichts über den Flüchtigen, um den es wohl eigentlich gehen soll.

Weil ihm nach einer romantischen Kahnfahrt ist?, wird‘s wohl eher nicht sein.

So wirkt denn Deine Erstling eher wie eine Einleitung zu was auch immer Größerem als einer Kurzgeschichte, verrät aber zugleich, dass Du schreiben kannst und das fehlerfrei. Keineswegs Selbstverständlichkeit.

Erzähl was über den Flüchtenden (wo kommt er her, wo will er hin und vor allem: Warum!) Wähle nur notwendige Adjektive, wie bereits hier ein sich unauffällig gebendes unter den Brücken, das sich als substantiviertes Adjektiv unauffällig kleidet

Seit Tagesanbruch hatte ich mich in die Schatten gedrückt und das Dunkel unter den Brücken gesucht.
Dass

Wie ja auch die „Hitze“ des Mittags, die goldenen Stunden … verlassenen Stadtmauern … und selbst die Farben. Die Gefahr besteht bei Befall durch Adjektivitis, dass man in Kitsch und Gartenlaube landet, wo unser Held sicherlich nicht hingelangen will.

Überhaupt solltestu in einer KG überflüssiges wie Partikel und/oder Adverb meiden wie hier etwa

Doch endlich kam der Abend heran
Ein "endlich" kann des "doch'" entbehren und ein Adverb, wenn einer kommt – ob nun der Abend oder derHerr xy, wenn wer oder was näher kommt und dann angekommen ist, muss erst herankommen,

Oder hier

Als einzige Tageszeit war die Nacht zu ertragen, die mich den anderen ähnlich werden ließ.
Im Dunkleln ist nicht nur gut munkeln, sondern werden alle Katze grau.

Usw. usf. So pendeln die Sätze zwischen Gemeinplatz und Schönheit dahin. Neben den großen Fragen – woher kommt, wohin geht wer – hätt ich dann doch noch eine Frage zu dem gemäßigt-Kleist‘schen Format

Ich sah den Ernst und die gemessenen Bewegungen, mit denen sie ihre Gewänder trugen, hörte ihre gewichtigen Worte und nahm die Sicherheit wahr, mit der sie Streitigkeiten austrugen, Verbindungen stifteten, das Ihre vermehrten und sich fortpflanzten
Warum die Höflichkeitsform des Possessivpronomens?

Wie dm auch wird, ich bin guter Dinge!

Bis bald und schönen Sonntag noch aus'm Pott vom

Friedel

 

Hallöle @Medon

willkommen im Forum. :)
Danke für deine erste Geschichte. Mich hat sie leider nicht wirklich abgeholt. Das liegt zum einen am sehr ausgetretenen Thema: das Mittelalter. Aber nicht das echte Mittelalter, sondern eher die "Assassins Creed"-Version, in der schattige Ausgestoßene durchs Dunkle huschen, um dem Protz und Proll der glotzenden Reichen zu entgehen. Versteh mich nicht falsch, ein solcher Text kann auch gut sein/werden, aber dafür ist mehr Arbeit nötig, mehr Eintauchen ins Thema, mehr Detailtiefe vor allem. Du bleibst viel zu sehr an der Oberfläche, daher verpufft die Wirkung des Themas komplett. In meinem Kopf spult sich die generische Computerspiel-Darstellung einer mittelalterlichen Stadt ab. Das ist schade. Aber ich zeige dir, was ich meine:

Seit Tagesanbruch hatte ich mich in die Schatten gedrückt und das Dunkel unter den Brücken gesucht.

Du meinst bestimmt eher »verdrückt«, oder? An sich kann man sich ja nicht »in Schatten drücken«. An die Wände kann er sich drücken, oder an den Boden. Ich würde auch eins von beidem streichen, weil es im Prinzip dasselbe aussagt. Mann will im Schatten sein. Also:

»Seit Tagesanbruch blieb ich in den Schatten.«

In der Hitze des Mittags zog ich die Kapuze über die Augen; während der goldenen Stunden des Nachmittags eilte ich an den verlassenen Stadtmauern entlang, grau und braun wie sie.

Wieso muss er die Kaputze »in der Hitze des Mittags« über die Augen ziehen, er ist doch »in den Schatten«, folglich an einem dunklen und kühlen Ort? Die goldenen Stunden würde ich persönlich eher mit den letzten Abendstunden in Verbindung bringen.

Ich mied Straßen und Gassen, die betriebsam und unruhig waren an diesem Tag, an dem die anderen sich auf das große Fest vorbereiteten.

Das hier ist ein typisches Beispiel für fehlende Detail-Tiefe. Du beschreibst meist nur eine große Masse an Menschen, die undefinierte Dinge macht. So kommt bei mir kein Gefühl für die Stadt auf, fürs Mittelalter. Wie sehen die Straßen und Gassen aus? Was bedeutet betriebsam und unruhig? Das ist zu blass.

Ist vielleicht Markt an diesem Tag? Eine Frau mit vor Dreck stehender Kittelschürze bietet gerupfte Wildhühner an. Ein Mann wäscht Pferde, der Gerber bietet sein Leder an und streitet sich lautstark mit einem Kunden über den Preis der Ziegenfelle. Es riecht unglaublich, eine Mischung aus Kornblumen, Verwesung, Puder, Blut und Pferdedung.

Was ist das große Fest? Eine Zeremonie? Eine Hinrichtung? Ein Erntedank? Um was geht's? Was tun die Menschen konkret? Hier liegt die Arbeit. ;)

Die Sonne versank hinter Zinnen und Giebeln, die Schatten wurden länger, und das Licht, das mich den Tag über verfolgt hatte, wich der Dämmerung. Als einzige Tageszeit war die Nacht zu ertragen, die mich den anderen ähnlich werden ließ. Nur im Dunkeln konnte ich leben, verborgen vor ihren Blicken.

Du wiederholst das mit den Schatten und dem Licht viel zu oft. Der Großteil des Textes dreht sich darum, wie hell das Tageslicht ist und wie gern dein Protagonist ungesehen in den Schatten wandelt. Aber das braucht es nicht. Du hast es zu Beginn etabliert. Viel lieber wüsste ich, warum er verfolgt wird. Warum er nicht gesehen werden will. Was die anderen Bewohner gegen ihn haben? War er schon immer so? Wie überlebt er? Stiehlt er? Dein Charakter bleibt komplett blass. Alles was ich weiß ist, das er gern im Dunkeln umherhuscht. Das ist zu wenig. ;)

Denn bei Licht war ich ihnen ausgeliefert.

Hier auch wieder: Das ist klar, du hast es schon erwähnt.

Ja, die ganze Stadt war ein großes Auge, sie war darauf aus, Verrat zu üben,

Das finde ich gut, aber wie übt man »Verrat«? Übt man nicht Rache? Kann aber auch sein, dass ich mich da täusche. ;)

Meine Verbündeten waren das tiefe Braun und das Schwarz der Nacht.

Ist wie beim Licht, bereits gesagt worden.

Ich sah den Ernst und die gemessenen Bewegungen, mit denen sie ihre Gewänder trugen, hörte ihre gewichtigen Worte und nahm die Sicherheit wahr, mit der sie Streitigkeiten austrugen, Verbindungen stifteten, das Ihre vermehrten und sich fortpflanzten.

Ich glaube nicht, dass er ihre Worte von draußen durch die Fenster hören kann. Aber auch hier ist mir wieder viel zu viel gesagt ... und gleichzeitig zu wenig. Ich wüsste gern: Wie sehen gemessene Bewegungen aus? Wie sehen die edlen Gewänder aus? Was sagen sie? Was tun sie? Warum findet der Protagonist das so furchtbar? Wie streiten sie? Wie stiften sie Verbindungen?

Es ist schon relativ einfach, um all diese Dinge im Text herumzukommen, indem man schreibt: »Sie bereiteten ein Fest vor, alles war sehr edel und geschmückt. Sie tanzten und tranken, dann redeten sie und versöhnten sich.« Du umgehst damit quasi alles, was wichtig wäre, zu kommunizieren, damit ich mich als Leser in der Situation wiederfinde. Das ist aber unabdingbar, um den Text genießen zu können. Daher: Mittelalter-Tiefgang bitte! ;)

Zu ihnen gehörte ich nicht.

Schon klar.

Schon lang war es her, dass ich mich auf den Märkten gezeigt hatte, wo Bauern aus der Umgebung und Händler aus fernen Ländern vielblättrige Artischocken, glänzende Auberginen, gelb gereifte Birnen, Trauben, Äpfel, die der Hand schmeichelten, Pilze, duftende Gewürze und manchmal sogar goldfarbene Pomeranzen feilboten.

DAS ist der erste Absatz, der mir wirklich etwas über die Welt des Protagonisten erzählt! Sehr gut! Genau so! :)

Ihren Nachstellungen war ich ausgeliefert und ihrem Zugriff preisgegeben.

Ich dachte, er ist relativ gut darin, im Schatten rumzuhuschen. Wieso ist er dann den Nachstellungen ausgeliefert und ihrem Zugriff preisgegeben? Er tut ja was dagegen, ist nicht passiv sondern schützt sich selbst.

Unter meiner Kapuze sah ich, wie verspätete Gäste Hand in Hand vorübereilten, festlich gekleidet und voller Vorfreude.

Hier auch wieder, zu oberflächlich. Aber du weißt ja jetzt, was ich damit meine. ;)

Die Lichter der Stadt blieben zurück und die Sterne, die Sterne kamen näher als je zuvor.

An sich ein gutes Ende, auch wenn ich mich frage, wie er jetzt überleben will, so ohne Stadt.

Fazit: Da musst du leider noch einiges dran arbeiten. Das Grundgerüst ist da, aber die Spannung kommt nicht auf und ich kann das Mittelalter in deinen Zeilen nicht lesen. Überlege dir einen guten Plot. Dein Protagonist sollte mehr durchmachen, als nur in den Schatten zu sitzen. Bring Handlung rein. Okay, er wird verfolgt: Was nun? Was tut er? Was will er überhaupt? Seinen Namen wieder reinwaschen? Seine Unschuld beweisen? Stehlen? Sich rächen?

Dann das Thema mit der Detailtiefe. Geh mit allen Sinnen in die Szene und überlege dir, was da passiert. Versuche, ein authentisches Bild des Mittelalters zu zeichnen, dann wirst du auch deine Leser mitreissen können. ;)

Danke dir und viele liebe Grüße, PP

 

Vielen Dank für die beiden Kommentare, die wohl in anderer Weise hilfreich sind als von den Verfassern geplant. Ich übergehe das ein wenig Schulmäßige - ein kleiner Hinweis vielleicht: "das Ihre" ist keine Höflichkeitsform, sondern ein substantiviertes Possessivpronomen, etwa wie in "jedem das Seine". Wichtiger ist: Beide Kommentatoren haben den Text nicht so aufgefasst, wie ich mir gewünscht hätte - und da dürften das Problem des Texts und die eventuell noch kommende Arbeit liegen.
Dass ich vieles nicht sage (die übliche Topik: wer, was, wo, mit welchen Mitteln, warum, wie, wann) liegt auf der Hand und ist beabsichtigt. Was ich wollte - und offenkundig nicht erreicht habe - ist eine für sich genommen suggestive Szene (übrigens: an das Mittelalter ist auch nicht wirklich zu denken), die all diese Fragen geradezu provoziert, zuletzt aber, zumal sie unbeantwortet bleiben, auf das Ich selbst verweist.
Ich habe einen Text schreiben wollen, bei dem man am Ende nicht nach dem fragt, was er nicht enthält, sondern über das nachdenkt, was man vor sich hat: Eine Szenerie, die durch die Brille des Ich gesehen ist und auf die man sich folglich nicht ganz verlassen kann. Das Ich ist eine Figur, die sieht und hört, aber nicht interagiert und berührt (woran sie wohl auch leidet), die das, was sie sieht, nur von außen wahrnimmt und nicht versteht (was sie nicht weiß), und die gerade deshalb, weil sie ein Seher ist, auch zu einem gewissen stilistischen Ästhetizismus neigt (das wäre das Gartenlaubenartige). Manches von dem, was sie beschreibt, bringt diese Figur selbst erst hervor. Was ich darstellen wollte, war eine Art Paranoia, vielleicht verbunden mit einem gewissen Maß an Depression - ein Zustand, der, aus einer subjektiven Perspektive dargestellt, nur in Bildern (hell/dunkel; sehnsüchtig beschriebene Formen und Farben; keine Berührungen etc.) vermittelt werden kann. Noch etwas: Dass die Figur überleben will, sollte gar nicht so sicher sein. Bei einem Protagonisten, der nachts in einem Boot davonfährt, kann man sich dies oder jenes vorstellen.
Nun ja, das ist ein komplizierter Entwurf. Wie mir scheint, habe ich mich daran verhoben; lange Erklärungen wie diese wären ja sonst auch gar nicht nötig. Aber wenn jemandem ein guter Rat einfällt, wie ich meine Vorstellungen deutlicher werden lassen kann, würde ich mich freuen.

Viele Grüße

Medon

 

Nun ja, das ist ein komplizierter Entwurf.

Nix zu danken,

Medon,

aber danke für den großzügigen Hinweis

- ein kleiner Hinweis vielleicht: "das Ihre" ist keine Höflichkeitsform, sondern ein substantiviertes Possessivpronomen, etwa wie in "jedem das Seine".
"In Verbindung mit dem bestimmten Artikel oder dergleichen lassen sich Possessivpronomen auch als substantivische possessive Adjektive bestimmen, entsprechend kann man hier ... auch großschreiben, zum Beispiel: Grüß mir die deinen/Deinen (die deinigen/Deinigen)! Sie trug das ihre/Ihre (das ihrige/Ihrige) zum Gelingen bei. Jedem das seine/Seine! (https://grammis.ids-mannheim.de/rechtschreibung/6194#par58-4) Die Duden-Grammatik (Duden Bd. 4 - mir liegen Auflage 5 – 1995 - und 8 - 2009 vor, der eine oder die andere wird ahnen warum) spricht von „possessiven Adjektiven, die auch substantiviert auftreten.“ (Duden Bd. 4, Auflage 8, RN 371, S. 279. ) Das Deutsche hat im Gegensatz zum Lateinischen es nicht so mit den besitzanzeigenden Fürwörtern („Possessive Pronomen im engeren Sinne (…) scheinen im Deutschen nicht vorzukommen." (Aufl. 8, ebd.))

Wichtiger ist: Beide Kommentatoren haben den Text nicht so aufgefasst, wie ich mir gewünscht hätte - und da dürften das Problem des Texts und die eventuell noch kommende Arbeit liegen.
Das hastu – wenn ich es richtig verstehe – richtig verstanden, denn bis gerade dacht ich noch, dass ein Werk umso interessanter wäre, je mehr Deutungen es zuließe – was hier wohl nicht der Fall ... Nicht umsonst sind literarische Texte von Ikea und Dr. Allwissend (oder wie heißt der allgemeine Ratgeber in diversen Medien?) sehr selten, dass mir jetzt – natürlich! - auffallen muss, dass der durchschnittliche mittelalterliche Europäer/in nicht mal das Wort kannte, unter dem er/sie litt.

Wie dem auch wird,

ich lass mich überaschen, was draus wird!

Friedel

 

Zu Punkt 1: Ich will mich nicht in Quisquilien und auf Nebenschauplätze verlieren (etwa: Possessivpronomen oder nicht). Worauf es für das bessere Verständnis des Texts ankam (keine Höflichkeitsform, sondern ein irgendwie besitzanzeigendes Wort), ist so oder so klar. Trotzdem vielen Dank fürs Nachschlagen in mehreren Ausgaben des Duden.
Zu Punkt 2: Ein für mich interessanterer Aspekt ist die Frage der Vieldeutigkeit. Vieldeutigkeit ist gut und schön. Aber was hätte Kafka wohl gesagt, wenn Rezensenten ihm vorgehalten hätten, dass sein "Amerika"-Roman ein miserabler Western sei? Bestimmt hätte auch Thomas Mann entweder an sich selbst oder an seinem Leser gezweifelt, wenn ein Kritiker sich bei ihm erkundigt hätte, wo denn im "Zauberberg" die Phantasy-Elemente zu suchen seien. Es muss also irgendwo eine Grenze zwischen Vieldeutigkeit und Beliebigkeit geben, die mit Blick auf meinen Versuch deutlich überschritten ist.
Deinen letzten Satz verstehe ich leider nicht; ob dies an mir liegt oder nicht, mag ich nicht beurteilen.

Viele Grüße

Medon

 

Hi @Medon

Ich übergehe das ein wenig Schulmäßige -

Das lese ich oft in letzter Zeit, diesen Vorwurf, dass man so in "Schulregeln" denken würde. Das finde ich interessant, denn es steckt natürlich eine gewisse Häme darin, als wäre es undenkbar, diese große Literaturkunst, die man da vor sich hat, mit biederen Deutschregeln zu bewerten. Das nervt, ehrlich gesagt. Genau wie diese blumige Eitelkeit zwischen den Zeilen.

Schön und gut. Dann keine Schulregeln, was auch immer das heißen mag. Aber was jetzt? Willst du etwa behaupten, du schreibst so wie Thomas Mann und Franz Kafka? Das wäre interessant, denn dann wäre dein Aufstieg ja quasi ohnehin nicht mehr aufzuhalten. Und du müsstest nicht zwei Typen aus einem Forum mühsam erklären, was es mit deinem Zauberberg auf sich hat. ;)

(übrigens: an das Mittelalter ist auch nicht wirklich zu denken)

Übrigens zurück: Wenn schattige Kapuzenmenschen an verlassenen Stadtmauern entlanghuschen, Öllampen entzündet werden und auf dem Markt goldfarbene Pomeranzen feilgeboten werden ... ganz ehrlich ... dann sind wir im Mittelalter (oder auf dem Peter-und-Paul-Fest).

Gruß, PP

 

Lieber PP,

ich habe nichts dagegen einzuwenden, dass sich ein Kritiker auf die Grammatik beruft und stilistische Sorgfalt einklagt. Das Schulmäßige ist wichtig und selbstverständliche Voraussetzung für alles Weitere. Wo Du die "Häme" hernimmst, weiß ich nicht. Das Wort "Schulregeln" habe ich nicht verwendet. Allerdings darf ich mir die Freiheit nehmen, diesen Bereich, wenn man so will: den des Trivium, zurückzustellen und mich vorrangig um andere Aspekte zu kümmern.

Davon, dass ich mein eigenes Niveau mit dem von Kafka und Thomas Mann vergleichen würde, kann keine Rede sein. Das ist, wie Du selbst wissen kannst, eine polemische Unterstellung. Als Optimist gehe ich auch davon aus, dass man niemandem, der selbst etwas schreiben will, erklären muss, was der "Zauberberg" ist - wenngleich leider nicht "mein" Zauberberg.

Öllampen gab es selbstverständlich mindestens bis in das 18. Jahrhundert, vermutlich auch darüber hinaus. Man kann sie heute noch kaufen. Aber ich kenne zum Beispiel keinen mittelalterlichen Text und kein mittelalterliches Bild, auf dem Leute mit Sonnenschirmen am Flussufer promenieren. "Pomeranzen" sind Apfelsinen; auf mittelalterlichen Märkten waren Zitrusfrüchte vermutlich eine seltene Erscheinung (das weiß ich allerdings nicht so genau wie Du). Auf jeden Fall dürfte man sie anders genannt haben.

An alle, die mit einem braunen Hoodie im Schatten einer Mauer stehen: Ihr seid im Mittelalter, habt es aber noch nicht gemerkt!

Freundlichst

Medon

 

@Medon

ja gut, ist auch irgendwie alles wurschd, weil du es ja ohnehin nicht wissen willst. In deinem Kopf so, in meinem so. Dann ist dein Text eben einfach nichts für mich. Solche Diskussionen führen zu gar nichts, genauso wenig wie diese "Wer hat recht"-Streitereien und intellektuelle Klimmzüge mit Kafka hier und Thomas Mann da und man muss dies und das gelesen haben. Ich kann da genauso falsch liegen wie du logischerweise, also lass ich es jetzt einfach. Ob Mittelalter oder nicht ist mir auch egal. Am Ende zählt, was da steht. ;)

Viele Grüße, PP

 

Hallo,

Aber wenn jemandem ein guter Rat einfällt, wie ich meine Vorstellungen deutlicher werden lassen kann, würde ich mich freuen.

Der Text, sowie Deine Erklärungen sagen viel, was alles nicht ist. Vielleicht wird manches klarer, wenn der Text sagt, was es ist ;)

Ich habe viele Stellen im Mittelteil nur überflogen, weil nur andere Situationen geschildert wurden, wo der Protagonist ja doch nicht dazugehört. Und am Ende fährt er weg - ich wollte Quasimodo schon beglückwünschen, dass er endlich etwas sucht, wo er dazu mal dazu gehört.
Warum Quasimodo: Nun - ein wenig kam er mir vor wie Quasimodo - immer nur im Dunkeln sich raustrauen, nie gesehen werden wollen, und doch gesucht. Ja - der Vergleich hinkt, soll nur meinen Leseeindruck verdeutlichen.

bei solchen Bilder/Metaphern ist die Frage, ob man erkennen muss, was der Autor damit meint. Ich denke nicht, sonst könnte der Autor ja gleich schreiben, was er meint ;)

soweit
pantoholli

 
Zuletzt bearbeitet:

„Ich sende dir ein Schutzdach, damit es
von deinem verehrungswürdigen Haupte
den Regen abhalte.“ Alcuin an Arno von Salzburg*​

Aber ich kenne zum Beispiel keinen mittelalterlichen Text und kein mittelalterliches Bild, auf dem Leute mit Sonnenschirmen am Flussufer promenieren.

Kannstu auch nicht,

bester Medon weit und breit,

weil die Leute seinerzeit nicht in der Beschaulichkeit des Barokoko und später des Biedermeiers lebten – man wollte (und musste) die Hände frei haben, um sich bei Bedarf gegen Übergriffe wehren zu können (manchmal hab ich den Eindruck, wir wären wieder auf dem Weg dahin. Alkuin*, genau - der Gelehrte am Hof des großen Karl, dem wir wahrscheinlich die fränkische Minuskel verdanken, die wir heute noch als Kleinbuchstaben pflegen, erwähnt schon einen Regenschirm - vllt. doch eher noch ein Paraplü, wie er seit viertausend Jahren im alten China von den feinen Leuten genutzt wurde.
Nun, Kunstfasern kannte man noch nicht, aber Bambus und Papier/Papyrus tun‘s auch heute noch.

Bei einem Protagonisten, der nachts in einem Boot davonfährt, kann man sich dies oder jenes vorstellen.
Wie wahr, von der Couch eines Dr. Freud bis hin zu Charon. einem kahnfahrenden Totengräber ...

Nun ja, das ist ein komplizierter Entwurf. Wie mir scheint, habe ich mich daran verhoben; lange Erklärungen wie diese wären ja sonst auch gar nicht nötig. Aber wenn jemandem ein guter Rat einfällt, wie ich meine Vorstellungen deutlicher werden lassen kann, würde ich mich freuen.
Da fällt mir zunächst als Rat ein: Schreib uns, welche Vorstellung/en Du über Deinen Text hast, dass wir sie verwenden können.

Der vielleicht bessere Rat ist - m. E. - Du gäbest Dich näherungsweise so zurückhaltend/scheu wie Kafka und vergrübest sie in der Schublade (einen Max Brod zur Auferstehung sollte man in der schreibenden Zunft immer haben, zumindest kennen).

"Erkenne Dich selbst bedeutet nicht:
Beobachte Dich.
Beobachte
Dich ist das Wort der Schlange.
Es bedeutet:
Mache Dich zum Herrn Deiner Handlungen.

Nun bist Du es aber schon,
bist Herr Deiner Handlungen.
Das Wort bedeutet also: Verkenne Dich!
Zerstöre Dich!
Also etwas Böses
und nur wenn man sich sehr tief hinabbeugt,
hört man auch sein Gutes, welches lautet:
"um Dich zu dem zu machen, der Du bist."
F. Kafka

Friedel

* Die Geschichte des Regenschirms und seiner sozialen Konsequenzen - Deutsche Digitale Bibliothek

 

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