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Abends im Zelt
Robert betrat das Zelt. Hitze schlug ihm entgegen. Er band den Eingang auf, um die Abendluft hineinzulassen, dann setzte er sich auf einen Klappstuhl und ließ mit einem Seufzer die Anspannung fahren. Nach ein paar Minuten kam John.
„Hallo Robert“
„Hallo John“
„Wie geht´s der Truppe?“
„Alles okay.“
„War ein schlimmer Tag.“
„Ja.“
„Warum ist das passiert?“
„Der Suchtrupp hat´s übersehen … der Lkw ist drauf …“
„Mitten auf der Piste?“
„Ja.“
„Ein ganzer Lkw mit zwanzig Mann. Deswegen sollte ja ein Jeep vorwegfahren.“
„Hatten wir auch. Den hat´s nicht erwischt.“
„Hast Du´s gesehen?“
„Ja. Die Teile flogen bestimmt fünfzig Meter hoch. Blech, Schrott, Kisten, Kameraden oder Teile von ihnen …“
„Scheiße!“
„Wir werden eine Expedition machen, es ihnen zeigen, so nicht! Nicht mit uns!“
„Und wieder Hass schüren. Wenn wir schnell unser Ziel erreichen wollen, und das ist doch das wesentliche, sollten wir nicht eskalieren. Eine Reaktion bedingt die nächste … also wenn du mich fragst: nichts tun, weiter ziehen.“
John nahm sein Gewehr, wog es in den Händen, legte an. Sein Gesicht erstarrte, während er durch das Zielfernrohr sah.
„Wenn wir Gefangene machen würden.“
„Was dann?“
„Wäre es etwas anderes.“
„Was denn?“
John stellt das Gewehr wieder weg.
„Wir wären in Ordnung. Wir würden uns an die Regeln halten, die im Krieg gelten. Aber so? Unsere Gegner haben doch nichts zu verlieren. Und unsere eigenen Truppen achten uns nicht, achten sich selbst nicht…“
„Und wohin dann mit all dem Pack?“
„In Lager. Besser in Lager bringen, aller Welt zeigen, gegen wen wir kämpfen, zeigen, dass wir ehrbare Soldaten sind … stattdessen regeln wir das Gefangenenproblem mit Baggern und Planierraupen …“
Robert stand auf und schaltete das Licht an. Ein kalter Schimmer erfüllt das Zelt. Der Wind hatte zugenommen und ließ die Plane schlagen.
„Scheißkrieg.“
„Bau´ mal Lager. Die müssen ja auch gesichert werden. Jedes Lager ist wieder ein Angriffspunkt, den der Gegner einnehmen will, den wir nicht spontan verlegen können wie unsere Truppen.“
„Wir könnten sie ja nach Hause bringen. Zu uns.“
„Da müssten wir dann auch Lager bauen.“
„Tun wir doch schon“, sagte Robert halblaut. Er zündete sich eine Zigarette an. Für einen Augenblick leuchtete sein Gesicht warm im Schein des Feuerzeugs. Dann war es wieder kaltweiß.
„Was sagst Du da?“
„Wir bauen Lager.“
„Weißt du mehr darüber? Und woher?“
Robert zuckte mit den Schultern.
„Sprich mal mit der Truppe. So etwas kann man nicht unter der Decke halten. Nicht, wenn es so groß aufgezogen wird…“
„Erzähl mehr davon.“
„Es werden Lager gebaut, überall in unserer Heimat. Große, abgesperrte Areale mit unendlich vielen Baracken. Stacheldraht. Wachtürme mit Maschinengewehren darauf. Breite Zufahrtswege.“
„Wo werden die gebaut?“
„Überall. Im Süden, im Norden, im Westen, und sogar im Osten, viele Lager auch im Osten … es ist unheimlich. Ich habe gehört, dass in den vergangenen sieben Jahren Lager für über zwei Millionen Menschen gebaut worden sind. So etwas bleibt nicht geheim. Ehrlich gesagt, mich wundert, dass du angeblich nichts davon weißt.“
Robert sah John eindringlich forschend in die Augen. John gab auf.
„Ich weiß davon. Es stimmt, was du sagst. - Nur eines verstehe ich nicht.“
„Und was?“
„Wozu das alles? Wofür baut man das? Für welche Menschen? Wir haben doch nicht vor, zwei Millionen Gefangene zu machen. Nicht in diesem Krieg.“
„Ich weiß es auch nicht. Ich kenne auch keinen, der das versteht.“
Robert holte seine Zigaretten aus der Jackentasche; diesmal bot der John eine an, gab ihm und sich Feuer. Als er zog, schloss er die Augen. John schaltete das Radio an.
„Mal sehen, was es neues gibt.“
Das Radio knisterte und rauschte. John regelte den Sender nach. „Hören Sie die Nachrichten des Tages“, plärrte es aus dem Radio.
„Okay, hören wir die Nachrichten des Tages“, äffte John die Frauenstimme nach.
„Präsident Obama hat sich heute zur Lage der Nation geäußert“, fuhr sie fort.
„Wir senden Ausschnitte seiner Rede.“
Nun war Obama zu hören: „Es sind außergewöhnliche Zeiten für unser Land … aber im Vordergrund all dieser Herausforderungen, ist es meine Verantwortung als Präsident, das amerikanische Volk in Sicherheit zu wahren. Es ist das erste, woran ich denke, wenn ich morgens aufwache, und mein letzter Gedanke, bevor ich abends einschlafe… wir haben heute wieder die Kraft, wahrhaft die Welt zu führen … ich bin überzeugt, wir können dieses Land nur in Sicherheit halten, wenn wir uns auf die Kraft unserer fundamentalen Werte besinnen. Dies ist der Grund, warum feindliche Krieger zu uns desertieren, sie wissen, dass sie von uns besser behandelt werden als von ihren eigenen Regierungen.“
Robert lachte boshaft.
„Unser Land benötigt neue Werkzeuge, das amerikanische Volk zu schützen, neue juristische Werkzeuge, die es uns erlauben, Angriffe zu verhindern, statt nur die zu verfolgen, die versuchen, solche auszuführen … wir werden keine Gefangenen freilassen, der eine Gefahr für das amerikanische Volk bedeuten … meine Leute bringen die Gerichte in eine Linie mit dem Gesetz. Es gibt Leute, die nicht wegen begangener Verbrechen verfolgt werden können, und die doch eine Gefahr für die Sicherheit darstellen … wir sind uns klar darüber, dass über die verlängerte Haft nicht frei entschieden werden kann, wir benötigen neue Standards der Verwahrungspolitik, die sicherstellen, dass wir mit dem Gesetz im Einklang sind … ich weiß, dass die Schaffung dieses Systems eine einzigartige Herausforderung bedeutet. Wir werden ein neues juristisches System schaffen, das es uns erlaubt, Terroristen zu inhaftieren. Es gibt Leute, die planen, das Leben von Amerikanern zu beenden. Das ist so für ein Jahr, fünf Jahre, und wahrscheinlich auch zehn Jahre ab heute. Wir erstreben den stärksten und nachhaltigsten rechtlichen Rahmen, diese Dinge für lange Zeit in Ordnung zu bringen.“
John drehte das Radio aus. „Reicht dir das?“
„Ich wusste gar nicht, dass wir zwei Millionen Feinde im Land haben. Was machen wir dann hier draußen in der Wüste, wenn der Feind in der Heimat steht?“
Robert verzog zynisch den Mund und spuckte auf den Boden. John holte einen kleinen Flachmann hervor, in dem er immer Whisky bei sich trug.
„Auch einen?“
„Ja.“
Kursiv: Zitate aus der Rede von Barack Obama vom 21. Mai 2009.
Quelle: http://www.whitehouse.gov/the_press_office/Remarks-by-the-President-On-National-Security-5-21-09/
Übersetzung durch den Autor.