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18.08.2024
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Die drei Portionen auf dem Tisch könnten von außen so aussehen, als würde gleich eine Familie zusammen essen aber hinter dem dritten Teller voller Bratkartoffeln verbirgt sich - nichts (mehr). Der Ehemann und ich gucken uns an. Mein Fehler. Da habe ich wohl, ohne nachzudenken, ihr Lieblingsgericht gekocht, nämlich Bratkartoffeln ohne Speck, wobei, eigentlich habe ich viel nachgedacht, auch über sie, bloß nicht über das Essen oder eher die Anzahl der Kartoffeln, die ich gekocht habe. Der Ehemann und ich schauen uns kurz an, weil da drei Portionen auf dem Tisch stehen, aber wir nur noch zwei Personen sind. Da ist also ein Essen zu viel auf dem Tisch, ein Tisch, der mal für eine Familie gedacht war, aber jetzt sitzen nur wir beide daran, und ich fange an zu weinen, weine wie eine Mutter, die ihr Kind verloren hat, und der Ehemann stimmt mit ein und weint wie ein Vater, der seine Tochter verloren hat. Wir weinen noch eine Weile weiter, um die Tochter, die wir verloren haben, die wir nicht kannten aber irgendwie schon, wir hatten uns sogar schon fast auf einen Namen geeinigt und den (seinen) Träumen einer Familie weinen wir auch hinterher.
Am Anfang haben wir versucht, uns zu trösten, es aber dann auch sein lassen. Wir haben uns die Trauer nicht verdient aber wir werden sie akzeptieren und weitermachen. Deshalb fangen wir an, immer noch unter Tränen, den ersten Bissen zu nehmen. Das Essen ist versalzt, das weiß ich, aber der Ehemann sagt nichts dazu und dafür bin ich ihm dankbar. Ihre Portion habe ich danach in den Kühlschrank gepackt, wir werden es zwar nicht essen können, aber es einfach wegzuschmeißen, wäre einfach zu viel, OK?

Den Ehemann habe ich im Rausch kennengelernt. Um genauer zu sein, kann ich mich nicht mehr an unsere erste Begegnung erinnern, sondern erst an den Moment, als ich nackt neben ihm mit einem Kater aufwachte. Darauf war ich mal wieder nicht stolz, aber an die Situation war ich gewöhnt. Woran ich nicht gewöhnt war, war das fehlende Kondom, das ich nirgendwo finden konnte. Der jetzige Ehemann konnte es auch nicht finden, aber alles war gut, weil ich ja, wie VERANTWORTUNGSVOLL ich bin, die Pille nehme. Nun gut, kein Kondom? Kein Problem, ich hatte ja vorgesorgt. Es wurde dann leider doch zum Thema, als ich fünf Wochen später bei einem Date, jemand anderes als der Ehemann, mich übergeben musste. Damals hatte ich sogar ein Kondom dabei.

Meine Eltern waren fast SUPPORTIVE. Ich freue mich schon auf mein Enkelkind, hatte Mama gesagt. Wenigstens eine, die positiv war. Papa hatte kaum etwas gesagt, uns eher dazu gezwungen, zu heiraten. Er würde keinen BASTARD akzeptieren oder, was eigentlich wichtiger war, finanziell unterstützen. Der (fast) Ehemann hatte nichts dagegen, er war Musiker und wartete auf seinen Durchbruch, der garantiert mit dem nächsten Gig in der Kneipe kam, aber um auf Nummer sicher zu gehen, war die finanzielle Unterstützung von Papa wichtig. Die Hochzeit, bezahlt von Papa, war klein, aber trotzdem fast so, wie ich es mir als kleines Mädchen vorgestellt hatte. Halt ohne all meine Freunde oder den Sonnenuntergang an einem Strand in Bali oder meinen TRAUMPRINZEN. Dafür war das Hochzeitskleid genau das, was ich mir schon immer gewünscht hatte. Ja, die Hochzeit war beschissen, aber das Babybuch, das mir Mama gekauft hatte, meinte, dass man immer positiv denken soll, weil das Kind im Bauch spürt, wenn die Mama gestresst ist und weil ich eine gute Mama sein wollte, dachte ich positiv. Ich dachte nicht nur positiv, sondern ernährte mich auch positiv und gesund, viel Obst, viel Gemüse, wenig Alkohol, keine Drogen und viele Bratkartoffeln, weil das das Kind mag. Das weiß ich, weil ich ja eine gute Mama war und so etwas spürte.

Das Kind hat sich dann im siebten Monat von uns verabschiedet. Vielleicht hat es meine wirklichen Gedanken gespürt, dass ich den Ehemann überhaupt nicht leiden konnte, oder den Stress um meine eigene Zukunft, weil ich ja meine Ausbildung zur Buchhändlerin abbrechen musste, oder die UNTERDRÜCKTEN Tränen von der (scheiß) Hochzeit, die sich die ganze Zeit angestaut hatten. Vielleicht ist es ja daran ertrunken? Oder an den Gläsern Wein, die ich heimlich abends alleine und unter dem Schnarchen des Ehemanns getrunken habe. Vielleicht wollte es mir einfach einen Gefallen tun und mich aus der Situation befreien. Wer weiß? Ich auf jeden Fall nicht, und ich will es, glaube ich, auch nicht wissen. Was ich aber weiß, ist, dass ich ab sofort keine drei Portionen mehr kochen muss, sondern nur noch eine.

 

Hi @Elster Schüttelfell,

ich finde den Text vom Ton und Inhalt her im Kern gelungen, aber doch nicht ganz rund.
Am Anfang sieht es für mich so aus, als würden beide gemeinsam trauern, also als Gemeinschaft, nicht jeder für sich. Im zweiten Absatz lässt du die Gemeinschaft ziemlich hart platzen. Das ist nicht grundsätzlich undenkbar, aber dadurch wird die Sache für mich oberflächlicher. Kann auch seinen Reiz haben, für mich schwächt das aber die Wirkung.
Auch finde ich es im Zusammenhang nicht ganz stimmig: Das Kind wäre, wenn es Bratkartoffeln isst, wohl schon ein paar Jahre alt. Dann hat die Beziehung also ein paar Jahre gehalten (egal ob sie sich mögen oder nicht) und jetzt hält sie plötzlich nicht mehr? Da fehlt mir letztlich der Anlass. Was hat der Ehemann denn im konkreten Fall falsch gemacht?
Oder sie imaginieren einfach ein Alter, kann zwar sein, mir gefiele aber die Vorstellung besser, dass sie das imaginäre Kind über die Jahre altersgerecht aufziehen. Eher noch schräger wahrscheinlich, hat aus meiner Sicht aber was für sich.

Dann auch: Die Bratkartoffeln als Trigger. Hat mich erst nicht gestört, aber jetzt fällt mir auf: Sie stellen ja sowieso einen dritten Teller hin. Die plötzliche Assoziation an die Tochter ist da doch eigentlich nicht glaubwürdig, oder? Oder doch? Weiß nicht so recht, könnte aber zumindest ein Problem sein.

Und dann ein leicht veränderbarer Punkt, der eher nicht passt: Der siebte Monat klingt für mich zu spät. Nicht, dass man da kein Kind verlieren könnte, aber wäre dann schon eine größere Sache, als es hier durchscheint.

Klingt jetzt insgesamt eher kritisch, da sag ich mal dazu, dass ich den Text schon länger kommentieren wollte, weil ich ihn an sich gut finde. Ich könnte auch einzelne Stellen rausgreifen, die ich gut fand und sagen, warum, aber ganz generell halte ich meinen Einsatz bei Leuten, die hier neu sind, erst mal zurück, weil es zu oft vorkommt, dass jemand einmal einen Text einstellt und dann nie wieder was von sich hören lässt. Keine Ahnung, ob das bei dir der Fall sein wird, aber das ist ja nun auch der Punkt, dass ich es halt nicht weiß. Den Austausch ausweiten kann man dann immer noch :)

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Ich kenn keine Statistiken darüber, aber „Zwangsehen“ – so fürchte ich – können nur gelegentlich zwischen Himmel und Hölle enden, und Totgeburten lassen sich immer noch nicht vermeiden,

liebe @Elster Schüttelfell,

und der von Dear gewählte (Vor-)Name – Du weißt um den Ruf der „Elster“ und der Ablage in fremden Nestern?, dass inzwischen die Steuerbehörde ihr elektronisches System ELSTER abkürzt hat ja auch was schräges -, aber ich schweife ab und werde mich auf das Sprachliche beschränken, denn Dein Debut hierorts lässt eher auf eine Tragödie denn leichtfüßiges Komödie schließen – aber dass dergleichen vorkommen kann und wird, werd ich nicht bezweifeln.

Bisken Fehlerlese

Die drei Portionen auf dem Tisch könnten von außen so aussehen, als würde gleich eine Familie zusammen essenKOMMA aber hinter dem dritten Teller voller Bratkartoffeln verbirgt sich - nichts (mehr).
Aber warum wählstu zunächst den Konjunktiv II (konkret: „irrealis“) „könnten … so aussehen“), wenn der Indikativ von „würden“ den gleichen Effekt hat – etwas wird eintreten oder eben nicht ...

Hier

Da habe ich wohl, ohne nachzudenken, ihr Lieblingsgericht gekocht, nämlich …
gehören keine Kommas vor und nach der Negierung, -
selbst wenn Du beim (Vor-)Lesen eine Atempause einschlägst.
Ich kenn das Problem vor allem bei Theaterleuten und dabei hat unsere Sprache eine ganze Gallerie von „bremsenden“ Strichen, in die sogar die Geometrie eingreift zB als Halbgeviertstrich und ähnlichem grafischen Minimalismus.

Bratkartoffeln ohne Speck, wobei, eigentlich habe ich viel nachgedacht, auch über sie, bloß nicht …
und „uneigentlich“?
Ist denken nicht immer des Denkenden „eigen“ und wird erst durch den Sprechakt „öffentlich“?

Wir weinen noch eine Weile weiter, um die Tochter, die wir verloren haben, die wir nicht kanntenKOMMA aber irgendwie schon, wir hatten uns sogar schon fast auf einen Namen geeinigt und ….

Hier

Am Anfang haben wir versucht, uns zu trösten, es aber dann auch sein lassen.
ist nun das Komma entbehrlich, denn es zerschlägt das komplexe Prädikat „zu trösten versuchen“

Wir haben uns die Trauer nicht verdientKOMMA aber wir werden sie akzeptieren und weitermachen.

..., aber es einfach wegzuschmeißen, wäre einfach zu viel, OK?
Das ist ja schon lange nicht mehr geschehn, dass der „OkayKorall“ aufgeführt wird, jener Ort, an dem Marshall Wyatt Earp samt seiner nähreren Verwandtschaft die Dalton-Brüder niedermachte … - ...
aber im Deutschen tritt die absurde Wirkung durch Abkürzungspunkte „o. k.“ oder „O. K.“, dass die vermeindliche Abkürzung grammatisch korrekt länger ist, als das Mutterwort „okay“ (vier Buchstaben), Abk. ob o. k. oder O. K. - zwo Buchstaben, zwo Punkte und ein Leerzeichen zwischen dem ersten Punkt und dem zwoten k ...

Papa hatte kaum etwas gesagt, uns eher dazu gezwungen, zu heiraten.
Das zwote Komma: Weg!,
„zu heiraten zwingen“ ist ein zusmmenhängendes Prädikat ...

und damit welcome 2 the pleasuredome …

Elster Schüttelfell,

bekanntermaßen ist noch kein/e Meister/in vom Himmel gefallen -

was htte sie/er auch davon außer des gebrochenen Genicks?

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Elster Schüttelfell,

ich hatte Schwierigkeiten, in die Geschichte hinein zu finden.

Da habe ich wohl, ohne nachzudenken, ihr Lieblingsgericht gekocht, nämlich Bratkartoffeln ohne Speck, wobei, eigentlich habe ich viel nachgedacht, auch über sie, bloß nicht über das Essen oder eher die Anzahl der Kartoffeln, die ich gekocht habe.
Den Satz finde ich zu konfus. Ich kann mir richtig gut vorstellen, dass die Prot es genau so erzählen würde in einem persönlichen Kontakt, in einer Geschichte mag ich aber andere darstellerische Mittel lieber als "es einfach laufen zu lassen". Das zieht sich durch die ganze Geschichte und lässt sie etwas gehetzt und fahrig wirken.
Es gibt zwar den Bewusstseinsstrom im Erzählen, aber darum handelt es sich hier ja nicht.
aber jetzt sitzen nur wir beide daran, und ich fange an zu weinen, weine wie eine Mutter, die ihr Kind verloren hat, und der Ehemann stimmt mit ein und weint wie ein Vater, der seine Tochter verloren hat.
Einer der schönsten Sätze!

Gerade im Anfang werden viele Details doppelt und dreifach erzählt:

Die drei Portionen auf dem Tisch könnten von außen so aussehen, als würde gleich eine Familie zusammen essen aber hinter dem dritten Teller voller Bratkartoffeln verbirgt sich - nichts (mehr). Der Ehemann und ich gucken uns an. Mein Fehler. Da habe ich wohl, ohne nachzudenken, ihr Lieblingsgericht gekocht, nämlich Bratkartoffeln ohne Speck, wobei, eigentlich habe ich viel nachgedacht, auch über sie, bloß nicht über das Essen oder eher die Anzahl der Kartoffeln, die ich gekocht habe. Der Ehemann und ich schauen uns kurz an, weil da drei Portionen auf dem Tisch stehen, aber wir nur noch zwei Personen sind. Da ist also ein Essen zu viel auf dem Tisch, ein Tisch, der mal für eine Familie gedacht war, aber jetzt sitzen nur wir beide daran, und ich fange an zu weinen
Ich hoffe, das verdeutlicht ein bisschen, was ich meine. Das hat der Leser bereits nach dem ersten Satz verstanden.
Am Anfang haben wir versucht, uns zu trösten, es aber dann auch sein lassen. Wir haben uns die Trauer nicht verdient aber wir werden sie akzeptieren und weitermachen.
Das lässt mich ein bisschen ratlos zurück. Wie es zu der Einstellung kommt, man müsse sich Trauer irgendwie verdient haben, geht aus der Geschichte nicht hervor.

gut, weil ich ja, wie VERANTWORTUNGSVOLL ich bin, die Pille nehme. Nun gut, kein Kondom? Kein Problem, ich hatte ja vorgesorgt. Es wurde dann leider doch zum Thema, als ich fünf Wochen später bei einem Date, jemand anderes als der Ehemann, mich übergeben musste. Damals hatte ich sogar ein Kondom dabei.
Sprachlich finde ich das sehr salopp abgehandelt,
Ich glaube, das hätte auch ohne Großbuchstaben gewirkt. Das wäre z.B. eine Situation, die du ein wenig hättest bebildern können. Außer dem Bratkartoffelessen ganz am Anfang hast du wenig näher dargestellt, das hätte einem Leser die Geschichte schon näher bringen können.
Als aufbereitete Geschichte hätte ich sie wahrscheinlich interessanter gefunden als in der Form der strukturellen und sprachlichen Ungefiltertheit in wohl der ersten Zeit nach so einem Verlust.
Vielleicht kannst du sie dir ja nochmal vornehmen.

Viele Grüße von
Helen

 

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