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Aber lebt er denn schlechter?

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21.03.2003
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Aber lebt er denn schlechter?

"So lange er Schüler war und zu Hause wohnte, hatte er sie überwunden, Morgen für Morgen. Gehabt hatte er sie schon damals, nur wollte er sich nichts anmerken lassen. Einmal hatte er sich am Frühstückstisch offenbart. Seine Brüder lachten ihn aus und seine Mutter tat, als hätte sie ein behindertes Kind, fühlte sich überfordert vor dem, was ihrer Meinung nach nun anstünde: Die vielen Arztbesuche, Aufenthalte in Landeskrankenhäusern, alle die Peinlichkeiten vor den Nachbarn, das Getratsche im Dorf. Denn so was hatte es in ihrer Familie noch nicht gegeben. Dabei hatte er nur zum Ausdruck gebacht, dass er Angst habe aus dem Haus zu gehen, Angst habe auf unbekannte Menschen oder solchen Menschen zu treffen, denen an Verhalten ihm gegenüber allerhand zuzutrauen war. Und solche Menschen gab s an der Bushaltestelle, im Schulbus und vor allem an seiner Schule en masse. Seine Mutter verstand das nicht, vor allem deshalb nicht, weil er ihre Frage, was ihm denn so Schlimmes in der Schule passiert sei, antworten musste, „Bislang noch nichts, aber es wird.“. Aber selbst die Nachfrage, was denn um Himmels Willen passieren sollte, konnte er nicht beantworten. Er habe einfach Angst. Die Unternehmung, seiner Mutter den Unterschied zwischen Angst und Furcht auseinanderzusetzen, schlug nicht nur fehl, sondern machte seine Mutter derartig rasend, dass sie ihm eine Ohrfeige verpasste und zum Himmel schauend sprach, „Womit habe ich das verdient, so viel Kummer mit diesem Jungen zu haben.“, während seine Brüder umherstanden und Gespensterlaute von sich gaben und sich benahmen, als wären sie Räuber so in der Art wie es kleine Kinder und Erwachsene gelegentlich vor Kindern tun. Er fand das alles so peinlich, besonders, dass seine Mutter ihn als behindert bezeichnet hatte, dass er Zuhause nie wieder darüber sprach.

Am meisten half ihm sein Vater, der sich um die Kindeserziehung ansonsten eigentlich gar nicht kümmerte. Er kam am Abend nach dem besagten Morgen in sein Zimmer und sagte zu seinem Sohn, dass das mit der Angst völlig normal sei, manche Menschen haben sie eben, wo andere sie nicht spürten. Man müsse es eben hinnehmen, es hänge eben mit der Inelligenz und Sensibilität eines Menschen zusammen. Er selbst leide auch darunter, habe allerhand versucht, selbst beim Psychologen sei er mal gewesen, aber auch das Darüber-Reden half nicht. Am Ende habe er Medikamente bekommen und nehme sie noch heute. Seiner Mutter habe er nie was davon erzählt, da er wisse, dass sie ihn dann nicht mehr lieben könne. Man habe einfach keine Wahl, als im Alltag zu tun, was man zu tun hat und die Angst einfach hinzunehmen und zu durchleben. Man kann sie durchleben, sprach er seinem Sohn Mut zu, auf jeden Fall solle er es aber vorerst ohne Medikamente versuchen, die hätten Nebenwirkungen und man wäre dann dauerhaft darauf angewiesen.

Später betrachtete er diese Worte seines Vaters kritischer, damals halfen sie ihm. Er war nicht allein mit seinem Problem und es war normal und es gab medikamentöse Hilfe. Diese drei Informationen trugen zu seinem Seelenheil bei. Und in der Tat schaffte er es ohne Medikamente. Dieser Umstand ist darauf zurückzuführen, dass er seinen Vater für ganz in Ordnung, aber eben auch für ein Weichei hielt; und das eben wollte er auf keinen Fall sein. Außerdem fühlte er sich seinem Vater überlegen und wollte es auf jeden Fall zeigen, dass er es ohne Medikamente schaffe, und Psychologen, so war sowieso in seinem Umfeld überall zu vernehmen, seien eh nur etwas für Flaschen und Bekloppte.

Auf diese Weise überstand er seine Schulzeit. Doch nun im Studium war vieles anders. Das Entscheidendste: Er wohnte nicht mehr Zuhause, sondern allein und in einer fremden Stadt. Die Angst allerdings blieb und verschlimmerte sich noch durch die neuen Lebensverhältnisse. Nun aber gab er ihr nach. Mit anderen Worten, er blieb in seiner Wohnung und ging kaum noch außer Haus, nach einiger Zeit gar nicht mehr zur Uni und das Einkaufen ließ er per Kurier erledigen, der das in Auftrag Gegebene vor seiner Wohnungstür ablegte. Das Bankgeschäft erledigte er online."

Diese seine Lebensgeschichte veröffentlichte er als Kurzgeschichte im Internet und ergänzte sein Tagebuch um folgende Erkenntnis; sie sollte die bedeutendste seines Lebens sein:

"So viel zu unser aller Leben. Oder lebt ihr anders? Geht ihr raus und pflückt das Glück aus der Luft? Nein, nein, Scheißer seid ihr wie wir, du wie ich: Angst es könne schlimm werden oder auch nur schlechter, lässt uns feige sein. Wissen, dass Leben nicht dauerhaft gut wird, ließ uns faul werden.

Ach Glück. Glück ist das Gegenteil von Angst, nämlich die Erwartung alles würde ganz wunderbar. Glück ist der Moment davor, der freudige Blick in die Zukunft. Doch dem, der das weiß, ergeht es nicht besser: Empfindungen wie Gedanken lassen sich nicht erzwingen. Ein jeder - und das ist verdammt noch mal das letzte Wort - lebt so gut wie ein anderer. Nur weiß er es nicht. Nicht die Lebensqualität unterscheidet sich, sondern lediglich die Bewertung derselben."

 

Hallo Autorenkollege!

Ich habe einen Buchtipp für Dich: "MARS" von Fritz Zorn. Ein bemerkenswertes Buch, wenn auch deprimierend. Ich entnehme deiner Pointe, dass Deine Geschichte etwas Autobiografisches an sich hat, dann solltest Du Dir unbedingt dieses Buch gönnen.

Ich habe noch ein paar sprachliche Hinweise für Dich: Du verwendest zuviele unnötige Wörter, und auch zu lange Wörter. Versuche immer, einen Satz so zu formulieren, dass er sich "möglichst leicht in das Hirn des Lesers einschleimt": Maximize the message, minimize the effort to read it!

Beispiel - Du schreibst:

Am meisten half ihm sein Vater, der sich um die Kindeserziehung ansonsten eigentlich gar nicht kümmerte. Er kam am Abend nach dem besagten Morgen in sein Zimmer und sagte zu seinem Sohn, dass das mit der Angst völlig normal sei...

Direkter und lebendiger ist:

An diesem Abend kam sein Vater in sein Zimmer, was er sonst nur selten tat. "Deine Angst ist völlig normal...

Dieser Satz enthält dieselben Informationen, hat aber kürzere Wörter und ist anschaulicher. Der Leser wird verstehen, dass der Vater sich weniger um die Kindererziehung kümmert, wenn man sagt, dass der Besuch im Kinderzimmer eine Ausnahme ist. Dass sein Vater ihm mehr hift, geht aus dem folgenden ohnehin hervor, die Vorankündigung nimmt nur Spannung aus dem Handlungsfaden heraus.

Ansonsten: ein schöner Text! Besonders freut es mich, dass Du den Mut hast, über Dinge zu schreiben, die Dich berühren - nichts ist schlimmer, als eine möchtegern-dramatische Story im Jerry-Cotton-Stil.

Gernot

 

Danke für deinen Tipp, werde es mir besorgen. Dein Tipp ist übrigens ausgezeichnet, Gernot.

@ Tagträumer: vermutlich hast auch du recht, die wirkung ist größer und der Text käme nicht so altklug daher,

habe mich sehr gefreut über euer lob

 

Hi Schriftbild,
deine Geschichte macht nachdenklich. Sie hat mir gut gefallen. Aber auch ich denke, du könntest sie durch die Tipps von Gernot lebendiger schreiben. Mir ist aufgefallen, dass deine Sätze oft mit dass angereichert sind. Versuche die Sätze so umzuformulieren, wie Gernot es im Beispiel gezeigt hat, dann wird die KG sicher noch besser zu lesen sein.
Ein paar kleine Fehler sind mir noch aufgefallen, die du aber ohne großen Aufwand ändern kannst:

alle die Peinlichkeiten vor den Nachbarn, das Getratsche im Dorf.

es müsste heißen: all die Peinlichkeiten.

Er fand das alles so peinlich, besonders, dass seine Mutter ihn als behindert bezeichnet hatte, dass er Zuhause nie wieder darüber sprach.

Hier finde ich sind zu viele das/dass in einem Satz.
Vielleicht: Er empfand es alles als peinlich. Besonders hatte ihn die Bemerkung seiner Mutter, er sei behindert, sehr getroffen. Danach verlor er Zuhause nie wieder ein Wort über seine Ängste.
(Nur ein kleines Beispiel, versuche es mit deinen Worten zu formulieren.)

Man müsse es eben hinnehmen, es hänge eben mit der Inelligenz und Sensibilität eines Menschen zusammen. Er selbst leide auch darunter, habe allerhand versucht, selbst beim Psychologen sei er mal gewesen, aber auch das Darüber-Reden half nicht.
Eben wiederholt sich. Laß das erste eben einfach weg.

In diesem Satz würde ich Intelligenz vielleicht auch weglassen, denn ich bin der Meinung, Ängste haben nichts mit Intelligenz zu tun, sie hängen hauptsächlich von der Sensibilität eines Menschen ab. Sonst müsste man daraus schließen, dass intelligente Menschen keine Ängste haben und das stimmt mit Sicherheit nicht.
So, zu guter Letzt noch die Anmerkung: Darüber Reden würde ich in Anführungszeichen setzen.

Ich hoffe, es hilft dir ein wenig. Noch ein Tipp, lese deine Geschichten immer laut vor oder lasse sie dir vorlesen, dann entdeckt man schnell die Wortwiederholungen, die sich leicht einschleichen und auch die zu langen oder komplizierten Sätze hört man gut raus.
glg
carrie

 

Oh carrie,

danke für deine Mühe! Gute Tipps die ihr da ALLE HABT; IHR MEINT ES ECHT GUT MIT MIR; euch alle mal herzen muss :-))

 

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