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Abschied per Anrufbeantworter

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21.03.2003
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Abschied per Anrufbeantworter

Nadine? Bist du da ? Hm, nicht da? Bitte geh ran. Vielleicht bist du ja noch im Bad, hm, na gut, ich erzähl schon mal, so wie wir es früher immer gemacht haben, weißt du noch? Du kamst nach Hause und dein Anrufbeantworter war voll gequatscht. Ich denke in letzter Zeit viel daran. Wie wir herumalberten, an die Geschichten, die ich dir erzählte.

Abends konnte ich damals alles aus mir emporholen. Warum ich es tags drauf nie anging, weiß ich nicht. Einen Roman zu schreiben, wäre wirklich kein Thema. Auch singen kann ich, du weißt, dass ich singen kann. Habe bereits ein Dutzend netter Melodien komponiert. Warum sollte keine Nummer eins darunter sein? Ach überhaupt: Bei Big Brother würde ich jede Battle gewinnen. Arminia wäre mit mir nicht abgestiegen. Bei wer wird Millionär, beantworte ich bei jedem dritten Kandidaten alle Fragen ohne Joker richtig. Der da Millionär wurde, der Student, ich konnte alles beantworten. Erinnerst du dich noch daran?
Wenn auf dem Felde keiner will, weil’s wichtig ist, zeigt man auf mich, ich gehe und schieße den Elfer und habe bisher immer verwandelt. Beim Volleyball verstauche ich mit dem Matchball des Gegners Finger, durchbreche jeden Block. Auf der Arbeit kam der Chef und fragte immer mich, wie sich die Firma bei diesem oder jenem das letzte Mal verhalten habe, er könne sich nicht mehr erinnern, da er es schon ehedem delegiert habe, und zwar an mich. Die Fehlwirtschaft erkannte ich bereits nach wenigen Monaten in der Finanzbuchhaltung, ich erzählte dir damals davon. Hätte mich einer gefragt, ich hätte es abwenden können. Mich fragte keiner und vor einem Jahr wurde ich dann arbeitslos. Die beiden Mädchen, die ich vor dir hatte, hatten mich angesprochen. Ja, ja ! Ich habe immer nur ja gesagt.

Egal welche Situation, war sie gekommen, war ich voll da. Doch erinnere ich mich an kein einziges Mal, dass ich selbst es war, der Situationen schuf. Ich war immer nur involviert. Ging zur Schule, studierte, promovierte. Geriet ich in einen Verkehrsunfall, war ich es, der Kinder aus einem brennenden Kombi holte. Für die Mutter war es zu spät, da Gaffende dachten , ein brennender Passat würde explodieren. Auf einem Kirchenfest zog man mich raus und drehte einen Werbespot, der noch immer in den lokalen Kinos läuft. Und du, die du mich nun per Anruf verlassen hast, hast im Haushalt gar nichts gemacht, ich wusch ab, nahm auf, putzte Fenster, stopfte sogar deine Strümpfe und alles im Vorbeigehen. Nur einkaufen, das blieb dir überlassen. So stellte sich mir nie die Frage der Aktienanlage. Doch ein flüchtiger Blick auf die Kurse, verriet mir, dass ich auch da richtig gelegen habe, als ich vor Jahr und Tag auf einer Familienfeier mal Stellung zu diesem Thema bezog.

Ich könnte Berge versetzen, finge ich nur damit an. Aber ich versetze nicht mal Steine, nur Gedanken: Sie ist gegangen? Gut dann ist sie weg. Arbeitslos? Dann schlafe ich eben aus. Krebs? Gut, dann sterbe ich eben.

Ja, es ist wahr, ich werde sterben. Gerade mal dreißig Jahr und schon am Ende.

Ich glaube, es wird mir ein leichtes, auch dieses Schicksal anzunehmen. Werde sicher gut im Sterben sein. Es stört mich nicht mal, dass es keinem auffallen wird. Wie auch dir nicht aufgefallen ist, wie tief meine Liebe zu dir war, wie schön du in meinen Armen warst.

Nein, sorge dich nicht. Ich weiß von Gott und schaue nach vorn, nicht zurück. Habe in den letzten Tagen das Testament verfasst und mir, solange ich noch bei Kräften bin, zur Aufgabe gemacht, mich bei allen Nahestehenden noch mal zu melden. Mit dir tue ich mich am schwersten. Vielleicht ganz gut, dass nur der Anrufbeantworter dran ist. Meine Augen schmerzen. Sie finden keine Tränen mehr. Warum musstest du denn gehen? Ich verstehe es nicht. Unser Traum, bedeutete er dir denn nie etwas?

Ich weiß nicht, warum ich mich nicht mehr auf die Suche begeben habe. Es tat einfach zu weh, Nadine, so weh. Wie konntest du nur so sein? Unsere Liebe war doch schön, es fehlte doch nichts.

Und warum bloß am Telefon? Nadine, am Telefon. Wir wollten doch immer fair zueinander sein.

Lass es uns nicht am Telefon beenden, Nadine, bitte. Ein letztes Wochenende. Nadine. Sei fair, bitte. Ein letzter Kuss. Lass mich nicht so zurück. Ich liebe dich noch immer. Lass uns wenigstens reden. Ein Treffen noch. Nadine, bitte, ein Treffen. Meine Tränen tun weh, so weh. Ich brauche ein letztes Wiedersehen. Der Schmerz. Ich habe noch nie so gelitten. Glaube mir bitte, ich werde dich gehen lassen, aber . wir haben uns immer verstanden, fühlten uns beieinander geborgen, das war doch so, lass mich jetzt nicht so zurück.

Du warst so giftig am Telefon. So hart. So kenne ich dich gar nicht. Nadine. Bitte. So war es nie zwischen uns, lass es nicht so enden. Nadine, nimm doch wenigstens ab, wenn ich anrufe, hör sie dir an, meine Tränen, ich möchte, dass du sie hörst. Soll denn alles für umsonst gewesen sein.

Bitte Nadine, antworte mir. Ich weiß es doch, es ist ein anderer Mann. Ich kann dich teilen, Nadine, ich kann dich teilen. Die Paar Tage noch. Ich verspreche dir, nie wieder werde ich dir eine Szene machen, nie wieder werde ich eifersüchtig sein, jetzt weiß ich es, ich kann dich teilen, Nadine, ich bin bereit, dich zu teilen. Ich möchte doch nur, dass du glücklich bist. Nadine, bitte bitte, er muss doch nichts davon erfahren.

Du liebst ihn mehr als mich. Ich verstehe doch. Doch was ist denn besser, wenn du mit ihm fernsiehst. Sag mir was dir an ihm gefällt. Sags mir doch, ich werde es lernen. Nadine, ich will den Rest meiner Zeit für dich leben, werde so sein wie du es dir wünschst. Nadine, du weißt, ich mache keine leeren Worte. Ich habe dir alles gegeben und mehr. Komm zurück und du kannst alles haben. Ja wirklich, Nadine, alles. Komm her und bedien dich, ich will nur dich.

Wie kann das nur sein, dieser Schmerz, wie kommt er in mich rein, Nadine, bitte, nimm wenigstens ab. Es tut so weh.

Bitte nimm doch ab.

 

Hi Schriftbild!

Also:

Dein Protagonist ist etwas eigenartig. Zuerst ein Angeber, der dann zum absoluten Jammerer wird. Ich mein, ich verstehe ihn ja. Diese Gedanken hat man ja alle nach einer Trennung - aber eben als Gedanken.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass das alles jemand auf den anrufbeantworter spricht. innerhalb der geschichte ist es zwar logisch (er und sie haben dieses "spiel" ja früher immer gespielt), aber es kommt mir unrealistisch vor.

es kommen dann gegen schluss ziemlich viele wiederholungen vor ("es tut so weh"). diese wiederholungen sind:

- negativ weil stilistisch schlecht und ermüdend und nervig,
- positiv wenn als stilmittel verwendet,
- positiv weil dieses jammern und trauern realistisch wird: wir trauern doch alle so. bis auf diejenigen, die nicht trauern können oder nicht trauern müssen.

Nun zu meinen Lieblingsstellen:

"Wie auch dir nicht aufgefallen ist, wie tief meine Liebe zu dir war, wie schön du in meinen Armen warst."

"Meine Augen schmerzen. Sie finden keine Tränen mehr."

Auch finde ich cool, wie er sich sogar dazu herablässt, sie zu teilen.

LG, kardia

 

Ja Lord,

das tut es! Ist aber nicht autobiographisch, wie keiner meiner Texte. Die Situation ist wirklich schlimm und auch alltäglich; ob mir es allerdings gelungen ist, die Momente des Schmerzes einzufangen, ist fraglich.

Ja Kardia, die Wiederholungen. Was soll damit passieren? Ich weiß auch nicht. Kommt Zeit (Übung), kommt vielleicht auch Rat (Stilsicherheit).

Dass er dir da als Angeber vorkommt, ja, aber ich würde meinen, es ist schon sein Selbstbild. Ein Mann hat mehrere Selbstbilder parallel. Deswegen ist er nicht schizophren, er glaubt aber, er könne eine Bundesliga Mannschaft trainieren, er traut es sich in seinen Tagträumen und Reden am Stammtisch ernsthaft zu und bemerkt dabei gar nicht, dass er schon zu nervös is, den Arzt nach einer ordentlichen Diagnose zu fragen. Da nämlich sieht er sich klein. Kommt er dann vom Zahnrazt zurück, ist das Mundwerk wieder groß. Ganz normal oder? Und hier erzählt er über sich, wie toll er ist und findet einen Grund für die Diskrepanz zwischen seinen Talente und Fähigkeiten und dem, wie weit er es tatsächlich gebracht hat: Er schuf nie Situationen! Darüber kommt er dann zu seiner Erkankung, vorerst noch gefasst, aus seinem vorher heorischen Tonfall, erkennt dann aber mehr und mehr seine ganze Ohnmacht und lässt sich schließlich völlig gehen, wie ein Kind, ohne Rückgrat, schwach, am Ende. Ihm bliebt nur Betteln um ein wenig Beistand, ein wenig schöne Zeit; er erträgt es nicht, in allem gescheitert zu sein, selbst in seiner Beziehung und versteht deswegen sein ganzes Jammern als Aktiv-Sein, als Situation schaffen, zum ersten Mal sich nicht gefallen lassen. Wie hilflos, wie peinlich und aussichtslos das alles ist, wie jämmerlich, macht der letzte Satz deutlich, da kapiert auch er es und sagt nichts mehr. Er ist einer jener Menschen, die immer nur bekommen, was andere ihnen freiwillig zubilligen.

 

Hallo Schriftbild,

dein Monolog gesprochen auf einen Anrufbeantworter war beeindruckend. Ich habe mit Spannung weitergelesen, mit dem Protagonisten gehofft, er möge innerhalb seiner Selbstbeschau die Selbstkritik für sich nutzen und sich verändern, einen kleinen Schritt wenigstens, aber das es nicht geschieht macht grad die Güte dieses Textes aus.
Kein Happyend und am Ende ahnt man, nein eigentlich schon mittendrin, weshalb Nadine sich einem anderen Menschen zuwendet und man versteht, was es wohl für Nerven gekostet hätte, hätte sie von Angesicht zu Angesicht Abschied genommen.
Die Darstellung des Charakters deines Protagonisten ist sehr gut nachvollziehbar und rund, ein brüchiges Selbstbewußtsein, das keine Mitte hat, Genialität steht unmittelbar neben Gefühlen des Kleinseins, das ist dir wunderbar gelungen, dies darzustellen.

Kein bisschen langweilig, obwohl doch am ehesten Leben in eine Geschichte kommt, wenn sich zwei unterhalten. Dies hier ist ein Beispiel dafür, dass sowas einem auch anders gelingen kann und von daher hast du meine Hochachtung.

Übrigens sehe ich es nicht so, dass der Protagonist am Ende irgendetwas einsieht, er sieht nur noch fokussiert darauf, endlich Nadine in seiner Nähe zu wähnen, zu welchen Bedingungen auch immer, er ist bereit jeden Preis dafür zu bezahlen.
Diese Widersprüchlichkeit gefällt mir sehr gut in deinem Text, nämlich dass man eigentlich mit dem Protagonsten Mitleid empfindet, ihm helfen möchte und doch am Ende wieder wie ein Ausgestoßener erkennen muß, er ist wieder seinen Weg zurück in seine Dunkelheit gegangen, man kann ihm jetzt noch nicht helfen. Vielleicht nie, vielleicht später irgendwann.
Man mag ihn, und gleichzeitig lehnt man ihn ab.

Stilistisch hab ich nix zu meckern, für Rechtschreibfehler fühlte ich mich noch nie zuständig, daher dazu kein Kommentar.

Lieben Gruß
lakita

 

Wow lakita,

du hast mit Spannung weiter gelesen. Seit Wochen genieße ich nun schon deinen Beitrag. Dabei bist du eine, von der ich sogar gern eins auf die Fresse bekäme. Und nun dies Lob. "Kein bisschen langweilig", ein größeres Lob kann ich mir nicht denken.


Danke

 

Bei dem Thema muss ich offtopic werden und sagen, dass es immerhin nicht so schlimm ist, wie mit einem langjährig extrem guten Freund über Jahre immer nur über den AB zu kommunizieren, weil man irgendwie nie Zeit hatte, sich zu treffen oder immer andere Gründe hatte, und dann eines Tages in der Zeitung zu lesen, dass er sich umgebracht hat.
Hilfloser kann man sich nicht fühlen. Und es gibt keine Möglichkeit, die Zeit irgendwie zurückzudrehen.

Na ja, bla. :(

Offtopic Ende.

 

Hallo Schriftbild,
eigentlich bin ich nicht so sehr für die aufgegriffene Thematik, sie wird relativ oft dargestellt. Doch Dir ist es gelungen, dem Leser eindringlich die Lage des Prot. zu vermitteln. Die zwei dargestellten Seiten des Prot., auch die Wiederholungen sind ein gutes Stilmittel, auch wenn ich sonst schon auf Wiederholungsfreiheit achte.
Ansprechend sind Sätze wie:
Zitat-
Ich könnte Berge versetzen, finge ich nur damit an. Aber ich versetze nicht mal Steine, nur Gedanken: Sie ist gegangen?

LG,

tschüß… Woltochinon

 

Hallo Schriftbild,

beim Einkopieren in den metaphern-Thread habe ich einen Fehler entdeckt:
Zitat-
Egal welche Situation, war sie gekommen, war ich voll da. Doch erinnere ich kein einziges Mal, dass ich selbst es war, der Situationen schuf.

- erinnere ich mich an ...

Werde Deine Veränderung dann übernehmen.

Tschüß... Woltochinon

 

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