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Abschied vom Bruder

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Abschied vom Bruder

Abschied vom Bruder


Ich arbeite in einer Kneipe, und ich arbeite da gern. Wir haben viele Stammgäste, ätzende und nette, die ganze Welt ist eine Kneipe. Einer von den Gästen gefällt mir ganz gut.
Er ist Architekturstudent, hat kurze, braune Haare, Rehaugen, er ist immer braungebrannt, er hat ein liebes Lächeln und viele weiße Zähne. Schön.
Ich sehe ihn nur in der Kneipe und wir flirten ein bißchen.
Einmal treffe ich ihn auf der Straße, ich bin gerade mit meinem kleinen Bruder unterwegs.
Mein kleiner Bruder ist fünf Jahre alt, er hat caramelfarbene Haut und goldenes Haar, er ist immer fröhlich und lacht den ganzen Tag, es ist Sommer, ich halte ihn an der Hand.
Ich liebe meinen Bruder sehr, er ist das wundervollste Kind der Welt.
Ich und mein Bruder an der Hand, wir treffen den netten Stammgast und wir beschließen etwas zusammen zu unternehmen, jetzt, zu dritt. Vielleicht zum Baden.
Er muß nur noch schnell seine Sachen holen von zuhause, ist ganz nah, gleich hier,
"Kommt ihr mit rauf?"
Wir kommen mit rauf, ich und mein Bruder an der Hand, wir gehen rauf in die Wohnung, wir stehen im Wohnzimmer, der süße Kerl sucht seine Sachen.
Ich lasse meinen Bruder los und sehe mich um. Ich gehe den Gang entlang, sehe mir die Bilder an. Hier geht`s ins Badezimmer, nett, dort hängt eine Collage aus Fotos in einem häßlichen Holzrahmen, hm. Wer wohl das Mädchen im Bikini ist?
Und plötzlich höre ich einen gellenden Schrei, hoch und entsetzlich, mein Bruder schreit. Ich renne ins Wohnzimmer, und ich starre auf das Bild, dieses Bild das ich niemals vergessen kann, niemals. Seit zwanzig Jahren nicht.
Dort steht mein Bruder, nackt und blaß, die Augen geschlossen und schreit. Seit zwanzig Jahren sehe ich ihn dort stehen und schreien.
Jede Nacht.
Sein goldenes Haar ist nur noch strohgelb, auf einem seiner geschlossenen Augen klebt etwas Braunes, da, noch mehr auf seinem rundlichen Kinderbauch.
Braun ist der Haufen Scheiße der auf dem Teppich liegt, der Kerl dahinter, er zieht sich gerade die Hosen hoch. Erschöpft sieht er aus und häßlich, befriedigt, die Augen halb zu. Er wendet sich ab, langsam, erschrickt nicht, sein Moment ist vorbei und mein Bruder schreit.
Nie mehr wird es wie vorher sein, das Vorher gibt es nicht mehr.
Warum habe ich deine Hand losgelassen, habe zugelassen daß er dir das Lachen raubt. Tot ist von nun an das Kind das du warst, schreist du und schreist.
Kann ich nichts tun als vor dir knien und mein Entsetzen hält mich mit eiserner Klaue,
leb wohl geliebter Bruder, leb wohl.

 

Hallo Alexandra,

harter Text, der da zum Schluss rauskommt. Fängt schön gemütlich an, und dann diese nicht erwartete Wendung.
Ohje, habe ich zum Schluss gedacht, "armer Kerl". Du hast es aber auch echt hart und extrem gemacht, Alexandra! Die Geschichte ist schon gut, doch will ich meckern.

Warum habe ich deine Hand losgelassen
tot, das Kind, das du warst

Bei dir taucht beides in einem Satz auf. Das ist für mich, weiss nicht wie andere es sehen, so eine Art Stilbruch. Das kommt noch 2 bis 3 mal vor.

Der Schreibstil wechselt im Text, lässt sich ja mit Verb- und Substantivstellung und ner Verdrehung im Satz machen, ...und kann man auch! Allerdings kommt es besser, so denke ich, wenn man im Text bei einem Stil bleibt. Du schreibst erst flüssig butterweich und dann, ja ...eigentlich passiert es schon, als die 3 Wörter "Jetzt, zu dritt" auftauchen.

zurück zum Inhalt. Wie gesagt krass, weil Extrembeispiel, aber möglich.
Wollt´jetzt gleich was frühstücken, schaff´s trotzdem.
Also n Gefühl hast du doch schon bei mir erweckt, die beste Auszeichnung.

liebe grüsse stefan

 
Zuletzt bearbeitet:

Servus Alexandra!

Ganz schön heftig. Das Schockverhalten der Protagonistin selbst macht einen fertig beim Lesen. Sie steht, sie schaut, sie erkennt, das Kind schreit - und sie ist gelähmt. Keine Reaktion, keine Wut, keine Panik, kein Versuch das Kind zu beruhigen. Stattdessen verabschiedet sie sich innerlich von dem kleinen Bruder, als wäre der Wahnsinn mit innerer Distanz bezwingbar. Es ist als stände das Kind immer noch da und schreit und schreit und schreit ...

Gut gelungen, geht unter die Haut und beschäftigt einen noch nach dem Lesen weiter.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

Hallo Alexandra
Du schreibst so beobachtend, distanziert als wäre deine Figur gar nicht so richtig da..Man kann nur erahnen, was sie für ein Mensch ist. Die Atmosphäre die dadurch entsteht gefällt mir gut. So als würden die Dinge eben passieren und man kann wenig dran machen, steht dem hilflos gegenüber...
Das Ende fand ich sehr hart. Ihre Reaktion, bzw. ihre sich wandelnde Einstellung zu dem Bruder vielleicht ein wenig zu krass. Sein goldenes Haar ist nur noch strohblond, dass kommt so rüber, als ob sie ihren Bruder demnächst nur noch im Lichte dieses Ereignissen sehen könnte, an denen sie sich wahrscheinlich die Schuld geben wird.
Beeindruckende Geschichte, die mich zum Nachdenken gebracht hat.
Liebe Grüße, Andrea

 

Hallo,

das ist ja richtig ekelig geworden. Nicht, dass du mich missverstehst, die Geschichte nicht. Aber die Handlung. Ich schwanke ein wenig. Manchmal klingt es gefühlsarm, manchmal wieder traurig.
Ansonsten stört mich teilweise die Satzstellung.
Die Kurzgeschichte hat aber ihr Ziel nicht verfehlt.
Hab mich kurz geschüttelt!

Lukasch

 

hallo ihr lieben Schnecken.

das finde ich ja reizend daß ihr euch gleich so zahlreich meldet. und ich bin ganz schön erleichtert, dachte nämlich ich werde jetzt bestimmt abgewatscht.
habe ein paar Sätze umgestellt, sehe aber auch daß es immer noch ein Stilmix ist.
wollte natürlich nicht daß das Frühstück nicht mehr schmeckt, aber freue mich trotzdem scheppig daß sich alle schütteln müssen. hih.

liebe Grüße, alex.

 

Holà,

wenn der Kloß in meinem Hals verschwunden ist, dann werde ich auch wieder meine Arbeit machen können. Vorher aber noch dies:

Deine Geschichte hat mich stark berührt. Sehr nachhaltig beeindruckt hat mich (natürlich neben der dramatischen Wendung) die Reaktion Deiner traurigen Heldin. Keine theatralische Geste, kein zerbrochenes Geschirr, keine "Handgreiflichkeiten". Es ist dies ein sehr intimer Moment- diese stille Verabschiedung, ähnlich einem stillen Gedenken am Grab. Die beschriebene Hilflosigkeit, gepaart mit der brutalen Gewißheit, daß nun alles "anders" sein wird. Hier lässt Du Raum, daß Deine Person (und damit auch ich) die ganze Tragweite der Ereignisse in Sekundenbruchteilen erkennt. Der Umgang Deiner Figur mit der Situation macht die Faszination der Geschichte aus- für mich jedenfalls...

Danke,
Alex

 

hi alex,
das ist nicht so ein text, den man gerne liest *grr*.
hör auf hier kleine leser zu erschrecken!!
ich finde eine andere sichtweise ganz faszinierend. das mädel muss ganz schön blöd aus der wäsche gucken - da denkt sie, der mann interessiert sich für sie - und dann sowas.
nun, die geschichte ist flüssig geschrieben ... aber so im gefühl ... naja, das thema ist schwierig und verflucht anspruchsvoll, du kannst nicht deine geschichte zu diesem thema einfach abschliessen, indem du nur das zerbrochene kinderglück darstellst.
*sorry* *seufz*
barde

 

hola Belex y bienvenidos a kg.de!

freut mich daß sie dir gefallen hat. ganz besonders freut mich daß du auf diese stille Reaktion der Prot angesprungen bist( schön der Vergleich mit dem Verabschieden am Grab), weil er auch für mich der eigentliche Moment dieser Geschichte ist.
wenn du nicht mehr gut arbeiten kannst, schreibe ich dir ein Attest, no te preocupes.
liebe Grüße, alex.


hallo Barde.

sag mal hat dir jemand beim Kritik schreiben auf den Kopf gehauen? mit was ganz Schwerem vielleciht?
anders kann ich mir ja fast nicht erklären wie du darauf kommst daß es in so einer Situation noch darauf ankommt wer wem gefallen hat. bist doch kein Doofie nicht.
dein anderer Kritikpunkt ist Ansichtssache. ich wollte nicht über das Thema Kindsmissbrauch referieren, es ging allein um diesen intimen Moment des Abschieds der Schwester.
ich kann das fast nicht so gut ausdrücken wie Belex das in seiner Kritik getan hat.

trotzdem liebe Grüße :-)
alex.

 

noch mal ein kurzes statement von mir.
es ist mein fehler, ich habe die kritik nicht ausführlich genug geschrieben.
grundsätzlich gilt: eine geschichte, die emotionen im leser auslöst, ist gelungen!
als ich deine geschichte gelesen habe, war ich geschockt, und da ich beim verfassen meiner kritik an dich noch in der geschichte drin war, fiel sie so aus.
ich habe mich geärgert, dass es dem kleinen menschen angetan wurde, und ich hätte gerne die geschichte weitergelesen, als sie bereits zu ende war.
grundsätzlich kann es keine bessere kritik geben. aber wie gesagt, mein fehler - ich habe meine emotionen zu dieser geschichte nicht klar ausgedrückt!
ich habe deine geschichte nicht gemocht - so wie du vielleicht andere geschichten von ihrem inhalt her nicht magst. ich habe sie nicht gemocht, weil sie wut in mir produzierte. und weil es so ist, ist sie gelungen!
ich hoffe, ich konnte es nun etwas klarer ausdrücken.
bis dann
barde

 

Ich kann mich dem Barden nur anschließen. Eine Geschichte, die mich heut Abend wahrscheinlich nicht einschlafen lässt... Heftig - aber gut.
Liebe Grüße,
LuiLieschen :read:

 

:eek:
Hammerhart, deine Geschichte! Ich hätte mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Besonders schlimm ist, dass sowas tatsächlich passiert :(

So eine Geschichte hallt nach.

Einen kleinen Tippfehler solltest du mal ausbessern:

E rmuß nur noch schnell seine Sachen holen von zuhause, ist ganz nah, gleich hier,
"Kommt ihr mit rauf?"

Er muß ;)

Ich würde dich gerne noch etwas loben, aber mir fällt nurnoch immer wieder das selbe Wort ein: Hammerhart ;)

 

hi LuiLieschen,

schön daß es dir gefallen hat. das mit dem Einschlafen tut mir leid, am besten denkst du an Milch- oder trinkst ein paar Schafe.
is nur Spaß,
liebe Grüße und Danke an dich
alex.

hallo hastdunmotto. was ein Name.

fehler ist ausgebessert, vielen Dank.
"hammerhart" habe ich mir auch eines morgens gedacht, ich habe die Geschichte nämlich geträumt, der Tag war dann im Eimer.
danke für dein Lob, für weiter Lobe stehe ich jederzeit zur Verfügung.

liebe Grüße, alex.

 

Hi Alex,

ganz starker Text mit harter Aussage. Kurz und sehr sensibel geschrieben. Bilder haben Platz. Das Schöne ist demaskiert, das Schwein dahinter zeigt sich, kann nicht anders.
Hast mich zum Denken gebracht.

Liebe Grüße - Aqua

 

hallo alexandra!

weisst du eigentlich, dass du für mein albtraum den ich heute hatte, verantwortlich bist?? :(

als ich gestern deine geschichte gelesen habe, fand ich sie schon heftig und wie jemand schon vorher erwähnt hat "hammerhart". dachte aber nicht, dass die mich doch so sehr mitnimmt.
kann mich heute überhaupt nicht mehr konzentrieren, denke dauern an die szenen aus meinem traum...
hast recht - der tag ist dann im eimer...

jetzt noch ganz kurz zu deiner geschichte.
der stil gefällt mir. ohne großen umschreibungen, nicht in unnötige worte verpackt. das thema ist hart, lässt sich nicht beschönigen und du hast es auch so behandelt.
besonders gut finde ich, dass du die geschichte aus der perspektive der etwas naiven kellnerin geschrieben hast. so würden wohl die meisten menschen handeln - gar nicht, gelehmt da stehen und es einfach nicht verdauen können...
der satz

Tot ist von nun an das Kind das du warst, schreist du und schreist.
hat mich berührt und ist sehr aussagekräftig.

alles in allem ein trauriges, bewegendes und vor allem präsentes thema und eine tolle geschichte!

lg
insomnia

 

Also, ich kann mich dem Lob der bisherigen Kritikern nicht gerade anschließen...

Zunächst einmal frage ich mich....was ist die Intention des Texts? Zum Nachdenken anregen? Mitgefühl erregen? Ekel? Oder will er schlichtweg provozieren?

Kommentaren der Autorin wie z.B.

dachte nämlich ich werde jetzt bestimmt abgewatscht.

wollte natürlich nicht daß das Frühstück nicht mehr schmeckt, aber freue mich trotzdem scheppig daß sich alle schütteln müssen. hih.

lassen auf letzteres schließen.

Wo liegt der literarische Anreiz in diesem Text? In seiner Thematik? Nein, da der Text lediglich beobachtet. In seiner Sprache? Diese ist kühl und distanziert, soll wohl als Stilmittel dienen. Auch ich habe als Autorin des öfteren versucht, gerade eben durch diese Sprache den Leser an meinen Text zu binden, ihn zu beeindrucken, Emotionen in ihm frei zu rufen, die der Text selbst nicht hat. Bis ich erkannte, dass dies von Oberflächlichkeit zeugt, jedenfalls im literischen Sinne.

Inhaltlich mag der Text schocken, provozieren oder was auch immer. Mich persönlich lässt er kalt, weil er stilistisch Null zu bieten hat. Mit abstrakten Floskeln wie

Vorbei die Kindheit, vorbei das Glück, das Leben ist jetzt schwer.

oder

leb wohl geliebter Bruder, leb wohl.
(Großschreibung und Satzzeichen beachten!)

lasse ich mich nicht gerne ködern.

Mein Vorschlag wäre, den Text komplett zu überarbeiten, ihm durch stilistische Mittel mehr Individualität und Authentizität zu verleihen. Hinter jedem der drei Chraktere steckt eine Psyche, warum nicht mal auf wenigstens eine davon eingehen, statt dem Leser ein lebloses Marionettenspiel vorzusetzen?

Just sayin'.
San

 

@Rabenschwarz

alexandra erwähnte bereits, dass sie diese Handlung geträumt hat! (hast du vielleicht übersehen)

In Bezug auf diesen Traum ist diese Erzählung somit "authentisch", damit erklärt sich auch ihr Stil, der sich lediglich darauf beschränkt, widerzugeben, was sie in diesem Traum erlebt hat.

Aufgrund dieser Tatsache noch nach einer weiteren Intention zu fragen, sollte sich erübrigen.

Auch alexandras, von dir angeführten Kommentare waren mit Sicherheit daher anders gemeint, als dass du sie auslegst. (kein Vorwurf)

Wo liegt der literarische Anreiz in diesem Text? In seiner Thematik? Nein, da der Text lediglich beobachtet.
Wird die Thematik eines Textes damit beeinträchtigt, dass dieser "nur" beobachtet? Und seit wann kann ein Text beobachten? ;) Der Film läuft bereits im Kopf des Lesers ab! Für mich ist ein Text wie dieser bereits ein durchaus ausreichender Anstoß, mir die zugegebenermaßen nur angerissenen Handlungsvorgänge in meinem Kopf vorzustellen bzw. zu vervollständigen. Mir reicht das.

 

hi Aqua,

vielen Dank,
bedeutet mir viel, ein Lob von dir.

liebe Grüße, alex.

 

Hmm... San, so langsam bekomme ich das gefühl, dass du manchmal einfach nur ein Schild mit der Aufschrift "Dagegen" hochhälst, wenn eine Geschichte zu gute Kritiken kriegt, sorry. Was meinst du mit "abstrakten Floskeln"? Ich halte die Ausdrücke für sehr treffend und auf mich wirken sie nicht so, als würde die Autorin hier irgendjemanden ködern wollen...

Auch halte ich die Geschichte für kein Marionettentheater, der Erzählstil passt zur Geschichte. Ehr wie ein kalter Bericht, da es einer großen Distanzierung bedarf darüber zu erzählen. (Ich rede hier vom erzählen, nicht vom Schreiben, denn schließlich berichtet die Protagonistin selbst) Lass dich mal auf neue Methoden ein, San ;) Ich habe deine Kritiken immer geschätzt, aber diese kling nach Geschwafel :P

 

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