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Abgrund

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16.06.2002
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Abgrund

Abgrund


Bereits beim ersten Mal als Ramona ihn gesehen hatte, war sie in gewaltigem Bann gezogen. An einem übel beleumdeten Ort fand sich Ramona in jener Nacht ein. Unerklärlich war die Kraft, welche sie zu jener Örtlichkeit geführt hatte, gleich einem unheimlichen Fluch, dem sie nicht mehr zu entkommen vermochte.

In einer finstren, engen Seitengasse lag das Lokal, in einem Kellergewölbe. Nebel verhing die Stadt, feuchte Kälte drang Ramona bis ins Mark. Laternen zauberten gelblich verschwommene Lichtkronen in die tiefe Schwärze. Menschenleer war die Gasse, schaurig die Stille.

Ramona schritt die Treppe zur schwarzen Tür hinab. Dumpfer Lärm drang nach draußen. Mit zitternder Hand öffnete sie die Türe, stand inmitten gespenstischer Gestalten, welche im schummrigen Licht, im Qualm nur undeutlich zu erkennen waren. Der Barmann fragte sie gleichgültig nach ihrem Wunsch. Seine und Ramonas Augen trafen sich schließlich, ein tiefer Blick. Dimitris blaue Augen, sein Spitzbart, seine auffordernden Blicke, zogen sie unversehens in Bann.

Verloren war sie ab jenem Augenblick, besuchte, so oft es ihr möglich war, jenen verkommenen Ort, nur um Dimitri zu sehen, Worte mit ihm zu wechseln. Mit jedem Mal wuchs Ramonas Begierde, nahm Besitz von ihren Gedanken.

Dimitri behandelte sie mal mit überaus freundlicher Zuneigung, mal mit kalter Zurückweisung, je nach Gutdünken. Ramona ließ es mit sich geschehen, verstrickte sich mehr und mehr in ihre Begierde. Dimitri hatte Freude daran, sie zu narren, ihr Hoffnungen zu machen, um diese alsbald wieder zu zerstören. Genussvoll beobachtete er Ramonas Leiden, wenn er sich ihr gegenüber wieder grob oder gleichgültig verhielt.

Die Gäste waren Nachtgestalten, bewegten sich nur im Dunkeln. An jenem Ort liebelte jeder mit jedem. Dann und wann waren Ausrufe der Lust aus den Aborten zu hören. Ramona hatte sich anfangs davor geekelt, war es doch nicht ihre Welt, in welche sie immer häufiger hinabstieg. Doch schließlich begann sie sich dabei vorzustellen, wie es wäre mit Dimitri ebendort der Wollust zu frönen.

Er hatte Ramonas Wünsche erraten, streifte, so als ob es unbeabsichtigt wäre, an ihre Brüste, an ihre Hüfte an, warf ihr währenddessen begierige Blicke zu. Ramona war mehr und mehr gefangen in jener Welt. Der Sog ihrer Gier nach Dimitri zog sie hinab in immer tiefere Schlünde, hinab in beklemmende Unwelten aus dunklem Morast. Verfangen in den Gespinsten des Fluches, schlug sie um sich, wehrte sich gegen die klebrigen Fäden, die sie fest hielten. Je heftiger sie sich zu befreien versuchte, desto schlimmer verstrickte sie sich.

Dimitris Spiel wurde zunehmend dreister, je öfter Ramona den Ort aufsuchte. Er witzelte mit anderen Gästen über ihre Art zu sprechen, ihre Art sich zu gebärden, deutete derweil auf sie, sodass die anderen lachten, warf ihr mal begierige, mal abwertende Blicke zu. Bisweilen tauschte er mit anderen Frauen heftige, tiefe, Küsse und blickte währenddessen zu Ramona hinüber. Wenn er bemerkte, dass sie ihn entsetzt anstarrte, umfasste er die Hüften der Geküssten, berührte schließlich durch den Stoff der billigen Kleider deren Brüste. Anschließend widmete er sich wieder Ramona, meinte, dass dies nur Spaß sei und nicht ernst genommen werden dürfe. So litt Ramona in vielen Nächten.

Die Gäste spotteten ihrer in zunehmend unverschämter Weise, sie kümmerte sich nicht darum.

Eines Nachts betrat Dimitris Frau, eine gewöhnliche Person mit derber Sprache, den Ort. Das Paar begann zu streiten. Einer der Gäste ging auf Ramona zu.
„Seine Frau!", spie er ihr mit breitem Grinsen ins Gesicht und kehrte zu seiner sinistren Runde zurück.

Wer das seltsame Weib denn sei, brüllte ihn seine Frau an. Dimitri tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn.
„Eine Irre!"

Ramona verließ den Ort. Sie wusste, dass er sie hinter ihrem Rücken mit Häme zu überschütten pflegte, diese Deutlichkeit jedoch bereitete ihr zu große Pein. In tiefer Scham über sich selbst, lief sie die Gasse entlang zur Hauptstraße. Hinabgefallen war sie in unendliche Tiefen, vernachlässigt hatte sie sich. Fahl war ihr Gesicht, fettig und strähnig ihr Haar geworden. Ihre Stelle, ihre Wohnstatt, ihr Ansehen, waren ihr gleichgültig. Einzig Dimitris unheimlicher Sog war ihr wichtig. Oftmals bezahlte sie ihm Getränke, gab großzügig Trinkgeld, um sich sein Lächeln, einen flüchtigen Augenblick der Zuneigung zu erkaufen. Die Erniedrigungen ertrug sie, gierig nach einem Moment des Zusammenseins, der nicht zu erringen war. Ramona betrank sich regelmäßig wenn sie dort war, um die Unmöglichkeit der Erfüllung ihres Verlangens zu vergessen.

Sie lief die Hauptstraße entlang. Ihr Kopf wankte im Rausch, Lichter verschwammen, vermengten sich in undeutlichen Farbenspielen. Ramona verlor die Besinnung, fiel auf den Gehsteig.

Sie hörte Brüllen, eine Faust schlug gegen ihr Gesicht, stand plötzlich sich selbst gegenüber. Verschwollen und blutverschmiert war ihr Gesicht. Lebenssaft rann langsam aus den Mundwinkeln das Kinn hinab, tropfte auf weißes Gewand. In ihrer Mundhöhle fühlte sie, wie sich feste Klumpen sammelten. Sie öffnete den Mund, ihre Zähne fielen in die hohle Hand, braun, verfault und blutig.

Unversehens befand sie sich auf dem schlammigen Platz eines Dorfes. In Schwarz verhüllte Frauen tanzten rund um sie herum. Heftiger und lauter wurden die Schläge der Trommeln, ungezähmter die Bewegungen der Frauen im Takt. Gesang erklang in einer seltsamen Sprache. Dimitri erschien, näherte sich ihr. Er öffnete seinen Mund, welcher sich zu einem abscheulichen Maul mit spitzen Klauen verformte. Das Bild verschwand.

Ramona fand sich nackt auf einem Bett in einem hell erleuchteten Zimmer. Ihre Haut war von Ruß geschwärzt, sie rieb an ihren Armen, ihren Beinen, an ihren Wangen. Der Schmutz verschmierte sich, drang tiefer in die Haut ein. Sie schrie nach Wasser.

„Sie brauchen Ruhe!", meinte der Arzt als Ramona im Krankenhaus erwachte. Sie befühlte mit der Zunge ihre Zähne, atmete auf. Benommen sah sie hinauf zur weiß gekalkten Decke des Krankenzimmers. Erleichtert sank sie in tiefen, schweren Schlaf.

 

Hallo Echnaton


Eine meiner Meinung nach wirklich sehr gut gelungene Geschichte. Wie du Ramonas Stimmungen und Leiden beschrieben hast.

Verloren war sie ab jenem Augenblick, besuchte, so oft es ihr möglich war, jenen verkommenen Ort, nur um ihn zu sehen, Worte mit ihm zu wechseln. Mit jedem Mal wuchs Ramonas Begierde, nahm Besitz von ihren Gedanken.

oder:

Der Sog ihrer Gier nach Dimitri zog sie hinab in immer tiefere Schlünde, hinab in dunkle Unwelten aus beklemmendem Morast. Verfangen in den Gespinsten des Fluches, schlug sie um sich, wehrte sich gegen die klebrigen Fäden, die sie fest hielten. Je heftiger sie sich zu befreien versuchte, desto schlimmer verstrickte sich

wunderschöne Einfälle.
Was ich vielleicht noch abändern würde

Ramona ließ es sich mit sich geschehen

Ramona ließ es mit sich geschehen

Ihr Kopf wankte im Rausch, Lichter verschwammen, vermengten sich in undeutlichen Farbenspielen.

ließt sich so besser

Ihr Kopf wankte im Rausch, Lichter verschwammen, vermengten sich in undeutlichen Farbspielen.


Zum Schluss kommend das Versteckspiel mit dem täuschendem Ende.

Ich habe deine, bis zum Schluss spannende Geschichte, sehr gerne gelesen.

Vielen Dank und einen schönen Abend

Morpheus

 

Lieber Morpheus,

danke fürs Lesen und Deinen Kommentar. Fruet mich, daß Dir die Geschichte gefallen hat. Danke auch für die Anregungen (das doppelte Sich hab ich wieder mal überlesen)

Bezüglich des Farbenspiels muß ich nochmals nachschlagen, bin mir total unsicher jetzt.

gute Nacht

Echnaton

 

Hallo Echnaton,

das Düstere und die Selbstaufgabe der Frau haben eine gewisse Faszination, weil man sich nach ihren Motiven fragt. Aber schon zu beginn bereitest Du den Leser darauf vor, dass es sich um Unerklärliches handelt.
Der Wechsel zwischen ihren Reaktionen und den Handlungen von Dimitri ergeben ein gutes Wechselspiel.
Bei. „Menschenleer war die Gasse, schaurig die Stille“ dachte ich einen Moment, die Geschichte wird ironisch.
Der Schluß mit dem Arzt ist mir zu einfach, es wird zu oft bei solchen schriftstellerischen Gelegenheiten auf Träume, Krankenanstalt etc. zurückgegriffen.

Tschüß… Woltochinon

 

Lieber Wolto,

danke fürs Lesen und Deinen Kommentar. Vielleicht hätte ich Ramona als Obdachlose, Verkommene am Schluß darstellen sollen, oder gar als Wahnissnige, die verloren durch die Großstadt irrt, was ich in Betracht gezogen hatte. Allerdings wollte ich ihr das nicht antun, deshalb das rettende Krankenhaus.

danke nochmals

Echnaton

 

Hallo Echnaton,

stimmt, das Krankenhaus rettet sie. Dies ist auch angenehm beruhigend für den Leser, nach all´ den Obsessionen.
Und Du bist sicher, dass der Arzt nicht Dimitri heißt?

LG,

tschüß... Woltochinon

 

Und Du bist sicher, dass der Arzt nicht Dimitri heißt?

Also das ist ausgeschlossen. Dimitri zerstört sie, erst ein Arzt (irgendeiner in irgendeinem Spital) kann sie retten, auch der Arzt als Metapher für Erretung aus dunklesten Tiefen.

 

Hallo Echnaton,

war auch eher scherzhaft gemeint...

LG,

tschüß... Woltochinon

 

Hallo Echnaton!

Vor allem die ersten Absätze, das Spiel Dimitries mit Ramona ist sehr ansprechend, mitreißend geschrieben. Diese Slebstaufgabe und -demütigungen, das shcmierige Verhalten, Du zeichnest ein stimmiges und ein prägsames Bild. Wolto hat schon Recht, der Schluss mit Arzt, Krankenhaus etc ist villeicht etwas verbraucht. Aber für mein Empfinden passt er dennoch sehr gut.
Fehler hab ich keine mehr gefunden...

schöne Grüße
Anne

 

Liebe Maus,

danke fürs Lesen und den Kommentar. Wie gesagt, ich hätte es nicht ertragen, die Protagonistin nicht errettet zu sehen.

danke nochmals und liebe Grüße

Echna

 

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