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Abgrund
Wann war dieses Gefühl in ihm erwacht, auf einem Drahtseil einen Abgrund zu überqueren? Wie liebend gerne wollte er diese dunkle Schlucht überwinden, wie sehnte er sich nach der Unbekümmertheit vergangener Tage. Lachend und übermütig in den neuen, jungen Tag laufen, sich ins duftende Gras werfen, die Haut von der Sonne liebkosen lassen. Müde und desillusioniert wandte er seine Augen vom Flackern des Kamins auf die bernsteinfarbene Flüssigkeit in seinem Glas. Auch das Feuer konnte das ewige Eis in seinem Inneren nicht vertreiben.
Er hörte, wie sich hinter ihm leise die Türe öffnete, ohne sich umzudrehen wusste er, Sammy hatte den Raum betreten. Der leichte Luftzug, der beim Öffnen der Türe entstanden war, liess ihn fröstelnd die Schulterblätter zusammenziehen.
Langsam wandte er den Blick von dem Glas in seiner Hand und schaute ihr ausdruckslos entgegen. „Ich habe hier eine heisse Bouillon für dich, sie wird dir guttun. Du siehst elend aus, und ich dachte, eine heisse Tasse Fleischbrühe wäre gerade das Richtige.“
„Danke, setz das Tablett bitte drüben auf den Couchtisch. Nimmst du denn nichts? Sicher täte dir eine kleine Stärkung auch gut.“
Da war sie wieder, diese förmliche Freundlichkeit, die sie hassen gelernt hatte. Diese tonlose, gleichmütige Stimme! Sie vermisste den warme Bariton, den sie früher so an ihm geliebt hatte? Laut sagte sie, „Nein danke, Edward, ich habe erst vor einer halben Stunde ein Stück Apfeltorte mit Sandra gegessen. Sie ist vor zehn Minuten gegangen und lässt dich herzlich grüssen. Ich habe ihr gesagt, dass du dich nicht gut fühlst.“
Wie er diese Heuchelei hasste, sie wussten doch beide, dass er ihre beste Freundin Sandra nicht ausstehen konnte und immer einen Vorwand fand, ihr bei ihren gelegentlichen Besuchen nicht über den Weg zu laufen, um ihrer Klatschsucht und ihrer impertinenten Oberflächlichkeit zu entgehen. Aber sogar wenn sie alleine waren, tauschten sie diese Floskeln aus. Resigniert fuhr er sich mit der rechten Hand durch sein volles braunes Haar, wandte sich dann dem Sessel vor dem Couchtisch zu und liess sich leise stöhnend nieder. Wer ihm zusah hätte glauben können, dass er gerade eine körperliche Höchstleistung vollbrachte, die ihm alles abverlangte. Dies stand in krassem Widerspruch zu seiner sportlichschlanken Figur, der man ansah, dass er ein körperlich aktiver Mann war. 'Ja, so ist er nun einmal, alles an ihm ist Widerspruch', dachte Sammy. „Iss in Ruhe deine Bouillon, ich sehe inzwischen nach dem Abendessen.“ Mit diesen Worten verliess sie das Zimmer.
So steht es mit uns Beiden, dachte er. Wir sind wie ein alter Motor festgefahren, laufen nur noch auf halber Kraft. Wenn die Kompromisse zum Brennstoff wurden, war auch nichts anderes zu erwarten. Und das tat er schon lange nicht mehr. Er war sich sicher, dass sich diese Art von Dahinvegetieren noch unendlich lange ausdehnen konnte. Ein fatales Gefühl, einerseits hasste man den Sumpf, war andererseits aber schon längst zu träge geworden, sich daraus zu befreien. Soviel Mühe, soviel Aufwand und wofür?
Eine alte, längst verklungene Melodie, eine vage Erinnerung hielt ihn an diesem Platz, ach könnte er sie doch noch einmal hören. Im gleichen Moment trat eine andere Stimme in sein Bewusstsein: „Ist es das wirklich was du willst, Lügner!“ Nein, selbst die schönste Melodie wurde bei dauernder Wiederholung fade!
Ja, das war das Dilemma. Wie lange sass er schon am Bahnhof auf seinem Koffer und liess die Züge ohne ihn abfahren? Also, warum stürze ich mich nicht gleich in den Abgrund, tot bin ich schon! Es war diese unsinnige Hoffnung am Ende des Drahtseils das Leben wiederzufinden, den neuen, jungen Tag! Das war der Grund der ihn noch am Leben hielt.
Sammy hatte recht, die Bouillon hatte ihm gutgetan. Da war er wieder, dieser kleine Funke – Hoffnung -.
Langsam, aber ein wenig elastischer, stand er auf, stellte die Stereoanlage an, und als die ersten Akkorde der Capri-Fischer durch den Raum klangen, sass er leise lächelnd, mit geschlossenen Augen im Sessel.
Er würde es schon schaffen, den Abgrund in sich zu überwinden, schliesslich lag ja auf der anderen Seite die Verheissung. Und sachte wippte er mit den Zehenspitzen den Takt zur Musik. Wie er dieses kurze Aufleuchten in seiner steten Dunkelheit liebte. Und das Ahnen von einer nie gehörten Melodie, das Lauschen auf einen fernen Klang, erfüllte ihn mit Frieden. Wie gerne würde er mal wieder verzaubert vom Unerwarteten, von sich selbst und dem LEBEN!
Vielleicht sollten Sammy und er später einen kleinen Spaziergang am Fluss machen, einen Spaziergang durch die Dunkelheit. Bei diesem Gedanken lachte er leise und sein warmer Bariton wehte durch den Raum.
Nach dem schweigend eingenommenen Abendessen gingen sie durch den milden Septemberabend am Fluss entlang. Die frische Luft und die Bewegung taten ihm gut. Sammy hatte sich bei ihm untergehakt und wortlos waren sie durch die Abenddämmerung geschlendert. „Das sollten wir öfter tun, es ist so friedlich um diese Zeit!“ sagte Sammy! „Du hast recht, wir sollten es wiederholen, auch mir gefällt es. Man bekommt den Kopf frei und ich brauche morgen einen kühlen Kopf, meine Liebe“, bei diesen Worten drückte er Sammy´s Arm leicht, sie lehnte sich kurz an ihn.
Frühzeitig ging Edward an diesem Abend zu Bett, er hatte einen anstrengenden Tag vor sich und musste früh los. Bis zu seinem morgigen Zielort hatte er 150 km zurückzulegen, monotone Autobahnkilometer.
Sammy hatte sich mit einem Buch ins Kaminzimmer zurückgezogen, um seinen Schlaf nicht zu stören.
*****
Vor zirka einer Stunde war er an seinem Zielort angekommen. Nachdem er einen Parkplatz gefunden hatte, begab er sich auf die Suche nach einem kleinen netten Lokal, in dem er einen Imbiss und einen guten Cognac zu sich nehmen wollte. Wieder überfiel ihn diese Art Unwirklichkeitsstimmung. In Gedanken versunken, zuckte Edward beim Klang des ohrenbetäubenden Donnerschlags zusammen. Erste, dicke Regentropfen fielen vom Himmel, der sich, ohne dass er es bemerkte mit dunklen Wolken zugezogen hatte. Wie aus einem Traum erwachend, suchten seine Augen nach einem trockenen Unterstand, da fanden sie, wonach sie suchten. Auf der gegenüberliegenden Strassenseite las er auf einem schäbigen, schon alterschwachen Schild „Zur Laterne“, welches zu einer äusserlich wenig einladenden Gaststätte gehörte. Kurz verhielt er seine Schritte, überquerte dann jedoch zielstrebig die Strasse, auf der sich binnen Sekunden die ersten Pfützen gebildet hatten. Schnell öffnete er die Tür um sich vor dem sintflutartigen Regen in Sicherheit zu bringen.
Wabbernd schlug ihm die nach abgestandenem Zigarettenqualm, kaltem Schweiss und Alkohol geschwängerte Luft entgegen; blechern tönten aus einer alten Musikbox die letzten Töne eines Schlagers. Kam ihm irgendwie bekannt vor, aber an den Titel konnte er sich beim besten Willen nicht erinnern. An der Theke lümmelten sich vier Männer, eine Frau stand an der Musikbox. Sein Blick blieb automatisch ein, zwei Sekunden an dieser Dame – obwohl nein, das Attribut Dame war in diesem Falle wohl unangebracht – Frau war schon passend, hängen. Uninteressiert huschte sein Blick über sie hinweg, zurück zu dem beleibten Wirt hinter der Theke, der seinerseits ihn misstrauisch beäugte. Natürlich, in seinem massgeschneiderten Anzug und seinen teuren Lederschuhen passte er nicht in dieses Ambiente. Kein Wunder, dass der Gastwirt ihn mit diesem leicht feindseligen Blick taxierte. In diesem Moment wandte sich der Herr des Hauses mit einem leichten Schulterzucken von ihm ab, einem seiner Gäste zu, vor dem er ein Glas Bier abstellte.
Unschlüssig stand Edward immer noch an der gleichen Stelle, sollte er sich zu den Anderen an die Theke setzen oder lieber an einen der Tische? Als er sich dann den Tischen zuwandte, traf er automatisch seine Entscheidung. Er wollte in Ruhe nachdenken, da er nun einmal durch äussere Umstände hier gelandet war, entschied er sich für diese Lösung.
„Ich würde gerne eine Kleinigkeit essen und bitte bringen sie mir ein Bier!“
„Die Küche ist erst ab 18.00 Uhr geöffnet. Ich kann ihnen eine Frikadelle bringen, ist allerdings kalt.“
¨Gut, nehme ich!“
„Okay“, murrte der Wirt unfreundlich.
Edward liess sich auf einem der alten schäbigen Holzstühle nieder, stierte auf den zerkratzten und mit schwarzen Brandlöchern übersäten Tisch, in dessen Mitte sich ein Aschenbecher und ein Plastikbehälter mit Bierdeckeln befand. Rauchen konnte er also! Der Tisch war sauber und er sass im Trockenen. Ein Blick aus dem Fenster bestätigte ihm, dass der Wolkenbruch noch in vollem Gange war und er sich wohl für eine geraume Zeit in diesem Etablissement einrichten musste. Seinen Wagen hatte er zwei Strassen von hier geparkt, bis er ihn erreicht hätte, wäre er bis auf die Haut durchnässt. In diesem Moment erschallte, wie zur Bestätigung, ein erneuter, ohrenbetäubender Donnerschlag wie eine Explosion und die Gespräche verstummten.
¨Das Gewitter ist genau über uns“, meinte der Wirt in den verklingenden Lärm.
„Jo, hört sich an wie ein Weltuntergang“, meinte einer der Gäste. Die Tür zum Gastraum flog auf und ein Pärchen flüchtete sich, die Nässe von sich schüttelnd, aufgeregt herein.
„Mein Gott, was ist das für ein Sauwetter“, schimpfte die Frau. „Meine Frisur ist zum Teufel!“
Da hat sie wohl recht, dachte Edward, ihre Haare klebten klitschnass wie eine Badekappe an ihrem Kopf.
„Na, dann hast du einen Grund, wieder zum Friseur zu gehen“, maulte ihr Begleiter.
„Richtig, mein Lieber!“, zwitscherte sie süss und ihr Partner quittierte es mit einem ergebenen Augenaufschlag. „Ja, so sind sie, unsere Frauen. Finden immer einen Grund, unser schwer verdientes Geld unter die Leute zu bringen!“
Darauf lachte sie perlend, und über das Gesicht ihres Begleiters zog ein belustigtes Schmunzeln. Blitzschnell hauchte sie ihm einen Kuss auf die Wange und mit einem koketten Augenzwinkern” meinte sie unschuldig: “Aber ich mache mich ja nur für dich schön, Liebling.”
Da lachte einer der Gäste an der Theke, “Na, die hat es aber faustdick hinter den Ohren, hat dich gut im Griff, ist ja eine ganz Ausgetragene!”
“Wohl war und im Griff hat sie mich schon seit acht Jahren”, lachte der Mann zärtlich, legte den Arm um seine Frau, gab ihr einen schmatzenden Kuss auf den Mund und führte sie zur Theke. “Hier sind noch Hocker frei, siehst du, man hat uns erwartet.” Alle lachten! Und ehe sie sich versahen, standen bereits zwei Biere für sie auf der Theke.
“Haben sie mich vergessen?” rief Edward fragend!
“Ne, dauert nur noch einen Moment, muss erst noch die Frikadelle aus der Küche holen!”
“Bring gleich drei mit, dann lohnt sich der Weg. Deine Frikadellen sind die besten weit und breit, wir lieben sie”, schmeichelte die Frau dem Wirt.
“Oh, diese Frauen”, schmunzelte der Hausherr und verschwand durch eine Tür mit der Aufschrift KÜCHE. Nach wenigen Minuten kam er mit den Frikadellen auf drei kleinen Tellern zurück, stellte zwei davon auf die Theke und kam dann mit Edwards Bestellung an dessen Tisch.
“Wohl verlaufen, wie? Aber das Gewitter lässt schon nach!”, brummelte er: “Wohl bekomm's!”
“Danke!” Neugierig biss Edward in die Frikadelle. Hm, herrlich, wann hatte er zuletzt so eine gute Hausmannskost zu sich genommen. Flüchtig erinnerte er sich an seine Studentenzeit. Nach dem Verzehr setzte er das Bierglas an, trank es mit mehreren Schlucken in einem leer. Nun entspannte er sich langsam und sah sich ausgeglichen um. Er fühlte sich wie auf einer Insel, geborgen unter diesen fremden Leuten, die so anders waren, als die Menschen mit denen er es gemeinhin zu tun hatte. Ob er wohl noch ein zweites Bier trinken sollte? Und während er überlegte, war er schon im Begriff, sein noch leicht feuchtes Jackett auszuziehen, hängte es über die Stuhllehne, öffnete die Manschetten seines Hemdes, liess die goldenen Manschettenknöpfe in seine Hosentasche gleiten, krempelte die Ärmel seines Hemdes auf, öffnete den obersten Hemdenknopf und steuerte den Tresen an. Dort stellte er beides ab und sagte: “Noch ein Bier bitte!” Mit einem Schwung setzte er sich auf einen Hocker.
“Ihre Jacke sollten sie aber besser rüberholen, Meister!”
“Natürlich, klar doch, schönen Dank auch, hätte ich ganz vergessen.” Als er mit dem Sakko über'm Arm zurückkam stand schon ein frisches Bier bereit.
“Was für ein Service”, meinte er aufgeräumt!
“Klar doch, nur vom Besten – wer kann der kann!”, meinte der Wirt unbescheiden grinsend.
Edward hob sein Glas: “Na denn, Prost!”
“Prost” schallte es zurück. Er war in die Gemeinschaft aufgenommen.
Nach dem zweiten Bier wurde er wagemutig: “Eine Thekenrunde für alle”, verkündete er, was mit Beifall begrüsst wurde. Nach dem vierten Bier summte er die Melodien mit, die aus der alten Musikbox erklangen, bald zog ihn die Stimmung in ihren Bann. Und nicht nur die Stimmung, sondern auch Elfi. Er kannte nun den Namen der Frau, die der Musikbox ständig neue Schlager abverlangte. Elfi flirtete hemmungslos mit ihm, inzwischen fand er sie auch recht anziehend. Dieser unverbindliche Flirt hob seine Stimmung; aufeinmal sangen alle mit Roland Kaiser: SANTA MARIA, Insel die aus Träumen geboren...
Ja klar, hier war diese Insel, aber aus der Flucht vor den Fluten eines Gewitters geboren. Längst war das Gewitter vorbei und diese Wahrnehmung drängte sich nun in sein Bewusstsein. Widerstrebend wurde er von seinem Alltag eingeholt. Ich muss los, dachte er bedauernd.
Ohne grosse Eile an den Tag zu legen, rollte er die Hemdsärmel runter, steckte die goldenen Knöpfe wieder zurück, schloss den obersten Hemdenknopf, zurrte die Krawatte zurecht, fuhr sich glättend mit der Hand durchs Haar und schlüpfte endlich in sein Jackett.
“Musst du denn wirklich schon gehen?”, fragte Elfi bedauernd.
“Ja, leider. Ich habe einen wichtigen Termin und darf mich auf keinen Fall verspäten.”
“Na, da kann man nichts machen, sehen wir uns wieder?”
“Bestimmt”, log er bewusst. Es wurde wirklich Zeit für ihn, sich auf den Weg zu machen. “Zahlen bitte, Jo”, rief er dem Wirt zu, “ich muss leider los, Termine. Die Pflicht ruft!”
“Klar verstehe, Edi, Rechnung kommt sofort!” Er schrieb eine Summe auf Edwards Bierdeckel, mit einem Blick darauf, schob Edward einen Schein auf die Theke: “Für den Rest gibst du meinen Freunden noch eine Runde!” Da sang der Theken-Chor: “So ein Tag, so wunderschön wie heute....”
Lachend und winkend trat er vor die Tür, kurz war er wie benommen, dann stellte sich die Realität ein, in zehn Minuten hatte er seinen Termin beim Direktor einer ihrer Zweigniederlassungen. Edward musste ihm die Absicht der Firma überbringen, die Filiale in zirka 6 Monaten zu schliessen.
Bedauernd sah er sich noch einmal nach seiner kleinen Insel “Zur Laterne” um, hastete eilenden Schrittes zu seinem Wagen, noch immer in Abschiedsstimmung. 'Passt schon', dachte er sarkastisch mit Widerwillen an die vor ihm liegende Aufgabe denkend. Nur bei diesem Abschied handelte es sich um den Verlust von Arbeitsplätzen, von Menschen, die wie Elfi und ihre Freunde ahnungslos den 'Feind' in ihrer Mitte aufgenommen hatten. “Ce la vie”, dachte er, so ist das Leben. Er durfte solchen Gedanken nicht nachgeben.
Dann stand er schon vor dem riesigen Komplex der Zweigniederlassung. Er suchte seinen Parkplatz auf und eilte mit energischem Gesichtsaudruck in den Empfangsraum! Jetzt war er wieder in seiner Welt, hier kannte er sich aus!
*****
Sammy kam gerade die Stufen zur Terrasse hoch, als sie das ungeduldige Klingeln des Telefons vernahm. Eilig hastete sie ins Haus, riss den Hörer von der Gabel und meldete sich etwas atemlos.
“ Gott sei Dank, da bist du ja, ich dachte schon, du wärest nicht zuhause”, hörte sie die Stimme ihres Mannes. “Nein, Liebling, ich war nur im Garten und habe mich um die Rosen gekümmert. Gibt es ein Problem?” fragte sie.
“Tut mir leid, meine Liebe, aber du brauchst heute abend nicht auf mich zu warten, es hat sich eine Situation aufgetan, die wohl eines längeren Aufenthaltes bedarf. Der Direktor, Herr Stevens, erlitt gestern unerwartet einen Herzinfarkt, so dass unsere Konferenz abgesagt werden musste. Sein stellvertretender Direktor ist im Urlaub und konnte bis zur Zeit nicht erreicht werden. Im schlimmsten Falle kann das bedeuten, dass ich hier eine Woche festsitze. Genaueres kann ich dir im Moment nicht mitteilen. Ich werde hier mit allem Nötigen versorgen. Mach dir ein paar schöne Tage, vielleicht gehst du mit Sandra zum Essen.”
“Ach, du Armer, mach dir keine Gedanken, ich werde schon klar kommen. Ich habe dir doch von dem Kostüm erzählt, dass ich in meiner Lieblingsboutique gesehen habe und hatte sowieso vor, mit Sandra ein wenig shoppen zu gehen. Also, sorg dich nicht um mich! Melde dich bitte wieder, wenn du Genaueres weist”
“Selbstverständlich, meine Liebe, bis dann also!”
“Ja, bis dann, Liebling!”
Edward würde heute abend nicht zum Essen zuhause sein, das bedeutete, sie könnte mit Sandra das nette Weinlokal in der Innenstadt besuchen.
Jetzt müsste Sandra anrufen und fragen, ob sie diesen Abend, Lust und Zeit hätte mit ihr in die Stadt zu fahren. Es war noch früh, erst kurz nach 15.00 Uhr und sie hoffte, dass Sandra nicht bereits anderweitig verplant war.
Das war geklärt, Sandra freute sich auf den Abend. Da fiel ihr Frau Maier ein, sie musste der Haushälterin Bescheid geben, dass das Abendessen heute ausfiele, da sie auswärts essen gehe und sie deshalb heute nicht mehr benötigt würde. Nachdem sie das erledigt hatte, legte sie sich noch ein Stündchen hin.
Sandra kam gegen 20.00 Uhr an, sie fuhren gemeinsam in die Stadt. Sie trug ein auffallendes rotes Kleid mit einem tiefen Dekollte und dazu ihre grossen Diamantohrringe. Ein Geschenk ihres zweiten Ehemannes. Zwischenzeitlich gab es Ehemann Nummer Drei. Nun ja, Bescheidenheit war nicht gerade Sandras Tugend. Sammy selbst hatte sich für ein schlichtes, sportlich elegantes graues Ensemble entschieden, zu dem sie ihre Perlen trug. Es brachte ihre ätherisch zarte Blondheit vorteilhaft zur Geltung.
Perlen bedeuten Tränen hatte Sandra damals bedeutungsschwer gesagt, man sollte sie sich nicht schenken lassen, sondern selbst kaufen. Aber Sandra fand immer ein Haar in der Suppe, ihre Ex-Ehemänner konnten ein Lied davon singen. Sammy allerdings gefielen das Temperament und die wilde Lebenslust ihrer Freundin, die in krassem Widerspruch zu ihrem geduldigen, warmen Wesen stand. Gegensätze ziehen sich eben an, dachte sie und lehnte sich entspannt in die Polster des Cabrios.
“Und wie lange wird dein Mann nun abwesend sein?”, fragte Sandra in dem Moment.
“Genau konnte er mir das noch nicht sagen, aber drei Tage mindestens.” Schon jetzt überfiel sie eine Leere, die sie aber erfolgreich bekämpfte.
“Na, du wirst es überleben”, meinte Sandra leicht spöttisch.
“Das ist mal wieder typisch für dich, du kannst es einfach nicht lassen, mich aufzuziehen. Aber du weisst doch, dass ich mich ohne Edward immer nur wie ein halber Mensch fühle.”
“Ja, das ist dein Problem, du lebst nur für ihn. Wie sieht es denn mit dir aus, was tust du für dich?”
“Lass uns das Thema wechseln, wir wollen doch nicht streiten”, bat Sammy.
“Okay, okay! Lassen wir das Thema fallen! Stürzen wir uns ins Nachtleben, Engelchen. Auf geht's.” Mit diesen Worten beschleunigte sie den kleinen Sportwagen.
“Rase doch nicht so, wir haben Zeit genug! Ich habe uns einen Tisch für 21.00 Uhr reservieren lassen.”
“Ich dachte, wir nehmen einen kleinen Aperitiv bei Giovanni, natürlich nur, wenn es deine Pläne nicht durcheinander bringt!”
“Nein, das ist wirklich eine nette Idee”, freute sich Sammy.
Es wurde ein schöner Abend. In der Auffahrt vor Sammy's Haus, meinte diese: “Wir könnten noch ein Gläschen Champagner trinken um den Abend würdig zu beschliessen.”
“Huch, würdig beschliessen nennst du das? Ich habe schon einen Schwips, aber auf einem Bein kann man schliesslich nicht stehen. Mein lieber Michael ist sicher wieder mit seiner kleinen Sekretärin beschäftigt, es ist gerade Mitternacht vorbei, genau die richtige Uhrzeit für einen kleinen Schlummertrunk!” Mit diesen Worten stellte Sandra den Motor ab und stieg aus dem Wagen.
Zwei Stunden später verliess Sandra sie, aus dem kleinen Schwips war ein grosser geworden.
“Fahr vorsichtig!”
“Natürlich doch, Mami”, lachte Sandra. Bis morgen.” Mit diesem Satz war sie auch schon aus der Tür getanzt.
“Verrücktes Haus”, murmelte Sammy schon schlaftrunken.
Beruhigt ging sie zu Bett und binnen weniger Minuten schloss sie der Schlaf in seine Arme.
*****
Am nächsten Morgen, ein Blick auf den Wecker sagte ihr, dass es Zeit war aufzustehen. Sie fühlte, dass die vergangene Nacht Spuren hinterlassen hatte. Aber nachdem sie ausgiebig geduscht hatte, war sie wie neugeboren und voller Tatendrang.
Schwungvoll lief sie die Treppe hinunter, im Esszimmer wartete das Frühstück bereits auf sie. Kurz zog sich ihr Herz zusammen, heute musste sie alleine frühstücken. Wie sie Edwards Anwesenheit vermisste.
Als Sandra kurz darauf eintrat, frisch wie der junge Morgen und voller Tatendrang, hatte sie ihr Frühstück gerade beendet.
Das Kostüm hatten sie binnen kürzester Zeit erstanden, Sammy hatte es sich bei ihrem letzten Besuch zurücklegen lassen. Aber Sandra zerrte sie zwei weitere Stunden durch die Geschäfte. Beladen mit Einkaufstüten, steuerten sie nun ein Restaurant an um dort zu Mittag zu essen. Sammy war ziemlich erschöpft, aber Sandra strotzte nur so vor Energie. Wie sie das nur macht, dachte Sammy, woher nimmt sie diese Kraft, es ist unglaublich, sie scheint unerschöpflich zu sein.
Nach dem Mittagessen, zu dem sie einen leichten spritzigen Weisswein tranken, bat Sammy ihre Freundin, sie nach Hause zu bringen. "Ich würde mich gerne ein wenig ausruhen und mich mit einem Buch in die Sonne legen. Mein Bedarf an Aktivitäten jeglicher Art ist im Moment gedeckt. Du bist mir doch nicht böse?”
Sandra lachte laut auf und sagte: “Nein, meine Kleine, ich bin heute nachmittag auch anderweitig gebucht. Mach du dir nur einen gemütlichen Nachmittag. Ich melde mich bei dir. Geh doch mal zum Arzt und lass dich schecken, vielleicht brauchst du ein paar Hormone oder Vitamine!"
"Übertreibe nicht immer. Was soll ich beim Arzt, nur weil dein Tempo mir zu anstrengend ist?"
“Ja, ja nicht jeder führt ein Leben auf der Überholspur”, lachte ihre Freundin. “Schau, wir sind angekommen! Also dann, ruf mich an, wenn du für weitere Eskapaden bereit bist. Bis bald!” Sammy war gerade erst ausgestiegen, da brauste ihre Freundin schon davon. Unglaublich, dachte Sammy nur! Sie ging nach oben und liess sich auf das Bett sinken, innerhalb weniger Sekunden schlief sie tief und fest.
Erfrischt erwachte sie auf und lief sofort zum Telefon. Ob Edward angerufen, und sie so tief geschlafen hatte, dass sie das Läuten überhörte? Doch der Anrufbeantworter hatte keine neue Nachricht gespeichert. Ich mache mir eine Tasse Kaffee und gehe auf die Terrasse, die Sonne ist noch so schön warm, dachte sie.
Was Edward wohl im Moment tat, er brauchte dringend Urlaub. Er rieb sich völlig für die Firma auf, Arbeit, Arbeit... es ist so still in unserem Haus. Wenn sie wenigstens Kinder hätten, aber bei ihrer zarten Konstitution sei das Wagnis zu gross, hatten die Ärzte abgeraten! sie wusste, es hätte sie erfüllt, Kinder zu haben, hätte ihrem Leben einen Sinn gegeben. Du hast doch Edward, schämte sie sich, was wollte sie mehr? Nichts, wurde ihr bewusst, er war ihr Leben.
*****
Nachdem Edward mit Sammy gesprochen hatte, beschloss er, sich nach einem geeigneten Quartier umzusehen.
Kaum im Hotel eingequeckt hatte, ging er erst unter die Dusche.
In der Innenstadt kaufte er, was er für seinen Aufenthalt brauchte. Ins Hotel zurückgekehrt, zog er sich um. Er beschloss eine Kleinigkeit essen zu gehen.
Auf einmal stand er vor der Schänke “Zur Laterne”. Verdutzt bemerkte er, dass es ihn schon wieder hierhin verschlagen hatte. Warum nicht, dachte er, vielleicht ist noch jemand da, von den morgendlichen Gästen. Ein Blick auf seine Uhr zeigte ihm, dass dies wohl mehr als unwahrscheinleich wäre, inzwischen war es 19.30 Uhr. Er konnte Jo ein wenig die Kasse füllen, warum nicht eine deftige Hausmannskost, es wäre mal etwas anderes.
Er betrat das Lokal, seine Augen suchten blitzschnell den Raum ab – nein, von den Mitstreitern des Vormittags war niemand mehr anwesend. Bis auf zwei besetzte Hocker, war die Theke frei.
“Hallo, Edi”, tönte die Stimme des Wirtes Jo, “kommst wohl nicht mehr von uns los? Ja, wer einmal leckt, der weiss wie's schmeckt! Hab schon ein Bier für dich angezapft.”
“Sehr gut, kann dich nur weiterempfehlen!”
“Von deiner Sorte kannst'e ruhig mehr mitbringen. So lob ich mir die feinen Pinkel!”
Edward musste, ob er wollte oder nicht, lauthals lachen. Dieser Kerl war so gegen alle Regeln direkt, dass man ihm gar nicht böse sein konnte. Für ihn war einfach der Thekenbruder Edi bei ihm eingekehrt. Förmlichkeiten spielten hier nicht die geringste Rolle. Er hob sein Bierglas, das Jo flugs vor ihn gestellt hatte und trank es mit durstigen Zügen leer und schon stand das nächste vor ihm.
“Nun mal langsam mit den jungen Pferden, wollte eigentlich etwas länger bleiben und deine Küche ausprobieren.”
“Prima Idee, der Mensch braucht eine gute Grundlage! Schau doch mal in die Speisekarte, womit ich deinen Gaumen beglücken kann!”
“Willst du damit sagen, dass du selbst kochst?”
“Klar Mann, was dachten you denn? Kann mir keine Köchin nicht leisten!” lachte er laut auf. Empfehle dir Jägerschnitzel mit Pommes und Salat!"
“Alle Achtung, dann werde ich mich mal von deinen Kochkünsten überraschen lassen. Hat aber keine Eile, lass dir Zeit!” Edward hatte das Gefühl, das Lokal gar nicht verlassen zu haben. Zugehörigkeit stellte sich nahtlos wieder ein. Er steckte sich eine Zigarette an, inhalierte genüsslich und schaute sich ein wenig um.
Im Gastraum waren zwei Tische besetzt und ein junges Mädchen, offensichtlich die Kellnerin von der Jo heute morgen gesprochen hatte, stand vor einem weiteren Tisch.
In diesem Moment öffnete sich die Küchentür und Jo kam zurück zum Tresen. Er füllte zwei Gläser auf, stellte sie vor die beiden Gäste auf die Theke, die dem Gespräch zwischen Edi und Jo interessiert gelauscht hatten und nahm das nächste Glas in Angriff. Mein Gott, dachte Edward, der ist wirklich schneller als der Schall.
“Mit deinem Essen musst du dich noch ein wenig gedulden, aber glaub mir, es lohnt sich!” Jo schlug sich an die Brust.
“Mach die Portion nicht zu gross, ich esse immer nur eine Kleinigkeit!” meinte Edi leicht beunruhigt.
Jo machte ein geheimnisvolles Gesicht: “Wird alles wunschgerecht erfüllt!”
Leicht mokiert meldete sich einer der Männer zu Wort: “Was ist denn mit dir los, seit wann erfüllst du denn Sonderwünsche. Bei mir hast du dir noch nie einen abgebrochen!”
“Hast auch noch nie zwei Thekenrunden in 20 Minuten ausgegeben, Grossmaul!””
“Hoho, muss sich wohl beim feinen Herrn einkaufen?” Leichte Feindlichkeit lag in der Luft. Jo zauberte im Handumdrehen ein Schnapsglas unter der Theke hervor, goss einen billigen Weizenkorn ins Glas und stellte es vor den Mäkler.
“Feine Geste, bist ein prima Kerl”, und schon war die Luft wieder rein.
Edward drehte sich noch einmal neugierig um und da sah er, dass Elfi an einem der Tische sass. Er ging zu ihr:“Ist hier noch ein Platz frei oder erwartest du jemanden? Wir könnten sonst gemeinsam essen.”
“Ich dachte schon, das du mich nicht mehr kennen wolltest!” meinte Elfi.
Überrascht sah er sie an: “Wie kommst du darauf? Ich habe dich beim Eintreten nur nicht bemerkt. Woher sollte ich auch ahnen, dass du hier bist, nach so vielen Stunden?”
“Wieder hier”, lächelte sie.
“Das ist mir schon aufgefallen, denke nicht, dass du einen Koffer mit dir rumträgst um dich regelmässig umzuziehen”, lachte er aufgeräumt. “Darf ich dir etwas bringen lassen, ein Bier?”
“Da sage ich nicht nein!”
“Jo, könnten wir noch 2 Bier haben?”
“Denke doch, hab ja genug davon, soviel, dass ich es verkaufen muss,” witzelte Jo.
“Ist er nicht einmalig”, lachte Edi aufgekratzt!
“Ja ist er, aber er kann auch ganz anders!”, warnte Elfi.
“Ich habe keinen Ehrgeiz, das herauszufinden”, war seine Antwort und sie lachten beide.
Und ehe sie sich versahen, war der vertraute Ton vom Morgen wieder zwischen ihnen hergestellt. Es dauerte nicht lange und es knisterte auch wieder zwischen ihnen. Wie konnte ich sie nur für unattraktiv halten, dachte Edward. Der leicht schräge Schnitt ihrer Augen von undefinierbarer Farbe – nicht blau, nicht grün, nicht grau – von allem etwas, ihr dunkelblondes Haar, dass ihr in weichen Wellen auf den Schultern lag waren doch bezaubernd. Und nicht nur dass, sie hatte was, dieses gewisse Etwas, das sich so schwer in Worte fassen liess.
“Begutachtung abgeschlossen?”, fragte Elfi in leicht herausforderndem Ton.
“Ja”, sagte Edward offen, “und mir gefällt was ich sehe!”
“Da habe ich aber Glück gehabt, nicht wahr?” wieder dieser leicht ironische Unterton. Ganz schön patzig, dachte er flüchtig.
“Wenn es dir nicht recht ist, kann ich an einem anderen Tisch mein Essen einnehmen. Ich wollte dich nicht belästigen”, gab er schärfer als beabsichtigt zurück.
“Nein bleib, ich muss mich entschuldigen. Es war nicht so gemeint.”
Passend in diesem Moment kam das Essen und enthob ihn einer weiteren Bemerkung.
“Mein Gott, Jo, dass ist ja eine Augenweide”, meinte Elfi sichtlich beeindruckt. Jo musste sich wirklich bemüht haben. Und es schmeckte tatsächlich ausgezeichnet.
“Hast du noch etwas Zeit, Elfi? Wir könnten nach dem Essen noch ein, zwei Bier trinken; das ist eine Einladung.”
“War mir schon klar, Schlauberger. Sicher warum nicht!”
Gegen Mitternacht meinte Elfi, dass es jetzt Zeit für sie wäre.
“Natürlich, sicher musst du morgen auch früh 'raus. Es war gedankenlos von mir, nicht schon früher daran zu denken.”
Er bat Jo um die Rechnung, zahlte, gab ein grosszügiges Trinkgeld was Jo dazu veranlasste: “Wiedersehen macht Freude” von sich zu geben. Angeheitert schmunzelte Edi, der den trockenen Humor von Jo heute abend sehr genossen hatte.
“Bin ja noch einige Tage im Lande”, meinte Edi sich trotzdem nicht festlegend. “Also, bis demnächst Jo!
“Haltet die Ohren steif!” rief Jo hinter ihnen her.
Draussen sagte Edi: “Ich bringe dich selbstverständlich nach Hause!"
“Das ist aber wirklich nicht nötig, es ist nur ein Katzensprung! Du brauchst dir keine Umstände zu machen!”
“Es macht mir nicht die geringsten Umstände”, sagte er mit einer Stimme, die jede weitere Diskussion im Keime erstickte, “ausserdem ist es von hier nicht weit zu meinem Hotel. Ein kleiner Spaziergang kommt mir sehr gelegen nach der stickigen Luft bei Jo.”
*****
“Wir sind angekommen, hier wohne ich!” Elfi sah ihm in die Augen und er spürte die Spannung, die sich zwischen ihnen aufbaute. “Es tut mir leid, aber ich werde dich nicht auf einen Kaffee hinaufbitten”, hörte er sie in diesem Moment sagen. Es traf ihn wie eine kalte Dusche!
Sein Gesicht war eine undurchdringliche Maske als er kalt sagte: “Das hat auch keiner von dir erwartet. Also, ich warte bis du den Hausflur betreten hast. Leb wohl!”
“Tut mir leid, so habe ich das nicht gemeint”, hörte er sie leise sagen. “Ich wollte dir nichts unterstellen. Vielleicht hast du Lust noch auf ein Glas Wein mit nach oben zu kommen?” presste sie zwischen den Zähnen hervor. Irritiert sah er sie an, doch dann entschloss er doch die Einladung anzunehmen.
Gemeinsam fuhren sie mit dem Lift in die 5. Etage, Elfi schloss ihre Wohnungstür auf und sagte entschuldigend: “Du bist sicher Besseres gewohnt!” Mit diesen Worten öffnete sie die Tür zu ihrem Wohnzimmer. Es war, als beträte er eine Oase! Dieser Raum lebte von Widersprüchen, kein Möbelstück passte zu dem anderen, aber alles verströmte völlige Harmonie, unglaublich. Dieses Zimmer zeigte Elfi's wahre Natur. Kein Wunder, dass sie gezögert hatte, ihn mitzunehmen in ihre heilige Halle. Grübelnd sah er sie an. Nervös wandte sie den Blick ab, betont munter meinte sie: “Mach es dir bequem, ich hole den Wein und die Gläser."
“Warte, ich helfe dir”, er nahm ihr die Gläser aus der Hand. “Reichst du mir den Korkenzieher?”
“Natürlich, ich lege uns eine CD ein, was hörst du gerne?”
“Diese Wahl überlasse ich dir, es wird mir sicherlich gefallen!”
“Und das sagst du, nachdem du hörtest, welche Titel ich heute morgen der Musikbox bei Jo entlockte!” lachte sie.
“Sie passten doch!” war seine lakonische Antwort.
Dieses Lob schien sie zu verunsichern. Überhaupt hatte sich ihre Stimmung völlig verändert, sie wirkte aufeinmal unsicher und befangen. Wo war die kecke junge Frau geblieben, die er bei Jo kennengelernt hatte und die so hemmungslos mit ihm flirtete? Wer war diese Elfi nun wirklich? Der Wunsch sie besser kennenzulernen setzte sich in diesem Moment in ihm fest, koste es was es wolle. Seine Neugier war geweckt. Es war klar, Elfi war mehr als nur eine Kneipenbekanntschaft. Der Faszination, die sie auf ihn ausübte konnte er sich nicht entziehen.
Als die ersten Klänge von Kuschelrock erklangen, die Gläser mit Wein gefüllt waren, setzte sie sich zögernd zu ihm aufs Sofa. Er stand auf, nahm ihre Hand und zog sie zu sich heran. Behutsam tanzte er engumschlungen mit ihr nach den Klängen: “When a man loves a woman”. Zart berührte er mit seinen Lippen ihre Schläfe, er fühlte wie ein leises Beben ihren Körper durchlief. Es war, als befänden sie sich auf einer einsamen Insel, nur sie beide, alles andere war ausgeschaltet. In seinen Armen verschmolz sie mit ihm, sie waren nur noch ein Körper. Noch während des Tanzes zog er ihr sanft den Pullover über den Kopf, ihre Lippen fanden sich und es war, als ob schon diese Berührung sie in Flammen versetzte. Elfi bebte nun am ganzen Körper; auch Edwards Atem kam stossweise. Das ist Wahnsinn, dachte er kurz, ich muss aufhören! Ein letzter Funke Vernunft, aber er erlosch so schnell wie er aufgekommen war!
Aus der Tanzbewegung liess er sich langsam mit ihr auf den Teppich gleiten, sanft glitten seine Hände über ihre Brüste, die sie ihm leise stöhnend entgegenreckte. In seinem Hirn klickte ein Hebel, er befand sich in einem rauschartigen Zustand, nichts konnte ihn mehr aufhalten. Alles war gut und richtig - zwangsläufig. Vorsichtiig öffnete er ihre Jeans, legte seine Kleidung ab, suchte hungrig ihre Lippen, die sich ihm leicht geöffnet darboten. Als er behutsam in sie eindrang, explodierte etwas in seinem Kopf. Er schwebte mit ihr im Einklang der rhythmischen Bewegungen davon. Sie wurden zu den Sternen getragen, er war sie und sie war er, die Woge trug beide zum Höhepunkt der Vereinigung. Ganz langsam setzte das Bewusstsein ein, noch verschwommen, sich wehrend gegen die Rückkehr aus dem Paradies. Die Sternentür hatte sich sanft geschlossen, sie bewegten sich zurück zur Erde. Ineinander verschlungen, noch wie in Trance lagen sie lange Zeit stumm und ergriffen.
Edi fand als erster seine Stimme wieder, heiser flüsterte er: “Mein Gott, was war das?”
Mit einer leicht unwirschen Bewegung wandte sie sich ab: “Ein genialer Fick!”
Damit hatte er nicht gerechnet, ihre Unberechenbarkeit war unfassbar.
Er fühlte rasenden Zorn wie eine Flamme in sich aufsteigen, mühsam beherrscht, knurrte er: “Wie nennst du das, was war das?”
Leise flüsternd klang es da an sein Ohr: “Eine Offenbarung!”
Behutsam schloss er seine Arme um sie, streichelte ihr über die Wange und da fühlte er die Tränen, die ihr still über die Wangen liefen. “Ich möchte dich nie mehr loslassen!” raunte er ihr ins Ohr.
“Ich weiss, aber du musst!” erwiderte sie leise.
“Lass uns jetzt nicht daran denken, wir werden einen Weg finden. Mein ganzes Wesen ist erfüllt von dir, wie kannst du da von Trennung sprechen?
Sie drängte sich an ihn, als wolle sie in ihn hineinkriechen, mit ihm verschmelzen. Stummes Einvernehmen, zufrieden, das gemeinsame hallte noch in ihnen nach. Schläfrig murmelte sie: “Ich glaube ich liebe dich vom Anbeginn der Zeit!”
“Ja und ich dich!” drang es noch an ihr Ohr bevor der Schlaf sie übermannte.
Noch einmal in dieser Nacht unternahmen sie eine Reise zu den Sternen, schweigend in dem Wissen, dass alles so war, wie es sein sollte. Sie waren eine Einheit!
Eine Tür hatte sich geschlossen, eine andere geöffnet.