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Abhängig
Das Klingeln der Schulglocke ertönt. Schulschluss. Endlich. Ich nehme mein Handy aus der Jackentasche und sehe auf die Uhr. Die mögliche Existenz einer Armbanduhr ist mir völlig entgangen.
Ich lasse das Handy wieder zurück in die Tasche sinken, packe schnell meine Sachen ein und erhebe mich.
«Kannst du mir später den Rest des Tafelbildes schicken?» - «Ja, kann ich machen.»
Wir verlassen gemeinsam den Raum, beide auf ihr Handy starrend. Die Daumen bewegen sich schnell über die eingeblendete Tastatur. Wütend werden Worte wieder gelöscht, weil ‚T9‘ sie einfach geändert hat. Es soll doch alles einfacher werden, aber im Endeffekt wird es nur noch komplizierter.
Wir verabschieden uns und ich gehe mit schnellen Schritten die Treppe hinunter. Ich stocke in meiner Bewegung als mir ein Pulk von kleineren Kindern entgegenkommt. Sie reden über die neuesten Apps auf ihrem sündhaft teurem Handy, beschimpfen sich gegenseitig und schubsen einen drei Jahre älteren Schüler, der ihnen scheinbar einfach gerade im Weg stand.
Ich beobachte das Geschehen im Vorbeigehen, aber interessieren tut es mich nicht sonderlich. Es ist nur ein weiterer Vorfall in einer technisierten Welt. Ich habe es auch schon wieder vergessen, als ich die Pausenhalle durchquere und an die frische Luft trete.
Mein Handy-Display leuchtet auf und ich lese gebannt die dort eingeblendete Nachricht. Ein Schmunzeln huscht mir über die Lippen, aber ich unterdrücke es schnell wieder, sobald ein Junge, der mich soeben überholt, schief ansieht.
Ich sehe ihm in die Augen, sehe diese Abneigung in seinem Blick. Ich weiß nicht, was ich in diesem Moment denke, vielleicht ist da auch gar nichts, woran ich denken könnte. Ich blicke nur wieder hinunter auf die Nachricht und antworte der Person hastig, viele Emojis nutzend, um meine Botschaft gewiss zu verdeutlichen. Ich blicke eine Sekunde lang auf die Nachricht und schlucke. Das ist normal, was ich mache. Alle schreiben so.
Ich weiß nicht, weshalb ich mein Verhalten zu entschuldigen versuche, denn ich mache nichts anders, als sonst.
Ich zucke nur mit den Schultern und überquere mit der wartenden Menge die Straße. Bei der nächstbesten Möglichkeit wechsle ich die Straßenseite, vermeide jeglichen Kontakt zu meinen Mitmenschen.
Ich verbinde die Kopfhörer mit meinem Handy und erhöhe das Volumen auf das Höchstmögliche. Dann schreibe ich wieder einigen Leuten, den Kopf gesenkt, in unregelmäßigem Schritt voranschreitend. Eine ältere Dame schüttelt nur den Kopf, ich kann ihr Problem nicht nachvollziehen. Doch bevor ich weiter nachhaken kann, vibriert das Handy in meiner Hand. Ich zucke zusammen und reagiere mit einer Antwort. Schnell entsteht ein Nachrichtengewirr in einer Gruppe, alle geben ihre Meinung preis. Manche reagieren mit drei gleichen Emojis, andere verfassen innerhalb kürzester Zeit einen halben Roman. Ich verfolge die Unterhaltung, habe jedoch Schwierigkeiten so schnell zu lesen wie geschrieben wird. Hin und wieder lenke ich mit einigen kurzen Worten ein, aber ganz bei der Sache bin ich dennoch nicht. Und es ist mir auch egal, Es ist ein Chat, einer von vielen. Irgendwann wird aus dieser Flut wieder Ebbe und dann gibt es ein neues Thema, welches wieder Flut verursacht. Das ist der Lauf der Gezeiten. Und ich stehe mittendrin.
Einige Gassen weiter blicke ich wieder auf und sehe schon mein Ziel vor Augen. Die Bushaltestelle. Ich setze mich auf die Bank in dem kleinen Häuschen und lehne mich erschöpft zurück. Um nicht völlig zu ermüden, öffne ich diverse Apps auf meinem Handy, um mich abzulenken. Durch das Scrollen durch Timelines und grammatikalisch inkorrekte Texte, lerne ich nichts. Ich bilde mich nicht weiter, ich bin in keiner Weise produktiv. Und es stört mich nicht im Geringsten.
Nach einer Weile habe ich alle Neuigkeiten erfahren und schaue entnervt auf die Zeit. Die Zeit, die nicht vergeht, aber möglichst gekonnt verschwendet wird.
Ich blicke mich um und sehe auf dem gegenüberliegenden Bordstein mehrere Jungs sitzen, die alle mit gesenktem Kopf vor ihren Mobiltelefonen hocken. Sie unterhalten sich und reagieren lautstark, wenn sie das Spiel verlieren. Ich sehe mir jeden einzelnen von ihnen genau an, sie sind vielleicht 11 Jahre alt. Keiner blickt auf, wenn jemand vorbeigeht, denn es ist nicht relevant. Nicht für sie oder die vollbeschäftigte Frau, die sich die Zunge an ihrem Café-to-go verbrennt, und auch nicht für mich.
Ich schlucke schwer. Diese Kinder sind viele Jahre jünger und doch nehmen sie die exakt selbe Haltung ein wie ich.
Ich möchte lachen, so tun, als wär all das tatsächlich normal. Doch stattdessen beginne ich zu husten. Die menschliche Regung meinerseits verwirrt die Person neben mir. Ich blicke sie an und lächle benommen. Die Antwort ist das wortlose Abwenden des Blickes.
Ich seufze in mich hinein und greife unwillkürlich nach meinem Handy, um die unangenehme Situation zu entschärfen. Einfach wegschauen, ist die Devise. Nicht hinsehen, einfach weitermachen, als sei nichts geschehen.
Doch anstatt meiner täglichen Routine nachzugehen, stecke ich das Handy wieder weg. Meine Hände beginnen zu zittern, als sei ich auf eiskaltem Entzug. Eine Unruhe macht sich langsam in mir breit. Der Drang nachzuschauen, wird immer größer. Ich kann an nichts anderes mehr denken, fühle mich so unwohl in meinem eigenen Körper.
Schließlich gebe ich nach und lese meine Nachrichten. Natürlich hätten die Personen warten können. Es ist nicht wichtig, ob sie jetzt oder in einer Stunde meine Meinung zu hören bekommen. Absolut nicht wichtig. Aber wer fragt in der heutigen Welt noch nach den wichtigen und unwichtigen Dingen im Leben?
Ich lasse den Gedanken fallen, seufze ein weiteres Mal und betrete den Bus. Einige Haltestellen später steigt eine Person zu, die ich kenne. Wir sind Bekannte, aber keine Freunde. Ich zücke augenblicklich mein Handy und gebe vor in einem interessanten Gespräch vertieft zu sein. Die Person passiert ohne ein Wort und ich entspanne mich ein wenig.
Ich beobachte andere Passanten, ob in meinem Alter oder zwanzig Jahre älter, sie alle sehen immer wieder auf ihr Handy und wenn es nur dazu da ist, den Händen eine Aufgabe zu geben.
Ich runzle die Stirn bis sich unangenehme Kopfschmerzen bemerkbar machen. Ich denke zu viel, sage ich mir mehrmals im Stillen. Ich sollte nicht denken, einfach nur handeln.
Ich bin gerade dabei es den anderen Fahrgästen, ja der ganzen Welt gleichzutun, aber irgendetwas hält mich ab. Meine Hand ruht weiterhin auf meiner Tasche, aber ich rühre mich nicht, ich nehme das Handy nicht heraus, so schwer es mir auch fällt.
Eine innere Stimme schreit mich an, ich möchte mir so gerne die Ohren zuhalten und vergessen. Alles einfach nur vergessen. Den heutigen Tag, die Routine meines Lebens, die Leere des Lebensinhaltes.
Ich werde von einem eigenartigen Gefühl betäubt, nicht in der Lage es zu deuten oder gar zu bekämpfen. Also sitze ich stumm da und schaue aus dem Fenster. Die Landschaft zieht an mir vorbei und ich wundere mich, wann es aufhört, wann die innere Leere wieder von einem Gefühl des Sinns gefüllt wird.
Meine Hand zuckt und ich weiß es, ich weiß, dass ich nur mein Handy hervorholen, ich nur wie alle anderen handeln müsste. Ich müsste nur wieder den Sinn in dem, was ich tue, sehen und alles wäre vollkommen in Ordnung. Aber ich mache nichts, bleibe weiterhin reglos sitzen. Ich sehe starr aus dem Fenster, ignoriere jeglichen Drang.
Was zum Teufel hält mich ab?
Ich denke verzweifelt nach, fühle mich so verloren. Gedanken wandern durch meinen Kopf, doch ich kann sie nicht ordnen. Ich sehe nur noch schwarze Leere vor meinem inneren Auge, da ist nichts, was mich ablenkt. Nichts, das mir beweist, dass alles nur ein großes Missverständnis ist. Nichts, das mir zu bedeuten gibt, dass es richtig ist, was ich Tag für Tag mache. Was hält mich ab?
Irgendwann steige ich aus. Ich blicke in den Himmel. Ich höre Vögel zwitschern und das Rauschen des Windes, der durch die Bäume zieht. Ein Eichhörnchen huscht über die Straße und eine Katze versteckt sich hinter einem Busch.
Ich atme angespannt aus. Ein Gefühl von Unwohlsein breitet sich in mir aus. Mein Magen krampft sich zusammen und ich beginne nach Luft zu schnappen. Doch mit jedem Schmetterling, der an mir vorbeifliegt und jeder Biene, die sich auf einer Blume niederlässt, versiegt das Gefühl der Enge. Die innere Panik verflüchtigt sich Stück für Stück. Ein unbeschwertes Lächeln entspannt meine harten Züge.
Es ist das Leben. Das Leben hält mich ab.