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Abgesandter des Teufels
Pit Käfer war an diesem Abend sehr müde, doch dazu hatte er auch allen Grund. Zwölf Stunden lang war er an diesem Tag in der Briefmarkenfabrik gewesen und hatte die Zacken in die Postware geschnitten. Nun fühlte er sich recht schlapp. So vermied er das abendliche Gespräch mit seiner Frau beim Abendessen, zumal diese sowieso nur erbärmlich zu kochen vermochte und schon bei Suppen Probleme mit der Öffnung der Konservendose bekam. Herr Käfer eilte also schnurstracks in Richtung Schlafzimmer, welches er für sich alleine beansprucht hatte, nachdem seine Frau immer heimatliches Liedergut im Schlaf sang, und legte sich ohne jegliche Hygienemaßnahmen ins Bett. Das offene Fenster sah er nicht mehr.
Es mochten wohl zehn Minuten vergangen sein, der Mann schlief seelenruhig in seinem Bett, als ein kleines Insekt in den Raum flog, angelockt vom Schweißgeruch des Käfers. Mücke war ihr Name, klein, laut, blutgeil die dazugehörigen Attribute. Kaum drehte das Tierchen ihre ersten Aufklärungsrunden, als sie auch schon prompt auf Herrn Käfers Bauch landete und die Tankschläuche anzulegen versuchte. Trotz seines tiefen Schlafes schreckte der Mann auf und hielt schlaftrunken nach dem Täter Ausschau. Diese Biest, schrie er, sollen die doch meine Alte stechen, dann kommt die vielleicht mal von ihrem Fett weg. Kaum hatte Herr Käfer dies gesagt, sank er auch schon wieder in tiefen Schlaf.
Verdammt, der Traum mit der leicht bekleideten Blondine mußte sich doch wieder abrufen lassen. Doch nicht in dieser Nacht, statt dessen war es die Mücke, die sich wieder abrufen ließ und zum zweiten Sturzflug ansetzte. Schläuche, raus, saugen und.....oh, das war knapp. Käfers Hand hätte das Tierchen bald erwischt. Grimmig suchte er die Dunkelheit ab.
Na warte Mücke, sagte er, wenn ich dich erwische, dann kannst du dir schon mal deinen Grabstein aussuchen, wo ist sie denn jetzt? Tja, welch Unachtsamkeit des Herrn Käfers. Die Mücke saß auf seiner Nase an der Sektbar und ließ sich den feinen Tropfen gut schmecken. Der Schlag des Gequälten verfehlte sein Ziel recht deutlich, statt dessen lag die Nachttischlampe zerbrochen auf dem Boden.
Grrrrr, da muß ich wohl andere Seiten aufziehen, vergiss nicht, ich bin Mitarbeiter bei der Post. Herr Käfer meinte ein Lachen zu hören. Mücken können nicht lachen, basta! Au, was war das, wer sitzt da an meinem Ohr und bedient sich? Der folgende Schlag ließ eine vernarbte Wunde an den Lauschern wieder aufplatzen, die er sich bei einem Boxkampf mit Mike Tyson zugezogen hatte. Extrem angespannt suchte er nach einem Taschentuch. Kaum hielt er eines in den Händen, als sich folgendes zutrug.
Die Mücke landete vor seinen Augen auf dem Tisch und schien abgelenkt zu sein. Was sollte Herr Käfer jetzt tun? Die Blutungen an seinem Ohr stillen oder diesem Quälgeist den Garaus machen. Er entschied sich für zweites. Doch die Mücke hob wieder ab und verschwand. Da fiel dem Mann ein, daß er ja noch ein altes Fernglas im Nachtschränkchen liegen hatte, ein rascher Griff und er saß wie ein Jäger im Hochsitz auf seinem Bett und schaute nach der schlimmsten Bedrohung seit den Frauen im Straßenverkehr Ausschau (Seine Meinung!!!). Weit, weit im Westen flog die Mücke, fast spöttisch flog sie über seine Schmuddelblättchen, welche auf dem Tisch lagen.
So, nun reicht es, dachte Herr Käfer. Sprach es und holte eine Fliegenklatsche. Mit raschen Schritten begab er sich zur Mücke und schlug zu, immer wieder, ohne Gnade, mit der Absicht den Leib der Mücke zu zerdrücken, ihr sämtliche Innereien zu zerquetschen, ihr armseliges Leben zu beenden und eine weinende Witwe zu hinterlassen. Was schließlich übrigblieb, war ein verzweifelter Herr Käfer, der weder Mückenleib noch sein gezapftes Blut erblicken konnte. Da mußte etwas schief gelaufen sein. Just in diesem Moment zischte die Mücke an seinem Ohr vorbei, so daß er sich erschreckt zurückwarf und den guten Eichenholzsekretär mit ins Verderben riß. Mühsam rappelte er sich aus den Trümmern auf und beschloß andere Seiten aufzuziehen. Irgendwo weit hinten im Schrank fand er eines dieser giftigen Pflanzenschutzmittel.
Was gegen Unkraut hilft, kann auch für Insekten nicht schlecht sein!ih Auf Zehenspitzen schlich er sich an das erspähte Tier heran und sprühte, was das Zeug hielt. Doch am Ende blieb nur wieder die bittere Erkenntnis: Die gute Yuka-Palme war hin, aber die Mücke weilte noch immer unter den Lebenden. Zudem roch dieses Spray verdammt übel. An Schlaf war jetzt schon gar nicht mehr zu denken.
Wie spät ist es überhaupt? Was schon halb eins! Herr Käfer brütete über einer neuen Taktik, die endlich einen Schlußstrich ziehen sollte. So holte er nach kurzer Zeit eine alte Decke aus dem Schrank und hielt erneut nach dem Mistvieh Ausschau. Gemütlich saß es auf dem Fensterbank vor dem Fenster und schaute sich den Sternenhimmel an. Auch Mücken haben sentimentale Augenblicke! Der Mann lief noch einige Schritte und sprang dann mitsamt der Decke auf die Mücke. Es schien geklappt zu haben, war es doch endlich angenehm ruhig. Doch oh weh, die Glieder des Mannes waren auch nicht mehr die jüngsten. Beim Sprung hatte er sich die Kniescheiben ausgerenkt und der Rücken zwickte fürchterlich. Aber die Mücke lag begraben unter der Decke, der Arzt würde den Rest schon wieder richten.
Erleichtert humpelte Herr Käfer ins Bett und versuchte zu schlafen. Doch der Leser kann sich schon denken, daß dies sicher nicht von Erfolg gekrönt war. Mit der Lautstärke eines Preßlufthammers rauschte schon bald wieder die lustige Mücke herbei. Welch Vorteil ist es doch, wenn die Decke vorher schon vom Freund Motte zerlöchert worden war. Im Insektenreich wäscht eben eine Hand die andere. Dafür richtete die Mücke die Besitzer des Hauses so zu, daß sie überhaupt nicht mehr an Kleiderschränke denken konnten. Es war recht stürmisch, als Herr Käfer wieder aus dem Schlaf hochschoß.
So, jetzt ist aber das Maß voll, schrie er, noch bin ich hier der Herr im Haus! Schon ward wieder ein neuer Plan ausgeheckt, doch was sahen seine Augen da: Die Mücke saß ohne Regung auf seiner Bettdecke, da mußte doch jetzt etwas zu holen sein. Mit vorsichtigen Bewegungen nahm er die leere Blumenvase, die neben ihm stand und bewegte sie auf das Tier zu. Es schien als gelänge es diesmal, gefährlich schwebte das Damoklesschwert über dem kleinen Störenfried, doch kurz vorm Aufsetzen der Vase erwachte die Mücke und flog auf und davon. Wütend schmiß Herr Käfer die Blumenvase hinterher, doch welch großes Pech, sie fand nur die Fensterscheibe, die darauf in tausend Stücke zerfiel. Es schien wie verhext zu sein, vielleicht wegen seiner Frau? Immerhin hatte sie einen alten Besen und rote Haare. Der Mann sah nur noch eine Chance. Schweren Herzens kniete er sich auf den Boden und begann zu flehen:
Liebe Mücke, du Abgesandter des Teufels, es ist jetzt kurz vor zwei, Morgen muß ich wieder früh raus aus den Federn. Wegen dir haben meine Nachttischlampe, mein Ohr, mein Sekretär, meine Kniescheibe, mein Rücken und meine Fensterscheiben deutlich Schaden genommen. Fändest du es jetzt nicht gerecht, mich in Ruhe zu lassen und mir wenigstens noch etwas Schlaf zu gönnen? Blut hast du doch jetzt wohl genug. Bitte, bitte, bitte!!! Doch die Mücke blieb weiter dort sitzen, wo sie schon eine Weile gesessen hatte: Auf dem Teppichboden vor der Tür. Von Gnade keine Spur.
Da ging die Tür auf, Frau Käfer trat hinein, zerquetschte die Mücke unter ihren Plüschpantoffeln und sprach: Pit, was machst du denn für einen Lärm? Als dieser sah, was geschehen war, konnte er unter Tränen nur eines sagen: Danke, du bist die beste Ehefrau der Welt, schlaf doch ruhig wieder bei mir im Bett. Frau Käfer schüttelte den Kopf, legte sich aber dann doch zu ihm und schmiegte sich in seine Arme.
Niemand sah, wie sich auf dem Teppichboden etwas zu bewegen begann, die Flügel wieder aufrichtete und sich leise in die Lüfte erhob.....