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Abgefahren, Deutsche Bahn foltert Mann
Verdammt, warum muss ich denn immer in der Bahn einpennen?
Jetzt ist der Schaffner gleich da, schnell Mattias, denk nach, dir muss irgendwas einfallen.
Mist, in Eile funktioniert mein Hirn nicht. Und schon steht er vor mir. Warum müssen diese Plagen denn schon in der Früh rumlaufen? Er wiederholt sich: „Fahrkarte bitte“, so eine verdammte Nervensäge.
Langsam werde ich panisch, schließlich gebe ich auf und zeige ihm das Ticket. Als der Störenfried endlich weg ist, pack ich mir meine To-Do-Liste und streiche Arzttermin, Einkaufen und Kochen vom Zettel und schreibe stattdessen “einen Guten „hab-keine-Fahrkarte“-Gag erfinden”. Prioritäten müssen einfach sein.
Ja, ich habe ein sehr spezielles Verhältnis zu dem Verkehrsmittel, mit dem wir wohl alle spätestens im Berufsleben konfrontiert werden. Viele von uns, mich eingeschlossen, müssen uns tagtäglich auf die Deutsche Bahn verlassen und werden dann von ihr im Regen stehen gelassen. Als Bühnenautor und Pendler bin ich da natürlich besonders geschädigt. Ich liebe es, zu reisen. Jede Reise ist ein Abenteuer, vor allem wenn man mit der Deutschen Bahn fährt. „Eine Zugfahrt, die ist lustig, eine Zugfahrt, die ist schön.“
Wer das geschrieben hat, ist definitiv noch nie mit der Deutschen Bahn gefahren.
Manchmal reicht schon ein Blick auf die Anzeigetafel, um dir den kompletten Tag zu versauen. Aber bei der heutigen Reise hatte die Bahn einen besonders perfiden Plan, um mich zu quälen.
Ich habe an alles gedacht, mein Mp3-Player ist im Ohr, mein Rucksack auf dem Rücken und nach einer halben Stunde sitzt auch meine Frisur. Heute zählt mein Aussehen, später bin ich mit einer hübschen Frau verabredet. Doch am Bahngleis angekommen, geschieht das Unglück. Ein kurzer Augenblick der Unachtsamkeit, zu nah an den Gleisen und ein durchrasender Güterzug verformt das noch nicht ganz trockene Haargel zu einer Frisur, die ich durch einen beherzten Griff in die Steckdose nicht schlimmer hinbekommen hätte. Ich springe auf und ab wie ein hyperaktives Rumpelstilzchen, passend zu meiner neuen Frisur. Die Meisten denken wahrscheinlich, dass es an der genuschelten Durchsage liegt, die verkündet, dass der Zug ca. 35 Minuten Verspätung hat. Gut, dass nur zehn Minuten zwischen meiner Ankunft und meiner Verabredung sind. Aber ich hätte es wissen sollen, ich habe sowieso die Theorie, dass an dem Tag, an dem die Welt untergeht, die Deutsche Bahn zum ersten Mal pünktlich kommt, quasi als Verkünder der Apokalypse.
Um die lange Wartezeit zu überbrücken, laufe ich zum nahegelegenen Bäcker und hole mir das, was ich am dringendsten brauche: KAFFFFFEEEEE.
Durch mein Lebenselixier ein wenig beruhigt, setze ich mich auf die Bank des Gleises und warte. Ich warte und warte, gehe dabei auf und ab und habe das Gefühl, dass schon längst eine halbe Stunde vergangen sein muss, doch es sind leider erst 10 Minuten und seit dem Kaffee holen sogar erst 5 Minuten. Hab ich schon erwähnt, dass ich ziemlich ungeduldig bin? Zum Glück wartet mein Date auf mich. Die Frage ist nur wie lange noch? Wer weiß schon, wie lange mich die Bahn heute foltern will?
Aber dann kam der Zug doch noch. Es ist ein sehr religiöser Moment, denn es ist, als wäre gerade ein Wunder geschehen, das man sich nicht erklären kann und an das man nicht glaubt. Für einen kurzen Moment muss ich sogar mit Freudentränen kämpfen.
Meine Freude hält leider nicht lange an, denn am nächsten Bahnhof setzt sich der wohl schweißigste Mensch der Welt neben mich. Mein Geruchsorgan droht mir mit Selbstmord, also stehe ich auf und setze mich woanders hin. Ich glaube, er nimmt es mir übel, weil ich es mit zugehaltener Nase tue. Es ist leider nur noch ein freier Platz übrig und das genau hinter zwei älteren Damen, die sich angeregt über ihre OP’s und Krankheiten unterhalten, einer Hardcore-Geschichte folgt eine noch schlimmere. Kein Film kann so brutal und blutig sein wie diese Geschichten; es wäre eine Inspiration für jeden Metzelfilm-Drehbuchautoren. Ich drehe also den Lautsprecher meines Mp3-Players voll auf, doch gegen den Wortschwall der älteren Damen kommt die Musik nicht an.
Nach einiger Zeit spüre ich, dass der Kaffee seinen Sold verlangt. Ich bin also gezwungen, die Zugtoilette aufzusuchen. So lange habe ich es vermieden, diesen furchtbaren Ort aufsuchen zu müssen, aber heute habe ich keine Wahl. Das Erste was mir auffällt, ist das Schild: „Bitte verlassen Sie die Toiletten, wie Sie sie vorfinden wollen“. So viel Humor hätte ich der Deutschen Bahn gar nicht zugetraut.
Wenn ich das Klo so verlassen würde, wie ich es gerne vorfinden würde, müsste ich mir selbst ein Klo mitbringen. Nachdem ich der Natur ihren Lauf gelassen habe, gehe ich zum Waschbecken, doch statt richtiger Seife gibt es dort bloß diese Parmesanreibe für Arme, die ihren Anwendern Seifenbrösel entgegen spuckt. Kaum habe ich dieses Zeug eingerieben und will es wieder abspülen, bleibt der Zug stehen und eine Durchsage ertönt: “Dieser Zug hat 15 Minuten Aufenthalt.” Wer schon mal auf so einem WC war, der weiß, es kommt kein Wasser, solange der Zug nicht fährt.
Also muss ich 15 min auf dem Klo ausharren und das nachdem es heute wahrscheinlich schon bereits über 50 Leute benutzt haben. Als ich endlich mit gewaschenen Händen das Klo verlassen kann, hatte ich ein leichtes Trauma mehr und dafür einen Sitzplatz weniger.
Bald ertönt die Durchsage, dass der Zug angehalten wird, weil es auf der Strecke zu Buschbränden kommt. Will die Bahn mich jetzt komplett verarschen? Ein brennender Busch? Was kommt als nächstes? Zugausfall wegen Heuschreckenschwärmen oder Froschregen? Das ist Bullshit biblischen Ausmaßes!
Die restliche Zugfahrt verbrachte ich stehend, aber irgendwann ist jede Reise zu Ende. Auch meine. Als ich endlich den Münchner Hauptbahnhof erreicht hatte, ging mir noch ein Gedanke durch den Kopf: “Verdammt! Ich muss ja heute Nacht auf gleichem Wege wieder zurück – das kann ja was werden.” Doch mein ganzer Ärger war schnell vergessen, als ich bemerkte, dass die Frau mit der ich heute das erste Date hatte, tatsächlich noch auf mich wartete. Zwei Jahre später, als wir längst verlobt waren hielt sie mir diese Verspätung immer noch vor. Vielen Dank Deutsche Bahn.