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Abendtot
Kalle kaute übertrieben lange am letzten Bissen, und dann warf er das Besteck auf seinen Teller und sah hinüber zu Margot, die entsetzlich langsam aß und nebenbei in der Zeitschrift las, die aufgeschlagen neben ihr lag. Beim Scheppern des Bestecks war sie nicht zusammengezuckt, und nun nahm sie sich von den Kartoffeln nach.
„Zum Kotzen“, sagte Kalle.
Margot sah nicht auf.
„Sicher“, sagte sie.
Sie war vertieft in den Artikel und bemerkte nicht, dass ihr Soße vom Messer auf die Tischplatte tropfte. Kalle wollte bis Zehn zählen, dann würde er seine Frau darauf aufmerksam machen. Er schüttelte den Kopf und bekam immer mehr Lust, ihr ordentlich den Marsch zu blasen. Aber bei Neun strich Margot mit dem Finger über den Klecks auf der Tischplatte und leckte die Soße von ihrem Finger ab. Sie blätterte um, aber es war die Doppelseite mit den Kreuzworträtseln am Ende des Heftes, und sie blätterte die letzte Seite um und studierte die Anzeigen auf der Rückseite der Illustrierten. Dann wendete sie das Heft und schlug es wieder auf.
„Zum Kotzen“, sagte Kalle.
„Sicher.“
„So ein Mist. Wie kann man nur diesen Mist lesen, sag mal?“
„Es interessiert mich“, sagte sie und las weiter. „Es gibt nun mal Dinge, die interessieren dich nicht.“
Sie blätterte um, und Kalle erkannte das ganzseitige Foto irgendeiner klunkerbehangenen Adligen wieder, und er wusste genau, Margot hatte diesen Artikel schon gelesen, als die beiden mit dem Abendessen begonnen hatten.
„Zum Kotzen“, sagte er, „dieser Mist.“
Margot kaute und las weiter. Kalle beobachtete sie genau, aber er konnte keinerlei Anzeichen feststellen, ob sie sich ärgerte.
„Wirklich“, sagte er, „zum Kotzen.“
„Sicher.“
Sie nahm sich vom Gemüse nach. Eine Erbse fiel vom Löffel und kullerte beinahe vom Tisch. Dicht am Rand der Tischplatte blieb sie liegen. Kalle sah abwechselnd von Margot zu der Erbse, aber seine Frau aß und las in ihrer Zeitschrift. Er wollte bis Zehn zählen und dann seine Frau darauf aufmerksam machen, und nicht zu knapp; aber bei Fünf ließ ihm die Erbse keine Ruhe mehr.
„Dir ist eine Erbse runter gefallen.“
„Sicher.“
„Willst du sie nicht aufnehmen?“
„Gleich.“
Sie blätterte um und zerdrückte die letzte Kartoffel auf ihrem Teller in der Soße, und dann sah sie nach dem Fleisch. Mit der Fleischgabel rührte sie im Rest Soße in der Schüssel, und sie war dabei so gründlich, dass es Kalle bald auf die Nerven ging.
„Du siehst doch, dass nichts mehr da ist, Menschenskind! Meinst du nicht, dass du sonst längst fündig geworden wärst?“
„Es waren fünf kleine Schnitzel“, sagte sie und suchte weiter, „und du sagtest, mehr als zwei würdest du nicht essen. Auf keinen Fall, sagtest du. Fünf weniger Zwei macht Drei, und ich hatte zwei Schnitzel.“
„Du hattest drei.“
„Ich hatte zwei Schnitzel.“
Sie hörte nicht auf, in der Schüssel zu rühren, und sie würdigte Kalle noch immer keines Blickes.
„Zwei Schnitzel hatte ich. Zwei.“
„Immer weißt du alles besser.“
„Zwei“, sagte Margot, „ich weiß es genau.“
„Ich, ich hatte zwei“, sagte Kalle und verschränkte die Arme über dem Bauch, „und wie du eben so treffend bemerktest: Fünf weniger Zwei macht Drei. Also musst du drei gegessen haben. Es bleibt nichts anderes übrig, meine Liebe, du musst dich damit abfinden.“
Margot ließ die Rührerei sein und aß rasch auf. Auf ihren Wangen zeigte sich endlich eine auffällige Röte und Kalle grinste. Als sie das Besteck auf ihren Teller gelegt hatte, schlug sie die Zeitschrift zu und wollte aufstehen.
Kalle sagte: „Warum behauptest du, ich hätte dir ein Schnitzel weg gegessen? Findest du es fair, deine Fresssucht auf mich abzuwälzen?“
„Du sagtest aber, mehr als zwei würdest du nicht essen. Und ich bin sicher, ich hatte nur zwei, und es ist ja kein Schnitzel mehr in der Schüssel. Und ich hatte Fünf gekauft. Fünf. Wenn du mir nicht glaubst, guck auf den Kassenbon. Ich hab ihn noch in meiner Handtasche. Ich hole ihn, dann kannst du's sehen.“
Sie wollte aufstehen, aber Kalle sagte: „Lass doch den dummen Bon, Menschenskind!“
Margot stellte die Teller ineinander. Sie sagte: „Wir hätten uns das letzte Schnitzel genauso gut teilen können. Gestern sagtest du noch, mehr als Zwei würdest du nicht essen. Auf keinen Fall, sagtest du.“
„Wie kann man nur drei Schnitzel essen ...“
„Es waren kleine Schnitzel, und ich habe nur zwei gegessen.“
„Zwei sind Masse genug. Ich hab den ganzen Tag gearbeitet, und trotzdem reichen mir zwei. Ich bin pappsatt, weißt du. Wie kann man nur drei Schnitzel essen, wenn man nicht mal den ganzen Tag gearbeitet hat ...“
„Ich habe auch gearbeitet.“
„Ach Gott“, meinte Kalle, „bis mittags, ja. Bis mittags hast du gearbeitet, meine Liebe. Du arbeitest halbtags, schon vergessen?“
„Und der Haushalt?“
„Was ist mit dem Haushalt?“
„Anschließend kümmere ich mich immer um den Haushalt.“
„Was gibt es da groß zu kümmern?“
„Du kümmerst dich ja nicht drum.“
„Weil ich den ganzen Tag arbeite.“
„Du meinst, ich würde nichts tun, weil ich nur halbtags arbeiten gehe und mich anschließend um den Haushalt kümmere?“
„Meine Güte“, sagte Kalle, „drei Schnitzel ...“
„Ich habe nur zwei Schnitzel gegessen.“
Margot nahm die Teller und brachte sie zur Spüle. Dann räumte sie die Schüsseln vom Tisch. Kalle saß da und ließ seine Frau nicht aus den Augen, und es freute ihn mächtig, dass ihr die Verstimmung anzumerken war, obwohl sie sich bemühte, sich nichts anmerken zu lassen.
„Findest du nicht“, sagte er, „du solltest allmählich kürzer treten?“
„Kürzer treten?“
„Mit dem Essen, meine ich. Du hast zugelegt. Du hast ganz schön zugelegt, wirklich."
Sie stand an der Spüle mit dem Rücken zu ihm und kratzte in einem der Töpfe herum, und sie widmete sich ihrer Beschäftigung mit verräterischer Hingabe. Kalle grinste noch breiter, und dann reckte er sich und gähnte.
Er sagte: „Reichst du mir meine Zigaretten? Dort auf dem Küchenschrank liegen sie.“
„Ich hab schmutzige Finger.“
„Dann mach sie halt sauber.“
„Warum holst du sie dir nicht selbst?“
„Das könnte ich natürlich tun.“
„Dann tu's.“
„In Ordnung“, sagte Kalle und rührte sich nicht.
Er sah zu, wie Margot den Topf beiseite stellte und heißes Wasser ins Becken laufen ließ.
Er sagte: „Warum stellst du den Krempel nicht einfach in die Geschirrspülmaschine?“
„Warum lässt du mich nicht einfach in Frieden?“
„Warum stellst du's nicht einfach in die Geschirrspülmaschine?“
Das Wasser lief ins Becken und Margot trocknete sich die Hände mit dem Geschirrtuch. Dann kam sie zum Tisch und behielt das Tuch in der Hand. Sie sah lange auf Kalle herab und das Wasser lief. Kalle erwiderte ihren Blick, aber leicht fiel es ihm nicht, und er grinste längst nicht mehr so breit.
Sie sagte: „Ich habe zwei Schnitzel gegessen. Zwei von Fünf. Warum gibst du nicht zu, dass du drei gegessen hast, obwohl du nur zwei wolltest? Warum gibst du's nicht einfach zu? Warum sagst du nicht einfach, dass du Hunger hattest?“
„Trotzdem könntest du kürzer treten.“
Sie starrten sich eine Weile schweigend an, und das Ticken der Küchenuhr war gewaltig laut.
„Sag“, meinte Kalle, „wirst du nachher vorm Fernseher wieder Schokolade futtern? Oder hast du deine ganzen Schokoladenvorräte schon wieder aufgefuttert? Du futterst viel Schokolade in letzter Zeit ...“
„Ich habe fünf Kilo zugenommen. Fünf Kilo in vier Jahren.“
„Siehst du.“
„Wenn man älter wird“, sagte Margot, „ändert sich das mit dem Stoffwechsel, das hab ich neulich gelesen. Dass man zunimmt, wenn man älter wird, ist ganz normal. Man muss gegensteuern, stand da, mit viel Bewegung, und so. Der Organismus arbeitet irgendwie anders, wenn man älter wird. Das ist nun mal so. Ich esse nicht mehr als früher, und ich hab zugenommen, weil diese Stoffwechselgeschichte sich verändert, wenn man älter wird.“
„Ach. Das hast du in einer dieser Zeitschriften gelesen?“
Margot antwortete nicht, und Kalle sagte: „Immer weißt du alles besser. Zum Kotzen.“
Er stand auf und holte seine Zigaretten. Und als er wieder am Küchentisch saß, bemühte er sich eine Weile vergeblich mit dem Feuerzeug, und dann warf er es auf den Tisch.
„Leer, das Scheißding!“
Margot holte aus einer Schublade eine Packung Zündhölzer und legte sie ihm hin, aber er beachtete sie gar nicht.
„Die Erbse“, sagte er, „sieh doch nur, die Erbse liegt da immer noch.“
Margot folgte seinem Blick.
„Tatsächlich“, sagte sie.
„Warum nimmst du sie nicht auf? Bestimmt liegt sie da morgen noch. Ich denke, du kümmerst dich um den Haushalt?“
„Natürlich kümmere ich mich um den Haushalt. Ich bin noch nicht dazu gekommen, den Tisch abzuwischen.“
„Du hättest den ganzen Krempel einfach in den Geschirrspüler stellen sollen, dann hättest du längst Zeit gefunden, den Tisch abzuwischen.“
„Gleich“, sagte Margot. „Was stört dich so an der Erbse?“
„Es ist ekelhaft.“
„Ekelhaft? Du findest die Erbse ekelhaft?“
Kalle griff nach den Zündhölzern und steckte sich endlich die Zigarette an. Er inhalierte tief und blies den Rauch hoch zu Margot. Die trat einen Schritt zurück und hustete, und mit beiden Armen fächelte sie den Rauch beiseite. Kalle beachtete seine Frau nicht mehr und sah vor sich hin. Er blickte wieder auf die Erbse und sagte: „Ekelhaft!“
„Soll ich dir sagen“, meinte Margot und setzte sich ihm gegenüber an den Tisch, „soll ich dir sagen, was ekelhaft ist?“
Sie griff nach der Zigarettenschachtel und steckte sich eine an. Obwohl sie vorsichtig zog, musste sie husten, und Kalle schüttelte den Kopf über seine Frau.
Er sagte: „Du rauchst doch längst nicht mehr.“
„Aber jetzt will ich wieder rauchen, verstehst du.“
„So. Aber hast du daran gedacht, dass das Wasser noch läuft?“
„Das Becken hat einen Überlauf. Das Wasser kann laufen, solange es will.“
„Gott“, sagte Kalle, „ich mein ja nur. Immerhin könnte mit dem Überlauf was nicht in Ordnung sein. Möglich wär's doch, oder?“
„Mit dem Überlauf ist alles in Ordnung.“
„Ich mein ja nur“, sagte Kalle. „Jedenfalls werde ich den Scheiß nachher nicht aufwischen. Das wirst du ganz allein tun müssen, sollte mit dem Überlauf was nicht in Ordnung sein.“
Margot sprang auf und drehte das Wasser ab. Dann setzte sie sich wieder Kalle gegenüber an den Küchentisch.
„Soll ich dir sagen“, meinte sie und zog wieder an der Zigarette, „soll ich dir sagen, was ekelhaft ist?“
Kalle zog ein Gesicht und rauchte, und er nahm das Feuerzeug auf und spielte damit auf der Tischplatte. Er gebrauchte dazu beide Hände; die Fluppe behielt er im Mundwinkel, und wegen des Rauchs musste er immer wieder die Augen zusammenkneifen. Aber er fühlte sich wohl in dieser Pose, sehr wohl, und er würde Margots Gemüt bei der nächstbesten Gelegenheit massakrieren; und er begann, eine Melodie zu summen, irgendwas, das ihm gerade einfiel. Und dann rechnete er schon gar nicht mehr damit, dass Margot überhaupt noch einen Piep von sich gäbe. Mit dem Fuß schlug er gegen das Tischbein den Takt zu der Melodie, und er schlug immer heftiger und der Tisch begann zu zittern.
Margot drückte die Zigarette aus. Sie hatte sie zur Hälfte geraucht und es war offensichtlich, dass ihr der Glimmstengel nicht die Bohne geschmeckt hatte.
„Deine Unterhosen“, sagte sie, „deine Unterhosen sind ekelhaft.“
„Was?“
„Du wischt dir nie den Hintern richtig ab. Nie. In deinen Unterhosen bleibt immer ein Kackefleck zurück.“
Der Tisch zitterte nicht mehr, und Kalle nahm die Fluppe aus dem Mundwinkel.
„Was sagst du da?“
„Immer. Ein richtig großer Kackefleck. Du bist schon Fuffzig, aber du bist nicht in der Lage, dir den Hintern ordentlich abzuwischen.“
„Das passiert doch mal, mein Gott ...“
„Dir passiert's immer. In jeder Unterhose ist ein Kackefleck, wenn ich sie in die Waschmaschine stecke. Ich muss mir danach immer die Hände waschen, weißt du, damit keine Kacke an meinen Händen zurückbleibt. Bei so großen Kackeflecken kann das leicht passieren, aber ich möchte keine Kacke an den Händen haben.“
Kalle schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte.
„Ach so“, rief er, „jetzt weiß ich! Eine Retourkutsche soll das werden! Eine Retourkutsche, weiter nichts! Meine Güte“, sagte er und zermalmte seine Zigarette im Aschenbecher, „was bist du primitiv! Nein, wirklich! Da ist man über ein Vierteljahrhundert lang verheiratet und lernt einen Menschen dann erst richtig kennen! Pfui, Margot!“
Er griff zur Zigarettenschachtel und steckte sich die nächste an, und er zog hastig und wütend und stierte vor sich auf die Tischplatte.
„Hör mal“, sagte Margot, „seit einem Vierteljahrhundert stecke ich jeden Samstag deine Unterhosen mit großen Kackeflecken in die Waschmaschine! Ich habe Lust auszurechnen, in wie viele Kackeflecken ich dabei gefasst habe. Ich mag gar nicht daran denken, wie viele es gewesen sind. Und du“, rief sie, „du regst dich über diese scheiß Erbse auf!“
Kalle sagte: „Du kannst mir ja viel erzählen ...“
Margot stand auf.
„Soll ich eine Unterhose aus der Schmutzwäsche herholen? Irgendeine von deinen Unterhosen? Soll ich dir den Kackefleck zeigen? Soll ich?“
„Menschenskind“, brüllte Kalle, „nun halt endlich das Maul!“
Die abrupte Stille im Raum dröhnte beiden in den Ohren, und weder Margot noch Kalle hörten noch das Ticken der Küchenuhr. Margot setzte sich wieder. Sie griff nach der Zigarettenschachtel, und als sie sah, dass nur noch eine in der Packung war, zögerte sie. Aber dann steckte sie sich die Fluppe in den Mund; und diesmal musste sie nicht husten und rauchte auf. Und als sie dann die Kippe im Ascher ausdrückte, bemerkte sie Kalles Blick. Er guckte überhaupt nicht mehr finster.
„Weißt du“, sagte er und schraubte sich ein versöhnliches Grinsen ins Gesicht, „du hast Recht. Ich habe das Dritte auch noch gegessen.“
„So.“
„Du hast so entsetzlich langsam gegessen, und ich habe mich über dich geärgert.“
„Du hast dich über mich geärgert, weil ich langsam gegessen habe?“
„Wegen deiner verdammten Zeitschriften“, sagte Kalle, „wegen deiner blöden Zeitschrift hab ich mich über dich geärgert. Weil du immer beim Essen lesen musst. Das ärgert mich, verstehst du?“
„So.“
„Warum musst du beim Essen immer lesen?“
„Warum sollte ich nicht beim Essen lesen?“
„Weißt du“, sagte Kalle und wollte eine Hand auf Margots legen, aber die nahm sofort beide Hände vom Tisch, als sie seine Absicht erkannte. Kalle stockte und holte tief Luft. „Weißt du“, sagte er, „es gibt Paare, die wechseln beim Essen das eine oder andere Wort miteinander, und sie tun's sogar noch, wenn sie bereits Silberhochzeit gefeiert haben, so wie wir.“
„Ja“, sagte Margot, „und es gibt Paare, die haben schon Silberhochzeit gefeiert und gehen trotzdem noch miteinander ins Bett.“
Kalle brauchte einen Moment.
„Was willst du damit sagen?“
„Du bist ein Schlappschwanz!“
„Margot!“
„Ein scheiß Schlappschwanz! Ein Schlappschwanz, der außer seiner großen Fresse nichts auf der Pfanne hat!“
Kalle wollte etwas erwidern, ihm lag sofort ordentlich was auf der Zunge, aber er konnte sich gerade noch beherrschen. Er schnappte sich die Zigarettenschachtel und als er sah, dass sie leer war, knüllte er sie zusammen, bis sie sich nicht weiter zusammenknüllen ließ, und warf sie auf den Fußboden. Er biss die Zähne aufeinander, dass es knirschte, und schlug mit der Faust in die hohle Hand. Vor Wut war er dunkelrot im Gesicht. Aber er konnte seiner Frau nicht ins Gesicht sehen, und er hoffte, ihm würde mehr einfallen, als sie eine scheiß Fotze zu nennen.
Margot sagte: „Du bist ein Scheißkerl.“
„Margot ...“, begann Kalle. Dann sagte er: „Warum fängst du damit an? Warum fängst du damit an und nennst mich deswegen auch noch einen Scheißkerl?“
„Ich nenne dich einen Scheißkerl, weil du gar nicht kapierst, was für ein Scheißkerl du bist. Weißt du“, sagte sie und ihre Züge hellten sich auf, als dürfte sie ihn im nächsten Moment mit dem Auto überfahren, „es gibt Scheißkerle, die kapieren's irgendwann, und dann sind sie erträgliche Scheißkerle. Aber du kapierst es noch nicht mal.“
„Du scheiß Fotze!“
„Natürlich“, sagte Margot.
„Wirklich!“, sagte Kalle.
„Wäre ich keine scheiß Fotze, hätte ich's gar nicht so lange mit dir ausgehalten. Mit dir kann's nur eine scheiß Fotze bis über die Silberhochzeit hinaus aushalten, mit einem Schlappschwanz kann's nur eine scheiß Fotze aushalten.“
„Ich bring dich um!“
Kalle erhob sich langsam und wedelte mit den Fäusten vor ihrem Gesicht herum.
„Ich bring dich um“, sagte er. „Dass du damit wieder anfangen musst!“
Margot sah, dass er's ernst meinte; und sie stand hastig auf und warf dabei den Stuhl um, sie wich vor ihm zurück und ihre Überlegenheit von eben war ihr gründlich vergangen. Aber sie bereute kein einziges Wort und lachte, als wäre dieser Augenblick eine Erlösung für sie.
„Du bist seit über fünfundzwanzig Jahren ein Schlappschwanz“, rief sie, „ein Schlappschwanz mit Kackeflecken in den Unterhosen!“
Sie kam bis zur Küchenzeile, und an ihrem Hintern spürte sie den Rest Wärme, den die Cerankochfelder noch ausstrahlten. Kalle war sofort bei ihr, und er packte sie am Hals und Margot zerrte mit beiden Händen an seinem Arm, aber gegen seine Kraft kam sie nicht an. Er lockerte den Griff etwas, und dann verpasste er ihr eine Ohrfeige. Aber er hatte nicht mit Wucht zugeschlagen. Margot lachte wieder; und es war ihr gleichgültig, ob Kalle im nächsten Augenblick richtig zuschlüge. Es war ihr mehr als völlig gleichgültig und sie lachte. Und Kalle lockerte seinen Griff weiter, und die freie Hand hing hilflos herab und die Wut in seinen Zügen wurde schwammig.
Er sagte: „Fang doch nicht damit an. Bitte, fang nicht damit an, Margot.“
Er nahm die Hand weg und Margot fasste sich an den Hals. Ihr war schlecht und sie hatte Angst, diesem übermächtigen Hustenreiz nachzugeben, sie wollte sich nicht übergeben müssen; aber dann konnte sie's nicht mehr unterdrücken und das Husten tat ihr weh. Aber sie musste sich nicht übergeben. Sie krümmte sich immer mehr zusammen und bellte, als wollte sie sich die Seele aus dem Leib husten, und sie sank dabei fast auf die Knie und hielt sich irgendwo an der Küchenzeile fest. Aber sie musste nicht kotzen. Und dann richtete sie sich auf und sah zu Kalle, der bis in den entferntesten Winkel zurückgewichen war. Ihre Augen schwammen in den Tränen, die der Husten ihnen abgenötigt hatte, und sie sah Kalle nur undeutlich und wischte sich flink mit beiden Händen die Augen trocken.
„Es tut mir leid“, sagte er.
„Du Schlappschwanz“, sagte Margot, „du jämmerlicher Schlappschwanz.“.
Kalle sah zu Boden, als würde er jeden Moment in der eigenen Scham ertrinken, und er bekam Angst und wollte seine Frau um Hilfe anflehen.
„Es tut mir leid“, sagte er. „Wirklich. Hättest du nur nicht damit angefangen ...“
Margot riss blitzschnell eine Schublade auf und griff hinein. Und sie stürzte so unvermutet mit der Gabel in der Hand auf Kalle zu, dass der ihren Angriff nicht mehr abwehren konnte. Margot stach ihm in den Oberarm; aber im allerletzten Moment hatte ihr Verstand die Wut noch mäßigen können. Kalle schrie auf, in erster Linie vor Schreck. Die Zinken hatten sich tief ins Fleisch gedrückt, aber sie hatten die Haut nicht durchbohrt. Margot ließ sofort die Gabel los und rannte zurück, und das Besteck fiel hinunter auf die Fliesen.
„Du scheiß Fotze!“
„Du Schlappschwanz“, schrie Margot, und sie musste die Reste ihrer Inbrunst zusammenkratzen und begann zu zittern. „Du Schlappschwanz mit der großen Fresse!“
„Ich bring dich um!“
Margot wehrte sich nicht groß. Sie ließ es geschehen, dass Kalle ihr den Arm auf den Rücken drehte; und als er hinter ihr war, packte er ihr ins Haar und zog ihren Kopf so weit es ging in den Nacken, und Kalle bog ihren Arm immer weiter zurück und Margot schrie, weil sie's vor Schmerzen nicht mehr aushalten konnte.
„Ich bring dich um, du scheiß Fotze! Dass du damit anfangen musstest!“
„Das bringst du nicht fertig! Du hast nur eine große Fresse!“
„Ich bring dich um!“
„Das bringst du nicht fertig, du Schlappschwanz!“
Kalle gab ihr einen Stoß und Margot schleuderte quer durch die Küche, und sie stieß gegen die Tür vom Vorratsraum und schlug sich den Kopf. Schmerz und Benommenheit zwangen sie zu Boden, und dann hockte sie vor der Tür und heulte, und sie rieb sich den Schädel und heulte immer mehr. Kalle trat an sie heran und war ratlos.
„Siehst du!“, sagte er.
Und als Margot nach einer Weile noch immer nicht zu ihm aufsah, trat er nach ihr. Er trat immer fester, je mehr sie sich einigelte. Und je weniger sie ihn endlich um Vergebung bat. Kalle hatte vor Verzweiflung feuchte Augen, aber sie ließ ihm keine andere Wahl, und er trat und trat.
Und dann spürte er, wie es hart gegen seinen Hosenbund drückte, und er war über seinen Steifen erschrocken. Er hatte den Eindruck, sein Glied würde immer steifer und größer, und er trat und trat.
„Siehst du!“, rief er, „siehst du!“
„Bitte, hör auf!“, flehte Margot.
„Siehst du's jetzt?!“
„Hör auf, bitte hör auf!“
Kalle hörte auf. Er packte Margot, die keinen Widerstand bot, und warf sie herum, und als sie auf dem Rücken lag und zu ihm hoch blinzelte, hatte er die Hose auf. Er stürzte zwischen ihren Beinen nieder und zerrte das Höschen unterm Rock hervor, und dann legte er sich auf sie und Margot unternahm nichts dagegen. Und dann war er enttäuscht, dass sie feucht war. Er hatte sie mehr strafen wollen, als er's mit Schlägen oder Tritten je hätte erreichen können, aber Margot war feucht und unternahm nichts gegen ihn. Und nach den ersten wütenden Stößen schlang sie die Arme um ihn.
„Hör nicht auf!“, rief sie und reckte ihm den Unterleib entgegen. „Hör nicht auf, hörst du!“
Margot war sehr feucht und würde bald kommen, aber Kalle konnte sich darauf verlassen, dass er diesmal nicht zu früh aus ihr raus rutschen würde.
„Du lieber Himmel“, sagte er, „das darf nicht wahr sein!“
„Mach weiter, oh Gott, hör bloß nicht auf!“
Als Margot kam, schrie sie. Kalle war auch bald soweit, und als er spritzte, schrie Margot wieder. Und dann lagen sie unbeweglich aufeinander und Kalle spürte, dass er noch genauso steif war wie vorher, und er begann sachte wieder zu stoßen und Margot sah ihn mit großen Augen an.
„Nicht“, sagte sie dann.
„Komm schon ...“
„Nein“, sagte sie; aber Kalle war nicht ärgerlich. Er küsste sie und Margot erwiderte den Kuss flüchtig, und dann rollte er sich von ihr runter. Sie lagen nebeneinander und sahen zur Decke hinauf.
Sie kamen wieder zu Atem, und Kalle sah zu Margot, aber die sah hinauf zur Decke, und dann schloss sie die Augen, und Kalle sah wieder hinauf zur Decke und fühlte sich großartig. Und als er wieder zu Margot sah, schloss sie sofort die Augen, und Kalle sah wieder hinauf zur Decke und fühlte sich großartig und für's Erste verlangte er gar nicht mehr.
„Menschenskind“, sagte er, „so funktioniert's also ...“
Margot antwortete nicht, und Kalle sah zu ihr rüber. Diesmal schloss sie nicht die Augen und Kalle wartete, wann sie endlich den Kopf wenden und seinen Blick erwidern würde. Er hatte ihr viel zu sagen, aber mit Worten allein war das unmöglich zu machen. Margot schloss wieder die Augen und Kalle bemerkte erst jetzt, dass er ihr die Bluse zerrissen hatte. Er sah die Striemen auf ihrem Busen und fühlte sich nicht mehr ganz so großartig, aber immerhin noch großartig genug. Sie lagen nebeneinander und sahen zur Decke hoch und die Küchenuhr tickte sehr laut.
„Wer hätte das gedacht“, sagte Kalle.
Margot antwortete nicht.
„So funktioniert's also“, sagte Kalle.
„Ja“, sagte Margot, „so funktioniert's.“
„Wer hätte das gedacht ...“
„Ja. Wer hätte das gedacht.“
Kalle wandte wieder den Kopf, aber Margot sah nur zur Decke hoch. Er wurde ungeduldig.
„Hättest du damit gerechnet? Sag, hättest du's erwartet?“
Aber Margot richtete sich plötzlich auf, und als sie saß, betastete sie ihren Busen und verzog vor Schmerz das Gesicht. Dann richtete sie ihren Büstenhalter und erhob sich, und Kalle betrachtete seine Frau und fand sie sehr anziehend. Und mit einem Mal war er der Meinung, dass Margot durch ihr Schweigen mehr als genug sagte; und so großartig hatte er sich in seinem ganzen Leben noch nicht gefühlt und er nahm sich vor, dass es nicht zum letzten Mal so sein sollte.
„Wohin willst du?“, fragte er.
„Ich hab Rückenschmerzen ...“
„Tut mir leid“, sagte er.
„Ich weiß.“
Er hatte noch keine Lust, sich vom Boden zu erheben, und verschränkte die Arme hinterm Kopf. Er sah an sich hinunter, und sein Glied lag schlaff und feucht im verklebten Gestrüpp, und Kalle fühlte sich großartig und grinste breit.
„Tut mir leid wegen deiner Rückenschmerzen“, sagte er, „wirklich.“
Margot bewegte sich beinahe lautlos hinter ihm, aber er achtete schon gar nicht mehr auf sie und gab sich seinem Hochgefühl hin. Ein altes Sprichwort kam ihm in den Sinn und er musste laut lachen.
„Warum lachst du?“
„Weißt du“, sagte Kalle, „es stimmt einfach nicht. An diesen ollen Weisheiten ist nichts dran. Ich glaube wirklich, an diesen ollen Sprüchen ist nichts dran.“
„So?“
„Ja“, sagte er, „das mit dem alten Hund, meine ich. Dass man einem alten Hund nichts mehr beibringen kann. Das stimmt nicht. Das stimmt einfach nicht.“
Er reckte sich.
„Und ob man einem alten Hund noch etwas beibringen kann. Hast du ja eben gesehen, was man einem alten Hund noch beibringen kann. Hast du ja eben gesehen, oder?“
„Ja.“
„Du lieber Himmel“, sagte Kalle, „ich hab gelernt, wie's funktioniert.“
„Das hast du.“
„Über fünfundzwanzig Jahre, und dann funktioniert's ...“
„Aber du bist kein alter Hund“, sagte Margot.
„Vorhin hast du mich einen Schlappschwanz genannt.“
„Das hätte ich nicht tun sollen.“
„Das hättest du wirklich nicht“, sagte Kalle. „Aber ich bin doch ein alter Hund, und einem alten Hund kann man durchaus noch etwas beibringen.“
Und dann hatte er genug davon, auf den Fliesen herumzuliegen. Kalle erhob sich schwerfällig und ächzte dabei übertrieben, und die Alberei machte ihm viel Spaß.
„Scheiß auf die Gelenke“, sagte er, als er endlich auf den Beinen stand, „einen alten Hund machen mehr aus als die verrosteten Gelenke, was?“
Er sah sich nach Margot um.
Mit dem Brotmesser in der Hand stürzte sie auf ihn zu. Und Kalle wusste, dass ihr keine andere Wahl blieb, und er war nicht sicher, ob er etwas dagegen unternehmen würde. Er wusste nur, dass er nichts dagegen unternehmen wollte, weil Margot keine andere Wahl blieb.