Abends im RE
Er flitzte die Treppe hinauf. Als er die letzte Stufe erreicht hatte, hörte er wie der Zug einfuhr und kurz darauf hatte er einen der schwarzblaukarierten Sitze im unteren Teil des Doppelstockwagens sicher. Viererabteil natürlich. Ihm gegenüber saß eine Frau, die er, wenn Sie ein paar Jahre jünger gewesen wäre gerne angesprochen hätte, aber sie war es nicht.
Entspannt lehnte er sich zurück und ließ seine Arme auf den hellen Holzlehnen ruhen. Dann fuhr der Zug an. Nur ein leises Surren und das Gefühl, das man immer hat, wenn man sich in einem sich bewegenden Gefährt befindet, nahm er wahr.
Der Zug beschleunigte und hatte bald seine Reisegeschwindigkeit erreicht.
Dann sah er Sie. Durch die staubigen Scheiben der Bahn, deren Unreinheit man paradoxerweise erst in diesem Moment der Schönheit erkannte, schickte sie ihre Strahlen hinein. Nicht aggressiv, wie den ganzen Tag über, sondern flach orange. Es waren die letzten warmen Strahlen des Abends und er genoß sie in der Ruhe des sich bewegenden Zuges. In ihm stieg ein Gefühl der Zufriedenheit auf. Dieses Gefühl war überwältigend und gab der ganzen Existenz einen Sinn. Die Fragen nach dem Sinn wurden in diesem Moment ausgeblendet.
Nein falsch, dachte er. Sie wurden übertüncht. Man konnte daran denken, aber man fühlte nichts dabei. Nur die durch die Bewegung des Zuges und den Strahlen der Sonne erzeugte, alles übertünchende Wohligkeit.
Er genoß diesen Moment. Er saß gemütlich, die Strahlen der Sonnen ließen sein Gehirn Melatonin ausschütten ( was er zu seinem Glück in diesem Moment nicht bedachte, denn einen Chemiefabrik hinter den Kulissen zu entdecken ist unschön), er wußte, dass er die Umwelt weniger belastete als mit dem Auto und zu guter letzt suggerierte ihm die Bewegung des Zuges, dass er in diesem Moment nicht die Möglichkeit hatte etwas anderes zu machen, da er dem Zug ja nicht entsteigen konnte. Er konnte also nichts falsch machen, er verpasste nichts und er konnte nichts Überflüssiges tun. Die Entscheidung in den Zug zu steigen hatte er schon vorher gemacht. Der Druck des Alltags wurde von ihm genommen.
Ein Moment für die Ewigkeit.
Die Durchsage des Zielorts zerstörte ihn wenige Momente später.