Abschied
Nun stehe ich hier und blicke in deine schönen blauen Augen.
Es hat mich sehr viel Kraft gekostest hierhin zu kommen. Mein tränenverhangener Blick hat sich auf meine Schuhspitzen fixiert. Mein Kopf schmerzt. Mit schwerem Atem hebe ich mein Gesicht und versuche etwas von meiner Umgebung wahrzunehmen. Meine Knie sind ganz weich. Ein flüchtiges Lächeln huscht über mein Gesicht.
„Wie bei unserem ersten Treffen“, denke ich. „Da hatte ich auch so weiche Knie.“
Stumm, um den tiefen Schmerz zu betäuben, der mich gerade zu erdrücken droht, schaue ich mich um.
Schöne hohe Bäume stehen hier. Das Geräusch des Windes in den Zweigen fand ich immer beruhigend. Heute empfinde ich es als störend. Ich kann kaum einen klaren Gedanken fassen. Dabei bin ich hierher gekommen, um mit dir zu reden. Viele Worte, die in unserer Ehe unausgesprochen blieben. Viele Fragen, die mich seit Wochen nicht schlafen lassen.
Mit einem tiefen Atemzug, der mir in der Kehle schmerzt, beginne ich langsam und leise zu sprechen: „Weißt du eigentlich, wie sehr ich dich liebe?“
Wieder kämpfe ich gegen die aufkommenden Tränen.
Jedes Wort kommt nur wie ein Hauch über meine Lippen. „Ich habe dich vom ersten Augenblick an geliebt. Du warst der Mann meiner Träume. Und wie glücklich ich war, als du dich in mich verliebt hast. Erinnerst du dich an unsere Hochzeit? Sogar dein Bruder, der sonst nichts von Partnerschaften hält, hat gemeint, dass wir zusammen uralt werden würden.“
Mit einem bitteren Lächeln um die Mundwinkel füge ich hinzu: „Schade, dass er sich so geirrt hat“.
Müde zerdrücke ich das Taschentuch, dass meine Hände krampfhaft umklammern.
In meinem Inneren sterbe ich tausend Tode.
Meine Stimmung wechselt von Traurigkeit in Wut.
Meine Blick saugt sich an deinem schweigenden Gesicht fest. Doch dein Anblick besänftigt mich nicht. Meine Stimme klingt gebrochen. Ich versuche lauter zu reden. Möchte es dir ins Gesicht schreien.
„Warum hast du mich und die Kinder verlassen!?“
Aber ich schreie nicht. Meine Hals ist trocken und ich bekomme nur krächzende Laute heraus.
Ein Gefühl, als ob ich innerlich zerreiße.
Das Taschentuch besteht mittlerweile nur noch aus Fetzen.
„Ich muss ruhiger werden,“ denke ich. „Es war vielleicht doch ein Fehler hier hinzukommen.“
Um mein inneres Gleichgewicht wiederzufinden, schaue ich mir jetzt ganz intensiv die Umgebung an.
Wunderschöne Blumen ringsherum. Alles grünt und blüht. Blauer Himmel über mir. Vögel, die zwitschern. Einige ganz aufgeregt, als ob sie gerade eine interessante Neuigkeit erfahren haben, andere singen nur so vor sich hin.
„Es könnte alles so schön sein“, denke ich wehmütig.
Wieder blicke ich dich an. Ganz sanft und zärtlich.
„Nun stehe ich hier und wollte dir soviel sagen. Zu Hause habe ich mir alles so schön zurechtgelegt. Jetzt fällt mir nichts mehr ein“.
Einen kurzen Moment schließe ich die Augen, um die Verzweiflung zu ersticken.
Ein letztes Mal blicke ich in dein stummes Gesicht.
„Ich werde dich niemals vergessen, Liebster. Du wirst immer deinen Platz in meinem Herzen haben. Egal was passiert.“
Ich beuge mich hinunter und meine Fingerspitzen berühren ganz behutsam dein Bild auf dem Grabstein. Dann drehe ich mich um und gehe. Zurück ins Leben.